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5 Diskussion und Kritik

5.4 Kritische Reflexion der eingesetzten Methoden

(A) SEKUNDÄRANALYSE

Die Datenlage zur Migration von Pflegekräften ist häufig unzureichend und die zu Indien ist noch lückenhafter. Daher mangelte es bei der Sekundäranalyse an fun-dierten Quellen insbesondere (A) zu den Chancen und Hemmnissen aus der Per-spektive Deutschlands (Kapitel 4.2) und (B) zur Bereitschaft indischer Pflegekräfte, nach Deutschland auszuwandern (Kapitel 4.4.3). Die Sekundäranalyse hat dem-nach sowohl quantitativ als auch qualitativ Schwächen. In quantitativer Hinsicht konnten zu einzelnen Themen nur wenige Quellen ausgewertet werden. Die quali-tativen Defizite beziehen sich auf die Güte der identifizierten Publikationen. Teil-weise mussten auch graue Literatur oder journalistische Quellen wie Zeitungsbe-richte berücksichtigt werden, um überhaupt Erkenntnisse zu bestimmten Themen zu gewinnen.

Zudem sind meistens keine aktuellen amtlichen Statistiken über die demografische, soziale und ökonomische Situation in Indien verfügbar und ihre Qualität ist kritisch zu hinterfragen. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren. Ohne Zweifel ist es aber in einem Land mit einer geschätzten Einwohnerzahl in Höhe von 1,3 Mrd. weit-aus schwieriger und aufwändiger als bspw. in Deutschland, repräsentative Hweit-aus- Haus-haltsbefragungen oder Volkszählungen durchzuführen.

Auch die in dieser Arbeit zugrunde gelegten theoretisch-analytischen Konstrukte wurden in der Literatur intensiv kritisiert. An dieser Stelle lassen sich lediglich einige prominente Beispiele aufgreifen, die vertieft in den genannten Quellen diskutiert werden.

 Die bevölkerungsgeografischen Ansätze sind statisch. Sie liefern keine generali-sierbaren Erkenntnisse (Kalter 1997).

 Die makroökonomischen Theorien werden nicht hinreichend in der Empirie be-stätigt. Dies betrifft u. a. eine Angleichung von Lohnniveaus in Herkunfts- und Zielland durch Migration (Kalter 1997; Massey et al. 1994).

 Die Segmentationstheorie ist kaum empirisch fundiert (Massey et al. 1993).

 Bei den mikroökonomischen Ansätzen lässt sich der jeweilige Einfluss von spe-zifischen Formen des Humankapitals auf eine Migrationsentscheidung schwer erfassen (Massey et al. 1994). Nicht-monetäre Faktoren werden in der

mikroöko- Statistische Mehrebenenanalysen, die für eine empirische Überprüfung der Neuen Migrationsökonomie erforderlich sind, werden der sozialen Realität zu we-nig gerecht (Haug 2000).

 Push- und Pull-Ansätze bleiben relativ vage und Individuen sind nicht erschöp-fend in der Lage, rationale Entscheidungen zu treffen (Kalter 1997).

 Beim Transnationalismus werden vor allem empirische Phänomene beschrieben.

Der theoretische Mehrwert ist begrenzt (Haug 2000).

 Mit den sozialen Netzwerk-Ansätzen lassen sich auf individueller Ebene kaum konkrete Aussagen für die Migrationsbereitschaft ableiten (Haug 2000).

 Hofstedes Kulturdimensionen sind wenig generalisierbar, weil sie aus der Befra-gung in einem einzelnen Unternehmen (IBM) abgeleitet wurden (Jones 2007;

McSweeney 2002).

(B) INTERVIEWS

Die Interviews grenzen Fragestellungen in der vorliegenden Arbeit näher ein, zu denen bei der Sekundäranalyse nicht genug Publikationen identifiziert wurden. Als erstes kann die stark selektive Auswahl der Interviewpartner kritisiert werden. Zwar wurden die Interviewpartner in erster Linie so ausgewählt, dass durch ihre Befra-gung neue Erkenntnisse zu erwarten waren. Allerdings waren auch pragmatische Gesichtspunkte wichtig. Es wurden eher jene Interviewpartner befragt, zu denen bereits Kontakt bestand oder gut hergestellt werden konnten.

In Deutschland wurden aufgrund des Wohnortes des Autors dieser Arbeit überwie-gend Interviewpartner im Raum Berlin befragt. In Indien konzentrierten sich die In-terviews auf Trivandrum und Neu-Delhi. Darüber hinaus wurden viele Inter-viewpartner in Indien im Sinne des „Schneeballverfahrens“ gewonnen – die zu Be-ginn befragten Experten gaben Empfehlungen für weitere Ansprechpartner und setzten sich im Vorfeld teilweise auch mit ihnen in Verbindung.

Ökonomische Zwänge (Zeit, Reisekosten) und der sehr breite Forschungsgegen-stand hatten zur Folge, dass teilweise nur wenige Interviewpartner mit einer be-stimmten Expertise bzw. eines bebe-stimmten Hintergrundes befragt werden konnten.

So wurden bspw. in Deutschland nur indische Ordensschwestern und keine

indi-schen Pflegekräfte anderer Konfessionen befragt. Auch eine stärkere Berücksichti-gung von weiteren Vergleichsgruppen, bspw. von ausländischen Pflegekräften an-derer Herkunft, hätte die Aussagekraft der Resultate erhöht.

Darüber hinaus lässt sich nicht ausschließen, dass viele Befragte im erwarteten In-teresse des Interviewers antworteten. Unterschiedliche Autoren zeigten, dass sol-che sozial erwünschten Antworten in kollektivistissol-chen Gesellschaften, wie Indien, relativ häufig gegeben werden (Johnson et al. 2005; Keillor et al. 2001; Middleton und Jones 2000). Um Verzerrungen durch soziale Erwünschtheit zu reduzieren, wurden, soweit realisierbar, die untersuchten Phänomene aus unterschiedlicher Perspektive beleuchtet. In Deutschland wurden nicht nur indische Pflegekräfte, son-dern auch ihre Vorgesetzten befragt. Durch dieses „cross checking“ ließen sich die getätigten Aussagen leichter hinsichtlich ihres „Wahrheitsgehaltes“ und der inneren Stimmigkeit kritisch hinterfragen (Meuser und Nagel 1989).

(C) Befragung

Mit der explorativen Befragung wurden die Ergebnisse der Sekundäranalyse und der Interviews in einigen Punkten ergänzt. Im Vergleich mit den übrigen methodi-schen Zugängen spielte sie nur eine untergeordnete Rolle – auch weil sie die deut-lichsten Limitationen aufweist.

Zunächst begründen sich die Schwächen aus dem Ad-hoc-Charakter der Untersu-chung. Wie ausführlicher im Methodenkapitel 3.3 dargestellt, musste die Stichprobe willkürlich gezogen werden. Solche nicht-probabilistischen Stichproben sind nach bspw. Rippl und Seipel (2008, S. 84) in der Psychologie und Sozialpsychologie gän-gige Praxis und ihr Einsatz ist bei stark eingeschränktem Feldzugang auch in ande-ren wissenschaftlichen Kontexten wie der kulturvergleichenden Forschung üblich.

Allerdings verletzen sie laut anderer Autoren zentrale Elemente wissenschaftlichen Arbeitens (Schnell et al. 2005). Generalisierbare Annahmen lassen sich bei willkür-lichen Auswahlen nicht treffen, Hypothesen oder Theorien können nicht verifiziert werden. Die eigenen Ergebnisse sind also möglicherweise stark verzerrt, weil sie nicht repräsentativ sind.

Die schriftliche Befragung erhebt auch aufgrund der sehr heterogenen

Zusammen-studenten und -lehrkräften wurden Healthcare-ManagementZusammen-studenten befragt. Die Befragungsgruppe ist deshalb zu klein (n = 189), um auf eine Grundgesamtheit zu schließen.

Zudem wurde die explorative Befragung in Indien lediglich in zwei Städten durchge-führt (Trivandrum und Chandigarh). Die Stichprobe ist dadurch sehr selektiv, was die externe Validität schmälert. So ist bspw. denkbar, dass Einstellungen gegenüber Deutschland aufgrund der hohen Zahl an Keralesen (N = 75) in der eigenen Befra-gung verzerrt sind. Durch den Einfluss der deutschen Kirche in Südindien und in Deutschland tätige Ordensschwestern bestehen verhältnismäßig enge Verbindun-gen zwischen Kerala und Deutschland.

Darüber hinaus bezogen sich einige Items nicht auf das reale Verhalten der Befrag-ten oder ihre Einstellungen, sondern auf InBefrag-tentionen. Sie mussBefrag-ten bspw. bewerBefrag-ten, wie groß die persönliche Bereitschaft ist, nach Deutschland, in die Golfstaaten oder in englischsprachige OECD-Staaten auszuwandern. Die interne Validität von derar-tigen Absichtserklärungen ist geringer als eine Beschreibung oder Memorierung stattgefundener Ereignisse. Indessen geht laut der Theorie geplanten Verhaltens tatsächlichen Handlungen eine bestimmte Absicht voraus (Ajzen 1991; 2002). Inso-fern sind Intentionen verhältnismäßig gute Prädiktoren für tatsächliches Verhalten (Manstead und Parker 1995; Sutton 1998).

Die Objektivität wird schließlich durch das bereits oben ausführlicher geschilderte Problem sozialer Erwünschtheit beeinträchtigt. Nicht nur für die Interviews, sondern auch für die schriftliche Befragung gilt also: Sozial erwünschte Antworten können nicht ausgeschlossen werden, weil Mitglieder kollektivistischer Gesellschaften dazu neigen, das Gegenüber in einer Interaktion zu bestätigen.