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Des Königs Portrait

Im Dokument Die Vorsehung wacht. (Seite 176-180)

Von Stockholm nach St. Petersburg

2. Des Königs Portrait

Die Pastorin stand in tiefen Gedanken, als ihr Blick auf die Karaffe siel, die, auf dem Brunnenrand vergessen, wie sehnsüchtig in die Tiese schaute.

„Himmlische Zukunft! Da haben wir uns ja ganz verplaudert! Es ist die allerhöchste Zeit, Wasser zu schöpfen."

Die Arbeit begann. Sie stellten sich einander ge­

genüber, und das Rad setzte sich in Bewegung.

Schon war der Eimer aus dem bodenlosen Dun­

kel emporgestiegen, schon konnten sie Beide ihre Züge im spiegelnden Element erkennen, da —

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„Horch! dasind sie! da kommen sie! der König!"

Beide ließen los.

Und wieder rasselte der schwere, eisenbeschlagene Eimer mit entsetzlichem Lärm hinab, und mit Klingen und Klirren flog die Karaffe wie wahnsinnig in tau­

send Scherben dem voranrasenden Eimer hinterdrein.

Nun bellten Hunde, nun flogen Tauben tönend durch die Luft; Schwalben schössen mit schrillem Geschrei pfeilschnell hin und her, eine hölzerne Pforte kreischte entsetzlich, die Heerde kam zu Mittag heim, der flachs-haariHe Hüterjunge blies in seinen hölzernen „Sarwi"*), der länger war, als er selbst, und blies, als sollte er bersten oder das Instrument. Dazu brüllten, mit weitvor­

gestreckten Hälsen, rothe und weiße Kühe, die überall eitler und vorlauter sind als die schwarzen; die Postillone schmetterten und klatschten mit den Peitschen, und am Glockenstuhl stand der weißhaarige Glöckner barhaupt und empfing den königlichen Zug mit gellendem Gebimmel.

Ein, zwei, drei Wagen, über und über mit Staub bedeckt, rasselten durch das Hauptthor in den Hof, bo­

gen rasch um den runden Kümmelplatz und entluden an der Haupttreppe ihren Inhalt.

Der junge Mann zupfte seine Uniform schnell zu­

recht und eilte sort. Die Pastorin aber versteckte sich hinter dem Brunnen, und erst als Alle ins Haus ge­

treten waren, warf sie sich in die Brust, nahm einen Ansatz, flog über den grünen Rasen dahin wie eine rothe Billardkugel und verschwand in der Küchenthür

wie ein Eckball.

Kaum hatte sie ihren Rückzug beendet, als aus ei­

ner zweirädrigen Ratka der Pastor nebst Begleitung angejagt kam, um allerdings pokt kestuin die hohen Reisenden in seinem Hause zu bewillkommnen.

*) Kubborn, aus Holzstreifen und mit Birkenborke umwunden.

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Die Pastorin setzte sich unterdessen in der Küche ihre Staatshaube auf, und da kein Spiegel vorhanden war, so besah sie sich in einem flachen silbernen Vor­

legelöffel.

Indem trat der Junker in die Küche und sagte eilig:

„Frau Pastorin! Frau Pastorin! Der König hat be­

fohlen, Sie zu Tisch einzuladen."

„Himmlische Zukunft! Das fehlte noch! Nun und nimmermehr! Ich kann nicht! Ich sterbe vor Angst!"

„Sie müssen! Königlicher Befehl!"

„Sind Sie auch da?"

„Ja, ich bin auch zur königlichen Tafel befohlen."

„Nun gut, wenn ich neben Ihnen sitzen kann, dann komme ich."

„Gewiß! Sie sollen gerade neben mir sitzen, so hat der König befohlen."

„Aber auf meiner andern Seite?"

„Da sitzt der Herr Pastor."

„Nein, die Ehre! — Aber ich will nicht hoffen, daß auch der Adjunet eingeladen ist, denn, wissen Sie, heute ist Damast ausgedeckt, und er zerschneidet mir immer meine Tischtücher."

„Beruhigen Sie sich," sagte lachend der Junker,

„der Herr Adjunct speist mit Ihrem Sohn im Neben­

zimmer an der Marschallstafel."

Damit gab er der Frau Pastorin den Arm und führte sie hinein, indem er ihr zuflüsterte: „Nur Courage!"

Aber wann hat dies Wort eigentlich je etwas an­

deres bewirkt, als gerade das Gegentheil? Denn mit dem aufmunternden Worte: Muth! nur Muth! giebt ja der Ermahner zugleich zu, daß die Lage schrecklich sei! Ihre Angst wuchs ins Riesenhafte, als sie der er­

lauchten sürstttchen und gräflichen Gesellschaft gegenüber­

stand, die voll ritterlicher Artigkeit an ihren Plätzen

vr. Bertram Schriften II. IZ

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stand und aus die Wirthin zu warten schien. Sie blickte zu Boden, als ob sie einen verlorenen Diaman­

ten suchte, und machte dann einen prächtigen Rund-knix, als ob sie aus der Stelle in die Erde versinken

wollte. — In demselben Augenblick erhielt der Pastor einen Wink und sagte mit sinniger Anspielung: „Aller Augen warten auf den Herrn, denn Du giebst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. Amen!"

Die Stühle rauschten, und Alles setzte sich ver­

gnügt zu Tische. Eine lebhaste Unterhaltung entspann sich sofort in sranzösischer Sprache am obern Ende der Tafel; die Pastorin erhielt durch das trauliche Geklap­

per der Teller nnd Messer wieder ihre Besinnung, zupfte ihren Gatten am Aermel und sagte: „Wer ist der König?"

„Ich weiß es nicht," wisperte er, „sie sehen alle aus wie Könige."

„Ist es der mit den vielen Sternen?"

„Nein, der ist ja alt, das muß der Regent sein."

Die Pastorin wurde allmälig sehr unruhig, denn die riesenhaften Hoflakaien servirten sabelhast rasch, und die Tafel nahte schon dem Ende.

Sie gab ihrem Nachbar, dem Kammerjunker, daher einen sanften Rippenstoß und sagte: „Bitte! zeigen Sie mir doch den König."

„Da," sagte der Junker eben so leise, „da, neh­

men Sie rasch die Tabatiere. Aus dem Deckel ist das Portrait des Königs. Vergleichen Sie, suchen Sie selbst.

Ich darf nicht mit dem Fmger auf den König weisen."

Die Pastorin hielt die Dose aus ihrem Schooß, von der Serviette halb versteckt, und verglich nun die Züge sämmtlicher Herren mit dem Portrait des Königs, der im Costüm des Seraphinenordens dargestellt war.

„Ich kann den König nicht finden," flüsterte sie,

„der Maler muß dem Könige geschmeichelt haben."

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-„Wie? Geschmeichelt?" rief der Nachbar und sah sie mit blitzenden Augen an.

Und mit entsetzlichem Gepolter rutschte die Frau Pastorin zwischen Stuhl und Eßtisch aus die Knie, und der Stuhl schmetterte rückwärts zu Boden.

Ein allgemeines frohes Gelächter zeigte, daß der ganze Hof mit im Complott gewesen und daß die Über­

raschung herrlich gelungen war.

„Hrmmlische Zukunft," wimmerte die arme, er­

schreckte Frau, „Majestät! Gnade! Verzeihung! Sie sind ja selbst der König! Und ich unselige Creatur habe Ew. Majestät gebeten, die Birkenbäume aus dem Fen­

ster zu werfen! Und habe Sie Wasser ziehen lassen!"

„Und mich mit „zerrissenen Hosen" tractirt," lachte der König.

„O Gott, ja! In die Küche habe ich den König gebracht."

„Und auch in den Keller," sügte dieser hinzu. "Nun!

nun! stehen (^ie doch aus!"

Die Pastorin stand auf, verklärt, verdutzt, verwirrt und doch selig.

„Die Pferde vor!" rief der König und summte:

„Ich muß, ich muß noch hundert Meilen Zu meinein fernen Liebchen eilen!"

„Hier, liebe Frau Pastorin Jversmann, behalten Sie zum Angedenken an meinen Besuch diese Dose.

Es ist das Portrait Ihres Königs!"

Als die hohen Gäste davon geeilt waren, standen die Hausgenossen allesammt noch lange auf der Treppe, wie betäübt von dem großen Ereigniß.

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