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4.5 ROC-Analysen

5.1.1 Korrelationen zwischen NGAL und Hämodynamikparametern 132

Zwischen der bestehenden Kreislaufsituation beziehungsweise zwischen Änderungen in der Hämodynamik eines Patienten und der Nierenfunktion bestehen wechselseitige Zusammenhänge. So kann beispielsweise eine Abnahme des Blutdrucks über eine verminderte Perfusion des Nierengewebes zu einem Rückgang der Nierenfunktion im Sinne eines prärenalen Nierenversagens führen. Bei Andauern einer mangelhaften renalen Perfusion kann es schließlich zu einer zellulären Schädigung der Niere und zum Zelluntergang kommen (Thadhani et al., 1996). Andererseits können Änderungen der Nierenfunktion zu

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Veränderungen der hämodynamischen Situation eines Patienten führen. So kommt es im Rahmen eines ANV zur Freisetzung systemisch wirksamer vasoaktiver Substanzen und bei anhaltend reduzierter GFR zu einer Dysregulation des Flüssigkeitshaushaltes und somit zu Änderungen der systemischen hämodynamischen Situation (Basile, Anderson, & Sutton, 2012). Eines der Ziele dieser Studie war es zu untersuchen, ob im untersuchten Kollektiv von internistischen Intensiv-Patienten zwischen der Konzentration des Nierenmarkers NGAL im Urin einerseits und den Vorlastparametern ZVD und GEDVI sowie den über Flüssigkeit in der Lunge Auskunft gebenden Parametern EVLWI und PVPI andererseits Korrelationen bestehen.

Alle gefundenen Zusammenhänge sind gering ausgeprägt. Obwohl sowohl der ZVD als auch der GEDVI als Vorlastparameter Verwendung finden, besteht bei Betrachtung aller Messdaten zwischen NGAL und dem ZVD eine schwache positive Korrelation (r=0,187; p=0,001), während sich zwischen den Werten für NGAL und den GEDVI ein entgegengesetzter Zusammenhang ergibt (r=-0,157; p=0,002). Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass der ZVD bei Patientenkollektiven auf der Intensivstation im Gegensatz zum GEDVI die tatsächlichen Volumen-Verhältnisse nur schlecht widergibt. Der ZVD kann als Vorlastparameter durch verschiedene Störgrößen beeinflusst werden. Dazu gehören vor allem Beeinflussungen durch andere Drücke, wie die Beatmungstherapie mit hohen Beatmungsdrücken sowie Erhöhungen des intraabdominalen Drucks (Wolfgang Huber &

Rockmann, 2008; Kumar et al., 2004). Im Studienkollektiv waren die Patienten bei 57,1% der durchgeführten Messungen beatmet und 22,4% der in die Studie eingeschlossenen Patienten befanden sich mit der Hauptdiagnose einer Leberzirrhose in intensivmedizinischer Behandlung. Bei Patienten mit fortgeschrittener Leberzirrhose stellt die Entstehung von Aszites und die damit einhergehende Erhöhung des intraabdominalen Drucks eine häufige Komplikation dar (Moore & Van Thiel, 2013). Somit spiegelt die positive Korrelation von NGAL und ZVD wahrscheinlich eher einen Zusammenhang von höheren NGAL-Werten und schweren Krankheitszuständen wider, die teilweise mit Erhöhungen des intraabdominalen Drucks einhergehen und die eine Beatmungstherapie mit hohen Beatmungsdrücken erforderlich machen. Für den GEDVI beziehungsweise den ITBVI liegen hingegen mehrere Studien vor, die eine gute Korrelation mit dem HZV zeigen und den GEDVI dem ZVD als Vorlastparameter überlegen bewerten (W. Huber & Schmid, 2011; Reuter & Goetz, 2005;

Wiesenack, Prasser, Keyl, & Rödīg, 2001). Die negative Korrelation zwischen NGAL und dem GEDVI könnte somit ein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen einer Erhöhung von NGAL im Rahmen von Volumenmangelzuständen sein.

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Während sich zwischen der Höhe des EVLWI und NGAL keine signifikante Korrelation ergibt, lässt sich zwischen der Höhe des PVPI und NGAL bei der ersten Messung nach Aufnahme (r=0,214; p=0,028) sowie bei Betrachtung aller erhobenen Werte (r=0,143;

p=0,010) eine gering ausgeprägte Korrelation feststellen. Eine Erhöhung des PVPI spricht theoretisch für das Vorliegen einer erhöhten Permeabilität der pulmonalen Gefäße. Bei Patienten mit einem Lungenödem ist ein erhöhter PVPI ein Hinweis für eine Entstehung des Lungenödems durch Permeabilitätsstörungen in Abgrenzung zu einer hydrostatischen Genese (Monnet et al., 2007). Schon länger ist ein Zusammenhang zwischen dem ANV und der Entstehung eines Lungenödems bekannt. Dabei galt die Flüssigkeitsüberladung in Folge eines an- oder oligurischen Nierenversagens als Hauptgrund für die Entstehung eines Lungenödems bei Patienten mit ANV (Basu & Wheeler, 2011). Bei einem solchen rein hydrostatisch bedingten Lungenödem sollte der PVPI im Normbereich liegen. Inzwischen wurden im Rahmen des ANV auch Veränderungen in der Permeabilität des Endothels der alveolären Kapillaren beschrieben, die eine wichtige Rolle im Zusammenspiel von Niere und Lunge bei kritisch erkrankten Personen darstellen (Hoke et al., 2007; Ko, Rabb, & Hassoun, 2009).

Veränderungen der Integrität des alveolären Kapillarendothels wurden auch bei septischen Geschehen beschrieben, in deren Rahmen es wiederum sowohl zu Schädigungen der Niere als auch der Lungen kommen kann (Chinnaiyan et al., 2001). Diese Zusammenhänge stellen eine mögliche Erklärung für die beobachtete Korrelation des Nierenmarkers NGAL und dem PVPI dar.

5.1.2 Korrelationen zwischen NGAL und Laborparametern

Wenig überraschend zeigt sich zwischen den beiden Nierenmarkern NGAL und Serum-Kreatinin zu allen Messzeitpunkten eine signifikante Korrelation. Die Korrelation ist bei Einbeziehung aller durchgeführten Messungen allerdings nur mittelgradig ausgeprägt (r=0,582; p=0,000). Wie Abbildung 12 zeigt, gehen bei den durchgeführten Messungen teilweise sehr hohe Werte für Urin-NGAL mit verhältnismäßig niedrigen Werten für Serum-Kreatinin einher und umgekehrt. Für die beobachteten Divergenzen der beiden Parameter gibt es mehrere mögliche Erklärungen. Serum-Kreatinin muss als Funktionsparameter der Niere nach einer akuten Schädigung der Niere mit entsprechender Funktionseinschränkung erst über einen gewissen Zeitraum akkumulieren um einen zur Diagnose eines ANV ausreichend hohen Spiegel zu erreichen. Für NGAL als direkten Marker der Schädigung konnte ein deutlicher Anstieg dagegen schon deutlich früher nachgewiesen werden (Devarajan, 2010b). So konnte

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bei pädiatrischen Patienten mit ANV nach einem kardiochirurgischen Eingriff mit Hilfe eines Anstiegs des Kreatinin-Spiegels erst nach 1 – 3 Tage die Diagnose eines ANV gestellt werden. Ein Anstieg von NGAL wurde bei diesen Patienten dagegen schon nach 2 – 6 h gemessen (Jaya Mishra et al., 2005; Parikh, Devarajan, et al., 2011). Eine mögliche Erklärung für das Einhergehen eines niedrigen Wertes von Serum-Kreatinin mit einem hohen NGAL-Wert ist also, dass eine hochakute Schädigung der Niere vorliegt. Während in der Folge schon ein Anstieg von NGAL erfolgte, ist noch nicht genug Zeit für die verzögerte Akkumulation von Kreatinin im Serum vergangen. Eine solche Konstellation könnte auch bei einigen Patienten der vorliegenden Untersuchung insbesondere bei ICU-Aufnahme vorgelegen haben.

Ein Indiz hierfür ist die Zunahme der Korrelation von NGAL und Serum-Kreatinin von Messzeitpunkt zu Messzeitpunkt (t1: r=0,530 p=0,000; t2: r=0,539 p=0,000; t3: r=0,634 p=0,000; t4: r=0,671 p=0,000).

Eine denkbare Konstellation, in der hohe Spiegel von Serum-Kreatinin mit relativ niedrigen Messwerten von NGAL auftreten, ist eine vorbestehende aber stabile chronische Niereninsuffizienz ohne akute Schädigung der Niere. In der Literatur wird zwar eine vom Ausmaß der Niereninsuffizienz abhängige Erhöhung der NGAL-Werte im Rahmen von chronischen Nierenerkrankungen beschrieben, allerdings fällt diese bei fehlender oder nur geringer Progredienz der Erkrankung deutlich geringer aus, als dies beim ANV der Fall ist (Nickolas, Forster, et al., 2012; Nishida et al., 2010).

Weitere mögliche Ursachen für eine Divergenz von NGAL und Serum-Kreatinin stellen extrarenale Beeinflussungen der Parameter dar. So werden Veränderungen der NGAL-Werte beispielsweise bei chronischer Hypertonie, bestimmten bakteriellen und nicht-bakteriellen Entzündungen und verschiedenen Tumorerkrankungen beschrieben (Chakraborty, Kaur, Guha, & Batra, 2012; Devarajan, 2010b; Malyszko, Bachorzewska-Gajewska, Malyszko, Pawlak, & Dobrzycki, 2008). Serum-Kreatininspiegel variieren mit Alter, Geschlecht, Unterschieden in der Ernährung sowie der Muskelmasse. Zusätzlich können bestimmte pathologische Zustände wie etwa die Rhabdomyolyse zu einer Erhöhung führen (Bagshaw &

Gibney, 2008).

Auch zwischen Serum-Harnstoff und NGAL besteht zu allen Messzeitpunkten ein signifikanter Zusammenhang. Die Korrelation fällt bei Betrachtung aller durchgeführter Messungen etwas geringer aus, als zwischen NGAL und Serum-Kreatinin (r=0,415; p<0,001).

Der Harnstoff-Spiegel unterliegt stärker als der von Kreatinin extrarenalen Einflüssen wie

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hoher Protein-Aufnahme, schweren Erkrankungen, gastrointestinalen Blutungen, chronischen Schädigungen der Leber sowie medikamentösen Therapie etwa mit Corticosteroiden oder Tetrazyklinen (Bagshaw & Gibney, 2008).