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Kulturbegriff und Deutsch als Fremdsprache heute

Kulturbegriff(e), Landeskunde und Fremdsprachenlernen – Definitionen, Konzepte und Entwicklungen

5. Kulturbegriff und Deutsch als Fremdsprache heute

Im vorhergehenden Abschnitt ging es vor allem um die historische Perspekti-ve� Doch welcher Begriff von ‚Kultur‘ soll heute im Zusammenhang mit dem Deutschen als Fremdsprache gelten? Und woher kommt dieser Kulturbegriff?

Claus Altmayer betont in seinem Aufsatz Zum Kulturbegriff des Faches Deutsch als Fremdsprache unter anderem folgende Aspekte:

– „Kultur hat eine soziale Komponente, d� h� sie entsteht und besteht nicht im luftleeren Raum, sondern in enger Wechselwirkung mit den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Bedingungen, in denen Menschen leben […]�“

– „Kultur ist dynamisch […]�“

– „Kultur ist in sich vielfach differenziert, gegliedert und geschichtet; es gibt beispielsweise nicht die deutsche Kultur, sondern ein differenziertes Gefüge un-terschiedlicher kultureller Prägungen, abhängig von regionalen, sozialen und öko-nomischen Gegebenheiten und Unterschieden innerhalb einer Staatsgesellschaft […]�“28

Altmayer betont:

Der Kulturbegriff ist eine deskriptive, keine normative Kategorie; die Aufnahme nor-mativer Kriterien (z� B� die Orientierung an der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen) in den Begriff selbst macht diesen zum politischen Kampfbegriff […]�29

28 Claus Altmayer: Zum Kulturbegriff des Faches Deutsch als Fremdsprache� In: Zeit-schrift für Interkulturellen Fremdsprachenunterricht 2 (1997) 2, S� 12; Hervorhebung im Original� Online: http://zif�spz�tu-darmstadt�de/jg-02-2/beitrag/almayer3�htm [26�01�2015]�

29 Ebd�, S� 13�

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Stark verkürzt dargestellt, sieht Altmayer eine Lösung darin, Kultur als sozialen Habitus im Sinne des Soziologen Norbert Elias (1897–1990) zu verstehen�30 Bei Elias steht zwar vor allem die historische Perspektive im Zentrum, und die Inte-ressen des Deutschen als Fremdsprache liegen zweifellos in der Gegenwart; das Modell scheint aber dennoch geeignet� Elias schreibt:

Dieses Gepräge, also der soziale Habitus der Individuen, bildet gewissermaßen den Mut-terboden, aus dem diejenigen persönlichen Merkmale herauswachsen, durch die sich ein einzelner Mensch von anderen Mitgliedern seiner Gesellschaft unterscheidet� So wächst ja etwa auch aus der gemeinsamen Sprache, die der Einzelne mit anderen teilt und die ganz gewiß einen integralen Bestandteil des sozialen Habitus bildet, ein mehr oder weniger individueller Stil heraus oder aus der sozialen Schrift eine unverkennbar individuelle Handschrift�31

Weiter heißt es bei Elias:

Der Begriff des sozialen Habitus erlaubt es, soziale Gegebenheiten in den Bereich der wissenschaftlichen Untersuchung zu ziehen, die sich ihr bisher entzogen haben�

Man denke zum Beispiel an das Problem, das vorwissenschaftlich etwa durch den Begriff des Nationalcharakters kommunizierbar wird – ein Habitusproblem par ex-cellence�32

Genau dieser Aspekt ist auch für Unterricht und Lehre der Landeskunde rele-vant� Altmayer bezieht sich zudem auf Elias’ Begriff des Zivilisationsmusters bzw�

der Zivilisationsmuster� Diese

finden einen ihrer greifbarsten Ausdrücke in dem gemeinsamen sozialen Habitus der Individuen, die eine bestimmte Überlebenseinheit, etwa einen Stamm oder Staat, mitei-nander bilden� Sie sind nicht nur Erben einer spezifischen Sprache, sondern auch Erben eines spezifischen Z[ivilisations]�s-Musters, also spezifischer Formen der Selbstregulie-rung, die sie wie eine gemeinsame Sprache durch Lernen absorbieren und denen man dann als Gemeinsamkeiten des sozialen Habitus, des Empfindens und Verhaltens der Angehörigen eines Stammes oder eines Nationalstaates begegnet�33

Daran anschließend vertritt Altmayer den Begriff der kulturellen Deutungs-muster; er thematisiert dabei den im Kontext von Deutsch als Fremd- bzw�

30 Vgl� ebd�, S� 13ff�

31 Norbert Elias: Die Gesellschaft der Individuen� Hrsg� von Michael Schröter� Frankfurt a�M� 2003 [zuerst: Frankfurt a�M� 1987], S� 244�

32 Ebd�

33 Norbert Elias: Art� ‚Zivilisation‘� In: Bernhard Schäfers (Hg�) unter Mitarbeit von Her-mann L� Gukenbiehl, Klaus Lankenau und Rüdiger Peuckert sowie weiteren Autoren:

Grundbegriffe der Soziologie� Opladen 1986, S� 382–387; hier: S� 384; Hervorhebung im Original�

Zweitsprache relevanten „Fundus an (kollektivem) Wissen […], das uns in die Lage versetzt, der Welt um uns herum, aber auch unserem eigenen Leben Sinn und unserem Handeln Orientierung zu geben“:34

Unter Verwendung (und Umdeutung) eines Begriffs, der ursprünglich aus der objekti-ven Hermeneutik stammt, mittlerweile aber auch in anderen kultur- und wissenssozio-logischen, aber auch pädagogischen Kontexten heimisch geworden ist, kann man die musterhaft verdichteten und im kulturellen Gedächtnis gespeicherten Einzelelemente dieses Wissens kulturelle Deutungsmuster nennen�35

Diese Muster gilt es „sichtbar und damit auch lernbar zu machen�“36

Wenn man Vergleiche zieht, zum Beispiel zwischen Deutschland, Österreich, der Schweiz, Liechtenstein und Schweden, geht es also nicht um qualitative Be-wertungen im Sinne eines ‚besser‘ oder ‚schlechter‘, sondern zunächst einmal nur um die Feststellung, dass da etwas ‚anders‘ ist und dass es Phänomene und Mus-ter gibt, die eine genauere Betrachtung wert sind�

Tatsächliche oder vermeintliche ‚Kulturschocks‘ lassen sich damit zwar nicht vermeiden� Man kann aber vermutlich besser mit ihnen umgehen, wenn man sich der entsprechenden kulturellen Deutungsmuster bewusst wird und eben nicht mehr angeblich Eigenes und Fremdes schematisch gegenüberstellt, wie dies beim Einnehmen einer ‚kontrastiven Perspektive‘ geradezu provoziert wird�

6. ‚Vorurteil‘, ‚Stereotyp‘ und ‚Klischee‘

Obwohl es keine homogenen ‚Kulturen‘ gibt, werden häufig Verallgemeinerungen vorgenommen, die mit den Begriffen ‚Vorurteil‘, ‚Stereotyp‘ und ‚Klischee‘ um-rissen werden können� Vorurteil definiert Rüdiger Peuckert als „ein hochgradig verfestigtes, durch neue Erfahrungen oder Informationen nur schwer veränder-bares, positives oder negatives Urteil über Personen, Ereignisse oder Objekte�“37

34 Claus Altmayer: Konzepte von Kultur im Kontext von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache� In: Hans-Jürgen Krumm, Christian Fandrych, Britta Hufeisen, Claudia Riemer (Hgg): Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Ein internationales Handbuch�

Überarbeitete Neuausgabe� 2� Halbband� Berlin, New York 2010 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft (HSK), 35.2), S� 1402–1413; hier: S� 1409�

35 Ebd�; Hervorhebung im Original�

36 Ebd�

37 Rüdiger Peuckert: Art� ‚Vorurteil‘� In: Bernhard Schäfers, Johannes Kopp (Hgg�) unter Mitarbeit von Bianca Lehmann: Grundbegriffe der Soziologie� 9�, grundlegend überar-beitete und aktualisierte Auflage� Wiesbaden 2006, S� 342f�; hier: S� 342�

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Dabei basieren Vorurteile „auf lückenhaften oder verzerrten Informationen�“38 In unserem Kontext wichtig sind Vorurteile über „Fremdgruppen“, also über An-gehörige anderer Nationen, Minderheiten etc� Vorurteile „beziehen sich meist auf moralische Eigenschaften oder Verhaltensweisen, die einer empirischen Überprüfung nur schwer zugänglich sind�“39 Die Grenzen zwischen Vorurteil und Stereotyp sind fließend; meist werden Vorurteile als problematische Variante von Stereotypen gesehen:

Während bei V[orurteil]�en die affektiv-emotionale Dimension betont wird, tritt beim Stereotyp die kognitive Dimension und damit die Orientierungsfunktion in den dergrund� Es handelt sich um relativ dauerhafte, auf wenige Merkmale reduzierte Vor-stellungsbilder von Personen, Gruppen, Verhältnissen oder Dingen� Verbreitet ist die Unterscheidung zwischen auf sich selbst bezogene Stereotypen (Autostereotype) und auf andere bezogene Stereotypen (Heterostereotype)�40

Stereotype lassen sich also im Grunde genommen gar nicht vermeiden� Es ist daher weder sinnvoll noch notwendig dies anzustreben� Vielmehr scheint es an-gebracht, sie zum Gegenstand des Unterrichts zu machen und in diesem Zu-sammenhang die eigene Wahrnehmung kritisch zu überprüfen: Was weiß man eigentlich tatsächlich über ein anderes Land? Ist dieses Wissen gesichert? Woher kommen gewisse Auffassungen bzw� Vorstellungen? Welche Erfahrungen be-stimmen das Bild oder die Bilder eines Landes?

Alltagssprachlich wird Klischee häufig synonym, also übereinstimmend mit

‚Vorurteil‘ und ‚Stereotyp‘ gebraucht; je nachdem, welchen Wissenschaftsbereich man betrachtet, besteht aber gar kein Zusammenhang mit den beiden anderen Begriffen� In unserem Kontext kann das literaturwissenschaftliche Verständnis von ‚Klischee‘ eine Hilfe darstellen� Gero von Wilpert versteht darunter eine

„vorgeprägte Wendung, [ein] abgegriffenes und durch allzu häufigen Gebrauch verschlissenes Bild, Ausdrucksweise, Rede- und Denkschema, das […] ohne in-dividuelle Überzeugung einfach unbedacht übernommen wird�“41 Kein Wunder, dass Klischees besonders häufig in der Trivialliteratur, aber auch in der Werbung vorkommen�

An einer Aussage wie ‚Die Deutschen sind pünktlich‘ wird deutlich, wie pro-blematisch die Abgrenzung zwischen den Begriffen ‚Vorurteil‘, ‚Stereotyp‘ und

38 Ebd�

39 Ebd�

40 Ebd�, S� 343; meine Hervorhebungen; F�Th�G�

41 Gero von Wilpert: Art� ‚Klischee‘� In: Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur�

8�, verbesserte und erweiterte Auflage� Stuttgart 2001, S� 416f�; hier: S� 416�

‚Klischee‘ sein kann, zumal eine solche Aussage in der Regel mit einer klaren Intention getroffen wird und in einem bestimmten Kontext steht�