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Kooperation von Jugendhilfe und Schule

Im Dokument 1. Landespräventionstag Sachsen-Anhalt (Seite 194-198)

Dr. Karlheinz Thimm

4. Was tun?

4.2. Kooperation von Jugendhilfe und Schule

Im Zuge des gesellschaftlichen Wandels und der veränderten Bedingungen des Auf-wachsens entstehen Notwendigkeiten, junge Menschen/SchülerInnen bei der Entwick-lung von Lebensentwürfen sowie HandEntwick-lungsstrategien zu unterstützen. Schulen sind den Herausforderungen von Risikoverbreiterung, der ethnischen Vielfalt, dem Wandel der Familien, lebensweltlichen Benachteiligungen und dem Eigensinn der jugendkultu-rell gestärkten jungen Menschen allein nicht gewachsen. Die Schnittmengen und

- Kooperationsstrukturen als

* Klärung der Beziehungen und Verbesserung der Zusammenarbeit von Schulamt und Jugendamt,

* Aufbau kommunaler Netzwerkstrukturen und sozialräumlicher Verbindun-gen von Schule und JuVerbindun-gendhilfe (und sonstiVerbindun-gen lokalen Umfeldern);

- das Problem der schwierigen bzw. verhaltensauffälligen SchülerInnen;

- der Übergang Schule – Beruf, Projekte mit schulmüden Jugendlichen;

- Sozialarbeit an Schulen;

- Zusammenarbeit zwischen Schulen und Hilfen zur Erziehung (vgl. dazu Thimm 2000b);

- unterrichtsergänzende Angebote (Mittagstisch, Freizeit ...), darüber hinaus ge-meinsame Projekte, Räume, Orte von Schulen und Jugendarbeit/Jugendbildung zwecks Einbeziehung der Lebenswelt und Ansprechens der Gesamtpersönlich-keit der Kinder und Jugendlichen mit den Zielen:

* Bewältigung von Problemen aus den außerschulischen Lebenswelten,

* Hilfen zum Erwachsenwerden und zur Orientierung in der Gesellschaft,

* Anreicherung von Schulen durch die Öffnung nach außen und Vernet-zung,

* vertiefte Elternarbeit,

* Etablierung vielfältiger Formen des Sozialen Lernens,

* Motivierung der SchülerInnen durch eine stärkere Verbindung von schuli-schen Inhalten mit Schülerbedürfnissen und außerschulischuli-schen Erfahrun-gen;

- gemeinsame Fachtage, Runde Tische und berufsgruppenübergreifende Fortbildung.

In der aktuellen Diskussion werden zur Weiterentwicklung von Schule insbesondere die pädagogische Profilierung und der erweiterte Gestaltungsspielraum der Einzelschule und Konzepte der Öffnung von Schule thematisiert. In der Jugendhilfe sind das Postulat der Einmischungsstrategie, das Kooperationsgebot des Kinder- und Jugendhilfegeset-zes (KJHG) sowie der Sozialraum- und Lebensweltbezug grundlegende Anknüpfungs-möglichkeiten. Jugendhilfe träfe an einem Regelort ohne Stigmatisierung und Schwelle alle Jugendlichen früh, vor der Stabilisierung von Problemverhalten. Eine präventive Jugendhilfe wird sich dabei nicht in die Benachteiligtenecke drängen lassen. Jedes Teilsystem hätte vor dem Beginn der Kooperationsaktivitäten zunächst Hausaufgaben

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entstehen, „dass Schule und Jugendhilfe bei der Verwirklichung von Schulprofilen zu-sammenarbeiten, oder dadurch, dass sozialpädagogische Arbeitsweisen und Angebote in die Schule integriert werden.“ (Mack 1999, 7)

Kooperation baut realistisch zunächst auf Erkenntnis und Anerkennung unterschiedli-cher Fremd- und Selbstdefinitionen der zwei eigenständigen Teilsysteme. Angemessen ist m.E. eine Positionierung in einer historisch und theoretisch begründbaren

skeptischen, aber offenen Stellung in der Mitte: Die gewachsene Differenzierung von Jugendhilfe und Schule ist nicht einzuschmelzen. Es erscheint allerdings genauso we-nig sinnvoll, tendenzielle Konkurrenz und Ignoranz zu befestigen und ein abgestimmt-arbeitsteiliges oder sogar gemeinsames und vernetztes Tätigwerden zu verhindern. Ein neues Niveau der Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schule wird eine qualitative Steigerung nicht aus der zufälligen und punktuellen institutionellen Zusammenarbeit und aus Kämpfen an abschiebenden Zuständigkeitslinien gewinnen. Prüfmarke und Gütesiegel wird sein müssen, ob inhaltliche und konzeptionelle Zusammenarbeit ent-steht. Unter welchen Bedingungen Eigenständigkeit wahrende gleichberechtigte Part-ner gelingend kooperieren können, ist wissenschaftlich unzureichend untersucht. Evi-dent ist, so adressiere ich an die Jugendhilfe: Kooperation beginnt dann, wenn Sozial-pädagogInnen selbstbewusst und flexibel, aber nicht borniert und missionierend ge-genüber Schule auftreten (ausführlich Thimm 2000a).

Immer noch prägen teilweise Zuständigkeitsfragen zwischen Jugendhilfe und Schule die Szene. Bei ressourcenaufwändigen, kränkenden, erwartungswidrigen SchülerInnen herrscht ein negativer Kompetenzkonflikt. Dabei sind einige Leitlinien m.E. durchaus mehrheitsfähig, allerdings u.a. interpretationsbedürftig, bei den Minderheiten durchzu-setzen und politisch umstritten.

- Schule hat Aufgaben einfacher, Jugendhilfe solche erschwerter Integration zu lei-sten.

- Eine rigide Trennung in Schule = Vormittag und Jugendhilfe = Nachmittag bzw.

unterrichtsfreie Zeit ist nicht immer sinnvoll.

- Schule für die Starken und die kognitive Leistung und Jugendhilfe für die Bezie-hung, die Freizeit, die Schwachen und generell für Soziales allein verantwortlich zu sprechen ist nicht zukunftsträchtig.

Im Aufriss lässt sich ein Präventions- und Interventionsstrauss mit bunten Angeboten flechten:

merksamkeit, Anerkennung, die Geste ...; Übergänge beachten; Orientierungs- und Regelfindungswochen; moralische Sozialisation über Unterrichtsinhalte;

Klassenlehrerprinzip; Mediation, Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung statt „blanke Ordnungsmaßnahmen nach dem Katalog“; gute Ordnungen (mit Par-tizipation bei der Aufstellung und Gleichaltrigenkontrollen bei der Regelüberwa-chung ...); Aussprachestunden: „Was mir auf dem Herzen liegt?“; Ernstsituatio-nen, Verantwortung (außerschulische Lernorte, Kooperation der Schulen mit

Sozialinstitutionen, Betrieben ...); Gestaltung von Schulleben: Feste, Partys (und damit Identifikationssteigerung durch Spaß und Geselligkeit), Schülerclub (zwecks Austausch, Erholung...), Schulcafe (Thema der gesunden Ernährung), naturnahe und jugendgemäße Schulhof- und Gebäudegestaltung; Lernförderung, Lernhilfen, Hausaufgabenzirkel (zwecks Unterstützung

- bei Lernschwierigkeiten durch Schülerexperten der Abschlussklassen); Öffnung im Sinne von Nachbarschafts- und Stadtteilschule ...

- Kooperationsprojekte von Jugendhilfe und Schule: Programme der Familienarbeit für Risikokinder; allgemeine Elternarbeit; Täterarbeit; Arbeitsgemeinschaften:

Kunstwerkstatt, Schulband, Neue Medien, Sport, Erlebnispädagogik ...; Zentrum für Beratung und soziales Training an Schulen; Übergangshilfen Schule – Beruf;

geschlechterdifferenzierte Arbeit; interkulturelle Konzepte; Orte und Programme für den Umgang mit dem Körper und mit heftigen Gefühlen an Schulen (Stichwor-te „Raufen nach Fair Play-Regeln“, Entspannung, Rückzug ...); Erziehungsbei-stände für Täter, Opfer, Schulschwänzer ...; Trainingsgruppen (von verhaltensthe-rapeutisch bis erlebnispädagogisch); Schulsozialarbeit – zu vernünftigen Bedin-gungen ...

Ein Beispiel: Kolleginnen und Kollegen aus Kölner Schulen, Jugendeinrichtungen und Polizei entwickelten ein Bündel an Projektideen, das in ein Gesamtkonzept eingebun-den wurde. Diese Elemente wureingebun-den erprobt: Konfliktsituationen bearbeiten durch Rol-lenspiele zum Thema „Gewalt und Schule“, Sozialtrainings für Klassen und Tätergrup-pen, Aufbau eines Programms „Mediation und Streitschlichter“, Kurse „Bin ich ein Op-fertyp – was tun als Opfer?“. Integriert war dieses soziale Lernen in ein Schulkonzept, dass neben vielem anderen Kooperation beinhaltet, als

- Zusammenarbeit von Polizei und Schule – präventiv und im heiklen Fall,

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Auch das Landeskonzept gegen Schulverweigerung in Sachsen-Anhalt erscheint mir sinnvoll: Es trennt Altersgruppen und Verweigerungsintensitäten (ein bummelnder Grundschüler benötigt andere Ansprachen und Konzepte als ein verweigernder Ju-gendlicher, der womöglich auf der Straße lebt). Der Mehrebenenansatz mit Prävention, Intervention, Strukturentwicklung, Fortbildung, Evaluation überwindet isolierte, punktuel-le Blickweisen. Man darf gespannt auf die Umsetzung sein, denn: Bisher ist es so,

dass alles unterhalb des Verfestigungsstadiums im Bereich der Schulverweigerung Fi-nanzierungsschwierigkeiten hat und auf schulischer Seite nicht immer Gratismotivation entsteht.

Im Dokument 1. Landespräventionstag Sachsen-Anhalt (Seite 194-198)