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6. Diskussion und Zusammenfassung der Ergebnisse

6.3 Limitationen

Limitiert sind die Studien I und II durch das Fehlen von Biomarkern. Vor dem Hintergrund, der in Abschnitt 2.4.4 genannten unterschiedlichen Ursachen für SCD kann, nicht ausgeschlossen werden, dass die von den Patienten der Gedächtnisambulanz genannten Beschwerden auf eine andere Ursache als die AD zurückzuführen sind.

Obwohl die vorliegende Arbeit versucht, die Komplexität von SCD mithilfe von alternativen Verfahren wie qualitativen Methoden greifbarer zu machen, ist die Beschreibung einer subjektiven Erfahrung komplex und vor dem Hintergrund einer Pathologie schwer abzubilden. Besonders die in Studie III gewählte Interviewform ermöglicht wenig offene Antwortoptionen und zwängt durch ihre Struktur die Antworten des Patienten in ein kategoriales Maß, das dem Patienten wenig Raum für die eigenen Erfahrungen gibt. Um eine naturalistischere Interaktion zu schaffen, sollte das Interview offener gehalten werden. Die eigentlich spontan berichteten erlebnisnahen Beschwerden werden mithilfe von SCD-Plus-Merkmalen oder kognitiven Domänen erneut vereinfacht und reduziert, und auch die Extraktion der qualitativen Kategorien in Studien I und II ist im weitesten Sinne eine erneute Reduktion.

Das Abhaken einer Checkliste bzw. von Merkmalen ist zwar ökonomisch und pragmatisch, da es wenig Wissen über die Erkrankung erfordert und über einfaches Aufsummieren von Kriterien eine einfache Diagnostik ermöglicht, verfehlt aber eine erlebnisnahe und personenzentrierte Erfassung von SCD.

Kritisch anzumerken ist zudem, dass die SCD-Merkmale in Studie III nur Zusammenhänge mit einer Amyloid-Pathologie zeigen. Gemäß den Forschungskriterien der NIA-AA müssen für die präklinische AD neben der Amyloidose auch die Tau-Pathologie nachgewiesen werden. Die Validierung der vorliegenden Studie würde demnach einer

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präklinischen AD-Veränderung entsprechen. Fraglich ist generell, ob eine Befassung mit einer derartigen Validierung notwendig ist. Eine biologische Validierung von ICD-10 und DSM-IV gibt es nicht. Fokus der psychiatrischen Diagnostik liegt bislang eher auf der Nützlichkeit (Jäger 2008). Ein Großteil der aktuellen Forschung im Bereich der präklinischen AD und SCD legt den Fokus auf das Ziel der biologischen Validierung, wodurch versucht wird, eine möglicherweise eher dimensionale psychopathologische Erfahrung kategorial einzuteilen.

Würde die Nützlichkeit von SCD in den Fokus gestellt, wäre dies eventuell hinfällig und der Umgang und die Versorgung von Patienten mit SCD könnte in den Vordergrund der Forschung gerückt werden.

Bei allen psychiatrischen Diagnosen und Krankheitsbildern bleibt das Problem, dass der Patient sein Erleben kommunizieren muss. So kommen zwar deskriptive Inhalte beim Diagnostiker an, die dann der generalisierten Feststellung einer Krankheit oder eines Symptoms dienen können, dies muss aber nicht zwangsläufig etwas mit der wertenden Selbstzuschreibung des Patienten zu tun haben, der ganz individuell sein Erleben beschreibt. Die Darstellung von SCD erfolgt demnach nicht deskriptiv, sondern vielmehr askriptiv. In dieser Askription sind nicht nur das Kriterium und klar umschriebene Phänomene enthalten, die problemlos mit einem Fragebogen abgebildet werden können, sondern auch Selbstzuschreibungen, eigene Erfahrungen und ein Appell nach medizinischer Hilfe. Diese enthaltene individuelle Komponente erfasst nicht die Krankheit an sich, sondern das Erleben des Krankseins, das eine medizinische bzw. professionelle Reaktion erfordert (Helmchen, 2006). Vor dem Hintergrund einer möglichen Alzheimer-Diagnose kann dahinter der Wunsch nach Klärung und einer umfangreichen Diagnostik stecken.

Methodisch ist die vorliegende Arbeit limitiert durch das querschnittliche Design, das es nicht ermöglich, Aussagen über zeitliche Stabilität von SCD zu treffen. Es bleibt unklar, wie sich SCD über die Zeit verändern und welche Patienten eine kognitive Beeinträchtigung entwickeln. Interessant wäre auch die Beobachtung in den verschiedenen syndromalen Stadien, um genauer zu bestimmen, wann bzw. welche Aspekte von SCD möglicherweise in welchem Stadium ihre Prädiktionskraft verlieren. Hinsichtlich der Erhebungsmethode wäre es dringend notwendig, Fragebogenverfahren und Interviewverfahren zu vergleichen, um zu prüfen, ob die Methode einen Einfluss auf das Urteil haben könnte. Ebenfalls bezogen auf die Methode kann angemerkt werden, dass qualitative Verfahren zwar den Vorteil haben, dass mit ihnen

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reichhaltige Daten erzeugt werden können, die Auswertung der Daten aber erheblich aufwendiger ist (Flick, 2014). Eine grundlegendere Problematik, die besonders in qualitativen Forschungskonzepten zum Tragen kommt, ist der hermeneutische Zirkel. Eine Wahrnehmung setzt ein Vorverständnis voraus, welches das Erkennen erst möglich macht, dieses aber dadurch auch einschränkt (Mey & Mruck, 2011).

Ein Merkmal, das in vorliegender Arbeit weitestgehend vernachlässigt wurde, ist der Kontext, in dem SCD erhoben wurde. In Studie III besteht das Sample sowohl aus Gedächtnisambulanzpatienten als auch aus gesunden Kontrollen. Zusammenhänge zwischen SCD und Biomarkern wurden über die Gesamtstichprobe hinweg analysiert, obwohl die Empirie zeigt, dass der Kontext bzw. das Setting bei der Erfassung von SCD eine Rolle spielt (Perrotin et al., 2017; Rodríguez-Gómez et al., 2015; Slot et al., 2019). Da das Interview von einem Studienarzt durchgeführt wurde und die Probanden zum Teil andere Aussagen als beim Studieneinschluss tätigten, könnte das Interviewformat eine Möglichkeit sein, das Studiensetting zu kontrollieren. Der Kontext ähnelt durch das einem Arztgespräch ähnelnde Interview deutlich eher einem klinischen Setting als dies in rein wissenschaftlichen Erhebungen oder in Fragebogenerhebungen der Fall ist.

Kritisch anzumerken ist zudem, dass nicht alle Variablen von den in Abschnitt 2.4 genannten Kovariaten berücksichtigt werden konnten. In der vorliegenden Arbeit betraf dies Persönlichkeitsvariablen und affektive Variablen. Auch auf das Verhältnis zwischen Selbst- und Fremdbericht von Beschwerden wurde in vorliegender Arbeit nicht eingegangen.

Weitergehende Analysen mit der Errechnung eines Diskrepanz-Scores bestehend aus Selbst- und Fremdbericht der im DELCODE-Interview erfassten Maße sind bereits in Planung. Die Prüfung der Stabilität der Aussagen im Interview ist ebenfalls geplant, sobald Follow-up-Daten der DELCODE-Studie verfügbar sind.

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