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lieh nicht mit dem Gärmittel Hefe

Cer Handlungsverlauf unterstreicht Nikitins untergeordnete Stel l ung in der Mpartizarå£ina". N ikitin kann seinen Führungsanspruch, den er zunächst wäh- rend des "Dingens" gegenüber den aufstandsbereiten Bauern erhebt, nicht durchsetzen. Spätestens während der Verfolgung der Kirgisen entgleitet ihm die FChrung, die Bauemerhebung beginnt sich eigendynamisch zu entwickeln.

Jedoch entspringt hieraus Iberrascheriderweise kein Konflikt zwi9chen Ni- k itin und den Bauern. Obwohl N ikitin und seine Parteigruppe auf dem im 36. Abschnitt geschilderten Meeting von den Bauern Uberstirnnt wird, unter- w irft sich N ikitin dem Versanmlungsdecokratismus und akzeptiert Kal is tra t als neue Leitfigur der Bauern, ־ selbst wenn er die Gründe für dessen Be- lie b th e it bei den Bauern nicht nachvollziehen kann:

и - Poezzaj, Efiniyc, v Serginskuju volost1. Revkom prosit.

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(...)”

(S. 321)

N ikitin , am ״*Schreibtisch f estgewachsen” , wird dagegen zun Kanzlisten der Revolution.

Damit hat das spontan-anarchische Element die Oberhand gewonnen. Die Bau- ernerhebung nirant den Charakter der " parti zansčina" an, der N ikitin nach Kräften d iá it, ohne seine proletarischen, dan Leser ohnehin nie zusaavnen- hängend vermittelten Ziele durchsetzen zu können.

4.2.3.3. Gemeinsame Figurermerkmale

Bisher wurden solche Verfahren und Inhaltselemente untersucht, die die Beziehung Kalis trat-N iki tin bzw. Bauern-Partei hierarchisch strukturieren, vrobei die Frage nach dem kontrastiven crfer konpleroentären Charakter der Relation vorläufig ausgeklanmert wurde. Eine Antwort darauf s o ll jetzt die Betrachtung der Kalistrat und N ikitin gemeinsamen Merkmale ergeben.

Im allgemeinen wird die Beziehung des zentralen Figurenpaares K alistrat- N ikitin als Oppositions- bzw. Kontrastrelation interpretiert. Dennoch weist die Konzeption der beiden Figuren auch Gemeinsamkeiten auf, die den Ein- drude einer vollständigen Gegensätzlichkeit wieder abschwächen. A. Vorons- k ij hat als erster auf solche Gemeinsamkeiten zwischen Kalistrat und Niki- tin aufmerksam gemacht (53). Wenn sie trotzdem bis heute von der Forschung übergangen werden, lie g t das offensichtlich an der Daninanz der Dialoge, die die Forschung zudem weniger als figurale Charakterisierungsmittel, denn als M ittel zun Transport ideologischer Figurenstandpunkte betrachtet und folglich auf eine Kon tras tre la tic« Kali strat-N iki tin rückgeschlossen hat

(vgl. 4.2.2.).

In seiner charakterisierenden Eigenschaft unterstreicht der Dialog die in- te i lek tue Ile Schwerfälligkeit der Partisanen. Diese zeichnet nicht nur den Bauern Kalistrat, sondern auch proletarische urei halbproletarische Partisa- nenvertreter wie N ikitin und Kubdja aus und entspringt der unter 5.2.2.1.

noch näher darzustellenden Zocmorphie der Bauempartisanen im inneren und äußeren Porträt.

Am wirksamsten wird die zwischen Kalistrat und N ikitin bestehende Kontrast- relation durch die beiden Figuren geneinsame Sehnsucht re la tiv ie rt. Obwohl sie bei N ikitin andere Ursache und Ziele als bei Kalistrat besitzt, macht sie die beiden Figuren einander verständlicher. Sehnt sich Kalistrat nach einem "neuen Glauben", so is t Nikitins Sehnsucht auf die "Menschen", d.h.

auf größere Gemeinschaft und Solidarität, gerichtet. Sein Bedürfnis, die

Fremdheit zwischen sich und den Bauernpartisanen zu tfcerwinden, nähert ihn an jenes Kollektivideal an, das in ״Cvetnye vetra" eine Nahtstelle zwischen kaimunistischen und patriarchal ischen Werten bildet. Schließlich gleicht der Arbeiter N ikitin dem Bauern Kalistrat auch in der Fähigkeit, Uber die destruktive Gegenwart hinaus der Zukunft Rechnung zu tragen, die sich N ikitin als industrielle Erschließung Sibiriens vorstellt (vgl. S. 321).

Allerdings erscheint dieser Gedanke als Ausnahne von der sonstigen Charak- terisierung der Figur als gegenwartsbezogenen und haßerfülltem Organisator eines Bauernaufstandes.

Ferner verbinden N ikitin einige Züge im inneren und äußeren Porträt mit Kalistrat, die N ikitins Einseitigkeit und fanatischen Klassenhaß re- la ti vieren. So nähert N ikitins "beinahe unnerkliches Lächeln", sein "trocke- nes Lächeln" (S. 231, 258) oder seine wiederholt erwähnte Erschöpfung (z.B.

S. 261) ihn an Kalistrats Orotionalität an.

Un die Wirksamkeit der genannten Gemeinsamkeiten für die Struktur des zen- tralen Figurerpaares zu beurteilen, wird auf Manfred Tietziranns methodische Unterscheidung zwischen potentiell und faktisch relevanten Figureneigenschaf- ten Bezug gencnmen (54). Letztere führen zu Folgerungen über die Person,

"die der 'Text' nicht ,erzwingt', sondern ,in Kauf niirnit. *" Sowohl der nama- dische Ansatz als auch die oben erwähnte! weicheren Regungen N ikitins ste l-

len derartige angedeutete, von Ivanov allerdings nicht weiter ausgefaltete Eigenschaften dar.

Im Unterschied dazu gibt es auch einige faktisch relevante Gerneinsankeiten zwischen N ikitin und Kalistrat. Sie sind der Forschung wohl nur deshalb ent- gangen, weil sie Kalistrats meistens statisch, d.h. in Bezug auf eine seiner drei öitwicklungsetappen analysiert hat, in denen Kalistrat erst als patriar- chalischer Gottessucher, dann als kanpfbereiter Partisan und schließlich als Ackersnann geschildert wird. Die Schilderung Kalistrats anfaßt sanit

drei verschiedene, sogar gegensätzliche Phasen, von denen vor allem die beiden letzten der jeweiligen Einstellung Nikitins ztwiderlaufen und dadurch den Eindruck der politisch-weltanschaulichen Gegensätzlichkeit des zentralen Figurenpaares hervorgerufen haben. Indessen beschränkt sich der weltanschau- liehe Gegensatz keineswegs nur auf den Kontrast zwischen proletarischen Кіаэ- senhaß und patriarchalischer Friedfertigkeit, wie er während der ersten Ent- Wicklungsphase Kalistrats besteht. V. Skobelev ta t den ersten Schritt zu e i- ner kcnplexeren Betrachtungsweise, als er auf die synthetische Konzeption Kalistrats hinwies. Seiner Ansicht nach verbinden sich in dieser Figur zwei patriarchalische Bauemtypen, - der Typus des friedfertigen, uneigennützi- gen Gerechtigkeitssuchers ("pravednik") und der Typus des bäuerlichen Auf- rührers ("buntar1"), - die mit Ausnahme von N. Leskovs Erzählung "Oőarovan- nyj strannik" (1873) in der vorrevolutionären Literatur stets getrennt vor- kamen, ihre Verbindung zu einer Figur sieht Skobelev deshalb als eine der Neuleistungen der frühen Sowjetprosa an (55).

Kalistrats Kampfbereitschaft während seiner zweiten öitwicklungsphase, in der er als "buntar'" geschildert wird, entspricht durchaus der aggressiven Hai- tung N ikitins. Die Grausamkeiten, an denen sich Kalistrat während dieser Pha- se aktiv b e te ilig t, widersprechen andererseits nicht nur seiner eigenen frü- her en Überzeugung, sondern auch dem Befehl N ikitins, der vergeblich ein Mas- saker an den Kirgisen zu verhindern sucht. Es besteht also nicht nur ein Kon- trast innerhalb der einzelnen Entwicklungsphasen dieser Figur, sondern auch zwischen den weltanschaulichen Antipoden Kalistrat und N ikitin: Erscheint

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der eine als radikal, wird der andere als gemäßigt geschildert. Trotz ihrer stets gegensätzlichen Reaktionen auf dieselbe Situation gleichen sich so- mit beide Figuren in dem Widerspruch zwischen ihren Worten und Handlungen.

So verletzt Kalistrat nicht nur die Grundsätze seiner früheren Friedenslie- be, wenn er bedenkenslos Kirgisen niedermetzelt, sondern es verstößt auch N ikitin gegen seine ständig wiederholten Haßausbrüche, wenn er eine bewaff- nete Auseinandersetzung zwischen den Bauempartisanen und den kirgisischen Nomaden zu verhindern sucht.

Der Vergleich N ikitins mit Kalistrat zeigt, daß die Widersprüchlichkeit im Charakter und Verhalten eine Haipteigenschaft sämtlicher Partisanengestalten Ivanovs darstellt. Auf sie wird in den folgenden Abschnitten 5.1.1. und 5.2.2.1. noch gesondert eingegangen. Im Zusammenhang mit der rraqe nach der Relation von Bauern und Revolution 9011te sie aber schon hier als wich- tige Geneinsamkeit zwischen Kalistrat und N ikitin erwähnt werden.

4.2.3.4. Zusammenfassung

Der Schluß der "Cvetnye vetra" besaß bei der Interpretation der politischen Aussage dieses Werks eine besondere Bedeutung: Auf dem Acker fragt der Krtip־

pel Pavel den nach Talica zurückgekehrten Kalistrat, ob er nicht N ikitin Grüs- se ausrichten wolle. Weis nun Kalistrat N ikitin tatsächlich m itte ilt, bleibt dem Leser verborgen, weil Kalistrat, der herzhaft Brot kaut, zu undeutlich a rtik u lie rt. Die Schlußepisode verm ittelt sanit ein recht geringes Interesse Kalistrats an seinem ehemaligen Kampfgefährten N ikitin. Behäbige Bauemsatt- heit scheint der Solidarität mit den Partisanen gewichen zu sein.

Dennoch verm ittelt der Schluß von "Cvetnye vetra" weder, wie es Ivanov erst- malig von Neverov vorgeworfen wurde, den Eindruck eines gänzlich unverbindli- chen Nebeneinanders von Revolution und Bauern ("Oktjabr1 sam po sebe, ши&ікі sami po sebe"), noch bäuerliche Hochachtung vor dem känpfenden Proletariat, wie etwa Groznova vorschnell interpretiert, da sie Pavels Frage für Kalistrats Tat nünnt (" vozvrativsijs^a к chleborodnoj nive Kalistrat slal poklon N ik iti-

nu, soruziem v rukach srazivsemusja za revoljuciju. n) (56). Vielmehr zeigt die Schlußszene, daß Kalistrat vö llig von seinem neuen Lebensinhalt, der bäu- erlichen Arbeit, e rfü llt is t, die Ivanov ihrerseits als Motiv des revolutio- nären Aufstandes gestaltet. Allerdings unterstreicht die Schlußszene ein weiteres Mal die bäuerliche Sicht der Ereignisse.

Wie schon an anderen Beispielen ־ dem Handlungsort, der Figurendarstellung (Asynmetrie, szenische Darstellung, Figureneigenschaften) und an der Erzähl- funkt ion - gezeigt wurde, wird, vor allem in ,*Cvetnye vetra", die Dominanz der Bauern in der Revolution hervor gehoben. Von ihrer Sichtweise wird^auch der Proletarier N ikitin als temporäre Erscheinung innerhalb der "p a rtizanscina"

geschildert, dessen destruktiven Klassenhaß die Bauern als M ittel für ihre Zwecke benutzen. Eine über diese organisatorisch-strategische Funktion hinaus- gehende Bedeutung besitzt die Figur nicht.

Die Struktur des zentralen Figurenpaares der ״,Cvetnye vetra" legt also den Schluß nahe, daß die Bauempartisanen ideell und politisch daninie ren, während der proletarische Revolutionär im Handlungs- und Wertgefüge nur eine Nebenstel- lung einnimnt. Seinen charakterlichen und äußeren Eigenschaften, aber auch seiner Anschauung und seinen Verheilten nach befindet er sich jedoch in keinem diametralen Gegensatz zun bäuerlichen Protagonisten. Der Vergleich der "Cvet- nye vetra" mit ״ Parti zany" zeigt ferner, daß nicht schlechtweg nur die Bäuer- lichkeit der Figuren Über deren re\rolutionäre Vorbildlichkeit entscheidet,

sondern diese in erster Linie mit nomadischen Eigenschaften wie Uhrast und Besitzlosigkeit zun Ausdruck gebracht wird. Dieser Konzeption entspricht, daß iro ideellen Mittelpunkt der "Partizany" der Halbproletarier Kubdja steht, der ähnlich nomadische Eigenschaften wie der patriarchalische Hauptheld der

"Cvetnye vetra", K alistrat, besitzt. Während aber Kalistrats runadische An- lagen die Verständigung mit dem Proletarier N ikitin , der ansatzweise ähnlich charakterisiert wird, begünstigen, wirken dieselben Eigenschaften bei Kubdja ungekehrt als tendentiell konflikt trächtiger Gegensatz zun bodenständigen Bau- em Seleznev, bei dem nomadische Eigenschaften vö llig fehlen. Absolut gesehen is t deshalb der Gegensatz zwischen Kubdja und Seleznev größer, als der zwi- sehen N ikitin und K alistrat.

Die Handlungsschlüsse entsprechen der sozialen Herkunft der jeweils ideell dexninierenden Figur: In "Partizany" wird die Bauemerhebung nachträglich als Teil des proletarisch-revolutionären Gesamtprozesses akzeptiert, was der zen- tralen Stellung Kubdjas im ideellen Gefüge des Werkes entspricht, während der Schluß der "Cvetnye vetra" den Eindruck der bäuerlich-patriarchalischen Domi- nanz verm ittelt: Das Werk endet mit Kalistrats Rückkehr zur Feldarbeit.

Dem Verhältnis von Bauern und proletarischen Revolutionären lie g t also keine gleichbleibende Relationsstruktur zugrunde. Die unterschiedlichen Varianten, die Ivanov hierzu in den "Partizanskie povesti" entwickelt, haben jedoch

eines gemeinsam: Die Revolution erscheint als breiter sozialer Syntheseprozeß, der sehr unterschiedliche Charaktere vorübergehend zusamenfUhrt, wobei aus- schließlich die Entstehung und die gemeinsame Aktion selbst gezeigt wird, nicht aber die Art zukünftiger nachrevolutionärer Beziehungen zwischen Bauern und Proletariern.

5. Das Revolutions- und Menschenbild 5.1. Dissonante Strukturen

Die bisher w r allem an den zentralen Figurenpaaren del־ "Cvetnye vetra" und

"Partizany” nachgewiesenen Gegensatzstrukturen sind als allgemeines Struktur- merkmal von Ivanovs "Partizanskle povesti" so a u ffä llig , daß sich die Ft>r- schung o ft gar nicht mehr mit kcmplanentären Ansätzen in diesen Erzählungen beschäftigt hat.

Den Gegensatzstrukturen helft et o ft eine bis zur Dissonanz bzw. Paradoxie gesteigerte Widersprüchlichkeit an. Sie is t auf sämtlichen Darstellungsebenen - z.B. im Kontrast einzelner Handlung granente sowie im Kontrast zwischen Iva- novs Erzähler und der Ereignisschilderung, - nachweisbar. Innerhalb der Figu- rendarstellung zeigt sie sich im Kontrast der Figureneigenschaften und im ambivalenten Verhalten der Figuren. Nachfolgend sollen einige besonders auf- fä llig e Gegensätze im Charakter revolutionärer Figuren der "Partizany” и.ri

"Cvetnye vetra" dargestellt und ideengeschichtlich gedeutet werden.

5.1.1. Paradoxie in den Figureneigenschaften und im Figurenverhalten

Aus der Ivanovs Bauempartisanen eigenen Naturbindung le ite t sich, wie noch darzustellen sein wird, ihre Unberechenbarkeit und spontane Handlungsweise ab. Eine Erscheinungsform dieser Unberechenbarkeit is t die grausame W illkür, die als irra tio n a l und logisch nicht begründbar geschildert wird: So wird Q n itrij ânolin erschossen, weil ihn die Partisanen irrtümlicherweise für den- jeni gen Sohn Kalistrats halten, der un ein Kopfgeld einen Rotarmisten hinter־

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rücks ermordete. Als später der wahre Schuldige, Dmitrijs Bruder, in die Gefangenschaft der Bauempartisanen gerät, wird er begnadigt und sogar befördert, weil mit dem Ttod seines Bruders der Mord an dem Rot- ami sten bereits gesühnt erscheint. Obwohl Ivanov mit dieser Episode auf alte Rechtsauf fas sungen in der Bauernschaft zurückgreift, w irkt das Verhalten der Bauempartisanen, an modernen Rechtsnormen gemessen, grausen und w illkü rlich . Ähnlich widersprüchlich w irkt die Begnadigung von Cknitrijs Bruder w irkt auch der GefÜhlsunschwung Naunyc's, wenn er die Nachricht van Erfrieren der gefangengesetzten ׳Ibchter Kalistrats gleich- gültig aufnimnt, zugleich aber dafür Sorge trägt, daß Kal is tra t nichts erfährt:

”Podosel paren* к bocke, skazal Naumycu:

- Devka-to ta, v zagone, zamerzla.

Podnjal kruzku so spirtom ryzeborodyj.

- Pejl Kakaja devka? Grippina-to, sto l'? PussaJ!

Carstvo nebesno!

Vypil paren1, posel. Kriknul ryzeborodyj:

- Ty stariku (Kalistra t, Т.Н.) ne govori, skazem - ubeglal... ( ...) "

(S. 312)

Der Vergleich mit anderen früh sowjetischen Werken zun Bauernthema zeigt, daß Grausamkeit, Rohheit und Unbildung stereotype Eigenschaften révolu-

tionärer Bauemfiguren bilden. Die der Konzeption Ivanovs besonders nahe- stehende Sejfullina gestaltet zim Beispiel in ihrer Erzählung "Peregnoj"

eine Episode, in der prosowjetische Vorkänpfer der Dorfarraat einen der Revolution feindlich gesonnenen Arzt und dessen adlige Frau erschlagen, weil sie argwöhnen, der B litzableiter auf den Haus des Arztes sei eine Funkanlage, über die sich der Arzt mit weißgardistischen Truppen verstan- digt. Ähnlich wie im Fall des Q n itrij Sraolin t r i f f t auch in "Peregnoj"

der revolutionäre Volkszom einen Unschuldigen. Allerdings wird in beiden Fällen die aus krasser Unbildung bzw. aus tra d iti er ten patriarchalischen Rechtsnormen abgeleitete "Ungerechtigkeit" insofern "gerechtfertigt", als sie einen der Sowjetmacht feindlich Ges im ten t r i f f t . Denn der Arzt aus Sejfullinas "Peregnoj" is t zwar nicht der Sache, wohl aber seiner

politischen Einstellung nach vor der Revolution schuldig geworden. Die Grau- sarokéit der Bauemrevolutionäre Ivanovs und Sejfullinas is t demnach nur vor- dergründig "blind".

Mit ihrer Gestaltung der "unlogischen", "ungerechten" bzw. "blinden"

Grausamkeit gehen Ivanov und Sejfullina offensichtlich von der Überzeugung aus, daß sich in revolutionären Unbruchsperioden die eigenständige Bedeu- tung des Individuums zugunsten übergeordneter sozialer Einheiten (Schichten, Klassen u.ä.) v e rlie rt (vgl. auch 5.2.1.). Sejfullina und Ivanov lassen ihre revolutionären Helden entsprechend in Kategorien der Kollektivschuld denken, von denen aus jede *Wahrheitsfindung" im Sinne bürgerlich-in d iv i- dual ju ris t i scher Schuld- und Gerechtigkeitsbegriffe h in fä llig wird (57).

Vom Standpunkt dieses Kollektivdenkens aus haben sich die Brüder Semen und ani t r i j Stolin durch ih r Verhalten und ihre politischen Äußerungen gleicher- maßen als Konterrevolutionäre erwiesen. Es is t also für Ivanovs und Sej fu i-

linas Bauemr evolutionäre le tz tlic h nebensächlich, wer von den Angehörigen der konterrevolutionären Gegenseite die Klassenschuld begleicht bzw. wer, im Zuge desselben Kollektivdenkens, begnadigt wird. Darüber hinaus laden Sej- fu llin a und Ivanov ihre Leser zur näheren Identifizierung mit diesen Stand- punkt ein, inden sie Opfer der revolutionären Willkür nicht nur als politisch

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negativ und antisowjetisch charakterisieren, sondern sie zusätzlich auch menschlich aus ausgesprochen unsynpathisch schildern.

Im Oiarakter der revolutionären Helden Ivanovs und Sej fullinas verbinden sich tffcildung, geistiger Primitivismus und Grausamkeit ganz unvermittelt mit Aufopferungsbereitschaft und Heldermut. Diese Kombinationen paradoxer

Eigenschaften und Verhaltensweisen entspringen einen» modifizierten Verständ- nis des Heroischen, das mit 9corospelova als Polemik gegen vorrevolutionäre Konzeptionen der Heroik begriffen werden kann, die, vor allem von der dama- ligen liberal-demokratischen Intelligenz, nur unter dem Gesichtspunkt von Opfer und Selbstaufopferung behandelt worden war (58).

Auch in der Konzeption jener Triebkräfte, die die revolutionären Figuren Sej fu ll inas und Ivanovs u.a. bewegt, zeigt sich eine ähnliche Widersprach- lichkeit wie im Gegensatz zwischen Grausamkeit und Gtoßmut. Oie Verbindung von "Hohem" und "Niedrigem", wie sie für das neue Verständnis revolutionä- rer Heroik bestininend wurde, äußert sich u.a. darin, daß Ivanovs Bauernparti- sanen und Sej fu i Linas Avantgardisten der Dorfarmut nicht für abgehobene, fer- ne Ziele kärrpfen, töten und sterben, sondern für die ehenals als banal ver- schrienen "Bedürfnisse des Bauches" (Scorospelova).

5.1.2. Massaker und Freudenfest: Dissonanzen in der Ereignisschilderung Dissonante bzw. paradoxe Gegensätze werden auch bei der Ereignis- und Hand- lungsschi lderung eingesetzt. So fo lg t z.B. auf das Massaker an den Einwohnern Talicas im 38. Abschnitt der "Cvetnye vetra" ein rauschhaftes Gelage der Bau- empartisanen. Die größte Kontrastwirkung entsteht jedoch aus dem Gegensatz zwischen der Ereignisschilderung und den Erzählerabscteeifungen: Der Episode, in der N ikitin brutal den Schlosser "mit dem rosigen Mädchengesicht" er- schießt, fo lg t im 17. Abschnitt eine von der äußeren Handlung ganz unto- tiv ie rte , pantheist!sch gefärbte Erzählesanrufung dar sibirischen Natur.

Ähnliche fontraste zwischen der Ereignisachilderung und Erzählerabscteei- fungen als einer Art Hymne an die Lebensfreude begegnen auch in zahlreichen anderen Werken (z.B. Veselyjs "Strana rodna ja ", Leonovs "Petusichinskij pro- lem"). Sie vermitteln weniger einen Stilsynkretismus, der in der naturalisti- sehen Ausmalung brutaler Vtargänge und einem "raoantisch-subjektiven Lyris- mus" bestände, als die positive Bewertung der Auffassung, daß sich das Ein-

zelschicksal im Strem lebensfroher revolutionärer Dynamik auf lösen wird.

So ließe sich das der Grausamkeit der zuvor geschilderten Ereignisse dia- metra l entgegengesetzte enthusiastische Erzählerbekenntnis zur Lebensfreude als eine der Ausdrucksformen des \ron Skobelev ausführlich analysierten "käme- vcilistisehen Prinzips" in der frühsowjetischen Prosa auffassen. In Anlehnung an M. Bach tins Definition des "karnevalistischen Weltempfindens" deutet es Skobelev als

"Freude und Trauer, die auf dem Hintergrund eines unaufhaltsam zer- brechenden und vorwärts drängenden !/1hens existieren und wahrgenem- men werden, und sich nicht einfach nur nebeneinander befinden, - sie erscheinen als zwei Gesichter ein und derselben W irklichkeit. Sich einander ergänzend, halfen sie die Erstellung des Schriftstellers vcm Leben zu vertiefen. (...) die innere Bewegung der Erzählung

'evetnye vetra1 wird dadurch bestürmt, daß der Mensch, der die schreckliche Läuterung in der Feuerprobe der Leiden und des radika- len Unbruchs durchschritten hat, schließlich eine freudige Vereini- gung mit der ihn ungebenden Welt erlangt." (59)

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Skobelevs Interpretation stützt sich besonders auf die drei kontrastiven Phasen in Kalistrats Entwicklung:

□!Zufriedenheit

mit dan bisherigen beben und Aufbruch in ein besseres neues, Kanpf und Zerstörung, Rückkehr zur A ll- tagsarbelt und angøde uteter Wiederaufbau Tal icas. Dennoch baut Ivanov Kon- traststiianungen wie Freude und Leid, Grausamkeiten und Lebensfreude i.A . weniger in chronologischer Reihenfolge auf, wie es Skobelev vermutet, эоп- dem als wechselseitige Durchdringung. Ein solches Nebeneinander paradcocer Stinroungen und önpfindungen bestinmt z.B. auch das Bewußtsein der Bauern־

partisanen. Lebensfreude und Todeserwartungen bestehen hier gleichzeitig ne- beneinander:*Vsan u n ira t', vsan p it1." (S. 311)

Dissonante und paradoxe Gegensätze in den Inhalten, Stinroungen und Handlungs- eleraenten erscheinen als allgemeines Strukturprinzip der frtihsowjetischen Literatur. A. Fiaker erwähnt die - thematische ind klangstrukturelle - Dis- sonanz sogar als Gmrdprinzip der gesamten avantgardistischen russischen Literatur, die bereits im Symbolismus, beginnend vor allem mit dem nach- revolutionären Werk A. Bloks, einsetzte (60). Innerhalb der Prosa zun Re\o- lutions- und Bürgerkriegs thema zeigen sich derartige Dissonanzen anschaulich in K. Fedins Roman "Qoroda i gody" au£ der Ebene des Handlungsaufbaus und der Figurengestaltung. Nicht zufällig •stellte Fedin seinem Rcnpn das Motto

Dissonante und paradoxe Gegensätze in den Inhalten, Stinroungen und Handlungs- eleraenten erscheinen als allgemeines Strukturprinzip der frtihsowjetischen Literatur. A. Fiaker erwähnt die - thematische ind klangstrukturelle - Dis- sonanz sogar als Gmrdprinzip der gesamten avantgardistischen russischen Literatur, die bereits im Symbolismus, beginnend vor allem mit dem nach- revolutionären Werk A. Bloks, einsetzte (60). Innerhalb der Prosa zun Re\o- lutions- und Bürgerkriegs thema zeigen sich derartige Dissonanzen anschaulich in K. Fedins Roman "Qoroda i gody" au£ der Ebene des Handlungsaufbaus und der Figurengestaltung. Nicht zufällig •stellte Fedin seinem Rcnpn das Motto