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2. Einleitung

2.4 Kontrollierte radikalische Polymerisation

Eine kontrollierte Herstellung von Polymermaterialien mit einer definierten Architektur und Funktionalität war immer ein Ziel der modernen Polymerchemie. Ziegler zeigte bereits im Jahre 1936, dass unter Verwendung von Alkyllithium als Initiator Styrol und Butadien kontrolliert anionisch polymerisiert werden können. Diese Polymerisation verläuft ohne Kettentransfer und Terminierung. In den 50er Jahren definierte Szwarc[2, 3]

jede Polymerisation als lebend, bei der das mittlere Molekulargewicht Mn linear mit dem Umsatz steigt und Kettenübertragung und Kettenterminierung vernachlässigbar klein sind.

Diese Definition greift allerdings nicht alle Charakteristika der lebenden Polymerisation auf. Nach IUPAC gilt, dass lebende Polymerisationen auch die Teilschritte der langsamen Initiierung, der reversiblen Bildung von aktiven Spezies mit verschiedenen Lebensdauern,

der reversiblen Bildung von inaktiven Spezies und/oder der reversiblen Übertragung enthalten können.

Im Gegensatz zu anionischen Polymerisationen kommt es bei den radikalischen Polymerisationen auch zu Terminierungsreaktionen. Während sich zwei Anionen abstoßen, terminieren zwei Radikale immer diffusionskontrolliert. Aus diesem Grund kommt es zu sehr kurzen Radikallebensdauern. Ein Ansatz zur Erzeugung eines lebenden Charakters liegt in der Vermeidung der Terminierung. Es müsste in diesem Fall die effektive Radikalkonzentration heruntergesetzt oder die Radikalfunktionalität geschützt werden[4-7]. Das Schützen der Radikalfunktionalität erfolgt durch ein Kontrollagens. Es liegen somit „haltbare“ Radikale vor.

Die Grundlage der kontrollierten radikalischen Polymerisation bildet das Gleichgewicht zwischen einer aktiven und inaktiven Spezies (Abbildung 2.4.1).

P X

k

akt

P

.

k

deakt

k

p

+M

totes Polymer

k

t

, k

tr

Abbildung 2.4.1 

Schema des zentralen Gleichgewichts von aktiven und inaktiven Spezies bei kontrollierten  radikalischen Polymerisationen. 

Dieses dynamische Gleichgewicht verringert den Anteil der freien Radikale unter den reaktiven Spezies. Dadurch werden Kettenabbruchsreaktionen, welche das Kettenwachstum irreversibel beenden, unterbunden. Allerdings führt dieses Gleichgewicht auch zu einer Verlangsamung des Wachstums der individuellen Polymerketten. Im Gegenzug allerdings wird die Lebensdauer der reaktiven Spezies deutlich verlängert.

Im Allgemeinen stehen folgende Charakteristika für eine „lebende“ oder kontrollierte Polymerisation:

• Die Anzahl der aktiven Zentren ist identisch mit der Anzahl der Polymerketten.

• Alle aktiven Zentren wachsen mit der gleichen Geschwindigkeit.

• Alle aktiven Zentren werden im Idealfall gleichzeitig aktiviert.

• Die Molekulargewichtsverteilung ist schmaler als im konventionellen Fall und entspricht im Idealfall einer Poisson-Verteilung.

• Die Molmasse wächst mit dem Umsatz.

Auch wenn die meisten Kriterien erfüllt werden können, lässt sich die Terminierung bei kontrollierten radikalischen Polymerisationen nie vollständig unterdrücken. Während der Anlagerung von Monomereinheiten an die reaktive Spezies, kann es zu irreversiblen Abbruchreaktionen kommen.

2.4.1 Nitroxide Mediated Polymerization (NMP) 

Die Grundlage der kontrollierten radikalischen Polymerisation, das dynamische Gleichgewicht von aktiven und inaktiven Spezies, wird hier durch einen Dissoziations-Kombinations-Mechanismus realisiert (Abbildung 2.4.2). Der reversible Kettenabbruch erfolgt mit stabilen Radikalen, z.B. 2,2,6,6-Tetramethylpiperidinoxyl (TEMPO). Das Gleichgewicht liegt weit auf der Seite der schlafenden Spezies, wodurch die Konzentration an freien Radikalen sehr gering ist. Bevor die freie Radikalfunktionalität einer Polymerkette wieder reversibel terminiert wird, können einige Wachstumsschritte durchlaufen werden. Im Mittel ist die Anzahl der angelagerten Monomereinheiten für alle Polymerketten gleich.

P

kkd

k

P i + X i

X

kp

Abbildung 2.4.2 

Reversible Aktivierung durch Homolyse und Kombination. Aus der inaktiven Spezies wird durch  homolytischen Bindungsbruch ein kohlenstoffzentriertes Radikal R und ein stabiles Radikal X  (pesistent radical) gebildet.  

Besondere Anforderungen werden an das stabile Radikal X gestellt, um das dynamische Gleichgewicht aufrecht zu erhalten. Es muss so stabil sein, dass es nicht zur Anlagerung von Monomereinheiten kommt oder ein Makromolekül durch Disproportionierung terminiert. Weiterhin darf es nicht mit sich selbst reagieren (persistent radicals)[8]. Da es allerdings auch zu irreversiblen Terminierungsreaktionen zwischen z.B. den wachsenden Polymerketten kommen kann, nimmt die Konzentration der stabilen Radikale X während der Polymerisation kontinuierlich zu. Das dynamische Gleichgewicht verschiebt sich weiter auf die Seite der schlafenden Spezies, wodurch die Polymerisationsgeschwindigkeit weiter verlangsamt wird. Unter kinetischen Betrachtungen ist die Radikalkonzentration nicht mehr quasistationär und wird somit zeitabhängig.

2.4.2 Übergangsmetall­katalysierter Atomtransfer (ATRP) 

Die ATRP ist eine weitere Möglichkeit, um Radikale vor der Terminierung zu schützen.

In einem dynamischen Gleichgewicht kommt es durch eine Redoxreaktion zur Übertragung einer Spezies X auf einen Übergangsmetallkomplex in niedriger Oxidationsstufe, wobei eine radikale Spezies entsteht, welche Monomer im Wachstumsschritt anlagert. Der Übergangsmetallkomplex wird meistens durch mehrzähnige Liganden stabilisiert, um die Umsetzung von verschiedenen Oxidationsstufen zu ermöglichen. Die übertragende Spezies X entstammt in der Regel einem Alkylhalogenid. Bei der Rückreaktion des Gleichgewichts wird die radikale Spezies durch erneute Atomübertragung deaktiviert und ein polymeres Alkylhalogenid entsteht. Ein schneller Durchlauf dieses dynamischen Gleichgewichts erlaubt die Darstellung von Polymer mit einer sehr schmalen Molekulargewichtsverteilung.

P i

kkd

k

X

X M n /L x P i M n+1 /L x

kp

+ +

Abbildung: 2.4.3 

Schematische Darstellung der reversiblen Aktivierung bei der ATRP. Eine inaktive Spezies wird  durch Atomübertragung auf einen Übergangsmetallkomplex in einer Redoxreaktion aktiviert.  

Die ATRP unterliegt ebenso wie die NMP dem „persistent radical effect“. Am Anfang liegt der Übergangsmetallkomplex nur in der kleineren Oxidationsstufe vor und wird erst im Laufe der Polymerisation gebildet. Während dieser ersten Reaktionsschritte ist die Konzentration an Radikalen sehr hoch, wodurch die Terminierung zweier Makroradikale vor der Deaktivierung durch Atomübertragung bevorzugt wird. Dadurch nimmt die Konzentration des Übergangmetalls Mn+1 kontinuierlich zu, bis die Deaktivierung der radikalen Spezies schneller verläuft als die irreversible Terminierung zweier Makroradikale. Zu diesem Zeitpunkt verlangsamt sich die Geschwindigkeit der Polymerisation und die Kinetik erster Ordnung verläuft nichtlinear in Bezug auf den Monomerumsatz[9]. Aufgrund der toxischen Wirkung ist die Verwendung von Übergangsmetallkomplexen bei der ATRP als nachteilig anzusehen. Eine vollständige Abtrennung der Übergangsmetallverbindungen ist in den meisten Fällen nicht gewährleistet.

2.4.3 Degenerativer Kettentransfer (RAFT) 

Die RAFT-Polymerisation gehört auf dem Feld der kontrollierten radikalischen Polymerisationen zu den jüngeren Techniken und bietet eine große Vielfalt bei der Umsetzung von verschiedensten Monomeren und Reaktionsbedingungen[10, 11]. Wie bei der NMP verzichtet die RAFT-Polymerisation auf die Verwendung von Übergangsmetallkomplexen. Allerdings ist die Grundlage des dynamischen Gleichgewichts einer kontrollierten radikalischen Polymerisation von beiden zuvor genannten Techniken verschieden. Abbildung 2.4.4 zeigt ein vereinfachtes Schema des Hauptgleichgewichts einer RAFT-Polymerisation. Der generative Kettentransfer der RAFT-Gruppe X erfolgt hierbei auf verschiedene aktive Spezies. Es erfolgt eine gleichzeitige Aktivierung und Deaktivierung, wodurch die effektive Radikalkonzentration

nicht heruntergesetzt wird und sich somit die Polymerisationsgeschwindigkeit im Vergleich zur konventionellen radikalischen Polymerisation nicht vermindert.

P n X P n i

kp

+ P m i +

kp

P m X

Abbildung 2.4.4 

Schematische Darstellung eines vereinfachten Hauptgleichgewichts einer RAFT­Polymerisation. 

Der degenerative Kettentransfer überträgt die RAFT­Gruppe abwechselnd auf verschiedene  aktive Spezies.  

Weiterhin wird durch die dauerhafte reversible Kettenübertragung die Erscheinung des

„persistent radical effects“ unterbunden. Unter der Annahme der kontinuierlichen Hintergrundinitiierung durch den Zerfall des Initiators, wird sogar nach der Terminierung zweier radikaler Zentren das dynamische Gleichgewicht erneuert. Kontrollierte radikalische Polymerisationsprozesse mit z.B. Dithioestern, Alkyliodiden oder Alkyltelluriden basieren auf dem Mechanismus des degenerativen Kettentransfers. Die Kinetik der RAFT-Polymerisation im Detail soll im Kapitel 3.3 näher betrachtet werden.