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Kooperationsfähigkeit der kommunalen Umweltverwaltungen

Die Kooperationsfähigkeit der kommunalen Um-weltverwaltungen ist ähnlich gering wie diejenige des Landes. Nur in wenigen Munizipien gibt es Ansätze für eine Kooperation mit NRO und sozi-alen Bewegungen, wie z. B. in Santarém bei der Erarbeitung eines kommunalen Umweltgesetzbu-ches.

3.3.6 Dezentralisierungsgrad der Umweltverwaltung

Der organisatorische Aufbau Brasiliens als föde-raler Bundesstaat mit drei Staatsebenen, die origi-näre Staatsgewalt ausüben, lässt zunächst eine starke Stellung der Munizipien vermuten. Doch trotz dieser unabhängigen Stellung der Munizi-pien und ihrer verfassungsrechtlich garantierten Autonomie ist der Umweltschutz in Brasilien in hohem Maße zentralisiert. Die Bundesregierung ist in Umweltschutzbelangen reformwilliger als die Landesregierungen und Munizipien, denen es oft schlicht an den erforderlichen Mitteln fehlt, ganz abgesehen von ihrer unklaren rechtlichen Stellung im Nationalen Umweltsystem.

Der Versuch von Umweltgruppen, Einfluss auf die Umweltpolitik zu nehmen, konzentriert sich daher vielfach auf die Bundesorgane mit Sitz in Brasilia oder allenfalls auf die Landesministerien, weil die Munizipien oftmals nicht über die fachli-chen und finanziellen Voraussetzungen für eine eigene Umweltverwaltung verfügen.

Die Dezentralisierung der Umweltpolitik ist auf Bundesebene ein bereits seit längerem verfolgtes Ziel. Die Schaffung der SCA-Vertretungen in den Bundesstaaten ist eine der Maßnahmen des MMA zur Umsetzung dieses Ziels. Auch das IBAMA befindet sich in einer Umstrukturierungsphase, vor allem um den Kontakt zu den Bürgern zu verbessern und Entscheidungskompetenzen nach

unten zu verlagern.97 Eines der Grundprobleme bleibt jedoch, dass die finanziellen Mittel zentral in Brasilia verwaltet werden, d. h. dass die Be-hörde vor Ort nicht unmittelbar an den Gebühren teilhat, die sie einnimmt.

Das NRPP (Naturressourcenpolitikprogramm) des PPG7 hat ebenfalls die Dezentralisierung der Umweltverwaltung zum Ziel. Es war damit in der SECTAM nicht besonders erfolgreich, im Gegen-satz zu anderen Einrichtungen wie der Polizei und dem Ministério Público Estadual. Einige neue Einrichtungen sind jedoch auf das NRPP zurück-zuführen, wie z. B. die Arbeitsgruppen auf Lan-desebene, die alle am NRPP beteiligten Akteure versammelt (Landesregierung, IBAMA, Zivilge-sellschaft, Polizei, Staatsanwaltschaft u. a.), die Umweltrechtseinheit NUMA beim MPE und spe-zialisierte Umwelteinheiten der Militär- und der Zivilpolizei in der Landeshauptstadt Belém und an einigen Standorten im Landesinnern.

Während innerbehördliche Dekonzentrationsmaß-nahmen wie die des IBAMA weitgehend unprob-lematisch sind, stellt die Übertragung von Ent-scheidungskompetenzen auf die Landesregierun-gen ein großes Problem dar. In Bezug auf Pará spiegelt sich das Problem im allgemeinen Miss-trauen gegenüber der Landesumweltverwaltung wider. Weil ihre Vollzugskompetenz als so gering angesehen wird, hat die Bundesverwaltung Vor-behalte, sie mit weiteren Kompetenzen zu betrauen. Das Landesumweltministerium selbst setzt seine eigene Dezentralisierungspolitik nur langsam um. Alle Genehmigungsverfahren müs-sen in Belém abgewickelt werden. Noch weniger als der Landesverwaltung traut man den Kommu-nalverwaltungen zu, weil sie oftmals unter (be-gründetem) Korruptionsverdacht stehen, insbe-sondere wenn die Bürgermeister, wie in Porto de Moz, gleichzeitig Holzunternehmer sind.

Trotzdem sind mit dem Regierungswechsel auf Bundesebene die Chancen für eine effektive und weitergehende Dezentralisierung gestiegen, weil

97 Vgl. Ministério de Planejamento, Orçamento e Gestão (2003a).

sowohl die neue Führung des MMA als auch die-jenige des IBAMA sich dies als Reformziel ge-setzt haben. Bisher bestand daran im IBAMA wenig Interesse. Die Dezentralisierungspolitik ist vom MMA schon in der vorherigen Legislaturpe-riode formuliert worden. Der ehemalige Bundes-umweltminister hatte mit dem Gouverneur von Pará bereits ein Abkommen unterzeichnet, um die Arbeitsteilung bei der Entwaldungskontrolle zu klären. Die neue Umweltministerin, Marina Silva, vertritt diese Politik ebenfalls: Allgemein soll die Rolle der Länder in der Durchführung der Um-weltpolitik gestärkt werden, in Amazonien v. a.

bezogen auf die Entwaldungsproblematik. Eine vom Bundesumweltministerium angedachte Mög-lichkeit, dem teilweise begründeten Misstrauen gegenüber den Landesregierungen Rechnung zu tragen und zugleich Kompetenzen zu übertragen, ist die Konditionierung von Mitteln und die Einforderung von mehr Kohärenz.

3.4 Formale Partizipationsrechte

Das brasilianische Recht hat viele partizipative Elemente. Die brasilianische Demokratie ist nicht strikt repräsentativ. Nach der Bundesverfassung (Art. 1 CF) gibt es die Möglichkeit, Volksab-stimmungen durchzuführen. Die Verfassung Parás schreibt vor, dass Projekte und Maßnahmen, die für das ökologische Gleichgewicht ein Risiko darstellen, nur durch Gesetz und nach Befragung der betroffenen Bevölkerung genehmigt werden dürfen.98

Die Beteiligungsmöglichkeiten für zivilgesell-schaftliche Gruppen sind relativ vielseitig. Sie werden sowohl am Bundes- wie am Landesum-weltrat CONAMA und COEMA beteiligt, die beide gesetzgeberische Befugnisse haben. Die Zivilgesellschaft hat ohne große bürokratische Hürden weitgehende Klagebefugnisse vor den Gerichten und Beteiligungsrechte im Umweltge-nehmigungsprozess. Außerdem steht ihr mit dem Ministério Público ein mächtiger und unabhängi-ger Verbündeter zur Seite.

98 Vgl. Krell (1993), S. 220 f.

Die bestehenden Beteiligungsrechte werden auf vielseitige Weise tatsächlich und effektiv genutzt, wodurch umweltpolitische Entscheidungen beein-flusst werden.

3.4.1 Allgemeiner Rechtsschutz

Die brasilianische Rechtsordnung kennt eine Reihe von gerichtlichen Kontrollinstrumenten, die zum Schutz der Umwelt einsetzbar sind, insbe-sondere die öffentliche Zivilklage (ação civil pública), bei der das Ministério Público als An-walt für die Umwelt klagebefugt ist. Im Vergleich zu Deutschland (siehe Kasten 14) sind die Befug-nisse der Zivilgesellschaft, die Einhaltung der Umweltgesetze einzuklagen, sehr weitreichend.

Die öffentliche Zivilklage ist in den letzten Jahren zu einer wirksamen Waffe bei der Verteidigung der von den Behörden aller Ebenen oft nur unzu-reichend geschützten Umwelt geworden. Leitge-danke des in Brasilien errichteten Klagesystems scheint eine Art „Schocktherapie“ zu sein: Über die Einräumung weitgehender Partizipationsrechte an die Bevölkerung und Popularklagemöglich-keiten gegen behördliche Entscheidungen soll versucht werden, mit Hilfe der Öffentlichkeit und der Gerichte eine organisierte Kontrolle der Ver-waltung auszuüben.99

Die Rolle des Ministério Público, das die aus-drückliche Aufgabe hat, die Einhaltung

99 Vgl. Krell (1993), S. 114.

rechtlicher Bestimmungen einzuklagen, darf in diesem Zusammenhang nicht unterschätzt werden.

Daneben gibt es prozessuale Mittel, die sich nicht direkt auf den Umweltschutz beziehen, wie eine allgemeine Popularklage, die jedoch ebenfalls zu diesem Ziel eingesetzt werden können und sich aus der Sozialbindung des Eigentums und dem Nachbarrecht ableiten lassen.100

3.4.2 Das

Ministério Público (MP)

Das Ministério Público ist eine von den drei Staatsgewalten (Exekutive, Judikative, Legisla-tive) unabhängige Institution, die im Namen des Volkes und im öffentlichen Interesse handelt und für die Verteidigung der Rechtsordnung zuständig ist.101 Es unterteilt sich in eine Landes- und eine Bundesbehörde, die beide voneinander unabhän-gig, aber gemeinsam für die Einhaltung aller Umweltgesetze zuständig sind. Das Ministério Público Federal auf Bundesebene (MPF) verfügt über eigene Vertretungen in allen Bundesstaa-ten.102

Als Verteidiger der Rechtsordnung im Ganzen103 ist das Ministério Público für die sozialen und individuellen Grundrechte und für die Verteidi-gung allgemeiner Interessen104 wie der Umwelt

100 Auch in der deutschen Rechtsordnung enthalten die zivilrechtlichen Regelungen des Nachbarrechts und Eigentums wichtige Anspruchsgrundlagen für den Bür-ger (§§ 1004 und 906 BGB), die vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden können.

101 Vgl. Krell (1993), S. 109 f.

102 In konsequenter Fortführung des administrativen systems gibt es in Brasilien auch ein justizielles Trenn-system. Bundesgerichte sind für die Anwendung von Bundesgesetzen zuständig und Landesgerichte für die des jeweiligen Bundesstaats.

103 Dem MP wurde in Art. 129 Abs. 3 CF umfassende prozessuale Rechte eingeräumt.

104 Art. 127 CF: „O Ministério Público é instituição permanente, essencial à função jurisdicional do Estado, incumbindo-lhe a defesa da ordem jurídica, do regime democrático e dos interesses sociais e individuais indisponíveis.“

Kasten 14: Klagerechte zum Schutz der Umwelt in Deutschland

Grundsätzlich ist im deutschen Recht nur derjenige klagefugt, der von einer staatlichen Maßnahme unmittelbar be-troffen ist. Dieses Prinzip wird bis auf wenige Ausnahmen strikt eingehalten. Eine Ausnahme ist die erst 2002 einge-führte Verbandsklage nach dem neuen Bundesnaturschutz-gesetz. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, dass ausdrücklich anerkannte Umweltschutzvereine gegen Plan-feststellungsverfahren und in Befreiungsfällen von Natur-schutzgebiets- oder Nationalparkverordnungen klagen, ohne dass sie unmittelbar von diesen Maßnahmen betroffen sind.

zuständig.105 Um diese Aufgaben zu erfüllen, genießt das MP eine weitreichende Unabhängig-keit und eine Reihe von prozessualen Klagebe-fugnissen. Außerdem hat es Anordnungsbefug-nisse gegenüber den anderen staatlichen Behör-den. Es kann bei der Feststellung eines rechtswid-rigen Zustandes andere Behörden der jeweiligen Verwaltungsebene zwingen, Maßnahmen zu er-greifen. Von dieser Befugnis hat es in letzter Zeit in Pará mehrfach Gebrauch gemacht; insbeson-dere hat es die Präsenz des INCRA und aninsbeson-derer staatlicher Akteure in Novo Progresso angeordnet, als sich die Landkonflikte dort extrem zugespitzt haben.

Das MPF spielt eine herausragende Rolle in der Umweltpolitik in Amazonien. Es wurde von allen befragten Akteuren als die zentrale Institution genannt. Diese herausragende Rolle verdankt es vor allem einigen wenigen, besonders engagierten Staatsanwälten, die ihre Aufgabe darin sehen, die Zivilgesellschaft zu unterstützen und der Bevölke-rung zur Durchsetzung ihrer Rechte zu verhelfen.

Das Ministério Público Estadual von Pará (MPE) hat in fast jedem Munizip einen Vertreter. Die Staatsanwälte verfügen jedoch nur über geringe materielle und finanzielle Ressourcen und müssen eine Reihe anderer Kontrollaufgaben erfüllen. Das MPE hat mit Unterstützung des NRPP eine eigene Umweltabteilung, das NUMA, eingerichtet, die für die Beratung und den Ausbau der umwelt-rechtlichen Kapazitäten innerhalb der Behörde zuständig ist. Diese Abteilung unterstützt die ein-zelnen Staatsanwälte in konkreten umweltrechtli-chen Fällen und organisiert Fortbildungskurse im Umweltrecht, die auch für Vertreter der Polizei, der Umweltverwaltung und der Zivilgesellschaft offen stehen.

105 Vgl. Valente (1991), S. 179.

3.4.3 Partizipative Klagerechte

Die ação civil pública (por dano ambiental)