• Keine Ergebnisse gefunden

Die Definition problematischer Entwicklungen

4.2 Lebensstil Wuppertal-Studie

Monetarisierungsgrad von Arbeit nicht für problematisch gehalten.

4.2 Lebensstil Wuppertal-Studie

Konstatiert wird ein nicht nachhaltiger Lebensstil. Dies wird erstmal aus mehreren allgemeinen Äußerungen deutlich. So wird etwa geschrieben, zu den Positiva der Konferenz von Rio 1992 gehöre die Einsicht in die Not-wendigkeit eines neuen Wohlstandsmodells oder bei der Festlegung von Umweltzielen gehe es darum, das „derzeit über seine Verhältnisse lebende Deutschland“ wieder (sic!) in einen nachhaltigen Handlungsrahmen einzu-passen. Diagnostiziert wird jedoch kein simpler Konsumismus. Die Autoren gehen von der Koexistenz materieller und postmaterieller Wertstrukturen aus:

„Kaufsüchtige existieren neben sozial Engagierten, Karrieristen neben Aussteigern, kleine Krauter neben Bildungsbürgern und Familienmenschen neben Yuppies“ (S. 207). Die Aufteilung der Orientierungen in der alten Bundesrepublik stelle sich wie folgt dar (S. 208):

Klar Pro-Materielle 25%

Postmaterielle mit relativ wenig gütergebundener Einstellung 20%

Teilsensibilisierte Wohlstandsbürger 30%

Resignative ohne Güterfixierung und immaterielle Ansprüche 25%

Aus der bei einem Teil der Bevölkerung vorhandenen Kritik an materialisti-schen Leitbildern entstehe hingegen kein automatischer Ersatz dieser durch postmaterielle Lebensziele. Vielmehr liege die Ambivalenz der „stillen Revo-lution“ in der Wachstumsgesellschaft im Nebeneinander von Konsumskepsis und der Kommerzialisierung neuer Selbstverwirklichungsbedürfnisse. Zu beachten sei die vermehrte Nachfrage nach expressiven Produktfunktionen, die anfängliche Annahmen bezüglich einer Sättigung der Konsumgesellschaft revidiere. Der Kreislauf aus Diversität der Milieus und Diversität von Waren komme nicht zum Stillstand: „Je mehr sich die Stilunterschiede in der Gesellschaft ausfächern, desto vielgliedriger wird die Warenwelt, und vor allem umgekehrt: Je unterschiedsbesessener die Waren daherkommen, desto mehr vervielfachen sich die Milieus und Identitäten“ (S. 210).

Neben dieser Ambivalenz postmaterialistischen Konsumverhaltens, das seine Ursache in Distinktionsbedürfnissen hat, werden in der Studie als weitere Ursache steigenden privaten Ressourcenverbrauchs kompensatorische Bedürfnisse ausgemacht. Als Gründe für den Trend zur Ausweitung der Pro-Kopf-Wohnfläche und des Ressourcenverbrauchs durch Wohnen werden zum Beispiel der „Wunsch nach Entschädigung für ein unwirtliches Wohnumfeld, der Verlust öffentlicher Räume sowie mangelnde Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeit und im Leben“ genannt (S. 234). Daneben sei aber auch einfach der steigende Platzbedarf für den zunehmenden Warenbesitzstand der Haushalte mitverantwortlich für den Trend zur Wohnflächenerhöhung.

Weiterhin wird ein selektives Umweltverhalten festgestellt, welches auf prä-materialistischen Wertorientierungen basiere. Jeder stelle sich „ein eigenes Bündel an guten Taten zusammen: Der eine trennt Müll, spart aber nicht an Wasser und Energie, während er aber doch im Öko-Laden einkauft; der andere sucht Abfall zu vermeiden, spart Energie, kann aber nicht vom Auto lassen“ (S. 211). Zentrierte sich die ökologische Motivation bisher um die Motivkomplexe Gesundheit und Naturnähe, rücke das Leitbild ressourcen-minimierenden Konsums nach vorne, obwohl es „zum schadstofffreien Ver-brauch noch ein langer Weg sei“. Handlungsleitend sei der Stolz, den

histo-rischen Übergang einzuleiten: Konstatiert wird eine „neue Art von Anstand, nicht aus kleinbürgerlicher Enge, sondern aus globaler Weitsicht“ (S. 218).

Hauptelemente vom „Wohlstand light“ seien: Sparsamkeit, Regionalorientie-rung, gemeinsame Nutzung, Langlebigkeit von Produkten.

Die Autoren gehen von einer unter der Oberfläche schlummernden Werte-verlagerung vom Güter- zum Zeitwohlstand aus. Die „breite Mittelklasse“

leide heute unter Zeit- anstatt Geldmangel. Lediglich 16% der Bevölkerung versprächen sich bei zusätzlichem Wohlstand einen Gewinn an Zufrieden-heit. Die Ideal der Beschleunigung hätte sich verbraucht, heute sei die Sinn-losigkeit der Spirale aus Beschleunigung und dem Anstieg der notwendigen Erledigungen deutlich geworden. Der einstweilige Vorsprung kraft Ge-schwindigkeit sei zum Korsett geworden. Wenn die Menschen doch anders handelten, so gezwungenermaßen, da es keine freie Arbeitszeitwahl gebe.

Ein „Habitus“, welcher die Arbeitszeit den Bedürfnissen anpasse und nicht umgekehrt, habe sich daher nicht entwickeln können. Marktwirtschaftlich betrachtet sei so die Ausbildung einer Balance zwischen Freizeit und Ein-kommen unmöglich.

Die Vorboten des trotzdem anscheinend nahenden Durchbruchs des Werte-wandels werden in der Studie schon heute ausgemacht: „Zeitpioniere“ wähl-ten nach ihren Vorlieben aus und bedächwähl-ten die Zeit- und Geldinwähl-tensität von Konsum und wüßten um den abnehmenden Grenznutzen: Oberhalb eines

„notwendigen Aufwands“ an Erwerbs- und Konsumzeit sei der zusätzliche Gewinn an Lebensqualität immer geringer. Daraus entspringe das Votum für die Null-Option. Diese „economic under-achievers“ lebten „wohlüberlegt unter ihren ökonomischen Möglichkeiten“ (S. 222).

Neben der allgemeinen Feststellung von einem nicht nachhaltigen Konsum-verhalten werden als problematische Trends somit genannt:

• Die Ambivalenz postmaterialistischen Konsumverhaltens

• Kompensatorischer Konsum

• Die Selektivität von Umweltverhalten

Als positive Entwicklungen hingegen werden folgende Erscheinungen aus-gemacht:

• Die Pluralität von Wertorientierungen in der Gesellschaft

• Das Bedürfnis nach mehr Zeit anstatt nach mehr Gütern, momentan noch durch Arbeitszeitregime gedeckelt

• Ein Wandel des Öko-Konsums von der Zentrierung auf Gesundheit hin zu Ressourcenminimierung

SRU-Gutachten

Lebensstilfragen werden in den SRU-Gutachten direkt nicht problematisiert.

Aus Aussagen im Rahmen ihrer Analyse der Diskrepanz von hohem Um-weltbewußtsein und geringer Bereitschaft zu umweltgerechtem Verhalten kann jedoch geschlossen werden, daß der jetzige Lebenstil als nicht umwelt-gerecht und damit nicht zukunftsfähig angesehen wird. Als ebenso proble-matisch wird implizit der steigende Konsum betrachtet. Entlastungseffekte durch Effizienzeinsparungen würden kompensiert durch Mengenwachstum.

Vor allem wenn sich aufgrund des Grenznutzeneffekts weitere Fortschritte durch Effektivierungen immer ungünstiger erzielen ließen, müßten auch

„Entlastungspotentiale nichttechnischer Art, z.B. im Rahmen von Verhal-tensänderungen, aktiviert werden, um den Pro-Kopf-Verbrauch und den Gesamtverbrauch zu senken“ (1994, S. 21). Auch die Realisierung von tech-nischen Reduktionspotentialen und deren tatsächlicher Entlastungseffekt hänge in „nicht unerheblicher Weise“ ab von Änderungen in der Einstellung und im Verhalten der Menschen. Die Autoren gehen außerdem davon aus, daß eine „verselbständigte Produktion“ nicht nur vorhandene Bedürfnisse decke, sondern ständig neue herstelle (1994, S. 57). Der „Konsumismusvor-wurf“ sei zutreffend.

Ein weiteres Beispiel für die diagnostizierte mangelnde Bereitschaft zum umweltschonenden Verhalten wird mit der sinkenden Akzeptanz für Ein-schränkungen und Preiserhöhungen, etwa im Verkehrsbereich, angeführt.

Gesehen wird eine zu hohe und ausschließliche Bewertung von Individualität.

Im Rahmen einer Analyse des menschlichen Mobilitätsverhaltens wird der

„zu stark betonte Wert des motorisierten Individualverkehrs“ (1994, S. 32) festgestellt. Die Verwirklichung von Individualität sei zwar „im Kern legitim“, zu bemängeln sei jedoch die mangelnde ethische Abwägung mit Ansprüchen der Sozial- und Ökologieverträglichkeit.

Die Lebensstile der Menschen sind nach Sicht des Rates also erstens stark konsumorientiert und zweitens zumindest zu einem gewissen Anteil sugge-riert. Weiterhin wird eine Überbewertung von Individualität konstatiert. Sol-che in den Gutachten vereinzelt auftretende Äußerungen über Verhalten und Bedürfnisse dürfen jedoch nicht über die mangelnde Reflexion von Lebens-stilfragen hinwegtäuschen.

4.3 Soziale Nachhaltigkeit