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Teil III Fallstudie Liechtenstein

6. Optionen der liechtensteinischen Integrationspolitik

6.5 Liechtenstein und Schweiz in der EU

Grundsätzlich erfüllt das Fürstentum Liechtenstein – wie die Schweiz – als europäischer Staat mit marktwirtschaftlichem System und Mitglied des Europarates die rechtlichen Anforderungen an eine EUMit glied -schaft. Welche zusätzlichen Verpflichtungen ein Beitrittskandidat im Ein zel fall übernehmen muss, ist eine politische Frage. Ein Rechts an -spruch auf Beitritt besteht selbst bei Erfüllung aller Kriterien nicht. «Auf Grund seiner Kleinheit kann Liechtenstein nicht selbstverständlich damit rechnen, dass es Mitglied der EG werden könnte (...) Die besondere Problematik Liechtensteins liegt darin, dass die drei Ziele – Part -nerschaft mit der Schweiz durch den Zollvertrag, möglichst unge-schmälerte Erhaltung des Finanzdienstleistungswesens und eine gleich-berechtigte Kooperation in der Staatengemeinschaft – im Hinblick auf die europäische Integration nicht gleichermassen verwirklicht werden können.»482 Obwohl das Fürstentum einer Verwirklichung dieser drei Ziele 1995 durch seine Mitgliedschaft im EWR bei einer Anpassung des Zollvertrags mit der Schweiz schon sehr nahe gekommen ist, erhält das Problem bei einem EU-Beitritt der Schweiz eine neue Dimension.

Der Europäische Rat von Nizza vertrat die Auffassung, «dass die Europa-Konferenz einen nützlichen Rahmen für den Dialog zwischen den Mitgliedstaaten der Union und den Ländern darstellt, die eine Anwartschaft auf den Beitritt haben» und schlug vor, «dass die Länder des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses sowie die EFTA-Länder zu dieser Konferenz als designierte Mitglieder eingeladen wer-den».483 Als EFTA-Land wäre Liechtenstein prinzipiell zur Europa-Konferenz eingeladen, auch wenn fraglich ist, inwieweit daraus eine

«Anwartschaft auf den Beitritt», im Sinne der generellen Möglichkeit einer EU-Mitgliedschaft, abzulesen ist. Bruha und Vogt beispielsweise argumentieren, dass beim EUBeitritt von Kleinststaaten die System ver -träg lichkeit geprüft werden muss, da der institutionelle Rahmen der Union nicht auf sie zugeschnitten ist.484Ihrer Ansicht nach besteht ein Anspruch aller europäischen Staaten auf eine geeignete Partizipation am

Optionen der liechtensteinischen Integrationspolitik

482 Kreile/Michalsky 1993, 242.

483 Europäischer Rat 2000b. Bis Juli 2001 wurden weder Liechtenstein noch Norwegen oder Island offiziell eingeladen. Die Schweiz nimmt seit 1999 teil.

484 Bruha/Vogt 1997, 500.

Integrationsprozess, wenn auch nicht auf Mitgliedschaft. «Wo ein Bei -tritt zur Gemeinschaft aus den einen oder anderen Gründen ausscheidet, ist eine Partizipation auf der nächstniedrigeren Integrationsstufe in Aus sicht zu stellen (Europäischer Wirtschaftsraum, Zollunion, Europa abkommen, Freihandelsabkommen, Partnerschafts und Kooperations -ab kommen).»485

Nach Ansicht des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München steht folgenden Staaten «die Mitgliedschaft offen, sofern sie nur den nötigen politischen Willen dazu aufbringen: Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz».486Hingegen reiht die islän-dische Regierung Liechtenstein zusammen mit Andorra, Monaco und San Marino in die Kategorie jener Kleinststaaten ein, für welche die EU-Mitgliedschaft aufgrund ihrer Kleinheit keine realistische Option sei.487 Vertreter der Kommission schlossen eine EUMitgliedschaft Liechten -steins nicht aus mit dem Hinweis, dass ein Beitritt – insbesondere eines reichen Staates – oft leichter zu erreichen sei als eine Sonderlösung.488 Für die Ratspräsidentschaft müsste indes eine Lösung gefunden werden, welche die Lastenverteilung mitberücksichtigt. Auch das Europäische Parlament schloss 1989 die Möglichkeit eines Beitritts der Mikrostaaten nicht kategorisch aus, aber «das starke historische Bewusstsein dieser Länder in Verbindung mit ihrem wirtschaftlichen Wohlstand erlaubt es nicht, einen eventuellen Antrag auf Beitritt zur EG zu erwarten, vor allem, wenn diese Staaten die Quelle ihres Reichtums dank der Son der -abkommen mit der Gemeinschaft wahren können».489

Ein Beitritt, theoretisch möglich, ist aus praktischen Gründen meist ausgeschlossen, weil ein solcher Beitritt eine administrative Masse auf internationaler Ebene voraussetzt, welche zu erbringen diese Staa ten selten in der Lage sind (Vorsitz im Rat, personelle Beteili

-Fallstudie Liechtenstein

485 Ibid., 501.

486 Centrum für angewandte Politikforschung 1999, 8.

487 Island 2000, 41.

488 Interviews beim Rechtsdienst und in der Generaldirektion Aussenbeziehungen der Kommission in Brüssel am 20./21. März 2000.

489 Europäisches Parlament 1989a, 8. Der Vatikan wurde aufgrund seiner beschränkten wirtschaftlichen Aktivitäten und seiner «geistlichen Wesensart» explizit ausgenom-men und Liechtenstein, zwischen den damaligen Nicht-Mitgliedern Schweiz und Österreich gelegen, nicht erwähnt.

gung an den Institutionen, ausreichende Präsenz in Drittländern und internationalen Organisationen). Stellt ein solcher Staat tatsächlich einen Beitrittsantrag, wie jüngst im Falle Maltas, bringt er die Gemeinschaft damit in erhebliche Verlegenheit, denn die in-stitutionelle Einbindung eines solchen Staates bereitet allergrösste Schwierigkeiten. Der Fall Luxemburg kann dabei kaum als Präzedenzfall dienen (...).490

Die Auffassungen über eine EU-Mitgliedschaft der Kleinststaaten diver-gieren offensichtlich. Angesichts des schweizerischen Beitrittsgesuchs verfasste die Regierung des Fürstentums 1992 einen kurzen Bericht zur Frage eines Beitritts zur Europäischen Union. Sie stellte fest, dass Liech -ten stein grundsätzlich die Bedingungen für einen Beitritt erfülle und die Kleinheit des Landes an sich kein Grund für die Verweigerung der Aufnahme sein könne, auch wenn die Gemeinschaft wahrscheinlich Probleme bei der institutionellen Einbindung Liechtensteins sehen wür-de, und die Frage «in erster Linie vom politischen Willen der EG und ihrer Mitgliedsländer abhängen» wird.491 Die Mitwirkungsrechte und -pflich ten eines EU-Mitglieds Liechtenstein wären nach Ansicht der Regierung Verhandlungssache. Das Fürstentum wäre wohl ein Netto -zahler an das Gemeinschaftsbudget, die Mehrwertsteuer müsste erhöht und die gemeinsame Handels- und Agrarpolitik übernommen werden.

Wichtig wäre auch der Harmonisierungsdruck im Bereich der direkten Steuern, allerdings ist dieser grösstenteils auch ausserhalb der Union ge-geben. Mit Ausnahme solcher Einzelfragen und der institutionellen Proble matik würden sich die Verhandlungen im wirtschaftlichen Be -reich «komplikationslos» gestalten.492Indessen kommt die CEPS-Studie zu dem Schluss, dass sich eine EU-Mitgliedschaft nicht mit dem derzei-tigen Spielraum Liechtensteins in Bezug auf seinen Finanzplatz verein-baren lässt.493Ausserdem sei eine erweiterte Union kaum willens, die eu-ropäischen Mikrostaaten als gleichberechtigte Mitglieder aufzunehmen.

Die EU würde aus Sicht des CEPS Liechtenstein in ihren Institutionen nur einen Beobachterstatus ohne Mitbestimmungsrechte einräumen.

Optionen der liechtensteinischen Integrationspolitik

490 Sack 1997, 46.

491 Regierung des Fürstentums Liechtenstein 1992b, 5.

492 Ibid., 14.

493 Ludlow 2000, 35.

Sollte Liechtenstein dennoch gemeinsam mit der Schweiz aus der EFTA aus- und der EU beitreten, so sind mit Blick auf die bestehenden bilateralen Verträge die allgemeinen Regeln des Völkerrechts anwendbar.

Der Schutz vorgemeinschaftlicher Verpflichtungen (Art. 307 EGV) wirkt ausschliesslich zugunsten der Rechtspositionen von Drittstaaten und kommt innergemeinschaftlich zwischen mehreren betroffenen Mit -glied staaten nicht zum Tragen. Der Zollvertrag, der Währungsvertrag oder die fremdenpolizeilichen Vereinbarungen können somit keine Abweichungen vom Acquis communautairerechtfertigen. Soweit keine Ausnahmebestimmung wie hinsichtlich der Benelux-Zusammenschlüsse (Art. 306 EGV) in die Verträge eingefügt wird, gilt der Vorrang des Gemeinschaftsrechts und die Regionalunion Schweiz-Liechtenstein würde beendet.494Als EUMitglied bedarf das Fürstentum keiner Mit -wir kung der Schweiz bei der Erfüllung seiner Rechte und Pflichten im Zollbereich, denn die Verwaltungsleistungen im Bereich des freien Wa -ren verkehrs wä-ren «einfach zu übersehen und bezüglich ihre Auf wandes abschätzbar».495Liechtenstein hätte durch die EU-Mit glied schaft Öster-reichs und der Schweiz auch keine Schengen-Aussengrenze (auch nicht in Form eines internationalen Flughafens) zu betreuen. Übrigens hätte der EUBeitritt der Schweiz und Liechtensteins auch Folgen für Nor we -gen und Island als einzige verbleibende EFTA/EWR-Staaten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass – falls die beiden skandinavischen Länder nicht zeitgleich der EU beitreten – auch die EFTA und der EWR aufgelöst bzw. umgewandelt würden.

Es stellt sich die Frage, wie Liechtensteins Mitbestimmung innerhalb der EU aussehen könnte (vgl. Kap. 5.1.2). Die Europäische Kom -mis sion wies bereits 1992 darauf hin, dass der Beitritt sehr kleiner Staaten, wie Malta oder Zypern, institutionelle Probleme aufwirft, da sie nicht allen Rechten und Pflichten einer Mitgliedschaft gewachsen sein könnten.496Trotzdem wurde ihnen im Vertrag von Nizza bei der Stim -men verteilung und Besetzung der Organe keine «zweitklassige»

Fallstudie Liechtenstein

494 Dies folgt aus der Regel über die Anwendung aufeinanderfolgender völkerrecht licher Verträge über denselben Gegenstand (Art. 30 der Wiener Vertrags rechts kon -vention).

495 Leibfried 1991, 62, 78-85. Einige dieser Aufgaben wurden bereits aufgrund der EWR-Teilnahme Liechtensteins ohne die Schweiz umgesetzt.

496 Kommission der Europäischen Gemeinschaften 1992, 18.