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Obwohl Neverov also den Konf liktmechanisrnus die soziale Differenzierung der Bauernschaft zugrundelegt, widmet er mengemäßig den la id , zu dem das "fa l- sehe" patriarchalische Bewußtsein führt, mehr Aufmerksamkeit, als der Klas־

senkanpfthematik bzw. der Schilderung des "neuen" sowjetischen Lebens.

1.2.2. Der revolutionäre M ittle r

Dem Kontrast von Ironie und mitleidsvollem Bericht bei der Darstellung des bäuerlichen Leids entspricht ein Spannungsverhältnis von Unterschieden und Geneinsamkeiten, wenn Neverov die Beziehung seines revolutionären Helden An- dron zur Bauernschaft schildert. Zwar befindet sich Andron mit seinen Ansich־

ten und Handlungen in genauem Gegensatz zu den Bauern, doch wird die Struk־

tur seiner Überlegungen und Empfindungen als bäuerlich charakterisiert. Hier־

bei sind Korrespondenzmerkmale jedoch nur form ier Natur, während die Unter- schiede zwischen Andron und den Bauern stets inhaltlicher Art sind.

1.2.2.1. Androns Beziehung zur Baue rimasse

Im Unterschied etwa zur Konzeption von Vs. Ivanovs "Cvetnye vetra" gestaltet sich die Beziehung des politischen Führers zu den Massen in Neverovs "Andron Neputevyj" nicht als Anpassung der Führerpersönlichkeit an die Bedürfnisse der №sse, sondern als zugespitzter, unversöhnlicher Konflikt zwischen dem bewußtseinanäßig überlegenen Führer und der Masse, die sich Andron nicht friedlich fügen w ill. Daß dieser möglicherweise an den Einsichtsfähigkeiten der Bauern vorbeiargunentieren könnte, wenn er zwangsweise die Interessen e i- ner den Bauern verhaßten und unverständlichen Staatsmacht durchzusetzen ver- sucht, wird топ Neverov nur ein einziges №11 ansatzweise problematis ie rt und sonst nirgends näher ausgefaltet; nur im 15. Abschnitt gewährt Neverov Ein- blick in einen Gedankengang seines Helden, der diesen als recht diktatorisch und damit fast als unsympathisch charakterisiert :

**Andron v is p o lk o m e dum & et:

- Po d o b r o j v o le m u z iķ i ne s l o m j a j u t e j a , budu d e l a t * . к а к sam c h o c u . P i s i ! " (S. 243 f . )

Die obige Überlegung Androns fo lg t aus seiner von Neverov als exklusiv dar ge- stellten Einsichtsfähigkeit: Nur Andron is t zu politischer Erkenntnis fähig.

Er allein weiß, was für die Revolution gut und was schädlich is t, und dieses Wissen dient Neverov als Rechtfertigung für das recht diktatorische und auto- ritäre Verhalten der Figur. Insgesamt is t Androns Einstellung zu den Bauern jedoch von einer Mischung aus M itleid und politisch motivierter Abneigung ge- prägt. Das äußert sich u.a. in der Episode des bewaffneten Aufstandes, die aus dem Blickwinkel Androns als sinnlose Selbstzerstörung geschildert wird, denn der an die Hütten der Kamunisten gelegte Brand g re ift auf das ganze Dorf über und bei der Lynchjustiz am kriegsinvaliden Kcnntunemitglied Griska Kapcik wird auch einer der Aufrührer zu Tode getrampelt. So entlarvt sich die Blindheit der "cemozemnaja sila " als Häßlichkeit des Irrationalen und wirken die "Erdleidenschaften" der Bauern ganz im Unterschied zu Ivanovs "Cvetnye vetra" destruktiv und abstoßend:

" U v i d a l A n d ro n g lu p u ju s m e rt* o t 2 a z u b re n n o g o t o p o r s e i k a , r a s s e r d i l -s j a . " (S . 256)

Die Geneinsamkeiten zwischen Andron und den Bauern beschränken sich auf die Gefühlsebene. Hier leidet Andron, ebenso wie seine patriarchalisch eingestell-

ten Eltern, an Familienbanden, die die politische Gegnerschaft zur Qual

rra-eben. Auch in Androns Sicht- und Redeweise äußern sich noch vorhandene Bin- dungen an Aas Dorf, So zeichnen sich z.B. die Bauern ebenso wie Andron durch ein gewisses Kollektivàenken aus, bei dem der jeweilige politische Gegner aus- schließlich als Vertreter der feindlichen Ordnung auf ge faßt wird: Die Bauern sehen den ihnen entfremdeten Andron nicht mehr als Individuum sondern nur noch als Verkörperung einer unverständlichöl Staatsmacht an, deren Insignien

(rotes Hemd, budenovka, Sporen) leitrnotivisch ілтег dann eingesetzt werden, wenn der zwischen Andron und seiner patriarchalischen Unwelt bestehende Kon-

trast herausgestellt werden s o ll. Zudem sind Androns spärliche äußerliche Merkmale unpersönlich und allgemein gehalten. Seine von den Bauern nicht wahr- geronnene Ireiividualität steht sowohl für das bäuerliche Grtppendenken, als auch für seine organische Verbundenheit mit der Revolution, denn das, was die Bauern an Andron wahmehroen und was sie abstößt, sind ja gerade die äußeren Merlatale seiner politischen Andersartigkeit :

״ Ne v i d j a t l i c a A n d ro n o v a , v i d j a t ru b a c h u k r a s n u ju . 5 ta n y s p u z y r ja m i»

n o g i s k o l o k o l ' c i k a m i . ” (S . 236)

Andron dagegen assoziiert mit den Bauern die ganze Rückständigkeit der tra d itio - nelien dörflichen Lebensweise:

"Ne m u z ik o v v i d i t 8 r a s s tr e p a n n y m i b o ro d am i - z i z n ' n w z ic k u ju t e m n u ju . "

(S . 255)

In beiden Fällen zeigen die Figurenüberlegungen nicht nur eine wechselseitige Zuspitzung der Standpunkte, sondern in ihrer formalen Analogie auch die Wesens-

Verwandtschaft

der Widersacher. Diese Gemeinsamkeit klischeehafter Sichtweisen wird in beiden Fällen s tilis tis c h durch die Inversion verm ittelt. Andren weicht

jedoch insofern bereits wieder von der bäuerlichen Sichtweise ab, als er seine Gegner nicht auf symbol trächtige Details reduziert, sondern ungekehrt vem kon- kret Anschaulichen zun Abstrakten ("das rückständige Bauemleben") abstrahiert.

In seiner Mittelstellung zwischen bäuerlichen und revolutionär-proletarischen Anschauungen, Sicht- und Denkweisen symbolisiert Andren eine, wenn auch in die Zukunft transponierte Synthese zwischen Bauernschaft und Revolution. Darin aber unterscheidet sich die Neveravsche Konzeption des bäuerlich-revolutionärer M itt- lers grundsätzlich vcm literarischen Mittlertypus gegen Ende der 20-er Jahre, wie noch ausführlicher im Kapitel E.IV.2.3. bei der Analyse von F. Panferovs K ir ill Sdarkin ("Bruski 2 ,״. Buch) zu zeigen sein wird: Während sich bei Neve- rovs Andron iimterhin noch bäuerliche und proletarische Ideologie und Standpunk־

te durchdringen, w irkt Ždarkin lediglich als Transnissicnsrianen, der

städtisch-proletarische Vorstellungen und Werte an die Bauern w eiterleitet, ohne Verständnis für ihren hartnäckigen Widerstand gegen die Kollektivierung bzw. das Kollektivprinzip aufzubringen.

Androns M ittlerstellung t e ilt sich allerdings nur dem Leser und nicht seinen rückständigen patriarchalischen Gegnern mit, für die er trotz mancher Gemein- samkeiten der Kontrahent bleibt. Dem Leser wird Androns M ittlerstellung auch sprachlich signalisiert, denn Andron zeichnet sich te ils durch eine unbäuer- liehe Redeweise aus ("Andron ej po-kniznomu", S. 299), te ils auch durch eine Anpassung seines revolutionären, "unbäuerlichen" Vokabulars an die morphologi- sehe Struktur der Mundart:

-g ^ ^ цр

- J C a p it a liz m a ne s t r a s n a j a . S n e j da vno mozno p o k o n c it * , e s l i b y ne b u r z u a z i j a . " (S . 230)

” P r iv e z s t a r i k a i z g o ro d a s b e l o j b o r o d o j, s k a z a l:

- Ê to K a r la M a rk s o v , d a d im emu p e rv o e m e s to .” (S . 252)

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Die Einführung und Gestaltung des revolutionären M ittlers belegt, daß Neve- rov tro tz der Auflösung der konzeptionellen Einheit Bauern- Natur-Revoluti- on ästhetisch ebenfalls eine Harmonisierung polarer Gegensätze anstrebt. Am deutlichsten äußert sich das in Androns LÖeungsformel, mit der Neverov den Konflikt zwischen Sowjetmacht und Bauern wenigstens gedanklich zu übervin- den versucht: Der bewaffnete Aufstand in Rogacevo führt Andron zu der Ein־

sicht, daß dan Dorf nur eine Verbindung von revolutionärer Härte und gleich- zeitigsn Verständnis für die aus Unwissenheit und Rückständigkeit geborene Not weiterhelfen wird. Als oberstes Postulat an den Bauemr evolutionär formu-

lie r t er deshalb im Ergebnis dieses Gedankenprozesses sein v ie l zitiertes

"ne zalet1 nel*zja i zalet* n e l'zja ." (S. 255)

Eine Art sekundärere Vermittlung zwischen der Rerolution bzw. Andron und den Bauern besorgt Neverovs Erzählstil: Einerseits wird hier den bäuerlichen Aspekt zunindest formal entsprochen. Der Erzählstil zeichnet sich z.B. durch seine Anlehnung an den Märchen- und Bylinenstil (z.B. "ítodilas' kamiuna v gorode dalekom, v bol'scm gorode nevidannan..." S. 247), durch seine reich- haltige Verwendung volkstümlicher Redensarten, durch die HLiedhaftigkeit der Intonationen der gesprochenen Volkssprache" aus, die der Autor "mit H ilfe verschiedenartiger Inversionen und den reichhaltigen Gebrauch mehrsilbiger Worte mit Daktylusendungen" verstärkt (79). Andererseits e rz ie lt er o ft eine

ironische Wirkung, wenn dieser Erzählstil in Gegensatz zu den geschilderten Ereignissen gerät und 90 die Bauemsicht für die leser als "falsche Ideolo- gie" entlarvt. Das is t besonders in den Bnanzipationserzählungen der Fall, wo der "bab'ij bunt", die Auflehnung der Bäuerinnen gegen ihre Männer, aus dem Blickwinkel eines verständnislosen, rückständigen Bauern geschildert wird:

״ U F ilim o n o v y c h e s c e č i s e e . Z a v e r n u la p o d o i m la d s a ja s n o ch a i p o s ła , к а к k o r o v a i z s t a d a . P r i e c h a l i b r a t 1J a - k r a s n o a r m e jc y , p o t a s e l i i s u n - d u k , s lo v n o p o k o jn ik a . G l j a d i t F ilim o n o v -m už - r u k i s i l o j n e v id im o j

svjazany.

L o v k o î

V c e ra b y la z e n a , n yn ce n e t z e n y , v e e r a c i n i l a F ilim o n o v u , п у п с е i c i - n i t ' n e k o m u ." (S . 239)

Ideologisch steht Neverovs Erzähler meistens zwischen Andron urd seinen pat- riarcha l i sehen Gegnern. Neverov drückt diese Position dadurch aus, Дяй er die Gefühle beider Seiten, der Anhänger und Gegner Androns, re fle k tie rt und einander gegenüberstellt:

',K a c e t A n d ro n po u l i c e - c e r t ne c e r t , k a z a k ne k a z a k . C y p le n o k pod n o g i - c y p le n k a ^ d a v it . C us* z a g l j a d i t s j a - g u s ja p o d o m n e t. U v i d i t s ta r u c h a i z o k o s k a - p e r e k r e s t i t s j a . V y jd e t d e v k á i z v o r o t a - p o z a b u - d e t , kuda s i a . Ognem g o r i t ru b a c h a A n d ro n o v a . NogoJ t r j a c h n e t - z v o n . Šapku z a p r o k in e t - t a k i c h i v d e re v n e ne b y ł o .

B o l i t d e v i c ״e s e r d e e , v o l n u e t s j a .

B o l i t M i c h a j l i n o s e rd e e - z a lk o m e r i n a . ” (S . 234)

Die Annäherung des Er zäh ls t i Is an die Figurenrede entspricht den fontaién Korrespondenzen in der Denk- und Redeweise Androns und der Bauern. In beiden Fällen sollen Satz- und Gedankenfiguren - bevorzugt Chiasnen, Parallelisnen und Paradoxa - den bäuerlichen Aspekt hervorkehren, wobei Neverav, ähnlich wie Ivanov, besonders das Paradoxon bevorzugt. Denn wie bereits in den 20-er Jahren der K ritiker N. Fatov bemerkte, s te llt diese Gedankenfigur eine s t ili- s ti sehe Entsprechung bäuerlicher Erwägungen nach dem Muster " i tak plocho, i édak ne choroso” dar (80). In "Andron Neputevyj" kommt das Paradoxon so- vohl in den Reflexionen des Erzählers als auch der Figuren sehr häufig vor.

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Es beschreibt außer der hilflosen Widersprüchlichkeit patriarchalischen Denkens ein weiteres Mal die Gemeinsamkeit der bäuerlichen und der Denk- weise Androns:

"S y n a ló m a t 1 - s i l ^ n e t . S e b ja ló m a t 1 - o t l j u d e j s t y d n o . "

״ V s ju z i z n ' s v o ju z a lk o . I A n d r o n a - to z a l k o . " (S . 235)

Die Analogie der Gedankenfiguren endet mit ihrer gegensätzlichen Bewertung:

Erscheint bei Androns Eltern das Paradoxon als h ilflo se Reaktion auf noch vorhandene Gefühlsbindungen an den unwürdigen Sohn, so wird Androns Erkennt- nis "ne zalet1 nel'zja i zalet1 nel'zja" als (Xäntessenz revolutionären Be- wußtseins ausgegeben. Ein weiterer Unterschied besteht im Zeitpunkt, an dem der paradoxe Gedanke vorgetragen wird: Für die patriarchalischen Bauern is t er nicht, wie bei Andron, End-, sondern Ausgangspunkt ihrer Überlegungen.

Kündigt sich in Androns Formel die Überwindung des Gegensatzdenkens an, so entwickelt sich das Denken seiner patriarchalischen Kontrahenten in genau entgegengesetzter Richtung, wobei sie das instabile Gleichgewicht von Bin- dung und Abneigung mit der Radikalisierung gegen Andron durchbrochen:

״ L u sce b y sovsem u b i l i t a k o g o . " (S . 236)

1.3. Neverovs Revolutionsbild 1.3.1. Erlösendes Leiden und Askese

Neverov widmet in seiner Erzählung "Andron Neputevyj" dem subjektiven Leiden der Bauern in der Revolution besonders breiten Raun. Das Thema patr iarchali- sehen Leidens wird nur flüchtig durch knappe Hinweise und Episoden unterbro- chen, die die Revolution als Begin eines neuen und freudvolleren Lebens cha- rakterisieren. Jugend, Frohsinn, Liebe und Glück beschränken sich indessen auf Androns Kaimune bzw. auf die Empfindungen seiner Anhänger, auf die Jugend und auf die Frauen:

,,A v s o ju z e v e c e r i n k i k a z d y j d e n 1 . P a r n i tam І d e v k i t a m . " (S . 244)

Aus dem Blickwinkel der Bauern re g is trie rt Neverovs Erzähler vorwurfsvoll:

" P o ju t d e v k i s b a b a m i, g ó r j a ne c u v s t v u j u t . I l i g la z a d r u g ie u n ic h - v i d j a t t o l ' k o ѵ е з е іо е , i l i sovsem ne ta k o g o g ó r j a , c t o b y ne p e t ״ . "

(S . 248)

Dem Leser wird anheimgestel 11, welcher Auffassung er sich anschließen w ill:

dem Leid der Bauern, die ihre einstige Autorität eingebüßt haben und deshalb betrübt sind, oder dem Frohsinn der sich befreienden Frauen und der Dorfarmut.

Möglicherweise, so schränkt der Erzähler ein, gibt es ja gar kein Leid.

Dennoch Überwiegen quantitativ die ausführlichen Schilderungen eben dieser patriarchalischen Empfindung und Reaktion auf die Zerstörung der altherge- brachten Lebensweise, während das neue Leben nur knapp gestreift wird. Auf- fälligerweise bleibt auch der Naturbereich aus der L'arstellung der neuen Le- ebensweise ausgespart. Die Naturmetapher paraphrasiert ausschließlich das von Neverov als historisch unausweichlich charakterisierte Ende des patriar- chalischen Bauerntums:

,,?od g o r o j t r i d e r e v a , g r o z o j o p a le n n y e . Ne s u m ja t l i s t * J a , ne r a - d u j u t . ! ie t ne v d e r e v 'J a c h z e l e n i z e l e n e j u s c e j , n e t r!a d e r e v 'J a c h s o ln c a ig r a ju s e e g o . M r&cno s t o j a t t r i d e r e v a , g r o z o j o p a le n n y e .

( . . . )