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Kritik: Der undemokratische Charakter europäischer Geldpolitik

Im Dokument Die Europäische Zentralbank. (Seite 79-83)

Monetarismus als supranationales Recht?

2. Kritik: Der undemokratische Charakter europäischer Geldpolitik

Der erste Grund für Zweifel an der demokratischen Legitimität der Geldpolitik in der Euro-zone betrifft den „Gesetzgebungsprozess“ selbst. Wo ist denn der europäische Gesetzgeber, der die europäische Geldpolitik diskutiert und verabschiedet hat? Der Vertrag von Maastricht ist ein von Regierungen hinter verschlossenen Türen ausgehandeltes Vertragswerk, das erst nach dem Gipfel von Maastricht (Dezember 1991) das Licht der Öffentlichkeit erblickte und den nationalen Parlamenten zur Ratifizierung vorgelegt wurde. Die Parlamente hätten zwar die Möglichkeit gehabt, den Vertrag insgesamt zurückzuweisen. Sie hatten aber nicht die Möglichkeit, ihn an der einen oder anderen Stelle – zum Beispiel bei der Geldpolitik – zu verändern, wie das bei nationalen Gesetzen durch Rückverweis an die entsprechenden Aus-schüsse der Fall ist. Die Parlamente hatten keine Chance – weder in der Bundesrepublik noch in den anderen Ländern –, an der Gesetzgebung gestaltend mitzuwirken, sie hatten nur die Chance, den Vertrag komplett abzuschießen. Eine derart hohe Schwelle des „Alles oder Nichts“ erstickt faktisch die Möglichkeit demokratischer Einflussnahme, weil von der Zu-rückweisung des Vertrages insgesamt auch die Elemente betroffen sind, die akzeptabel und vernünftig sind. Die Tatsache, dass sich ein derartiger Druck der Regierungen gegenüber den Parlamenten mittlerweile vielfach eingebürgert hat, ändert nichts an seinem undemokrati-schen Charakter.

Der zweite Einwand betrifft den Ewigkeitscharakter oder die faktische Unkorrigierbarkeit der Weichenstellungen für die EU-Geldpolitik. Im EUV wird einer bestimmten wirtschaftspoliti-schen Position, die man vertreten oder bestreiten kann, praktisch Verfassungscharakter verlie-hen. Damit wird die Möglichkeit, diese Position im demokratischen Prozess der öffentlichen Diskussion zu kritisieren und bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen auch zu korrigieren, zwar nicht theoretisch aber doch praktisch ausgeschlossen. Denn für eine solche Korrektur, für die es ja immerhin möglicherweise vernünftige Argumente geben könnte, ist nicht eine einfache Gesetzesänderung sondern vielmehr eine Änderung des EU-Vertrages erforderlich,

für die es einen einstimmigen Beschluss im Ministerrat und eine Ratifizierung in allen Parla-menten der Mitgliedsländer braucht.

Diese Zementierung der wirtschaftstheoretischen Doktrin des Monetarismus in einem supra-nationalen bindenden Vertrag ist zumindest außerordentlich merkwürdig. Um sie zu verste-hen, muss man sich an die Situation in Europa Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre erinnern:

Die bevorstehende deutsche Einigung hatte in der EU keine Freude, sondern Ängste ausgelöst und, nachdem ihre Unabwendbarkeit deutlich geworden war, zu der Forderung geführt, dass sie durch eine stärkere Einbindung Deutschlands in Europa ausbalanciert werden müsse. Eine solche stärkere Einbindung sollte die Währungsunion sein, die insbesondere für Frankreich die Bedingung für die Zustimmung zur deutschen Einheit war. Diese Bedingung wurde von der damaligen Bundesregierung gegen die Bedenken der Bundesbank akzeptiert – allerdings wiederum nur unter der Bedingung, dass die europäische Zentralbank erstens der geldpoliti-schen Konzeption der Deutgeldpoliti-schen Bundesbank folgen und zweitens nur für diejenigen Mit-gliedsländer offen stehen sollte, die bestimmte Stabilitätskriterien erfüllten. So wurde es be-schlossen und in den EUV geschrieben. (In der Folge mussten erstens die meisten Mitglieder der heutigen Eurozone die gesetzliche Grundlagen für ihre nationalen Zentralbanken ändern, und zweitens begann eine Runde verschärfter Austeritätspolitik zur Erfüllung der Konver-genzkriterien). Mit ihrer Verankerung in den Vertrag über die Europäische Union hat die europäische Geldpolitik jedoch einen ganz anderen Status erhalten als die deutsche Geldpolitik je gehabt hatte. Während die Aufgabe und Funktion der deutschen Bundesbank nämlich im normalen Gesetzgebungsverfahren durch einfache Mehrheit im Bundestag und Bundesrat hätte geändert werden können, ist Ähnliches auf europäischer Ebene jetzt nicht mehr möglich. Die in ihrer großen Mehrzahl zu Beginn der 90er Jahre konservativen Regie-rungen haben vielmehr, unter dem Druck Deutschlands, die Gunst der Stunde genutzt und ihrer neoliberalen Ideologie Verfassungsrang und einen Hauch von Unwiderruflichkeit gege-ben. Dies aber widerspricht dem demokratischen Grundsatz, dass bestimmte politische Positi-onen durch politische Auseinandersetzungen verändert, korrigiert und durch andere ersetzt werden können. Zum Charakter einer demokratischen Gesellschaft gehört die grundsätzliche Offenheit für alternative Optionen der Politik. Diese Offenheit ist durch die Konstruktion der Geldpolitik wesentlich verletzt. Geldpolitik kann nach Verabschiedung des Vertrages von Maastricht kein Gegenstand wirtschaftspolitischer Diskussion, jedenfalls nicht veränderungs-relevanter Diskussion werden.

Diese Tabuisierung der Geldpolitik in der wirtschaftspolitischen Diskussion haben die euro-päischen Behörden und die Regierungen mittlerweile in einer Weise verinnerlicht, die ans Absurde grenzt. Absurd ist beispielsweise, dass die jährlich von der Kommission zu erstel-lenden und vom Rat zu verabschiedenden Empfehlungen zu den „Grundzügen der Wirt-schaftspolitik der Gemeinschaft und der Mitgliedsländer“ die Geldpolitik überhaupt nicht erwähnen. Die Kommission wird kaum der Meinung sein, dass Geldpolitik nicht zur Wirt-schaftspolitik gehört – es gibt vermutlich keinen Kurs über WirtWirt-schaftspolitik, in dem Geld-politik nicht als eines der Kernelemente der WirtschaftsGeld-politik behandelt wird – aber sie spricht nicht darüber.

Natürlich wird dieser extraterritoriale Charakter der Geldpolitik von der EZB nach Kräften unterstrichen, auch wenn der Präsident sich gelegentlich auf eine Diskussion mit dem Par-lament einlässt. Die EZB hat beispielsweise im Hinblick auf den in Köln beschlossenen

„makroökonomischen Dialog“ jedes Ansinnen einer „Abstimmung“ von Geld-, Fiskal- und Lohnpolitik abgelehnt und festgestellt, dass es für sie nichts abzustimmen gäbe.

Der dritte Grund für Zweifel an der demokratischen Grundlage der Geldpolitik in der EU liegt in den Rückwirkungen auf die anderen Bereiche der Wirtschaftspolitik. Parlament, Rat und Kommission können die Geldpolitik der EZB nicht beeinflussen, umgekehrt kann die EZB aber die von Kommission, Parlament und Rat zu diskutierende und zu beschließende gemein-same Wirtschaftspolitik oder Koordinierung nationaler Wirtschaftspolitiken maßgeblich be-einflussen. Ihr Einfluss liegt dabei weniger bei ihrer Gestaltungsmacht als vielmehr bei ihrer Verhinderungsmacht. Geldpolitik ist eine der zentralen Elemente der Wirtschaftspolitik, und eine Geldpolitik, die aus dem demokratischen Willensbildungsprozess herausgenommen au-tonom handelt, kann verhindern, dass europäische wirtschaftspolitische Programme oder Ini-tiativen, die demgegenüber in einer gemeinsamen Diskussion und Beratung beschlossen wer-den, tatsächlich umgesetzt werwer-den, sofern sie der Ideologie der EZB zuwiderlaufen. Sie kann gegensteuern, sie unterlaufen und letztlich scheitern lassen, was derartige Programme mittel-fristig auch politisch als wirkungslos diskreditiert. Letztlich entscheidet die EZB darüber, was wirtschaftspolitisch geht und was nicht geht. Wenn die europäischen Regierungen beispielsweise gemeinsam mit der Kommission und im Rat beschließen würden, der aktuellen Situation einer beginnenden Rezession durch ein umfangreiches öffentliches Konjunkturpro-gramm gegenzusteuern und dabei auch höhere öffentliche Verschuldung hinzunehmen, so kann die EZB die Umsetzung oder zumindest die Wirksamkeit derartiger Programme

nach-drücklich verhindern, und es kann wohl kaum ein Zweifel daran bestehen, dass sie dies auch tun würde.

Der vierte Grund betrifft die sehr weitgehende Autonomie der EZB. Es lässt sich gegen die obige Kritik einwenden, dass sie überzogen und dass es mit der Abkoppelung der EZB von der allgemeinen wirtschaftspolitischen Diskussion und demokratischen Willensbildung gar nicht so weit her sei. Schließlich heißt es in Art. 105 „Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Zieles der Preisstabilität möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Gemeinschaft...“

Dieser Einwand aber sticht aus zwei Gründen nicht:

Erstens bestimmt die EZB autonom, was Preisstabilität ist.

Zweitens befindet die EZB ebenso autonom darüber, ob und in welchem Maße die Preissta-bilität bedroht ist.

Es ist sicher nichts dagegen einzuwenden, dass die EZB bei der Anwendung ihres geldpoli-tischen Instrumentariums weitgehende Selbständigkeit und Autonomie genießt, wie sie andere Institutionen auch haben. Es ist aber sehr viel dagegen einzuwenden, dass sie letztlich ent-scheidet, was der allgemeine Auftrag „Gewährleistung der Preisstabilität“ konkret heißt und wann er bedroht ist. Eine solche Autonomie ist einer Situation vergleichbar, in der die Gene-räle eines Landes darüber befinden, was Gewährleistung der Sicherheit zu heißen hat, und wann sie bedroht ist und dann auch selbst noch den Einsatzbefehl für die Truppen geben.

Während der eklatante Verstoß gegen den Grundsatz der Einbettung der Streitkräfte in die demokratische Struktur einer zivilen Gesellschaft zumindest theoretisch bis heute noch un-strittig ist, gilt dies offensichtlich nicht für die Geldpolitik und die EZB.

Fazit: Letztlich liegt den hier kritisierten demokratischen Defiziten die Tendenz zugrunde, mühsame, kontroverse und vielfach auch mit Fehlern behaftete Willensbildungsprozesse zu vermeiden und durch die „Sachkompetenz“ der ExpertInnen zu ersetzen, denen faktisch hier-durch enorme Herrschaftsbefugnisse zugesprochen werden. Die Konstruktion der EZB spie-gelt das grundsätzliche Misstrauen gegen demokratische Strukturen und Prozesse und das Bemühen wider, die Geldpolitik dem Einfluss der Massen und deren Interessen zu entziehen.

Hier scheint das autoritäres Weltbild durch, das dem Neoliberalismus zugrunde liegt und bei-spielsweise von Friedrich August von Hayek immer wieder bemüht wird. Expertokratie statt

Demokratie, das ist die Devise dieses Weltbildes. Gegen eine solche Konstruktion spricht erstens nicht nur die empirisch vielfach erwiesene Tatsache, dass derartige Experten in ent-scheidenden Sachfragen immer wieder eklatant irren. Sie lässt zweitens völlig außer acht, dass Experten ganz prinzipiell nicht dafür zuständig sind, die Aufgabe demokratischer Wil-lensbildungsprozesse zu übernehmen, nämlich zwischen unterschiedlichen Optionen eine

„richtige“ Auswahl zu treffen. Experten könne Sachverhalte aufhellen, Zusammenhänge er-klären, auf Konsequenzen von Entscheidungen aufmerksam machen, und in dieser Funktion sind sie in einer komplexen Welt hilfreich und unverzichtbar. Entscheidungen aber müssen die dazu gewählten, rechenschaftspflichtigen und abberufbaren Instanzen sein.

3. Alternativen: Ansätze zur demokratischen Reform der europäischen Geldpolitik

Im Dokument Die Europäische Zentralbank. (Seite 79-83)