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Kristallisationsprozess von L-Glutaminsäure

3.2 Methoden

4.2.2 Kristallisationsprozess von L-Glutaminsäure

L-Glutaminsäure findet häufig Anwendung als Zusatz in Pharmazeutika und Lebensmit-teln und weist zwei polymorphe Formen auf,α-L-Glutaminsäure undβ-L-Glutaminsäure (s. Abbildung 4.58). Eine amorphe Form ist nicht bekannt. Von L-Glutaminsäure wurde der Kristallisationsprozess aus der wässrigen Lösung charakterisiert.

Zuerst werden kurz die beiden Polymorphe von L-Glutaminsäure vorgestellt. Die Kris-tallisation von L-Glutaminsäure wird zunächst in einem Batch-Kristallisator untersucht (ab S. 142). Im Anschluss daran erfolgt ab Seite 146 die Betrachtung des Kristallisati-onsprozesses im schwebenden Tropfen in einem Ultraschall-Levitator. Dabei wird insbe-sondere der Konzentrationsverlauf im Tropfen während des Kristallisationsexperiments behandelt (ab S. 149). Nach der Diskussion der Charakteristika der Kristallisation von L-Glutaminsäure im levitierten Tropfen ab Seite 153 folgt eine Zusammenfassung des gesamten Abschnitts auf Seite 155.

Identifizierung der Polymorphe von L-Glutaminsäure

Die Kristallisation von L-Glutaminsäure aus wässriger Lösung wurdein situ im Batch-Kristallisator mit Synchrotron-Röntgendiffraktometrie wie auch im Ultraschall-Levita-tor mit Synchrotron-Röntgendiffraktometrie kombiniert mit Raman-Spektroskopie un-tersucht.

Zur eindeutigen Identifizierung der Phasen während eines in situ beobachteten Kris-tallisationsexperiments wurden zunächstex situ Pulverröntgendiffraktogramme der rei-nen kristallirei-nenα-L-Glutaminsäure undβ-L-Glutaminsäure aufgenommen. Diese sind in Abbildung 4.59 (links) mit den Pulverdaten aus der Pulverdatenbank (β-Form, PDF 32-1701) bzw. berechnet aus Einkristalldaten der Cambridge Structural Database (α-Form, LGLUAC03) gezeigt. Die beiden Polymorphe können ebenso anhand ihrer Ra-man-Spektren unterschieden werden, da sich durch eine unterschiedliche Konformation des Moleküls in den beiden Kristallstrukturen andere Raman-Banden im Bereich von etwa 550–850 cm−1 und 940–1250 cm−1 ergeben (vgl. Abbildung 4.58 und Abbildung 4.59 rechts).

O O

OH O

H

NH2

L-Glutaminsäure a-L-Glutaminsäure b-L-Glutaminsäure

Abbildung 4.58: Strukturformel von L-Glutaminsäure und molekulare Konformation in den bei-den Polymorphenα-L-Glutaminsäure undβ-L-Glutaminsäure.

400 600 800 1000 1200 1400 1600 3000

435 467 506 542

623 669 749 872 916 987 1006 10411079 1180 1317

1377 1420 1461 1635 1679

28862935 2973 3109

Raman-Verschiebung [cm ]-1

10 20 30 40 50 60

0

2q[°]

400 600 800 1000 1200 1400 1600 3000

389 502 538577 708 762 802

866 920

942 969 1061 1087 1127

1148 1215

1310 1351 14071438 1658 2934 2971 3070

10 20 30 40 50 60

0

Intensität [a.u.]Intensität [a.u.]

Intensität [a.u.]

6 8 10

2 4

Raman-Verschiebung [cm ]-1

6 8 10

2 4

2q[°]

Intensität [a.u.]

a-L-Glutaminsäure

b-L-Glutaminsäure a-L-Glutaminsäure

b-L-Glutaminsäure

Abbildung 4.59:Röntgenpulverdiffraktogramme (links) und Raman-Spektren (rechts) von α-L-Glutaminsäure (oben) undβ-L-Glutaminsäure (unten). Die grauen Linien geben die Pulverdaten der zwei Polymorphe aus der PDF-Datenbank (β-Form, PDF 32-1701) bzw. berechnet aus Ein-kristalldaten der CSD-Datenbank (α-Form, LGLUAC03) wieder (Röntgendiffraktogramme mit 2θ bezogen auf λ = 1.540 598 Å). Die Raman-Spektren wurden auf den pulverförmigen Fest-stoffen mit einer Anregungswellenlänge von 785 nm, einer Bestrahlungsstärke von 6.62 W/cm2 auf der Probe und 10×20 s Akkumulationen gemessen. Die spezifischen Unterschiede gemäß der Literatur [138] sind blau hinterlegt.

Kristallisation aus der wässrigen Lösung im Batch-Kristallisator

Zunächst wurden die Kristallisationen in einem Batch-Kristallisator verfolgt, wobei der Kristallisationsprozess aus der erhitzten übersättigten Lösung über 3–4 Stunden verfolgt wurde (vgl. Kapitel 3.1.3, S. 33). Die Lösung wurde dabei kontinuierlich in einem Kreis-lauf durch eine Durchflussmesszelle mit Kaptonfenster im Strahlengang an der µSpot-Beamline bei BESSY II geleitet und zeitaufgelöst Röntgendiffraktogramme unter Ver-wendung von Weitwinkelröntgenstreuung (WAXS) aufgenommen (vgl. Aufbau in Kapitel 3.2.1, S. 44).

Abbildung 4.60 zeigt eine Übersicht der im Verlauf der Kristallisation von reiner

L-10 20 30 40 50

Intensität [a.u.]

2q [°] 60

0.2 0.1 0.0

10 20 30 40 50

2q [°]

Intensität [a.u.]Intensität [a.u.]

174 min

148 min

79 min

10 min

0.2 0.1

0.0 0.2 0.1

0.0 0.1 0.0 -0.1

2.0

1.0 1.5

0.5

10 20 30 40 50

2q [°]

2 min

Abbildung 4.60: Röntgendiffraktogramme aufgezeichnet während der Kristallisation von reiner L-Glutaminsäure aus wässriger Lösung (links), begonnen mit der Lösung (rote Linie unten) zum Kristallisationsprodukt (violette Linie oben), sowie das Diffraktogramm des Lösungsmit-tels (rechts, 2 min) und Diffraktogramme zu den angegebenen Zeitpunkten bereinigt um den Untergrund durch Luftstreuung und das Lösungsmittelsignal im Vergleich zu den berechneten Reflexpositionen der α- (grau) undβ-Form (schwarz) (Röntgendiffraktogramme mit 2θbezogen auf λ= 1.540 598 Å).

Glutaminsäure aus Wasser als Lösungsmittel aufgenommenen Röntgendiffraktogramme.

Die ersten Diffraktogramme zeigen den breiten, amorphen Streubeitrag des Lösungsmit-tels (rote Linie unten, 2 min), welcher auch in allen folgenden Diffraktogrammen einen deutlichen Beitrag liefert. Die ersten Reflexe sind nach zehn Minuten auf dem Unter-grund des Lösungsmittelsignals erkennbar und können der metastabilen α-Form zuge-ordnet werden. Die Signale derα-Form gewinnen stetig an Intensität, bis zunächst keine Änderung mehr wahrnehmbar ist. Nach 79 Minuten treten zusätzlich zu den Reflexen derα-Form noch weitere Reflexe auf, welche die beginnende Umwandlung in dieβ-Form anzeigen. Die Intensität der Reflexe der α-Form nehmen nun stetig ab, während die der β-Form an Intensität gewinnen. Nach 148 Minuten sind die Reflexe der α-Form vollstän-dig verschwunden und als einziges Kristallisationsprodukt liegtβ-L-Glutaminsäure vor.

In Abbildung 4.60 sind rechts die jeweiligen Diffraktogramme, um das Signal des Lö-sungsmittels und der Streuung durch Luft bereinigt, im Vergleich zu den Referenzdaten

10 20 30 40 50

Intensität [a.u.]

2q [°] 60 10 20 30 40 50

Intensität [a.u.]

2q [°] 60

2 min 10 min 79 min 148 min 174 min

13 min 46 min 122 min 174 min

2 min

Abbildung 4.61:Röntgendiffraktogramme aufgezeichnet während der Kristallisation von L-Glutaminsäure mit 2500 ppm Glycin (rechts) und reiner L-L-Glutaminsäure aus wässriger Lösung (links, gleicher Graph wie in Abbildung 4.60) im Vergleich, jeweils begonnen mit der Lösung (rote Linie unten) zum Kristallisationsprodukt (violette Linie oben) (Röntgendiffraktogramme mit 2θ bezogen aufλ= 1.540 598 Å).

aus der Datenbank gezeigt.

Wird der Ausgangslösung nun das Additiv Glycin in unterschiedlicher Konzentration zugesetzt, ergibt sich ein etwas anderer zeitlicher Verlauf. Abbildung 4.61 stellt Rönt-gendiffraktogramme des zeitlichen Verlaufs der Kristallisationsprozesse von reiner L-Glutaminsäure (links) und von L-L-Glutaminsäure mit einem Anteil von 2500 ppm Glycin (rechts) im Vergleich dar. Die Kristallisation von α-L-Glutaminsäure beginnt minimal verzögert nach 13 Minuten. Hier setzt jedoch die Transformation von α-L-Glutaminsäu-re nachβ-L-Glutaminsäure deutlich früher ein, bei 46 Minuten. Nach 122 Minuten sind keine Signale der α-Form mehr detektierbar. Der vollständige Umwandlungsprozess be-nötigt bei Zusatz von Glycin hier sieben Minuten länger, ist aber aufgrund des deutlich früheren Einsetzens der lösungsmittelvermittelten Umwandlung schneller abgeschlossen.

Die weiteren Ergebnisse der Kristallisationsprozesse mit 5000 ppm und 7500 ppm Gly-cin sind in Tabelle 4.7 zusammengefasst. Es zeigt sich ein deutlicher Einfluss des Additivs Glycin. Der Beginn der Kristallisation desα-Polymorphs tritt insbesondere bei sehr ho-hen Konzentrationen des Additivs (7500 ppm) zeitlich verzögert ein, was auf eine

verlang-Tabelle 4.7: Kristallisation von L-Glutaminsäure (LGA) aus wässriger Lösung mit Additiv Gly-cin in verschiedenen Konzentrationen – Zeitpunkte für den Beginn der Kristallisation derα-Form, den Beginn der Umwandlung desα- in dasβ-Polymorph sowie des Verschwindens der Signale des α-Polymorphs.

Probe Beginn der

Kristal-lisation [min] Beginn der

Um-wandlung [min] Letzte Signale der α-Form [min]

LGA, rein 10 79 148

LGA + 2500 ppm Glycin 13 46 122

LGA + 5000 ppm Glycin 12 46 123

LGA + 7500 ppm Glycin 21 52 141

samte Keimbildung hindeuten könnte. Auf die Umwandlung derα- in dieβ-Form wirken jedoch schon geringe Konzentrationen Glycin beschleunigend (2500 ppm und 5000 ppm).

Dieβ-Form tritt in der Lösung mit Additiv deutlich früher auf und die Reflexe derα-Form verschwinden eher als bei der Kristallisation der reinen L-Glutaminsäure. Der Kristallisa-tionsprozess ist deutlich schneller abgeschlossen. Eine weitere Steigerung der zugesetzten Menge an Glycin auf 7500 ppm scheint allerdings einen nicht ganz so stark ausgeprägten beschleunigenden Einfluss zu haben. Die Kristallisation setzt deutlich verzögert ein, erst nach 21 Minuten. Die Umwandlung beginnt etwas später als bei geringeren Mengen an zugesetztem Additiv und der Kristallisationsprozess dauert nahezu genauso lange wie bei der reinen L-Glutaminsäure.

Bisherige Untersuchungen mit Einzelphotonen-Laserlichtstreuung und Leitfähigkeits-messungen zur Kristallisation von L-Glutaminsäure zeigten sowohl eine verkürzte mitt-lere Induktionszeit bis zur Nukleation wie auch eine kürzere Transformationszeit mit zunehmender Konzentration des Additivs Glycin im Bereich bis zu 2500 ppm Glycin [140]. Die Nukleation von reiner L-Glutaminsäure wurde dort nach über 96 Minuten, die der mit 2500 ppm Glycin versetzten nach etwa 30 Minuten beobachtet. Im Unterschied dazu zeigten die WAXS-Messungen hier erste Reflexe einer kristallinen Phase in beiden Fällen nach nur 10–13 Minuten.

Hierfür ist wahrscheinlich ein unterschiedlicher Versuchsaufbau verantwortlich. Das in der Literatur beschriebene Experiment wurde vollständig in einer Messzelle mit Rühr-motor durchgeführt. Für die WAXS-Experimente wurde ein Aufbau bestehend aus Vor-ratsgefäß, Pumpe, Durchflussmesszelle und Schlauchsystem eingesetzt (vgl. Abschnitt 3.2.1, S. 44), in das die Versuchslösung nach externer Herstellung vor Versuchsbeginn transferiert wurde (vgl. Abschnitt 3.1.3, S. 33). Die Lösung war im System konstant in Bewegung und stärkeren, ungleichmäßigeren Agitationen ausgesetzt als in einem einfa-chen Gefäß mit Rührmotor. Das System weist zudem viele Oberfläeinfa-chen und Kanten auf, an denen heterogene Nukleation möglich ist. Dies könnte die Nukleation in allen Fällen beschleunigen und zur geringeren Induktionszeit beitragen.

Des Weiteren könnten bei der Nukleation mit dem Additiv zunächst nur sehr klei-ne Keime gebildet werden, die zwar mit Laserlichtstreuung erfasst werden könnten und somit die verkürzte Nukleationszeit sichtbar wäre, aber noch unterhalb des Detektions-limits der Röntgenbeugung liegen, da diese Methode nur Kristallite ab einer gewissen

Größe erfasst. Möglicherweise erreichen in beiden Kristallisationsprozessen mit und ohne Additiv die Keime zur etwa gleichen Zeit eine mit WAXS detektierbare Größe, so dass die durch Zugabe des Additivs verursachte Nukleationszeitverkürzung mit WAXS nicht messbar ist.

Das deutlich schnellere Einsetzen des Umwandlungsprozesses von derα-Form in das β-Polymorph konnte dagegen eindeutig mit WAXS beobachtet werden. Auch hier zeigt sich eine zeitliche Verkürzung im Vergleich zu den berichteten Leitfähigkeitsmessungen [140], was sich ebenso mit den beschriebenen Unterschieden im Versuchsaufbau erklären lässt.

Der Transformationsprozess setzt dort bei reiner L-Glutaminsäure nach 5.25 Stunden ein, bei Zugabe von 2500 ppm Glycin nach 4.29 Stunden. In den WAXS-Messungen setz-te die lösungsvermitsetz-telsetz-te Umwandlung der α-Form in die β-Form nach 79 Minuten bei reiner L-Glutaminsäure und nach 46 Minuten bei Vorhandensein von 2500 ppm Glycin im Medium ein. Der durch das Additiv hervorgerufene Trend der verkürzten Zeit bis zum Einsetzen der Phasenumwandlung lässt sich also auch mit WAXS-Messungen nachvollzie-hen. Der entscheidende Vorteil der WAXS-Methode ist die eindeutige Identifizierung des vorliegenden Polymorphs bzw. von Mischungen. Auch das Vorhandensein schon kleiner Anteile des jeweils anderen Polymorphs kann detektiert werden, was bei den Messungen mit Laserlichtstreuung und Leitfähigkeitsmessungen nicht möglich ist.

Kristallisation aus der wässrigen Lösung im Ultraschall-Levitator

Zur Untersuchung des Einflusses von Oberflächen auf den Nukleationsprozess wurde im Folgenden die behälterlose Nukleation und das Wachstum der L-Glutaminsäure unter Verwendung eines akustischen Levitators als Probenhalter mit in situ zeitaufgelöster WAXS und Raman-Spektroskopie bei BESSY II charakterisiert (vgl. Kapitel 3.1.3, S.

32 und Kapitel 3.2.1, S. 40).

Ein Tropfen der Lösung wurde bei Raumtemperatur in den mittleren Knotenpunkt eines Ultraschall-Levitators injiziert. Durch die Verdunstung des Lösungsmittels an der Oberfläche des Tropfens nimmt dessen Volumen stetig ab, so dass eine Aufkonzentration des Analyten erfolgt. Nach vollständiger Verdunstung verbleibt das feste Endprodukt weiterhin schwebend im Levitator. Mit Hilfe eines Kamerasystems bestehend aus IR-Blitzlicht und IR-Kamera mit Objektiv konnte der Tropfen über den gesamten Kris-tallisationsprozess beobachtet und kontinuierlich Bilder aufgezeichnet werden, welche in Teilen in Abbildung 4.62 dargestellt sind. Der Tropfen wird unverkennbar im Verlauf von 31 Minuten immer kleiner bis nach 35 Minuten ein nahezu sphärischer Festkörper verbleibt.

Die Kristallisation reiner L-Glutaminsäure wurde während des gesamten Prozesses kontinuierlich in situ mit Raman-Spektroskopie und WAXS simultan über den Zeit-verlauf verfolgt. In Abbildung 4.63 sind die entsprechenden Daten detailliert gezeigt.

Die Untersuchung des Kristallisationsprozesses wurde mit einer Konzentration der Lö-sung im Tropfen geringfügig unterhalb der Sättigungskonzentration begonnen. Zu Beginn der Verdunstung des levitierten Tropfens bis 23 Minuten zeigen diein situ registrierten Röntgendiffraktogramme den typischen amorphen Streubeitrag mit breiten Maxima des Lösungsmittels Wasser. Das Diffraktogramm weist ein intensives Maximum bei 28°2θ

13 min 25 min

0 min 7 min 19 min 31 min 35 min

Abbildung 4.62: Ausgewählte Bilder des Schattens eines Tropfens von reiner L-Glutaminsäure in Wasser zu den angegebenen Zeitpunkten, die zur Bestimmung der Volumenänderung des Tropfens über die Zeit während eines typischen Kristallisationsexperimentes von reiner L-Glutaminsäure verwendet wurden.

und ein zweites schwächeres Signal bei 141°2θauf. Die simultanin situ aufgenommenen Raman-Spektren zeigen die breiten Raman-Signale von Wasser bei 1642 cm−1 und um 3500 cm−1 (Abbildung 4.63, rechts, 30 s). Zusätzlich sind schwache weitere Signale bei 858 cm−1, 917 cm−1, 1357 cm−1 und 1419 cm−1 erkennbar. Diese gehören vermutlich zu molekularen Clustern der gelösten L-Glutaminsäure, lassen sich aber keinem spezifischen Polymorph zuordnen. Während der fortschreitenden Verdunstung des Lösungsmittels nimmt die Intensität der breiten Lösungsmittelsignale ab. Die Stoffmenge der gelösten L-Glutaminsäure im Tropfen bleibt während des Experimentes konstant, so dass es zu einer sukzessiven Aufkonzentration der Lösung kommt. Schließlich setzt die Bildung von L-Glutaminsäure-Kristallen ein. Die Diffraktogramme zeigen nach 24 Minuten die cha-rakteristischen Reflexe eines kristallinen Materials, die im weiteren Verlauf der Kristalli-sation an Intensität zunehmen. Diese Reflexe lassen sich derβ-Form zuordnen. In den Ra-man-Spektren treten erste eindeutige Signale nach 25.5 Minuten auf und können ebenfalls der β-Modifikation mit charakteristischen Signalen bei 575 cm−1, 705 cm−1, 800 cm−1, 1145 cm−1und 1214 cm−1zugewiesen werden. Sowohl in den Diffraktogrammen wie auch in den Raman-Spektren gewinnen die Signale derβ-Modifikation im Verlauf der weiteren Kristallisation zunehmend an Intensität, während der breite Streubeitrag im Diffrakto-gramm bzw. die breiten Raman-Banden des Lösungsmittels verschwinden. Nach etwa 34 Minuten ist das Lösungsmittel vollständig verdunstet und das Diffraktogramm weist nur noch die Reflexe des kristallinen Festkörpers ausβ-L-Glutaminsäure-Kristallen auf.

Nach 37 Minuten sind keine weiteren Veränderungen in den Raman-Spektren mehr fest-stellbar. Sowohl das Röntgendiffraktogramm wie auch das Raman-Spektrum des kris-tallinen Endprodukts der Kristallisation im Ultraschall-Levitator stimmen sehr gut mit dem auf dem kristallinen, pulverförmigen Feststoff der β-L-Glutaminsäure gemessenen Diffraktogramm bzw. Raman-Spektrum überein.

Anders als im Batch-Kristallisator und im Gegensatz zur Ostwaldschen Stufenregel [45] kristallisierte hier die stabilere β-Form von L-Glutaminsäure als erstes und einziges Polymorph aus dem Tropfen. Eine intermediäre, metastabile, kristalline Phase wurde weder mit WAXS noch mit Raman-Spektroskopie detektiert. In allen Fällen war das kristalline Endprodukt β-L-Glutaminsäure. Weitere WAXS-Raman-Experimente wur-den bei niedrigerer Temperatur durchgeführt, um die Verdunstungsrate des Lösungs-mittels und damit den Kristallisationsprozess aus dem Tropfen zu verlangsamen.

Eben-10 20 30 40 50

Intensität [a.u.]

2q [°] 60 70 500 Raman-Verschiebung [cm ]750 1000 1250 1500-1 1750 2000

Intensität [a.u.]

33 min 34 min

32 min

30 min 31 min

29 min

27 min 28 min

26 min 24 min 25 min 23 min

34 min 37 min

33.5 min

27.5 min 33 min 27 min 26 min 26.5 min 25.5 min 25 min 30 s 38 min

b-LGA a-LGA

Abbildung 4.63:Simultanin situ aufgezeichnete Röntgendiffraktogramme (links) und Raman-Spektren (rechts) der Kristallisation von reiner L-Glutaminsäure aus Wasser im Ultraschall-Levitator. Die Graphiken zeigen jeweils die Daten begonnen von der entsprechenden Lösung (rote Linien unten) bis zum endgültigen kristallinen Produkt (violette Linien oben). Die Reflexlagen der Pulverdiffraktogramme aus der Datenbank sowie die Raman-Spektren der reinen Feststoffe beider Polymorphe sind zum Vergleich jeweils unten gezeigt (α-LGA: graue Linie,β-LGA: schwar-ze Linie). Röntgendiffraktogramme mit 2θ bezogen auf λ = 1.540 598 Å, Raman-Spektren mit Anregungswellenlängeλ= 785 nm, Bestrahlungsstärke 6.62 W/cm2, 5×5 s Akkumulationen.

so wurden Experimente mit einem trockenen Stickstoffstrom durchgeführt, wo aufgrund der schnelleren Verdunstung des Lösungsmittels die Kristallisationsrate erhöht ist. Alle durchgeführten Experimente lieferten das gleiche Resultat. Der einzige Unterschied war die Gesamtdauer des Kristallisationsprozesses. Die WAXS-Daten wie auch die Raman-Spektren aller Experimente wurden sorgfältig auf Signale derα-L-Glutaminsäure geprüft, aber beide Daten zeigten für keinen der Kristallisationsprozesse Signale der metastabi-len Modifikation. Auch Durchgänge mit doppelt so hoher Zeitauflösung lieferten keinen Hinweis auf die metastabile Form. Die im Verlaufe des Experiments hinzukommenden Signale können immer eindeutig der stabilenβ-L-Glutaminsäure zugeordnet werden, die hier als einziges Polymorph aus dem schwebenden Tropfen kristallisiert.

Die neben den Raman-Signalen des Lösungsmittels Wasser beobachteten zusätzlichen Signale bei 858 cm−1, 917 cm−1, 1357 cm−1 und 1419 cm−1, können vermutlich

moleku-laren Clustern der gelösten L-Glutaminsäure zugeordnet werden. Die Existenz solcher Pränukleationscluster in übersättigten Lösungen von L-Glutaminsäure wurde in zahlrei-chen experimentellen Studien berichtet. Die meisten dieser Studien bieten jedoch keinen direkten Beweis über die Struktur dieser Cluster und ihren Einfluss auf den resultieren-den Festkörper [231].

Möglicherweise bilden sich sehr kleine kurzlebige Kristalle der metastabilen α-Form, auf denen dann das stabileβ-Polymorph schnell nukleiert aufgrund der hohen Übersätti-gung der Lösung. Solche kleinen Kristalle würden breite WAXS-Signale produzieren, die vom Wasser-Untergrund nicht zu unterschieden sein könnten. Da die molekulare Konfor-mation durch einen anderen Torsionswinkel in der Hauptkohlenwasserstoffkette der zwei Polymorphe der L-Glutaminsäure signifikant unterschiedlich ist, können sie auch über Raman-Spektroskopie voneinander unterschieden werden und sollten eigentlich auch in Lösung von einander differenzierbar sein [138]. Sofern derartige winzige metastabile Kris-talle in der Lösung vorhanden wären, kurz bevor die Nukleation der β-Phase erfolgt, würden die entsprechenden Signale in den aufgezeichneten Raman-Spektren erscheinen.

Hier sind jedoch vor der Nukleation der β-Phase keine anderen Signale erkennbar, die derα-Phase zuzuordnen wären.

Die Raman-Spektroskopie liefert hier allerdings später Hinweise auf die kristalline Phase als die WAXS-Daten. Die L-Glutaminsäure hat ein relativ schwaches Raman-Signal und wird in geringer Konzentration eingesetzt, somit musste für eine ausreichende Signalqualität eine Zeitauflösung von 30 Sekunden gewählt werden. Da die Kristallisation aufgrund der geringen Verdunstungsrate von Wasser insgesamt langsam verläuft, kann davon ausgegangen werden, dass diese Zeitauflösung ausreichend sein sollte.

Konzentrationsverlauf während der Kristallisation im levitierten Tropfen

Um die Ergebnisse der Kristallisation im levitierten Tropfen näher zu untersuchen, soll im Folgenden die während des Kristallisationsexperiments auftretende

Konzentrations-a b

Abbildung 4.64: Schattenbild eines Tropfens reiner L-Glutaminsäure in Wasser mit ellipsoidem Tropfenumriss mit Breite a und Höhe b, woraus über die Formel des Ellipsoidvolumens das Tropfenvolumen berechnet wurde.

änderung in der Tropfenlösung ermittelt werden.

Die während des Experiments aufgenommenen Bilder des Probentropfens (Abbildung 4.62) kön-nen verwendet werden, um daraus dessen Volu-menänderung im Verlauf der Verdunstung des Lö-sungsmittels zu bestimmen. Die Rotationssymme-trie des Tropfens um die Levitationsachse erlaubt die Berechnung des TropfenvolumensVT ropf enaus der Querschnittsfläche, d.h. aus der Fläche des Schattenbilds des Tropfens (Abbildung 4.64) [163].

Da der Tropfen ellipsoide Form annimmt, kann über die Ermittlung der Breite a und der Höhe b des Schattens mit der Formel für ein Rotations-ellipsoid V = 43πa2b das Volumen des Tropfens berechnet werden. Zunächst ist die Breite der le-vitierten Probenlösung größer als die Höhe. Diese

Deformation zu einer ellipsoiden Form wird durch das anisotrope akustische Kraftfeld hervorgerufen, bei dem die axiale Levitationskraft etwa fünfmal so groß ist wie die ra-diale Kraft [232]. Im Verlauf der Zeit nimmt das Seitenverhältnis durch die schnellere Abnahme in der Breite als in der Höhe auf ungefähr 1 ab. Der Grund ist eine Erhöhung der Oberflächenspannung und damit geringerer Deformierbarkeit des Tropfen im Ver-lauf der Schrumpfung des Tropfens während der Verdunstung des Lösungsmittels [233].

Gegen Ende der Verdunstung ist der Tropfen nahezu kugelförmig. Das feste Endpro-dukt ergibt kein perfektes Ellipsoid, sondern besteht aus einem nicht-sphärischen β-L-Glutaminsäure-Kristallaggregat, das im akustischen Feld rotiert. Aus diesem Grund wur-de das Endvolumen wur-der Probe aus wur-der Ausgangsstoffmenge im Tropfen und wur-der Dichte von L-Glutaminsäure (ρLGA = 1.538 g/cm3) auf 0.03 µl geschätzt. Dies sollte dem Vo-lumen der kristallinen Aggregate entsprechen, die schwebend verbleiben, nachdem das Lösungsmittel vollständig verdunstet ist.

Das Volumen der Probe nimmt durch die Verdunstung des Lösungsmittels mit der Zeit stetig ab. Bei konstanten äußeren Bedingungen von Temperatur, Druck und Luft-feuchtigkeit ist die Gesamtstoffmenge an Lösungsmittel, die das System pro Zeiteinheit über Verdunstung an der Oberfläche des Tropfens verlässt, proportional zur Oberflä-che des Tropfens. Da der Tropfen und damit die OberfläOberflä-che kleiner wird, nimmt die Verdunstungsrate mit der Zeit ab.

Aus dem Verdunstungsprozess des Lösungsmittels resultiert eine stetige Zunahme der Lösungskonzentration. Diese lässt sich aus der bekannten Ausgangsstoffmenge im einpi-pettierten Tropfen und dem jeweils aktuellen Tropfenvolumen berechnen. Das Tropfenvo-lumen wurde dabei wie oben beschrieben aus den aufgezeichneten Tropfenbildern ermit-telt. Bis zum Einsetzen der Kristallisation von β-L-Glutaminsäure bei 24 Minuten wird die registrierte Volumenänderung der Probe lediglich durch die Volumenänderung der

Aus dem Verdunstungsprozess des Lösungsmittels resultiert eine stetige Zunahme der Lösungskonzentration. Diese lässt sich aus der bekannten Ausgangsstoffmenge im einpi-pettierten Tropfen und dem jeweils aktuellen Tropfenvolumen berechnen. Das Tropfenvo-lumen wurde dabei wie oben beschrieben aus den aufgezeichneten Tropfenbildern ermit-telt. Bis zum Einsetzen der Kristallisation von β-L-Glutaminsäure bei 24 Minuten wird die registrierte Volumenänderung der Probe lediglich durch die Volumenänderung der