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Lernprozess, Sprachkenntnisse und -verwendung im Gruppenvergleich

Im Dokument Philipp Krämer Spanisch in Berlin (Seite 158-161)

10 Vier Gruppen, eine Meinung? Haltungen zum Spanischen im Vergleich

10.2 Lernprozess, Sprachkenntnisse und -verwendung im Gruppenvergleich

Von den Spanischlernenden waren die Fachstudierenden an der Freien Univer-sität Berlin deutlich am weitesten fortgeschritten; fast alle verorteten sich auf Stufe B oder C des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens. An der Tech-nischen Universität Berlin waren die Kenntnisse dagegen relativ gleichmäßig auf die Stufen A und B verteilt, so dass hier mehr Anfänger*innen unterrichtet wurden. An den Volkshochschulen waren von Stufe A bis C alle Niveaus vor-handen, hier war die Streuung also am breitesten. Es ist einleuchtend, dass das Fachstudium an der Universität von allen Angeboten die klarste Orientierung auf ein hohes Sprachniveau hat, während die Volkshochschulen entsprechend ihrem Charakter als Bildungseinrichtung mit Breitenwirkung gerade die unter-schiedlichsten Lernstufen und -bedürfnisse anspricht.

Neben dem Deutschen hatten praktisch alle Befragten der unterschiedlichen Zielgruppen mindestens fortgeschrittene Kenntnisse des Englischen. Die Lernen-den an der Technischen Universität Berlin und an Lernen-den Volkshochschulen hatten zu einem großen Anteil zudem Französischkenntnisse, häufig auf eher grundle-gendem Niveau. Deutlich kleiner war dieser Anteil bei den Spanischstudierenden an der Freien Universität Berlin. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Studie-renden der Hispanistik bereits früh ihren Fremdspracherwerb stärker auf das Spanische als auf das Französische gerichtet haben. Dies zeigt sich auch darin, dass an der Freien Universität ein deutlich größerer Anteil der Befragten bereits in der Schule Spanisch gelernt hatte als dies an der Technischen Universität der Fall war. Italienischkenntnisse hatte in allen Gruppen von Lernenden nur eine Minderheit, ohne dass dies jedoch eine Seltenheit wäre: Der Anteil bewegte sich

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zwischen grob einem Drittel an der Freien Universität, einem Viertel an den Volkshochschulen und einem Zehntel an der Technischen Universität.

Die Befragten im Gastgewerbe besaßen ebenfalls mindestens fortgeschrittene Deutsch- und Englischkenntnisse; etwa die Hälfte sprach zudem zumindest auf grundlegendem Niveau Französisch. Spanisch- und Italienischkenntnisse waren ungefähr gleich häufig, bei etwa einem Viertel der Gesamtgruppe. Diese Sprach-kenntnisse lagen in den allermeisten Fällen nur auf Basisniveau. Es muss beachtet werden, dass die Angaben der Kenntnisstände jeweils ausschließlich auf Selbstein-schätzungen beruhen, was ggf. die Vergleichbarkeit beeinträchtigen kann.

Die fortgeschrittenen Sprachkenntnisse der Studierenden an der Freien Uni-versität Berlin spiegeln sich in der Tatsache wider, dass die meisten von ihnen die Sprache fast täglich auch außerhalb des Unterrichts benutzen. Bei den Stu-dierenden, die an der Technischen Universität Spanisch lernten und bei den Kursteilnehmer*innen an Volkshochschulen waren die Nutzungsgelegenheiten deutlich sporadischer. Sie sprachen außerhalb des Unterrichts eher mehrmals im Jahr oder höchstens mehrmals im Monat Spanisch, zudem hatte ein bedeutender Anteil beider Gruppen gar keine Gelegenheit, die Sprachkenntnisse neben dem Kurs einzusetzen. Ein ähnlicher Unterschied ergab sich bei der Aufenthaltsdauer im spanischsprachigen Ausland: Waren die Hauptfachstudierenden selbst am Anfang des Studiums zum allergrößten Teil bereits mindestens ein halbes Jahr im hispanophonen Ausland gewesen, so hatten die Lernenden an der Techni-schen Universität in der Mehrheit nur Aufenthalte von einigen Wochen bis weni-gen Monaten in spanischsprachiweni-gen Gebieten verbracht.

Dieser Befund passt zusammen mit den gewünschten Nutzungsbereichen der Sprache. Ein großer Anteil der Lernenden an der Sprach- und Kulturbörse der Technischen Universität gab an, Spanisch als Vorbereitung für einen Auslands-aufenthalt zu lernen, der demnach noch vor ihnen lag. Bei den Hauptfachstudier-enden war dieser Grund eher selten. Dies ist auch von Bedeutung mit Blick auf die Internationalisierung des Studiums, besonders in den Fremdsprachenphilolo-gien: Zwar wird in der Regel empfohlen, einen Teil des Studiums im Sprachgebiet zu verbringen, allerdings ist dies aufgrund straffer Studienstrukturen mit starkem Zeit- und Leistungsdruck oft schwer durchführbar. Die Studierenden scheinen zu einem großen Teil diesen Schritt bereits vor dem Studium gegangen zu sein, bei-spielsweise durch einen Auslandsaufenthalt zwischen Abitur und Studienbeginn.

Dies könnte auch den großen Anteil besuchter Länder in Lateinamerika erklären, da dort über das etablierte Erasmus-System kein Studienaustausch möglich ist, während die Auswahl an Rahmenstrukturen bei einem Austausch außerhalb des Studiums breiter gestreut ist.

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Bei den Spanischlernenden an Volkshochschulen standen Reisen an erster Stelle der Lerngründe, wobei sich private wie berufliche Reisen ungefähr die Waage hielten.

Bei Geschäfts- oder Urlaubsreisen dürfte für Reisende aus Berlin in den meisten Fällen Spanien das Ziel sein und nur deutlich seltener eine spanisch-sprachige Region außerhalb Europas. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe für die Präferenzen, welche Varietät des Spanischen die Lernenden in den Mit-telpunkt ihres Spracherwerbs stellen (Abb. 10.3).

Europäisches Spanisch ist vor allem für die Mehrheit der Kursteilnehmer*innen an Volkshochschulen die Varietät der Wahl, hier gibt allerdings auch ein bedeut-samer Teil an, keine bestimmte Sprachform anzustreben. Bei den Lernenden an der Technischen Universität halten sich beide Optionen etwa die Waage; auch hier gibt es einen gewichtigen Anteil von Unentschiedenen. Nur bei den Fachstu-dierenden an der Freien Universität liegt lateinamerikanisches Spanisch deutlich vorn. Hier schlägt sich wahrscheinlich nieder, dass man im Hispanistikstudium mehr als in einem Sprachkurs mit privatem Interesse den weltweiten spanisch-sprachigen Raum in den Blick nimmt. Hinzu kommt die Tatsache, dass einige der Studierenden das Fach Spanisch mit Lateinamerikanistik kombinierten.

Auch im Vergleich wird deutlich, dass das Zustandekommen der Wahl der Ziel-varietät(en), deren Wahrnehmung und die damit verbundenen Erwartungen oder Spracheinstellungen noch genauere Erforschung verdienen.

Einig waren sich die Befragten an den beiden Berliner Universitäten, dass sie es bevorzugen, von Personen mit muttersprachlichen Sprachkenntnissen unterrichtet zu werden. Besonders ausgeprägt war diese Ansicht bei den Ler-nenden an der Technischen Universität, etwas weniger bei den Studierenden an der Freien Universität. Dieses Item wurde erst nach Abschluss der Befragung

Abb. 10.3:Zielvarietäten des Spanischen bei den Lernenden an Volkshochschulen, an der TU Berlin und an der Freien Universität (Prozentanteile an der jeweiligen Gesamtzahl der Befragten in der Zielgruppe).

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an den Volkshochschulen in den Fragebogen ausgenommen, so dass hier kein Vergleich möglich ist. Man kann jedoch zumindest vermuten, dass die Zustim-mung auch hier hoch ausgefallen wäre, denn Lernende haben Teil an den vor-herrschenden Diskursen über Spracherwerb und -lehre. Diese sind im Bereich der Fremdsprachenlehre stark ausgeprägt und sie bilden eine weit verbreitete Muttersprachenideologie ab, der zufolge ein erfolgreiche ‚authentische‘ und

‚vollständige‘Sprachvermittlung nur von denjenigen ausgehen kann, die mit der Sprache im jüngsten Alter aufgewachsen sind (Becker 2018: 195). Die Auto-rität, eine Sprache in der Lehre vertreten zu können, wird Zweitsprachler*innen deutlich seltener zugeschrieben, obwohl diese unter Umständen den sprachli-chen Hintergrund der Lernenden besser kennen oder den Erwerbsprozess aus-gehend von der Erstsprache aus eigener Erfahrung nachvollziehen können.

Dass Muttersprachideologie so stark verankert bleibt, ist besonders interes-sant mit Blick auf die künftigen Spanischlehrer*innen im Studium an der Freien Universität: Sie sind selbst mehrheitlich keine Muttersprachler*innen und werden als solche dennoch später Spanisch als Fremdsprache unterrich-ten. Die Verteilung der Antworten bei den angehenden Lehrer*innen unter-schied sich praktisch nicht von derjenigen bei den Studierenden mit anderen Studienzielen. Hier wäre noch weiter zu untersuchen, warum künftige Lehr-kräfte selbst gerne von Muttersprachler*innen lernen möchten, und ob sie dies bei ihren eigenen Schüler*innen nicht für notwendig halten, es eher für wün-schenswert aber schwer realisierbar ansehen, oder ob diese Diskrepanz auf an-dere Art auflösbar ist. Diese Problematik ist letztendlich auch eingebettet in den größeren Kontext der Frage, wie (künftige) Lehrkräfte die Sprache und die damit verbundenen Kulturen im Unterricht repräsentieren und welche Reprä-sentationen sie selbst davon aufgenommen haben (vgl. hierzu ausführlicher Corti 2019: 185–244, Melo-Pfeifer 2019).

10.3 Spracheinstellungen und Lernmotivationen: materielle,

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