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Handeln in der Schule als vorbeugende Unterstützung („Prävention“)

Im Dokument 1. Landespräventionstag Sachsen-Anhalt (Seite 183-186)

Dr. Karlheinz Thimm

2. Handeln in der Schule als vorbeugende Unterstützung („Prävention“)

Mit dem Begriff der Prävention sind landläufig Aktivitäten in vorbeugender und unter-stützender Absicht gemeint, um Abweichung, Auffälligkeit, Beeinträchtigung und Be-nachteiligung - hier: um Schwänzen, Regelverstöße, Gewalt - gar nicht erst zur vollen Entfaltung kommen zu lassen. Ebenso wie im Rahmen von Intervention - so die traditi-onelle Sprache - richten sich die „zuvorkommenden“ (= präventiven) Bestrebungen entweder auf die sozialen, dinglichen, räumlichen Umweltgegebenheiten bzw. Lebens-bedingungen und/oder auf die einzelne Person (vgl. Engel / Hurrelmann 1989, 201 f.).

Nun hat Kappeler eindringlich auf die prinzipielle Problematik der Präventionskategorie verwiesen. „Das Versprechen, mit der Herstellung günstiger bis optimaler Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen könnten - unterstellen wir einmal die normativen Erwartungen der Gesellschaft als berechtigt - problematische Entwick-lungsverläufe einschließlich Delinquenz verhindert werden, kann von niemandem ernsthaft abgegeben werden, weil eine solche Wirkung nicht vorhergesagt und nicht evaluiert werden kann.“ (1999, 11) Der soziale Standort „Jugendlichsein“ ist - so Hur-relmann anschlussfähig, wenn auch anders getönt und motiviert - stets ein vorläufiger.

Weder Eltern noch Lehrkräfte, Lehrmeister und Freunde könnten Gewissheit geben, aus Chancen der Individualisierung auch solche der Identität werden zu lassen (vgl.

Hurrelmann 1999). Besonders unbrauchbar ist m.E. die in der Medizin beheimatete und auch in der Psychologie und Sonderpädagogik geläufige kategoriale Reihe „Grund-“,

„primäre“, „sekundäre“ und „tertiäre Prävention“, wodurch jede (professionelle, politi-sche ...) Aktivität planierend als präventiv etikettiert wird – z.B. auch da, wo es um handfeste Intervention geht.

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alen Bedingungen sind zweifellos von enormer Bedeutung (vgl. Hurrelmann 1999). Der Schule als sozial und zeitlich außerordentlich wichtiger Institution, in der alle Kinder und Jugendlichen erreichbar sind, kommt eine mitentscheidende Rolle zu.

Ziele von Prävention können sein,

- erstens die individuellen Bearbeitungsstile und -kompetenzen differenzieren und stärken,

- zweitens soziale und emotionale Unterstützung auf der Beziehungsebene stei-gern,

- drittens den Lern- und sozialen Ort Schule den veränderten Bedingungen des Aufwachsens anpassen,

- viertens das außerschulische Umfeld verändern, anreichern, z.B. um kontextstüt-zende, auch pragmatische, materielle ... Hilfen, zu leisten.

Prävention kann angelegt sein auf den Ebenen Lehrkraft, LehrerIn – SchülerIn, Schul-klasse, Schule, Bildungssystem, schuldistanziertes Individuum, Familie, sonstige Um-felder. Tatsächlich werden fast immer - auch aus schulpragmatischen Erwägungen heraus - nur auf einzelne Problembereiche beschränkte Veränderungen favorisiert. Iso-lierte psychologische und pädagogische Eingriffe erzielen aber oft nur schwache Effek-te. Kurz: Schule ist nicht nur strategisch günstiges Feld, sondern selbst Gestaltungs-thema.

Im vorbeugend-unterstützungsinteressierten Zugang geht es um die größere Zahl er-wartungswidrig agierender, verdrossener und ausnahmsweise schwänzender Schüle-rinnen und Schüler mit Lernblockaden und Schulfrustation, auf die die Regelschule nicht mit Stigmatisierung, Auslese, Aufgabe, Aussonderung reagieren kann bzw. soll.

Für alle Sekundar-SchülerInnen sind wesentliche Elemente des Entwurfs der „schülgerechten Schule“ von Homfeldt u.a. aus der Mitte der 70er Jahre uneingelöst: „Sie er-streckt sich auf den Ausbau stabiler Beziehungsstrukturen, das Aufbrechen einbahniger Kommunikation (...), die emotionale Stabilisierung der Persönlichkeit (...), die Schaffung von Erfolgsmöglichkeiten und sozialer Anerkennung inner- wie außerschulisch sowie ein integriertes kognitives und soziales Lernen bei veränderten Lerninhalten.“ (In Till-mann (Hrsg.) 1976, 121)

te, achte und neunte Jahrgangsstufe bzw. „besonders schwierige“ Klassen im Rahmen der Sekundarstufe, Restschulen in größeren Städten bzw. in so genannten sozialen Brennpunkten. Es kann nicht um flächendeckende, für alle Schulen identische „Anti-Gewalt-“ und „Anti-Dropout-Programme“ gehen. Ob und in welcher Intensität das

eine oder ein anderes Konzept für die einzelne Schule passt, muss vor Ort ausgehan-delt werden. Für alle Schulen gilt aber: Die Entwicklung einer aktivierenden, schüler- orientierten, an Stärkung ausgerichteten Lernkultur und die Arbeit an einem Sozialkli-ma, das Ausgrenzung und Demütigung nicht hinnimmt, ist der wirksamste Beitrag zur Gewalt- und Schwänzprävention in der Schule. „Generalpräventiv“ im Sinne einer Kul-tur des Aufwachsens und der Organisation von Anerkennung dürfte wirken, die Schule zu einem anregenden Bestandteil des Alltags von Kindern und Jugendlichen werden zu lassen, der Erfahrungsräume eröffnet, der persönlichen Entfaltung dient und plurale Sinnkreation ermöglicht (vgl. auch Engel / Hurrelmann 1989, 208). Wird die Schule auch zu einem sozialen Forum, wird gar zu einer „guten Schule“ mit einem angeneh-men Schulklima, leistet sie darüber hinaus einen jugendpolitischen Beitrag.

Glücklicherweise hat im Primarbereich ein Umdenken eingesetzt. Hier existieren inzwi-schen innovative, integrative Konzepte und Praxen, mit Elementen wie Erfahrungsort-Gestaltung, neuer Lernkultur, Öffnung nach innen und außen, Binnendifferenzierung u.a.m. Die Grundschule ist der Ort für Prävention schlechthin, können doch vor der Ver-festigung in einem äußerst lernaktiven Alter mit guten Mitwirkungschancen integrative Angebote eher greifen. Die Grundschule muss strukturell und fachlich stark gemacht werden.

Ein Fazit: Prävention in der individuellen Ausrichtung zielt im Kern auf die Schaffung von Sinn und Motivation sowie auf den Aufbau von Kompetenzen und Strategien. Kin-der brauchen Werterleben und ein positives Selbstbild, sichere Bezugspersonen und Bewältigungsflexibilität. Konsequenterweise ist an Schulen erstens die Anforderung zu richten, ihre eigenen Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass keine gravierenden Stö-rungen innerhalb des Systems produziert werden. Zweitens ist von Gesellschaft und Staat zu verlangen, dass Schulen der Tatsache Rechnung tragen können, dass ein wachsender Teil von Kindern und Jugendlichen hohen außerschulischen Belastungen ausgesetzt ist. Diese jungen Menschen benötigen gezielte Unterstützung im Raum der

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und SchülerInnen andererseits.

Soziale und emotionale Unterstützung - z.B. Einbindung, Sympathie, Akzeptanz und emotionaler Austausch

- kann schon heute, ohne erhebliche Strukturreformen,

- die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten belastender Situationen reduzieren, - über Mangelsituationen und Belastungen hinweg helfen und eine günstige

Verar-beitung der Situation fördern,

- direkt für den Aufbau von neuen Bewältigungskompetenzen verwertbar sein, - den Umgang mit Belastungssymptomen erleichtern (vgl. Hurrelmann 1999).

3. Wer ist gefährdet? Ein kleiner Ausschnitt zu Risikofaktoren für gewalttätiges

Im Dokument 1. Landespräventionstag Sachsen-Anhalt (Seite 183-186)