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Liebe und Pflicht

Im Dokument Die Vorsehung wacht. (Seite 180-190)

Von Stockholm nach St. Petersburg

4. Liebe und Pflicht

Die königlichen und fürstlichen Gäste waren in St. Petersburg angelangt und kaiserlich empfangen.

Ein glänzendes Fest bot gleichsam dem andern die 12*

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Hand, und die Tage glichen tanzenden Grazien, die um den entzückten jungen König einen verführerischen

Reigen schlössen.

Aber weder Pracht noch Glanz, weder die kaiser­

lichen Geschenke, Ordensverleihungen, noch der bezau­

bernde Geist, der in dem engeren Zirkel der Eremi­

tage wehte, machten aus Gustav Adolph einen so über -überwältigenden Eindruck, als die außerordentliche Er­

scheinung der aus das herrlichste entwickelten und doch erst dreizehnjährigen Großfürstin Alexandra, der ältesten Tochter des Thronfolgers Cesarewitsch Paul und En­

kelin von Catharina der Großen.

Dieses Meisterstück der Natur war bekanntlich vom Schicksal bestimmt, wie eine ätherische Erscheinung die Erde nur im Fluge zu berühren, um sich rasch zu seligen Gefilden emporzuheben.*)

Catharina war hocherfreut über den entschiedenen Ein­

druck, den ihre liebenswürdige Enkelin auf alle schwedischen Herren und vor Allen aus den König selbst machte. Und auch Gustav Adolph's jugendliche Frische und sreimüthige Bescheidenheit hatten der Großfürstin gar wohl gefallen.

Wie zwei prachtvolle Tagesfalter sah man sie zu­

sammen scherzen und slattern und gemeinsam sich der Blüthen des Lebens erfreuen. Sie waren den Tag über fast unzertrennlich, und nur durch mehrfaches Bitten gelang es, den König alle Abende aufs Schiff zu bringen.

Ein schwedisches Reichsgesetz nämlich hatte, in Be­

zug aus die sür das Reich so unheilvolle lange Abwe­

senheit Karl's XII., festgesetzt, daß kein schwedischer König länger, als acht Tage außerhalb des Reichs bleiben dürfe. Er ginge alsdann des Throns verlustig.

Man umging aber bei Reisen diese lästige Klausel

Die Großfürstin starb, nach kurzer Ehe mit dem Erz­

herzog Palatinus von Ungarn.

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durch Mitnahme eines schwedischen Schiffes. Der Kö­

nig blieb mehrere Wochen lang in Rußland, kehrte aber alle Abende aus schwedischen Boden—auf seine Fregatte zurück.

Aber während sich diese jungen unschuldigen Her­

zen gegenseitig selbst verstehen lernten, und ihre Brust sich dem Sonnenstrahl der ersten Liebe erschloß, saßen die Lenker ihres Schicksals in geheimen (Konferenzen und markteten und feilschten. Die außerordentlichen Vortheile einer Verbindung war den schwedischen Un­

terhändlern zwar einleuchtend, aber Ein Punkt war da, Eine Klippe gab es, an der alle Unterhandlungen zu scheitern drohten. Zwei starre Reichsgesetze standen sich gegenüber. Nach russischem Gesetz war an eine Religionsveränderung eines Mitgliedes des Kaiserhau­

ses nicht zu denken. Nach schwedischem Gesetz mußte so König als Königin durchaus lutherischer Consession sein.

Wie sollte diese Schwierigkeit gelöst werden?

Die beiden russischen Minister, welche die Unter­

handlungen leiteten, waren der Kanzler Graf Besbo-rodko und der Reichsgraf Morkow, beides Männer, die in der Diplomatie vor keinem Mittel scheuten, um zu ihrem Endzweck zu gelangen. Der Graf Markow hatte einen Vertrauten, einen Genfer Namens Christin, einen vielgewandten Mann, in Jntriguen wohl erfahren.

Dieser legte seinem Gönner einen Plan vor, um die Verhandlung zum Schluß zu bringen.

Die Verlobung des jungen Paars sollte im Win­

terpalais in der Brilliantkammer und in Gegenwart sowohl der russischen als der schwedisch-lutherischen Geist­

lichkeit vorgenommen werden; hieraus die Trauung in der russischen Hofkirche nach griechischem Ritus. Dann sollte das königliche Paar zu Lande abreisen, und eine Tagereise von St. Petersburg, in der ersten luthe­

rischen Kirche jenseits der Grenze, sollte die Königin

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das lutherische Glaubensbekenntuiß ablegen und sofort nochmals lutherisch getraut werden.

Dieser Artikel müßte, so meinte Christin, die Schweden zufriedenstellen, die dem Regenten so wie dem König sofort frohe Nachricht von der russischen Nach­

giebigkeit überbringen würden. Der Kanzler aber sollte mit seinem Portefeuille eines Morgens zum jun­

gen König gehen, ihm anzeigen, das die Kaiserin den Contract zur Unterschrist sende und dann sofort selbst unterzeichnen werde, um am Abend auf dem großen Hofball die hohe Verbindung zu proclamiren. Darauf sollten dem König Heirathscontraete mit jenem Zu-geständniß des Religionswechsels vorgelegt werden.

Wenn er nun sehr vergnügt zur Unterschrist schreiten würde, so sollte der Kanzler durchs Fenster einen Wink geben. Ein Marsch würde ertönen, ein Cavallerie-regiment vorbeidefiliren und der König sicher aus Fen­

ster eilen. In dem Augenblicke sollten die zwei Con-tracte ins Portefeuille zurück geschoben und die anderen mit einem im russischen Sinne redigirten Para­

graphen aus den Schreibtisch hingelegt werden. — Der Kaiserin dürse man selbstverständlich nichts sagen.

Wolle nun die Großfürstin, in Schweden angelangt, ihre Religion verändern, ihrem Volk, den Gesetzen und dem König zu Liebe, so sei das ganz ihre Sache.

Was außerhalb Rußlands geschähe, dasür könne das Ministerium ja nichts; aber ein Reichsgesetz übertreten

— das sei ihnen ganz unmöglich. Wir können es ge­

schehen lassen, aber nicht gestatten durch Einwilligung.

Christin's Vorschlag sckien den beiden Ministern der einzige Ausweg aus diesem Dilemma. „Selbst angenommen, daß der König etwas Unrechtes bemerken sollte," sagte Morkow, „so ist er so verliebt, daß er über Alles sich hinwegsetzen und denken wird: habe ich erst meine junge Gemahlin in Schweden, so werde

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ich sie auch wol zu meiner Consession hinüberführen/

Sobald alle Schriftstücke, von Christin selbst mit täuschender Aehnlichkeit doppelt in französischer Sprache abgefaßt, sertig waren, begab sich der Kanzler selbst zum König, legte ihm einen Contraet Nr. 1 vor und er­

suchte ihn um die Unterschrift. Der König las auf­

merksam, und zu seinem Vergnügen sand er den Pa­

ragraphen über den Religionswechsel. Das Uebrige, Aussteuer ?e. betreffend, interessirte ihn nicht, und schon tauchte er die Feder ein, um zu unterschreiben, als Besborodko, der hinter ihm und nahe beim Fenster stand, mit einem weißen Taschentuch einen Wink gab.

Sofort ertönte prachtvolle Regimentsmufik. Der König eilte aus Fenster und freute sich des herrlichen Anblicks. Zweitausend Apfelschimmel, und aus jedem bildschönen Roß ein athletischer Reiter in goldenem Harnisch! Die Trompeten schmetterten, das Getrappel von achttausend Hufen auf dem Granitpflaster klang wie Meeresrauschen, die Fahnen, sast nur Fetzen, aber umso höher geachtet, weil Zeugen unzähliger Schlach­

ten und Siege, senkten sich vor dem König, der den Gruß höflich erwiderte. Der Kanzler hatte sich, aus Artigkeit gleichsam, etwas zurückgezogen, und in einem Augenblick war der Austausch geschehen. Das Papier knitterte zwar etwas, aber der Lärm aus der Straße drang durchs offene Fenster, und der König merkte durchaus nichts.

Das Regiment zog vorüber. Der Kanzler sagte jetzt zu dem König: „Ihre Majestät will auf den Pa­

radeplatz, um das Regiment Eurer königlichen Maje­

stät vorzuführen. Vorerst hat sie aber befohlen, die Heirathscontracte ihr vorzulegen — darf ich jetzt bitten, es ist spät geworden."

„Ja wohl," ries der König, wandte sich um, eilte zum Tisch und — glitt dabei aus!

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Plötzlich fiel ihm das Wort der Pastorin Jvers-mann ein: „Der König möge sich hüten, die russischen Parquets sind mit Oel gestrichen!"

Er wurde nun aufmerksam aus die Unruhe des Kanzlers. Eine dunkle Ahnung überkam ihn. „Un­

terschreibe nicht!" flüsterte es in seinem Ohr. Rasch ergriff er die Papiere, schob sie in den Schreibtisch, sch'loß diesen ab nnd sagte: „Heute ist es unmöglich, lieber Graf; ich darf die Kaiserin nicht warten lassen;

ich eile, um sie zur Manege zu begleiten. Morgen srüh; — verzeihen Sie — ich lause, um mich anzu­

kleiden!"

Damit verschwand er, freundlich nickend, in die inneren Gemächer.

Der Kanzler stand da wie versteinert. „Wenn das nur gut abläuft," dachte er und fuhr mit tiefge­

runzelter Stirn davon.

Zu Hause trat ihm der Graf Morkow erwartungs­

voll entgegen.

„Nun? Haben Sie die Unterschrift?

„Nein!"

„Aber die Contracte!"

„Hat der junge Fuchs behalten und eingeschlossen!"

„Gott erbarme sich! Hat er was gemerkt?"

„Es kann sein, es kann auch nicht sein. Man muß ihn nur heute den ganzen Tag über in einen Strudel von Vergnügungen hineinziehen. Wir müssen unseren Gradeoffizieren einen Wink geben. Er darf die Escamotage nicht bemerken; wenn es aber geschieht, dann wehe Ihrem superklugen Christin! Eine fatale Geschichte!"

„Ja, aber wäre es gelungen? Sie sagen selbst, Herr Graf, es hing an einem Haar, und dann wäre Christin ein Genie gewesen!"

^ie eilten beide fort, um den König mit wach­

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-samen Augen und angenehmster Gesellschaft zu umgeben.

Unterdessen war der König nicht gegangen, um sich anzukleiden; er wartete, bis der Kanzler fortgegangen, eilte dann zum Tisch, schloß auf, überflog den Con-tract und sand statt des Paragraphen über die Reli­

gionsveränderung folgendes: Der jungen Königin wird eine griechische Capelle im Schloß Stockholm einge­

richtet auf russische Kosten.

Der König ließ den Regenten ersuchen, sogleich zu ibm zu kommen. Nur ein dunkler Corridor trennte die Wohnungen beider Füsten.

Der Herzog erschien sogleich.

Der König erzählte ihm den Vorfall und ließ ihn den Paragraphen lesen.

Das Äuge des Regenten leuchtete vor Freude.

Ihm war die Heirath verhaßt. Er sah voraus, daß eine so außerordentliche Erscheinnng wie Alexandra Pawlowna Alle Herzen gewinnen, daß der König ganz zu ihren Füßen liegen und die russische Partei im Staat die Oberhand haben, sein Einfluß aber auf Null herabsinken würde.

Begierig ergriff er die Gelegenheit zum Bruch und sagte, mdem er als alter Seemann sein Tabakröllchen von rechts nach links spedirte: „<sie sehen, lieber Neffe, daß es ganz unmöglich ist, mit diesen Ministern zu unterhandeln."

„Aber was sollen wir anfangen?"

„Nichts, als eine heitere Stirn zeigen, (seien Sie die Liebenswürdigkeit selbst, gehen Sie auf alle Scherze und Zerstreuungen ein; heute Abend ist Ball. Tan­

zen Sie! Tanzen Sie allen Verdacht weg! Vom Ball gehen wir wie gewöhnlich aus's Schiff. Es weht ein scharfer Ostwind. Wir lichten in der Nacht die Anker, und morgen früh sind wir fern von Petersburg und entgehen jeder Gefahr einer Explication/

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„Ach, meine herrlichen Träume von Liebe und Glück!" wehklagte der König.

„Es ist nichts zu machen! Glauben Sie mir, mein armer Neffe: wenn Sie mit einer Gemahlin griechischen Glaubens in Stockholm erscheinen, man wird das liebe Geschöpf insultiren und Sie können Thron und Leben lassen. Oder wollen Sie, daß diese unschuldige, wirk­

lich himmmlische Erscheinung ihr Schicksal geknüpft sehen soll an einen verbannten König — der vielleicht in Rußland sein Gnadenbrod suchen muß?"

Von dieser Seite hatte der König diese Angelegen­

heit noch nie betrachtet. Er schauderte bei dem Ge­

danken. Aus Liebe entsagte er mit blutendem Herzen seiner Liebe.

„Gut," sagte er, „machen Sie Alles insgeheim zur Abreise bereit; ich eile zur Kaiserin und will suchen, meinen Kummer zu verbergen."

Der König nahm sich sest vor, undurchdringlich zu sein; aber es kam anders als er dachte.

Es war auf dem Hofball.

Die Kaiserin bemerkte eine große Unruhe an dem jungen König, dessen noch unverdorbenes Gemüth, der Verstellung unfähig, mit Schmerz und Zorn die un­

würdige Rolle eines falschen Liebenden spielte, eines Heuchlers, zu welcher die Politik ihn verdammte. Der Herzog dagegen, ein bekanntlich stolzer und Rußland feindselig gesinnter Mann, zeigte an dem Abend eine so außerordentliche Heiterkeit, daß die Kaiserin Ver­

dacht schöpfte. „Der junge König ist traurig," sagte sie sich, „und mein alter Todfeind ist lustig. Da steckt etwas dahinter." Nach der Abendtafel zog sie den König bei Seite und suchte ihn zu sondiren. Sie sprach gütig zu ihm, und der König brach in Thrä-nen aus. „Ich liebe," flüsterte er, „die göttliche Großfürstin mit aller Inbrunst eines Mannes in mei­

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nen Jahren. Und müßte ich meinem Thron entsagen, ich würde glücklich in ihrem Besitz sein — aber an einem abgesetzten Großschwiegersohn wird Ew. Ma­

jestät nichts gelegen sein. Und dieß ist es, was mich beängstigt."

Die Kaiserin dachte einen Augenblick nach. Ihr raschblickender Geist erkannte, daß der Verbindung unübersteigliche Hindernisse entgegenstanden, und daß bei dem König die Pflicht stärker war als die Liebe.

Sie stand auf, gab ein Zeichen daß der Ball beendet

^ei, drehte dem König nach kalter Verbeugung den Rücken und zog sich zurück. Die Großsürstin hatte von den Beiden nicht ihr Auge verwandt. Unruhig über die Thränen des Königs und die eisige Kälte in den Blicken ihrer Großmutter, stand sie erschrocken da, als ihr die Kaiserin einen Wink gab, sie an der Hand saßte und mit sich sortzog.

Im Scheiden warf die Großsürstin einen tiefen, fragenden und unendlich traurigen Blick auf den Kö­

nig, der todtenbleich an einer Säule lehnte. Dann schlössen sich die hohen Thüren, und nie mehr sahen sich die beiden Liebenden wieder.

Der Ball war aus. Die Schweden begaben sich in ihre Gemächer, und der Herzog ließ die wenigen Effecten auss Schiff bringen, angeblich, weil man am andern Morgen eine Spazierfahrt nach Peterhof vorhabe.

Der König hatte noch im Verlauf des Tages einen Brief geschrieben an die Kaiserin. Er erzählte ihr den Vorgang mit dem Kanzler und schloß mit dem Wun­

sche, daß sie ihr Unrecht einsehen möchte.

Diesen Brief versiegelte er mit dem Eontract in ein Eouvert und legte es in den Schreibtisch, den er mit dem königlichen Siegel versah, bis der schwedische Consnl, der heimlich ins Palais gerusen war, das ver­

siegelte Eouvert erbielt, mit dem Befehl, es zu ver­

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wahren, denn er bedachte, daß er noch einen weiten und gefährlichen Weg hatte, mitten durch die ganze russische Flotte. Dieser Brief mußte also so spät als möglich in die Hände der Kaiserin kommen.

Um 3 Uhr in der Nacht lichtete die schwedische Fregatte leise die Anker. Am Morgen, als die Kai­

serin erwachte, meldete ein Ossizier von der Strand­

wache, daß die schwedische Fregatte in der Frülie bin-ausgesegelt sei. Von der Strandwache angerufen, habe man geantwortet: Nach Peterhof.

Die Kaiserin ahnte sogleich, daß damit Stockholm gemeint sei. Sie sagte also ganz laut, daß nach der gestrigen Scene auf dem Ball der König nicht gut anders hätte handeln können. Sie hätte ihm, da sich die Unterhandlungen zerschlagen, doch keine Abschieds­

audienz bewilligt.

Sie hatte sich indeß doch so über das Scheitern dieser Allianz alterirt, daß sie es ihrer Gesundi'eit sür zuträglicher hielt, über diesen Gegenstand kein Wort weiter zu hören. Sie verlangte auch keine Auf­

klärung von den Ministern.

Diese aber schwebten in Todesängsten; über dem Haupte eines Jeden hing das Schwert des Damokles, Denn die Kaiserin mußte dennoch, wahrscheinlich durch den Kanzler, Winke über des Grafen Morkow Erfin­

dung erhalten haben. Dieser fiel plötzlich in Ungnade.

Keiner seiner Biographen aber hat die wahre Ursache dieser Ungnade anzugeben gewußt. Einige Tage später trank die Kaiserin gerade ihren Morgenkaffe als das Eouvert des Königs ihr übersandt wurde. Sie las es, stand in großer Gemütsbewegung auf und verschloß sich in einem engen Cabinet. Nach einiger Zeit wurde man unruhig, die Thüre wurde zerhauen und man tand Katbanna die Große als V ei che,

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Im Dokument Die Vorsehung wacht. (Seite 180-190)