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Gespräch mit MMag. Dr. Manfred Oberlechner, integrationskoordinator beim Amt der Salzbur-ger Landesregierung, Fachreferat Migration, Fotos: Orhan Dönmez, shutterstock

ferne Vater“, sieht das so: Er ortet vor allem bei männlichen Kindern und Jugendlichen eine Zunahme der Schnellschussetikette ADHS, die zu mehr als 85 % Buben betrifft, mittels derer sie medikamentös ruhigge-stellt werden sollen, er spricht von den häu-figeren Geschlechtsidentitätsproblemen, der Vatersehnsucht, den Sprach-, Schreib- und Lesestörungen usw., die allesamt viel mehr Burschen als Mädchen betreffen. Der Kummer von Buben mit Migrationshinter-grund, die im maroden patriarchalen Sys-tem zu Schaden kommen, ist seiner Ansicht nach groß.

Was kann gegen diese Entwicklung unter-nommen werden?

Wir müssen ein Rollenrepertoire für Buben mit Migrationshintergrund anbieten und ihnen zeigen, was ein Mann alles noch viel mehr sein kann. Wir müssen ihnen zeigen, dass es außer dem Bild, wie der eigene Vater funktioniert und lebt, noch eine Viel-zahl anderer Möglichkeiten offen steht. Hier müssen wir durch „role models“ aus den eigenen Reihen der männlichen Migranten eine Dynamik reinbringen, neue Rollen-bilder erarbeiten und dadurch auch neue Angebote für sie schaffen.

Es mangelt also an integrativ angelegten Rollenvorbildern?

Ja, absolut – im Artikel von Heinz Schoibl im IMPULSE – Handbuch für Jugendarbeit

„Gewalt & Konflikte“, Band 3, wird ganz klar darauf hingewiesen, dass dieser Mangel sehr wesentlich ist: Wie biografischen Interviews mit türkischstämmigen Jugendlichen ent-nommen werden kann, sind die Identifika-tionsmöglichkeiten mit ihren Vätern – infol-ge einer systematischen Unterschichtung von Wohnungs- und Arbeitsmarkt und der entsprechend niedrigen gesellschaftlichen Positionierung türkischstämmiger Männer – in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung mehr als brüchig. In Fortsetzung dieser subkulturellen Unterschichtung wird dieser Mangel an Identifikationsfiguren letztlich konsequent umgedreht. Danach kommt in der türkischen Community im Jugendhaus bzw. an den informellen Treff-punkten (z. B. Einkaufszentren) insbesondere jenen Jugendlichen besondere Bedeutung

und mithin Prestige zu, die sich „erfolgreich“

gegen das Establishment der Mehrheitsge-sellschaft des Ziellandes zur Wehr setzen.

Kleinkriminalität und/oder Gewaltbereit-schaft werden danach zum Gradmesser für den Status innerhalb der Subkultur und werden mehr oder minder von allen Beteiligten als Ausdruck hegemonialer Männlichkeit übernommen. Junge Männer sehen, wie ihre Väter als „Tschusch“ oder

„Türk“ beschimpft werden und keine Wert-schätzung erfahren und sagen sich selbst:

„Ich will nicht so sein.“ Das zeigt sich in einer ganz besonderen „Leistungsbereitschaft“ – in Autos, Kleidung, Körperkult. Das erleben wir natürlich nicht nur bei den Burschen sondern genauso bei den Mädchen; ein oft extremes „Aufgebrezeltsein“.

Junge Männer erleben hier das Zwei-Wel-ten-Syndrom?

Ganz klar, sie erleben auf der einen Seite die österreichischen Leistungsvorstellungen, denen sie entsprechen wollen/sollen und daheim die Erwartung der oftmals ländlich geprägten Eltern, denen sie ebenfalls nach-kommen sollen/wollen. Die Eltern wollen natürlich, dass es den Kindern gut geht und das heißt bei ihnen sehr oft: „Schnell und gut verheiratet sein“ oder „Schnell und gut Geld verdienen“. Und wenn sich ein junger Mann gegen diese Vorstellungen stemmt, kostet das viel seiner Kraft. Diese Burschen müssen sich von zu Hause emanzipieren und wir können ihnen dabei helfen und sie unter-stützen. Diese Buben fallen nämlich sonst unter den Tisch. Stellen Sie sich vor, so einer trifft dann auf ein emanzipiertes Mädchen und reagiert traditionell. Da gibt es keine Gemeinsamkeit, die reden aneinander vor-bei.

Was können wir hier tun?

Es gibt bereits viele Angebote speziell für Mädchen und wir brauchen nun auch Angebote speziell für Burschen, damit wir sie unterstützen können. Spezifisch zuge-schnittene Deutschkurse für junge Männer beispielsweise. Wir müssen grundsätzliche Methoden entwickeln, die sie ansprechen – ohne Kreativität geht in der Integrati-onsarbeit gar nichts! Wenn wir uns nichts einfallen lassen, droht uns „brain waste“

– ich erlebe das in Deutschkursen, die ich gebe: Ein junger Afghane, intelligent, sehr lernbegabt, hat auf meine Frage nach sei-nem Traumberuf angegeben: „Verpacker“.

Das hat mich berührt und nachdenklich gemacht. Was uns da an Potenzial auf Dauer verloren geht!

Das bedeutet ja auch für unsere Gesell-schaft, die ja eine Leistungsgesellschaft ist, etwas.

Ja, was heißt das für von uns, wenn wir uns nicht einbringen können, mit allem was uns ausmacht und was wir können.

Und gerade in unserer westlichen Gesell-schaft, die sich stark über Beruf, Karriere, Leistung definiert. Die ganze Integrations-debatte basiert ja auch wesentlich darauf:

„Was bringst du mit?“, „Was bringst du uns?“

Und da will dann keiner sagen müssen: „Ich kann nichts.“

Und dann warten neue Schwierigkei-ten auf denjenigen, der sich integrieren möchte.

Da geht es dann weiter, mit: „Wie weit möchte ich selbst in meinem Integrati-onsweg gehen?“ Überspitzt gesagt: „Bei welcher Hymne stehe ich stramm?“ Ich möchte diese Ausschließlichkeiten in der Identifikation einmal in Frage stellen und versuchen zu zeigen, dass mehr Platz hat.

Man kann ja auch mehrfach verwurzelt sein: sowohl-als-auch! Das führt auch immer wieder auf die Frage „Wer bin ich?“

zurück. Und hier bauen wir Einheimischen auch Hürden in der Identifikation auf, junge Männer mit Migrationshintergrund sollen sich in einheimischen Vereinen integrie-ren – aber was tun wir generell, dass junge Menschen in Vereinen dabei sind? Will ich mich als einheimischer Verein überhaupt für diese Gruppe öffnen?

Es fehlt also auch am Verständnis der Mehrheitsgesellschaft?

Wir reden hier in der Stadt Salzburg von rund 30 % der Bevölkerung, die einen Mig-rationshintergrund hat. Und diese Tatsache betrifft uns alle – Bildungseinrichtungen, AMS, Jugendwohlfahrt, … das ist DIE Gesellschaft, das ist Teil unserer täglichen Arbeit und da geht es nicht um Ideen zur Sonderförderung, sondern um ein Drittel der Bevölkerung. Dieses Verständnis ist noch nicht ganz angekommen: „Die“ sind ein Teil von uns, die meisten mit österrei-chischer Staatsbürgerschaft! Der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund ist sehr hoch – das ist die nächste Generation Salz-burgerinnen und Salzburger.

Wo endet Integration?

Die endet aus der Fremdsicht des Auf-nahmelandes wohl dort, wenn du das erfüllt hast, was „die“ Gesellschaft für eine

„erfolgreiche Integration“ definiert hat. Es ist ein Stufenprozess, der von Land zu Land

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unterschiedlich angelegt ist. Die Frage ist vom Kopf her auch nicht zu beantworten, das Herz sagt dir wohl – und das ist die Eigensicht – „Irgendwann bin ich dann da“.

Du kannst lange hier leben, alle Vorausset-zungen – Sprache, Arbeit, Karriere, Familie, FreundInnen – erfüllen und dich trotzdem nicht integriert fühlen, weil du dich nicht zu Hause fühlst. Man muss auch aufpassen, dass man migrantische Buben und junge Männer nicht in ihrem Prozess aufhält: Sie sind hier geboren, besuchten den Kinder-garten, die Volksschule, haben maturiert oder eine Lehre abgeschlossen und leben hier ihr Leben. Und dann sagt man ihnen,

„dass sie aber gut Deutsch sprechen“ und fragt sie, wo sie denn zu Hause seien. Und plötzlich stellen die ihr Leben in Frage, obwohl das vorher nie Thema war, weil es für sie klar war, dass sie hierher gehören.

Diese Entwicklung hat auch die große und gewaltvolle Jugendrevolte in Frankreichs Banlieues mit ausgelöst: die jungen Bur-schen und Männer aus dem Maghreb spre-chen Französisch, haben eine Ausbildung genossen und wollen teilhaben am Leben in Frankreich. Das Problem ist, dass ihnen der französische Staat keine ausreichenden Angebote gemacht hat und ihr Potenzial nicht nutzte. Eine Angabe im Lebenslauf mit einer übel beleumundeten Banlieue ruiniert ganze Karrieren – und wir sind wie-der beim Thema von vorhin: Wie ist es, in einer Leistungsgesellschaft nicht bestehen zu können? Und was passiert dann, wenn aufgrund dieses Angebotsmangels funda-mentalistische Strömungen Fuß fassen?

Wie sehen Sie die weitere Entwicklung von jungen Männern mit Migrationshin-tergrund hier in Salzburg?

Die holen im Großen und Ganzen erheb-lich auf, also jetzt die 2. und 3. Generati-on. Da sind sehr gute und motivierende Tendenzen erkennbar. Achten müssen wir auf alltägliche Diskriminierungen und den alltäglichen Rassismus, dass darf kein Problem werden, wenn sich hier junge Männer bewerben und aufgrund ihrer Herkunft keine Arbeit erhalten, obwohl sie topqualifiziert sind. Denn das führt wieder in die Verteilungsdebatte und in unserer Konsumgesellschaft unweigerlich dazu:

„Wer bleibt über, wer ist draußen?“ Und was dann passiert, konnten wir in Frankreich ja teilweise verfolgen.

DurchSTArTen mit Stipendium!

START-Salzburg ist ein Stipendienprogramm für SchülerInnen mit Migrationshintergrund, die gute Noten vorweisen können und sich sozial engagieren!

Alle Infos zum Stipendium gibt’s bei Akzen-te Salzburg bei Elisabeth Ramp unAkzen-ter e.ramp@akzente.net

„Spaß mit dem ball – Suzuki Fußballschule“

Ein Angebot für Jugendliche mit Migrati-onshintergrund in Kooperation mit dem Salzburger Fußballerverband für alle fußball-begeisterten Buben und Mädchen im Alter von 6 bis 14 Jahren, VereinsspielerInnen und Nicht-VereinsspielerInnen, mit oder ohne Migrationshintergrund!

www.spassmitdemball.at

Statistikinfo

Bevölkerung mit Migrationshintergrund nach Bundesländern

Im Bundesland Salzburg leben 2010 529.861 Personen, davon 66.481 Personen mit aus-ländischer Staatsangehörigkeit (d. i. 12,5

%), nach Migrationshintergrund (1. und 2.

Generation) sind es rund 91.600 Personen, das ergibt im Österreichvergleich die dritte Stelle nach Wien und Vorarlberg (d. i. 17,5%).

Per 1.1.2010 leben im Bundesland Salzburg 2.091 Burschen ausländischer Herkunft im Alter von 10 bis 14 Jahren und 2.325 jun-ge Männer im Alter von 15 bis 19 Jahren.

Davon wurden 702 bzw. 1.058 Burschen im Ausland geboren. Der Anteil ausländischer SchülerInnen in Haupt- und Sonderschulen ist vergleichsweise hoch bzw. bei den AHS und BMHS (noch) relativ gering.

Laut der Statistik des Magistrats Salzburg (Stichtag 1.1.2011) setzt sich die Bevölke-rung der Stadt Salzburg aus Personen aus über 140 Staaten zusammen. Die größten Gruppen ausländischer BürgerInnen stam-men aus Deutschland, Serbien, Bosnien und Herzegowina, der Türkei, Kroatien, Montene-gro, der Russischen Föderation, Rumänien, den USA, Italien, Mazedonien, Indien, China, Afghanistan, dem Iran und dem Kosovo, Pakistan und Polen. Gemessen bzgl. pro-zentuellem Anteil von Personen mit Migrati-onshintergrund an der Gesamtbevölkerung liegt die Stadt Salzburg vor Wien.

Anhaltend niedrige Geburtenraten sorgen für einen weiteren Rückgang der Bevölke-rung in jungen Altersgruppen und ein kon-tinuierliches Ansteigen des Durchschnittsal-ters der Bevölkerung, welches am Stichtag 1.1.2010 bei 41,5 Jahren lag. Allerdings wird die demographische Alterung durch Zuwanderungsgewinne von Personen im erwerbsfähigen Alter abgeschwächt. Durch den weiterhin positiven Außenwanderungs-saldo erhöhte sich der Anteil ausländischer Staatsangehöriger zu Beginn des Jahres

2010 auf 10,7 % der Gesamtbevölkerung.

Insgesamt rund ein Sechstel der österrei-chischen Bevölkerung ist ausländischer Her-kunft, also entweder im Ausland geboren und/oder besitzt eine ausländische Staats-bürgerschaft.

Alle Statistik-Quellen:

Statistik Austria. Die Informationsmanager (2010).

Bevölkerungsstand, Wien.

Das Fachreferat Migration

Das Fachreferat Migration wurde im Jahre 2007 aufgrund eines Regierungsbeschlus-ses vom 19. März 2007 in der Landesverwal-tung, gegenwärtig Abteilung „Kultur, Gesell-schaft, Generationen“ eingerichtet. Diese Fachstelle ist der Ressortzuständigkeit von Landesrätin Dr.inTina Widmann zugeordnet und umfasst zwei Fachbereiche: den Integ-rationsbereich einerseits und den Asyl- und Grundversorgungsbereich andererseits. Die Migrationsstelle ist keine übergeordnete Stelle, sondern themen- und umsetzungs-verantwortlich im Sinne von Beratung und Koordination (landesinternes Schnittstel-lenmanagement). Die Hauptaufgaben sind u. a.:

landesinterne ressortübergreifende Vernetzung und Koordination der Lan-desverwaltung,

laufende Verbesserung der Informations- und Öffentlichkeitsarbeit,

Projektförderungen (kontinuierliche und Sofortprojekte),

regionale Netzwerkarbeit,

Unterstützung der zivilgesellschaftlichen Organisationen (Vereine, Unternehmen), Grundlagenarbeit: Kenntnisse,

Erfah-rungswissen, Weiterentwicklung von Integrationsansätzen,

Organisation von entsprechenden Weiterbildungen für MitarbeiterInnen im Land,

Monitoring, Controlling, Evaluierung geplanter und gesetzter Migrations- und Integrationsmaßnahmen,

Sichtbarmachung der MigrantInnen bzw. Gruppen von MigrantInnen im gesellschaftlichen Leben,

Umsetzung von MentorInnenprojek-ten (Mentoring als Weitergabe von Erfahrung und Wissen einer erfahrenen Person (MentorIn) an eine weniger erfahrene Person (Mentee) Sammlung und Austausch von

„Good-Practice“-Optionen und Win-Win-Lösungen,

Workshops zu aktuellen Spezialthemen, Erstellung von Förderrichtlinien

(Stan-dards und Förderinstrumente, Definition von Fördertöpfen und -kriterien), Einsatz gegen Diskriminierung und

Rassismus sowie Menschenhandel, Thematisierung des interkulturellen

Zusammenlebens und interkultureller Aktivitäten,

Forschungen anregen und aufnehmen.

InFOS & FAKten

Immer wieder stellt man sich die Fra-ge: Warum neigen Jugendliche zu Gewalt? Am besten, man lässt junge Leute mal selbst zu Wort kommen, wo die Ursachen für erhöhte Gewaltbereit-schaft ihrer Meinung nach liegen. Wir haben nachgefragt bei einigen unserer Gewaltpräventionsworkshops:

Aggressor auf Opfersuche

Dazugehören wollen, Frust abbauen oder schlicht Überforderung: es gibt sie immer wieder, Leute, die auf Stress aus sind und Stunk machen. Sie „beobachten“ und

„testen“ ihr Gegenüber, ob es für sie als

„Opfer“ in Frage kommt oder eher nicht.

Ein Aggressor sucht sich, in vielen Fällen, sein „Opfer“ gezielt aus. Das heißt er oder sie beobachtet und fühlt vor, wie weit man gehen kann, um sich abzusichern und auf den Angriff vorzubereiten. Aber auch das

„vermeintliche Opfer“ kann sich vorberei-ten, denn: Verteidigung beginnt bei der Körpersprache! Wenn man weiß, wie man Körpersprache und Mimik richtig einsetzt,

kann ein verbaler oder nonverbaler Angriff erfolgreich abgewehrt werden.

Wer kennt das nicht, wenn man einer Per-son „ausweichen“ möchte und plötzlich kommt es dann zum unvermeidlichen Blickkontakt. Wie verhalte ich mich, anstar-ren, auf den Boden sehen? Beide Hand-lungen würden den „Täter“ zum Angriff animieren. Wenn man jemanden anstarrt, kommt es oft zu einer Aussage wie: „Was schaust du so …?“ Blickt man auf den Boden, signalisiert man Unterwürfigkeit, ähnlich wie in der Tierwelt.

Gehen wir eine Stufe weiter: Der Aggressor hat durch das nicht richtige Verhalten sei-nes „Opfers“ die erste Bestätigung für sich eingeholt. Jetzt setzt er seinen nächsten Schritt, die verbale Phase. Er spricht sein Gegenüber an um endgültig die letzte Bestätigung zu bekommen, um seinen nonverbalen Angriff umzusetzen. Auch hier passiert es leider immer wieder, dass viele Menschen nicht wissen, wie sie verbal richtig reagieren sollen. Von der verbalen zur nonverbalen Phase sind es nur wenige Augenblicke, bis der Aggressor angreift, zuschlägt, zustößt etc.

Täter sucht Opfer –