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KRITIK DER KRITIK ALS WERKPOLITIK

Legitimationen und Strategien

Polemisches Sprechen und Schreiben hat, selbst wenn das Objekt der Polemik explizit benannt wird, nicht selten mehrere Adressaten, und es weist, zumal in seiner ästhetisch produktiven Form, über das Verhältnis zwischen ‚Angreifer‘

und ‚Angegriffenem‘ hinaus. Peter von Matt hat in diesem Sinne am Beispiel Lessings und Heines betont, dass der „wahre Adressat“ polemischer Schriften in vielen Fällen „der Leser“ bzw. „das Publikum“ sei, welches „das Hin und Her“

der Argumente „genußvoll“ verfolge; der Leser oder die Leserin sei demnach, so von Matts Fazit, „die eigentliche Waffe des Polemikers“.1 Wie im Rahmen der vorliegenden Arbeit anhand ausgewählter Konstellationen um Thomas Bernhard, Peter Handke und die Literaturkritik gezeigt wird, erweisen sich die Netze pole-mischer Kommunikation als überaus komplex und lassen sich, will man der Produktivität des Agonalen im literarischen Feld auf die Spur kommen, kaum je auf die Konfrontation zweier Akteure reduzieren.

Bringt etwa ein Autor wie Peter Handke zur Bestimmung seines eigenen Schreibprojekts die Unterscheidung zwischen Literatur und „Nicht-Literatur“,2 zwischen Schriftsteller und „Nicht-Schriftsteller“,3 zwischen Büchern und „Un-Büchern“ 4 ins Spiel, liegt es nahe, eine zumindest zweifache Adressierung dieser Statements zu konstatieren: Sie können einerseits, mit Pierre Bourdieu gespro-chen, als ostentative „Exkommunikationen“ 5 aus dem Bereich des Literarischen begriffen werden, für die der „Kampf um symbolische Macht und kulturelle Legitimität“ eine entscheidende Rolle spielt.6 Die Denunziation richtet sich also

1 Peter von Matt: Grandeur und Elend literarischer Gewalt. Die Regeln der Polemik. In: P. v. M.:

Das Schicksal der Phantasie. Studien zur deutschen Literatur. München, Wien: Hanser 1994, S. 35 – 42, hier S. 41 f.

2 Peter Handke: Am Felsfenster morgens (und andere Ortszeiten 1982 – 1987). Salzburg, Wien:

Residenz 1998, S. 452.

3 Peter Handke: Phantasien der Wiederholung. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1983, S. 90.

4 Peter Handke: Mißglückte Heimat. [2004] In: P. H.: Meine Ortstafeln. Meine Zeittafeln.

1967 – 2007. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2007, S. 341 – 345, hier S. 345.

5 Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. In: P. B.: Kunst und Kultur. Kunst und künstlerisches Feld. Schriften zur Kultursoziologie 4. Hg. v. Franz Schultheis u. Stephan Egger. Berlin: Suhr-kamp 2015, S. 339 – 447, hier S. 363.

6 Nach Markus Joch und Norbert Christian Wolf: Feldtheorie als Provokation der Literaturwissen-schaft. Einleitung. In: Text und Feld. Bourdieu in der literaturwissenschaftlichen Praxis. Hg. v.

der Kritik als Werkpolitik

Legitimationen und Strategien

direkt an die Autorinnen und Autoren einer solchen „Nicht-Literatur“, die – aus Sicht des Polemikers – zentrale Anforderungen an ihre Texte im Sinne einer ästhetischen oder moralischen Norm nicht erfüllen. Geht man von einer sol-chen manichäissol-chen Unterscheidung aus, hat dies in weiterer Konsequenz zur Folge, dass den Verfassern von „Un-Büchern“ der Status als legitime Akteure im literarischen Feld aberkannt wird – von Matt spricht hier von einem nicht bloß in Kauf genommenen, sondern beabsichtigten „Akt der sozialen Tötung“.7

Andererseits lassen sich entsprechende Urteile, die den Texten anderer Auto-ren ihAuto-ren Literatur- bzw. Kunstcharakter und damit den Verfassern die „Bezeich-nung Schriftsteller überhaupt“ 8 absprechen, auch auf jene Institutionen beziehen, denen derlei Ordnungs- und Klassifizierungslizenzen gewöhnlich vorrangig zugestanden werden: Noch im April 2012 hat Peter Handke in Bezug auf Werke, die aus Schreibschulen hervorgegangen sind, eine Trennung zwischen ‚Literatur‘

und ‚Nicht-Literatur‘ vorgenommen, wobei sein Ressentiment durchaus kultur-konservative Züge offenbart: „Das ist keine Literatur. Den Kritikern würde ich daher auch nahelegen, in den Feuilletons wirklich zu trennen, was Literatur ist und was nicht. Das sollen sie endlich wieder machen!“ 9 Handkes Einwand richtet sich hier nicht bloß gegen die Autoren selbst, sondern ausdrücklich auch gegen das Feuilleton, das keinen Mut zu einer strikten Trennung mehr aufbringe.

Taxieren und kritisieren literarische Autoren in unterschiedlichen Kon-texten – in Interviews, Reden, Essays, Rezensionen, aber auch in fiktionalen Genres – die Legitimität konkurrierender Schreibprojekte oder hinterfragen die bestehende Wertschätzung kanonisierter Texte, stehen diese Statements gleichzeitig in einem wiederum distinktiven Bezug zu den Rede- und Schreib-weisen der „Klassifizierungsexperte[n]“ 10 in Literaturkritik und Literaturwissen-schaft. Oder mit anderen Worten: Interpretiert man polemische Attacken gegen Konkurrenten und Traditionen in den medialen Kanälen des Literatur- und

M. J. u. N. C. W. Tübingen: Niemeyer 2005, S. 1 – 24, hier S. 23, findet dieser „Kampf“ nicht zuletzt an der „Schnittstelle zwischen Literatur und Nicht-Literatur“ – und damit im hier skizzierten Spannungsfeld – statt. Dazu ausführlich Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1999, S. 353 – 360. Zum „Terminus

‚Literatur‘“ als umkämpftem „Ehrenbegriff “ vgl. auch Stephen Greenblatt: Erich Auerbach und der New Historicism. Bemerkungen zur Funktion der Anekdote in der Literaturgeschichts-schreibung. In: S. G.: Was ist Literaturgeschichte? Mit einem Kommentar v. Catherine Belsey.

Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2000, S. 73 – 100, hier S. 95.

7 von Matt: Grandeur und Elend literarischer Gewalt (Anm. 1), S. 35.

8 Bourdieu: Die Regeln der Kunst (Anm. 6), S. 353.

9 Peter Handke/Thomas Oberender: Nebeneingang oder Haupteingang? Gespräche über 50 Jahre Schreiben fürs Theater. Berlin: Suhrkamp 2014, S. 54.

10 Sigrid Löffler: Die versalzene Suppe und deren Köche. Über das Verhältnis von Literatur, Kritik und Öffentlichkeit. In: Literaturkritik. Theorie und Praxis. Hg. v. Wendelin Schmidt-Dengler u. Nicole Katja Streitler. Innsbruck, Wien: StudienVerlag 1999, S. 27 – 39, hier S. 29.

Kulturbetriebs auch und im Besonderen als Bestreben, Deutungen über den

‚Wert‘ und ‚Unwert‘ kultureller Produkte durchzusetzen – und damit den Sprecher oder Schreiber selbst als reliable Beurteilungsinstanz zu positionie-ren –, gerät ein solches Agieren fast zwangsläufig in Konflikt mit jenen Insti-tutionen, „die literarische Texte, Autoren und andere Phänomene der Literatur kommentier[en] und bewerte[n]“.11

Diese Konstellation ist etwa auch in Thomas Bernhards 1984 erschienener Abrechnung mit dem Literatur- und Kulturbetrieb Österreichs, Holzfällen. Eine Erregung, zu beobachten. Der in sicherer Distanz zu den anderen Gästen in einem Ohrensessel postierte Erzähler unterscheidet zunächst mit souveräner Geste zwischen „Künstler“ und „Nichtkünstler“, um im nächsten Atemzug zu beschreiben, wie er reagiere, wenn er „heute einen sogenannten bedeutenden oder berühmten Namen in der Zeitung lese“ (TBW 7, 84). Der Bezug der per-sönlichen Unterscheidung zwischen ‚Kunst‘ und ‚Nicht-Kunst‘ zu dem seiner Meinung nach verfehlten Klassifizierungsauftrag der Presse ist evident. Immer wieder wird in Holzfällen der Kontrast zwischen der „Distinktions- und Klassi-fikationswut“ 12 des Erzählers und der Wertschätzung, die den attackierten Per-sonen im Literatur- und Kulturbetrieb entgegengebracht wird, deutlich. Seine Angriffe richten sich nicht nur gegen die Nähe der Kulturschaffenden zum Feld der Macht – „verabscheuungswürdige Staatsanbiederungskunst“, „Anbiederung an den Staatsapparat“, „Staatspfründnerexistenzen“ (TBW 7, 157 f.) –, sondern eben auch gegen eine fatale Allianz von Kunst und Journalismus; eine „kleine positive Zeitungsbesprechung“ oder „ein paar dumme lobende Erwähnungen“

(TBW 7, 63) hätten bei vielen, die er im Laufe des Abends polemisch ins Visier nimmt, zur unproduktiven Selbstzufriedenheit geführt. Ingeborg Bachmanns Bemerkung in einem Essayfragment zu Thomas Bernhards Literatur, wonach das „Unglück der Kritik“ womöglich darin bestehe, „daß ihr jedes Gefühl für Rang fehlt“,13 hätte Bernhard wohl vorbehaltlos unterschrieben.

Auf die skizzierte doppelte Adressierung deutet auch eine Bemerkung in Pierre Bourdieus Die Regeln der Kunst hin: Der Soziologe beschreibt die „Kon-kurrenzkämpfe“ um das „Monopol literarischer Legitimität“ nicht bloß als Ver-handlungen darüber, „wer Schriftsteller ist“, sondern auch über die heikle Frage,

11 Herbert Jaumann: Literaturkritik. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Neu-bearbeitung des Reallexikons der deutschen Literaturgeschichte. Bd. II: H–O. Hg. v. Harald Fricke. Berlin, New York: de Gruyter 2007, S. 463 – 468, hier S. 463.

12 Karl Wagner: Holzfällen als Selbstdemontage. Eine Lektüre nach den Skandalen. In: Thomas Bernhard. Persiflage und Subversion. Hg. v. Mireille Tabah u. Manfred Mittermayer. Würzburg:

Königshausen & Neumann 2013, S. 107 – 117, hier S. 113.

13 Ingeborg Bachmann: Watten und andere Prosa (über Thomas Bernhard). In: I. B.: Kritische Schriften. Hg. v. Monika Albrecht u. Dirk Göttsche. München, Zürich: Piper 2005, S. 453 – 457, hier S. 455.

wer „aus eigener Machtvollkommenheit darüber befinden kann, wer Schriftsteller ist“;14 das Problem der Legitimation erweist sich also insbesondere als Problem der Legitimationsinstanz. Spricht demnach Peter Handke in einer im März 1987 verfassten, aber erst nach Bernhards Tod publizierten Notiz seinem schärfsten Konkurrenten den Status als ernstzunehmender Autor ab, indem er dessen Texte zur „Nicht-Literatur“ erklärt,15 dokumentiert dies nicht nur den schwelenden Konflikt zwischen den beiden Schriftstellern, den Handke schon im vorange-gangenen Herbst öffentlich angeheizt hatte: „Was der Thomas Bernhard macht, in Ehren, aber für mich ist das keine Literatur.“ 16 Neben der naheliegenden Deu-tung als Einsätze im Kampf zwischen zwei Akteuren im literarischen Feld, die eine im Laufe der Jahre sorgsam kultivierte gegenseitige Aversion verband, sind solche Invektiven eben auch als pointierte Beiträge zu einer grundlegenderen Diskussion um Wert und Bewertung literarischer Texte zu verstehen. Handkes Bemerkung lässt sich zudem auf den von ihm konstatierten Umstand bezie-hen, Bernhard sei ein Liebkind der Literaturkritik und verdanke seinen Erfolg zuallererst dem Einfluss professioneller Leser, wie Handke bereits 1972 André Müller gegenüber mit einer zweifachen polemischen Volte festgestellt hatte: „Der Thomas Bernhard, der hat viel Erfolg bei den Literaturkritikern, was eventuell daher rührt, daß durch das, was er schreibt, die Existenz der Literaturkritiker befriedigt wird in diesem miesen Gefühl, Literaturkritiker zu sein.“ 17

Der Eintrag von Herbert Jaumann im Reallexikon der deutschen Literatur-wissenschaft definiert Literaturkritik als „jede Art kommentierende, urteilende, denunzierende, werbende, auch klassifizierend-orientierende Äußerung über Literatur“, worunter nicht zuletzt die prekäre Bestimmung dessen falle, „was

14 Bourdieu: Die Regeln der Kunst (Anm. 6), S. 354.

15 Vgl. Handke: Am Felsfenster morgens (Anm. 2), S. 452: „Jetzt weiß ich: Literatur muß einen Duft haben, freiwerdend nur durch den freien Leser (und Nicht-Literatur, wie die von Thomas B., hat keinen Duft)“. In einer 1987, also zu Lebzeiten Bernhards, in den manuskripten publi-zierten Fassung des Notats hatte Handke den Verweis auf seinen Konkurrenten noch unter-drückt: „Jetzt weiß ich: die Literatur muß einen Duft haben, nur durch das Lesen freiwerdend;

Nicht-Literatur ist daran zu erkennen, daß sie keinen Duft hat“ (Peter Handke: Am Felsfenster, morgens. In: manuskripte 27 [Oktober 1987], H. 97, S. 3 – 9, hier S. 3).

16 Sigrid Löffler: Der Mönch auf dem Berge. [Gespräch mit Peter Handke.] In: profil, Nr. 47, 17. 11. 1986, S. 98 – 102, hier S. 102. Handkes Aussagen hatten zuerst, am 25. 11. 1986, einen Beschwichtigungsbrief Siegfried Unselds an Bernhard zur Folge, in dem er „die Äußerungen des ‚Mönchs auf dem Berge‘ […], wenn sie so gefallen sind“, als „töricht, dumm, unverzeihlich, geschmacklos“ bezeichnete (Thomas Bernhard/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. v.

Raimund Fellinger, Martin Huber u. Julia Ketterer. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2009, S. 760), sowie gegen Ende des Jahres eine an Handke gerichtete Ermahnung des gemeinsamen Verlegers (vgl. Peter Handke/Siegfried Unseld: Der Briefwechsel. Hg. v. Raimund Fellinger u. Katharina Pektor. Berlin: Suhrkamp 2012, S. 526).

17 André Müller: Im Gespräch mit Peter Handke. Weitra: Bibliothek der Provinz 1993, S. 43.

jeweils als ‚Literatur‘ gilt“.18 Wenn nun die Rezension von Handkes Debütroman Die Hornissen (1966) in der Saarbrücker Zeitung demonstrativ mit dem Titel Was man heute Literatur nennt überschrieben ist, kann dies als anschauliches Beispiel dafür gelten, dass in der literaturkritischen Wertung – zumal bei der Etablierung innovativer Erzählverfahren – nicht nur die Qualität eines Textes innerhalb des Literatursystems auf dem Spiel steht, sondern auch der Zutritt zu jenem Bereich, der sich überhaupt ‚Literatur‘ nennen darf.19 Als entscheidenden Aspekt für die Aushandlung „literarischer Legitimität“ hat Bourdieu in diesem Zusammenhang das „Monopol“ beschrieben, „mit Fug und Recht sagen zu kön-nen, wer sich überhaupt Autor nennen darf“ – d. h. auch: wessen Texte überhaupt als ‚Literatur‘ gelten dürfen.20 Dass Autorinnen und Autoren solch apodiktische Bestimmungen über die Frage, welche Texte zum jeweiligen Zeitpunkt den Status eines ‚literarischen Kunstwerks‘ für sich beanspruchen können, oft nicht kom-mentarlos hinnehmen und stattdessen Rolle und Funktion der journalistischen gate keeper selbst kritisch hinterfragen, überrascht kaum.

Wiederholt hat Handke ein demonstratives „Nein zu Handke“ 21 vonseiten der Literaturkritik mit einem selbstbewussten ‚Nein zu dieser Kritik‘ beantwortet und seine Gegner bei verschiedenen Gelegenheiten als „Trupp gravitätisch-nichtsnut-ziger Barbaren“ 22 oder als bloße „Öffentlichkeitsagenten“ 23 bezeichnet. Die Fron-ten dieser Auseinandersetzung zwischen Autor und Feuilleton werden im Zuge der vorliegenden Arbeit anhand exemplarischer Konstellationen rekonstruiert.

18 Jaumann: Literaturkritik (Anm. 11), S. 463; zur Definition von ‚Literaturkritik‘ vgl. auch Brigitte Schwens-Harrant: Literaturkritik. Eine Suche. Innsbruck u. a.: StudienVerlag 2008, S. 49 – 56.

19 Dieter Hasselblatt: Was man heute Literatur nennt. In: Saarbrücker Zeitung, 9./10. 7. 1966. Zwar ist der Rezensent, mit Verweis auf Goethes Aufsatz Literarischer Sansculottismus (1795), der Überzeugung, „daß einem einzelnen Opus nicht die Gesamtanlage einer Literatursituation angelastet werden dürfe“, er dekretiert jedoch gleichzeitig im Namen einer normativen Gat-tungspoetik: „Was Handke schreibt, ist kein Roman.“ (Ebd.) – Vgl. als Beispiel eines ähnlichen Verfahrens eine Besprechung von Handkes zweitem Roman Der Hausierer, die ebenfalls bereits im Titel ihre Stoßrichtung offenlegt, durch Wolfgang Ignée: Handkes Nicht-Buch. In: Christ und Welt, 10. 10. 1967.

20 Pierre Bourdieu: Das literarische Feld. Kritische Vorbemerkungen und methodologische Grundsätze. In: P. B.: Kunst und Kultur. Kunst und künstlerisches Feld (Anm. 5), S. 309 – 337, hier S. 329 f.

21 So der Titel einer weiteren Rezension zu Handkes Debütroman: Jürgen Lütge: Nein zu Handke.

In: Münchner Merkur, 9. 7. 1966.

22 Peter Handke: Einwenden und Hochhalten. Rede auf Gustav Januš. [1984] In: P. H.: Langsam im Schatten. Gesammelte Verzettelungen. 1980 – 1992. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992, S. 125 – 135, hier S. 128.

23 Peter Handke: Wie ein Letzter ein Erster; Lob eines „Kritikers“. Zu Helmut Färber. [1994] In:

P. H.: Mündliches und Schriftliches. Zu Büchern, Bildern und Filmen. 1992 – 2002. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 2002, S. 39 – 65, hier S. 45.

Dabei stehen weniger die Debatten um Handkes ‚Jugoslawien-Texte‘ im Mittel-punkt, die im Zuge der Verleihung des Literatur-Nobelpreises im Herbst 2019 erneut mit großer Vehemenz geführt wurden,24 sondern vor allem die ebenso emotionalen Verhandlungen über literarische Formen, Tendenzen und Bewer-tungskriterien. In diesem Zusammenhang lässt sich eine „erstaunliche Vernet-zung des literarischen mit dem kritischen Diskurs“ ausmachen,25 die sowohl für die Akkumulation der knappen ‚Ressource‘ Aufmerksamkeit im literarischen Feld als auch für die Durchsetzung und poetologische Flankierung der eigenen Schreibregel von zentraler Bedeutung ist.

In der Folge soll gezeigt werden, wie gerade die Auseinandersetzung mit lite-raturkritischen Sprachcodes und Bewertungssystemen als zentraler Aspekt einer umfassenden Distinktionspraxis, einer „Selbstprofilierung durch Widerspruch“, 26 zu verstehen ist. Für die beiden untersuchten Autoren ist dabei eine sehr unter-schiedliche Intensität und Charakteristik auszumachen: Thomas Bernhard hat zwar wiederholt ein unzureichendes Verständnis und eine mangelnde Wertschätzung seiner Prosatexte und Theaterstücke im Feuilleton moniert und dies schon Ende der 1950er Jahre auf das „Fehlen auch nur einer einzigen Kritikerpersönlichkeit in Österreich“ (TBW 22.1, 577) zurückgeführt; er ist jedoch mit wenigen Ausnah-men kaum je selbst als poetologisch ambitionierter und versierter KomAusnah-mentator in Erscheinung getreten. Jene frühen Texte, die aus seiner Rezensionstätigkeit für das Demokratische Volksblatt, die Salzburger Nachrichten und die Wiener Furche in der ersten Hälfte der 1950er Jahre hervorgegangen sind, bieten kaum Belastbares für eine stringente Auseinandersetzung mit Aspekten literaturkritischen Wertens;

sie sind, wie Christian Klug schon früh gezeigt hat, „arm an Kriterien, so daß kein Hintergrund einer theoretisch reflektierten Ästhetik oder Poetik erkennbar wird“.27

24 Vgl. dazu exemplarisch Ulrich Breuer: Parasitenfragen. Medienkritische Argumente in Peter Handkes Serbienreise. In: Mediensprache – Medienkritik. Hg. v. U. B. u. Jarmo Korhonen.

Frankfurt a. M. u. a.: Lang 2001, S. 285 – 303; Martin Sexl: Literatur als Bildkritik. Peter Handke und die Jugoslawienkriege der 1990er-Jahre. In: Kriegsdiskurse in Literatur und Medien nach 1989. Hg. v. Carsten Gansel u. Heinrich Kaulen. Göttingen: V&R unipress 2011, S. 89 – 106;

Jürgen Brokoff: „Ich wäre gern noch viel skandalöser“. Peter Handkes Texte zum Jugoslawien-Krieg im Spannungsfeld von Medien, Politik und Poesie. In: Peter Handke. Stationen, Orte, Positionen. Hg. v. Anna Kinder. Berlin, Boston: de Gruyter 2014, S. 17 – 37.

25 Uwe C. Steiner: Literatur als Kritik der Kritik. Die Debatte um Peter Handkes Mein Jahr in der Niemandsbucht und die Langsame Heimkehr. In: Deutschsprachige Gegenwartsliteratur. Wider ihre Verächter. Hg. v. Christian Döring. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1995, S. 127 – 169, hier S. 127.

26 Otto Lorenz: Die Öffentlichkeit der Literatur. Fallstudien zu Produktionskontexten und Publi-kationsstrategien: Wolfgang Koeppen – Peter Handke – Horst-Eberhard Richter. Tübingen:

Niemeyer 1998, S. 167.

27 Christian Klug: Thomas Bernhards Arbeiten für das Salzburger Demokratische Volksblatt 1952 bis 1954. In: Modern Austrian Literature 21 (1988), H. 3/4, S. 135 – 172, hier S. 145. Dazu ausführlich Kap. VI.

Peter Handke hingegen gehörte schon im Zuge seiner Etablierung im literari-schen Feld zu jenen Autoren, die, zumal in den ersten Jahren ihrer schriftstelle-rischen Laufbahn, die Rechtfertigung ihrer spezifischen Schreibweise gerade durch die exzessive „Kommentierung eigener wie auch fremder Texte“ betrieben, um, so Otto Lorenz, „die Differenz zu Vorgängern und Mitkonkurrenten kennt-lich [zu] machen“.28 Die ab Ende 1964 verfassten Rundfunkfeuilletons für das steiermärkische Regionalradio stellten dafür ein wichtiges Übungsfeld dar, auf dem Handke das Wechselspiel von Rezensieren und (verdeckter) poetologischer Selbstreflexion erproben konnte. Als nachgerade prototypischer „Stratege im Literaturkampf “ 29 hat Handke in der Folge ein ganzes Ensemble unterschied-licher Genres in Stellung gebracht und deren mitunter virtuoses Zusammenspiel im Sinne einer vielschichtigen ‚Werkpolitik‘ ausgestaltet.

Die Polemiken gegen die Institution der Literaturkritik sind dabei, wie ich zu zeigen versuche, eng mit seiner eigenen Rezensionstätigkeit verknüpft, die sich betont von etablierten Formen der Kritik distanziert. Kommentiert Handke Bücher von Kolleginnen und Konkurrenten, erweisen sich die Besprechungen, die Lobreden ebenso wie die Verrisse, nicht selten als poetologische „Statement[s]

in eigener Sache“.30 Wenn Handke etwa 1965 in der Wiener Literaturzeitschrift Wort in der Zeit und in der „Bücherecke“ des steiermärkischen Regionalradios über das „sprachliche Verfahren“ und die ästhetischen Bauprinzipien von Ror Wolfs Fortsetzung des Berichts referiert, werden damit ein Stück weit auch die literarischen Arbeiten des Rezensenten selbst vorbereitet.31 Die Verhandlungen über das ästhetische Potential ‚fremder‘ Texte sind, ebenso wie die Invektiven gegen die Maßstäbe und Kriterien der zeitgenössischen Literaturkritik, stets auf das eigene Schreiben, auf die Verfahren eigener literarischer Arbeiten bezogen.

28 Otto Lorenz: Pro domo – Der Schriftsteller als Kritiker. Zu Peter Handkes Anfängen. In:

Literatur kritik – Anspruch und Wirklichkeit. DFG-Symposion 1989. Hg. v. Wilfried Barner.

Stuttgart: Metzler 1990, S. 399 – 414, hier S. 399 f.

29 Walter Benjamin: Einbahnstraße. In: W. B.: Gesammelte Schriften. Unter Mitwirkung v. Theodor W. Adorno u. Gershom Scholem hg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser. Bd. IV.1.

Hg. v. Tillman Rexroth. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1972, S. 83 – 148, hier S. 108; dazu u. a.

Wolfgang Albrecht: Literaturkritik. Stuttgart, Weimar: Metzler 2001, S. 92 – 94; Lorenz: Pro domo (Anm. 28), S. 403.

30 Anna Estermann: Vom „bloß sprachlichen“ zu einem „allumfassenden Realismus“. Handkes ‚rea-listic turn‘ um 1970. In: Schreiben als Weltentdeckung. Neue Perspektiven der Handke-Forschung.

Hg. v. A. E. u. Hans Höller. Wien: Passagen 2014, S. 97 – 134, hier S. 107; vgl. ebd., S. 127, Anm. 49.

31 Peter Handke: Ror Wolf: Fortsetzung des Berichts. In: Wort in der Zeit 11 (1965), H. 3, S. 59 – 60, hier S. 59; vgl. Peter Handke: „Bücherecke“ vom 26. 4. 1965. In: P. H.: Tage und Werke. Begleit-schreiben. Berlin: Suhrkamp 2015, S. 211 – 217, hier S. 211 f. – Zur Zeitschrift Wort in der Zeit als Rezensionsorgan vgl. Wolfgang Hackl: Kein Bollwerk der alten Garde – keine Experimentier-bude. Wort in der Zeit (1955 – 1965). Eine österreichische Literaturzeitschrift. Innsbruck: Institut für Germanistik 1988, S. 156 – 168.

Einsprüche gegen die Kritik: eine verbotene Übung (Verstörung)

In seiner Dankesrede zur Verleihung des Franz-Kafka-Preises im Jahr 1995 hat Christoph Ransmayr die Einmischung eines Autors in die Diskussion über sein Werk als vergebliche Mühe beschrieben: „Jeder Versuch, seine Erzählung zu begleiten, ihr nachzugehen, um sie vor dem Schlimmsten zu bewahren, wäre so erschöpfend wie hoffnungslos“, so Ransmayr, denn was der Autor geschrie-ben habe, könne „nirgendwo klarer und stärker sein als im Inneren seiner Geschichte.“ 32 Jeder nachträgliche Kommentar, jede Richtigstellung vonseiten des Autors mache die Sache nicht besser; die veröffentlichten Bücher seien, selbst wenn ihnen das ‚Schlimmste‘ drohe, ihrem Schicksal zu überlassen. Dieses Pen-sum einer stoischen Haltung gegenüber kritischen Kommentaren haben Thomas Bernhard und Peter Handke wiederholt nicht erfüllt, vielmehr die Auseinander-setzung mit Kritikern und Kritiken zur pointierten Positionierung und zur Ver-teidigung ihrer Texte genutzt.

Jene gelassen-souveräne Haltung, die Bernhard sich 1977 im ‚Nachtgespräch‘

mit Peter Hamm in Erinnerung an die Kritiken seiner ersten Gedichtbände attestiert hat – „mein Gott, war’n halt Kritiken, und die guten waren halt wun-derbar und die schlechten waren halt schlecht, nicht?“ (TBW 22.2, 109) –, kann jedenfalls nicht als Regel gelten, meldete sich der Autor doch im Laufe der Jahre mehrmals als „Anwalt seiner Bücher“ 33 zu Wort: Bereits in seinem ersten erhal-tenen Leserbrief – einer Textsorte, mit der er ab Mitte der 1970er Jahre

mit Peter Hamm in Erinnerung an die Kritiken seiner ersten Gedichtbände attestiert hat – „mein Gott, war’n halt Kritiken, und die guten waren halt wun-derbar und die schlechten waren halt schlecht, nicht?“ (TBW 22.2, 109) –, kann jedenfalls nicht als Regel gelten, meldete sich der Autor doch im Laufe der Jahre mehrmals als „Anwalt seiner Bücher“ 33 zu Wort: Bereits in seinem ersten erhal-tenen Leserbrief – einer Textsorte, mit der er ab Mitte der 1970er Jahre