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Die Definition problematischer Entwicklungen

4.8 Fazit: Problemdefinition

zunehmenden Reflexion von Umweltproblemen mehr und mehr die humanökologische Frage nach dem Beziehungsgeflecht Mensch - Umwelt zum Schwerpunkt gemacht. Dies habe „eine systematische Integration des kulturellen Bereiches in das Verständnis ökosystemarer Zusammenhänge“

(1994, S. 68) zur Folge gehabt. Darüber hinaus werde teilweise eine Erweiterung der Ökologie zur „sozialen Naturwissenschaft“ angestrebt, viele deuteten heute die Ökologie als „Modell einer alternativen Wissenschaft“:

„Das Konzept der Ökologie als Repräsentantin des moralischen Anspruchs einer ganzheitlichen Einbindung der menschlichen Kultur in die sie umfas-sende Natur wirkt bis in die Standardwerke der wissenschaftlichen Fachlite-ratur hinein“ (1994, S. 69). Diese Ansprüche an die Ökologie zu einer Art

„Überwissenschaft“, die eine grundsätzliche Bestimmung des Verhältnisses von Mensch und Natur leisten solle und mit dem der „Anspruch auf eine normative Letztorientierung“ verbunden werde, überfordere die Ökologie als Wissenschaft. Zudem begründe ihr deskriptiver Charakter auch ihre metho-dische Unfähigkeit als „Leitdisziplin für eine neue Gesellschaftsordnung“.

Weiter kritisiert der Umweltrat Teile der Umweltbewegung, die Natur als alleinige Orientierungsgröße und damit als „unmittelbar handlungsleitenden Wertbegriff“ verständen. Der Rückgriff auf Natur als idealer gedanklicher Fluchtpunkt sei eine klassische Strategie der Gesellschaftskritik, die sich in ihrer modernisierten Version vor allem auf die Ökologie mit ihren Theorie-modellen berufe. Der „naturalistische Fehlschluß“ liege in der Verbindung konditionaler Aussagen mit wertbehafteten Zielvorstellungen: „Von deskrip-tiven Aussagen über einen ‘Ist-Zustand’ kann nicht unmittelbar präskriptiv auf ein ‘Soll’ geschlossen werden“ (1994, S. 70). Die normative Überhöhung der Ökologie führen die Autoren als ein Beispiel für eine Unterminierung einer „sachgerechten“ Sustainability-Rezeption durch „einseitige Interpretation“ an: „Dies gilt zum einen im Hinblick auf eine romantisch aufgeladene Deutung von Nachhaltigkeit, die den tragenden Sinn des Sustain-ability-Konzeptes unmittelbar aus der Ökologie abzuleiten sucht und so Natur zur alleinigen normativen Instanz werden läßt“ (1996, S. 52).

Fällen in den Gutachten nichts als problematisch beschrieben wird. Das muß nicht gleichzeitig die Nicht-Behandlung dieser Fragestellungen in den Stu-dien bedeuten. Zu einigen Fragestellungen wird zwar etwas ausgesagt, bzw.

es kann eine Sichtweise abgeleitet werden, jedoch handelt es sich nicht um eine Problemdiagnose, sondern um die Beschreibung von Trends, die für eine nachhaltige Entwicklung als unstörend empfunden werden. Diese Diagnosen werden im folgenden Fazit in der Regel nicht extra benannt. Nur in einigen wenigen Fällen wird eine als unstörend angesehene Entwicklung genannt und die Diagnose des betreffenden Gutachtens damit hervorgehoben.

In der Wuppertal-Studie wird sowohl der Trend zu globaler Arbeitsteilung als auch Rationalisierung allgemein negativ bewertet. Gründe sind der mit weltweiten Transporten verbundene Ressourceneinsatz sowie der Verlust kultureller Identitäten durch die Weltmarktintegration. Der oft mit Rationali-sierung gekoppelte Grad der Einbindung von Tätigkeiten in die Sphäre bezahlter Erwerbsarbeit, die Monetarisierung von Arbeit, wird ebenfalls problematisch gesehen. Die Autoren lehnen vorgenannte Trends jedoch nicht total ab, sie stört vielmehr das Ausmaß. In den SRU-Gutachten hingegen wird die Dominanz dieser Entwicklungen nicht grundsätzlich kritisiert. Beide Konzepte halten allerdings die Geschwindigkeit der Änderung anthropogener Produktionskreisläufe für problematisch, da sich natürliche Prozesse in ihrer evolutionären Langsamkeit nicht schnell genug daran anpassen könnten.

Unterschiedlich wird wieder die Möglichkeit einer langfristigen Steigerung des Produktionsvolumens gesehen. Lehnen die Autoren der Wuppertal-Studie dieses grundsätzlich aufgrund von naturwissenschaftlich begründeten Grenzen des Wachstums ab, so monieren die SRU-Gutachter lediglich die Kopplung von Wachstum und Naturverbrauch und halten einen steigenden Ausstoß von Produkten prinzipiell für möglich bei stofflich geänderten Produktionsvarianten.

Bei dem in der Industriegesellschaft als dominant diagnostizierten Lebensstil problematisieren die Verfasser der Wuppertal-Studie die Ambivalenz post-materialistischer Identität, die in der gleichzeitigen Abkehr von rein materi-ellen Werten und dem konsuminduzierenden Drang nach Expressivität besteht. Auch die wertebasierte Selektivität von Umweltverhalten wird nicht für förderlich für einen nachhaltigen Lebensstil gehalten. Grundsätzlich jedoch haben die Autoren keine Schwierigkeiten mit der Pluralität von Werten und Lebensstilen, mit Individualisierung. In den SRU-Gutachten werden wenige Äußerungen zum herrschenden Lebensstil gemacht. Er wird

jedoch, wenn auch nicht explizit, als eher umweltschädigend angesehen:

Kritisiert wird eine Diskrepanz zwischen Umweltbewußtsein und Umwelt-verhalten.

Soziale Nachhaltigkeit wird in der Wuppertal-Studie einmal am Stand des

„sozialen Kapitals“, zum anderen an Verteilungsgerechtigkeit festgemacht.

Letztere wird in der internationalen Dimension als völlig fehlend gebrand-markt. Diese Diagnose von der starken globalen Asymmetrie der Ressour-cennutzung ist Ausgangspunkt des für die Studie zentralen Konzepts Umweltraum. Dazu werden ungleiche Verhältnisse bezüglich der Übernahme globaler Umweltrisiken sowie der Ausgestaltung des Handels festgestellt.

Innerhalb nationalstaatlicher Grenzen endet diese Problemdiagnose der Ungerechtigkeit. Hier wird das Augenmerk auf den Rückgang von sozialen Bindungen und Solidarpotentialen, auf abnehmendes „soziales Kapital“, gelenkt. Dieses wird ebenso auf internationaler Ebene vermißt, wo ein Auf-bau von solidarischen Netzen aufgrund großer Distanzen zwischen den Menschen für schwierig gehalten wird. In den SRU-Gutachten hingegen wird von einer Verteilungsungerechtigkeit nicht gesprochen. Kritisiert wird der ungleiche Entwicklungsstand der Volkswirtschaften. Weitere Elemente sozialer Nachhaltigkeit werden dort nicht thematisiert.

Übereinstimmend werden als Schwächen im politischen System die Kurz-zeitorientierung, zu wenig Partizipation der Bürger an der politischen Ent-scheidungsfindung sowie ein mangelndes Integrationsniveau, eine zu additiv ausgerichtete Kombination sektoraler Politiken, konstatiert. In der Wupper-tal-Studie wird zudem eine Entsachlichung von Politik zugunsten von popu-listischen Politikerhaltungen bemängelt. Ein weitere, ebenfalls zu Politikver-drossenheit führende Tendenz sei das zunehmende Informationsgefälle in der Gesellschaft. In den SRU-Gutachten hingegen wird an verschiedenen Stellen der zu starke Einfluß von Partikularinteressen auf Entscheidungsfin-dungsprozesse gerügt, wenn sich auch eine allgemein formulierte, explizite Kritik der Dominanz von Partikularinteressen dort nicht findet. Eine Gefahr sehen die SRU-Gutachter in der Genese von Überzeugungskonflikten, insbe-sondere bezüglich von Fragen der richtigen Umweltnutzung. Weiterhin betonen sie die „Herausforderung“ einer Ausweitung von Staatsaufgaben durch das Nachhaltigkeitserfordernis. Problematisch könnte dabei die frei-heitsbeschränkende Wirkung einer derartigen Erweiterung des Eingriffsge-bietes des Staates werden.

Die Globalisierung wird in der Wuppertal-Studie auf ökonomischem Gebiet für problematisch gehalten. Als Gründe werden der hohe Ressourcenver-brauch und eine Monotonisierung von Kultur angeführt. Aber auch in der Wirkung auf die politische Sphäre habe die Globalisierung ihre problemati-schen Auswirkungen. Politische Krisen, etwa der Golf-Krieg, seien verur-sacht durch globale ökonomische Abhängigkeiten. In den SRU-Gutachten wird der Prozeß der Globalisierung nicht als Problem benannt. In der funk-tionalen Ausdifferenzierung der Gesellschaft in verschiedene Teilsysteme mit eigenen Logiken hingegen wird in beiden Konzepten ein Hindernis für Nachhaltigkeit gesehen. Beklagt wird in beiden Konzepten die mangelnde Integration verschiedener Teilsysteme, in der Wuppertal-Studie zusätzlich die Eigenlogik von Wirtschaft und Politik.

Der prinzipielle Anspruch des Menschen auf Nutzung der Natur, die Zuschreibung bestimmter Funktionen der Natur für den Menschen, wird in beiden Studien nicht als problematisch angesehen. Beide Konzepte beschei-nigen dem gesellschaftlichen Naturverhältnis jedoch eine nicht nachhaltige Inkonsistenz zwischen anthropogenen Produktionskreisläufen und natürlichen Zyklen. Der Umweltrat sieht darin vor allem eine Schwierigkeit der Vernetzung und damit ein Komplexitätsproblem, die Wuppertal-Studie führt vorwiegend die lebensweltliche Distanz des Menschen zur Natur als eine Ursache der diagnostizierten Inkompatibilität an. Während die Wuppertaler Autoren eher eine falsche Lebensweise diagnostizieren, beklagt sich der Umweltrat über falsche Vorstellungen vom richtigen gesellschaftlichen Naturverhältnis im Zuge der gesellschaftlichen Reflexion der Umweltkrise.

Kritisiert wird eine falsche Kritik des anthropozentrischen Ansatzes, die Vorstellung von der Ökologie als normativer Leitwissenschaft sowie eine die Menschenwürde gefährdende biozentrische Naturaufwertung.

Übersicht 1: Problemzuschreibungen

Wuppertal SRU

Produktion

Arbeitsteilung Globalisierung Rationalisierung quantitative

Entwicklung

Wirtschaftswachstum Kopplung von Wachstum und Naturverbrauch

Strukturwandel hohe Dynamik hohe Dynamik Arbeitsform Monetarisierung

Lebensstile dominante Ausprägung

Ambivalenz postmaterialistischer Identität

kompensatorischer Konsum

Selektivität von Umweltverhalten

Diskrepanz von Umweltbewußt-sein und Umweltverhalten etwas zu viel Konsum etwas zu hohe Gewichtung von Individualität

Normativität unproblematisch:

Individualisierung Pluralität unproblematisch:

Pluralität von Werten, Soziale

Nachhaltigkeit

globale Dimension Verteilungsungerechtig-keit

unfairer Welthandel wenig soziales Kapital

ungleicher Entwicklungsstand der Ökonomien

kein Verteilungsproblem

intranationale Dimension

kein Verteilungsproblem -wenig soziales Kapital

kein Verteilungsproblem

Wuppertal SRU Politik

Entscheidungs-findung

Kurzzeitorientierung wenig Partizipation geringes Integrations-niveau, (additive Politik) Populismus,

Entsachlichung Informationsgefälle

Kurzzeitorientierung wenig Partizipation geringes Integrationsniveau, (additive Politik)

mächtige Partikularinteressen Gefahr von Überzeugungs-konflikten

Staatsaufgaben Ausweitung

Regionalisierung/

Globalisierung ökonomische Struktur

Globalisierung politische Struktur Krisen durch globale

Abhängigkeiten Funktionale

Differenzierung

Gesellschaftsebene hohe Ausdifferenzierung hohe Ausdifferenzierung Gesellschaftliches

Naturverhältnis alltagsweltliches Verhältnis

Distanz des Menschen zur Natur

Naturfunktionen für den Menschen Naturnutzungs-modus

Inkonsistenz anthropo-gener- und natürlicher Zyklen

-mangelnde Vernetzung von Kultur und Natur

Komplexität

Bewußtseinsebene falsches Bewußtsein vom

Naturverhältnis

Nachhaltigkeitsvorstellungen

Im vorherigen Abschnitt wurden für die einzelnen Untersuchungsfelder die Diagnosen und Problemzuschreibungen in den beiden Studien heraus-gearbeitet. Daran anknüpfend wird im folgenden beschrieben, welche Pro-blemlösungsansätze gemacht werden, welche Nachhaltigkeitsvorstellungen propagiert werden. Gefragt ist nach dem prospektiven Modell nachhaltiger Gesellschaft.

Dabei können Zwecke und Mittel häufig nicht trennscharf abgegrenzt wer-den. Wenn etwa entschleunigter Diskurs mehr Partizipation erbringen soll, kann ersteres als Mittel zum Zweck Partizipation aufgefaßt werden. Partizi-pation kann aber mit gleicher Berechtigung als Mittel zum Zweck Akzeptanz, etwa von Konsumeinschränkungen, begriffen werden, letztere wiederum als Mittel für den Zweck der Dezentrierung von Arbeit, ein Mittel für eine Dematerialisierung der Produktion, die ihrerseits Mittel zur Nachhaltigkeit ist. Das Beispiel zeigt, das verschiedene Stufen auf der Leiter zur Nach-haltigkeit Zweck und Mittel zugleich sind. Doch eine Zweck-Mittel-Hierar-chie kann daraus nicht abgeleitet werden. Sicher ist nur, daß die oberste Sprosse Nachhaltigkeit bedeutet. Die Stufen können auch anders geordnet werden. Die Dezentrierung der Arbeit kann etwa ebenso als Mittel zum Zweck des entschleunigten Diskurses dienen. Es ist auch möglich, Stufen zu überspringen. Entschleunigter Diskurs kann auch direkt Mittel für die Dezentrierung von Arbeit sein oder direkt Mittel für Nachhaltigkeit. Eine ein-deutige Zweck-Mittel-Zuordnung macht keinen Sinn. In jedem Fall hingegen können Zwecke und Mittel als Nachhaltigkeitsvorstellung deklariert werden.

Neben der von den Autoren gewünschten Entwicklungsrichtung, der Nach-haltigkeitsvorstellung, werden die Handlungsempfehlungen aufgeführt, die als tauglich befunden werden. Handlungsempfehlungen können in einem weiteren und einem engeren Sinne aufgefaßt werden. Handlungsempfehlun-gen in einem weiteren Sinne sind die Mittel zur Erreichung von bestimmten Zwecken. Wenn zum Beispiel ein entschleunigter Diskurs zur Erreichung höherer Partizipation gefordert wird, wäre ersterer eine Handlungsempfeh-lung zur Erreichung des Zweckes Partizipation. Problematisch bei diesem weiten Gebrauch von Handlungsempfehlung ist die oben angesprochene

schwierige Trennung zwischen Zwecken und Mittel. Im Beispiel würde ent-schleunigter Diskurs als Handlungsempfehlung gelten, er könnte jedoch genausogut als eigenständiger Zweck aufgefaßt werden. Eine engere Deutung von Handlungsempfehlung dagegen orientiert sich an unmittelbaren Hand-lungsaufforderungen an Akteure. Die oben angesprochene Gefahr einer Deklaration eines Zweckes als Handlungsempfehlung ist dabei weniger mög-lich, wenn auch nicht vollständig entschärft.

Handlungsempfehlungen im weiteren Sinne sind integriert in die folgenden Beschreibungen von Nachhaltigkeitsvorstellungen in den einzelnen Untersu-chungsfeldern. Danach wird eine Übersicht gegeben über die gesamten Nach-haltigkeitsvorstellungen in beiden Studien. Handlungsempfehlungen im beschriebenen engeren Sinn werden am Ende des Kapitels nochmal geson-dert behandelt. Schwerpunkt der Untersuchungen sind jedoch die Nachhal-tigkeitsvorstellungen.

5.1 Das Produktionskonzept