Die politische BFI-Steuerung
7.2 Kompetenzordnung: Kantone und Bund 2
Datum Botschaften, Gesetze,
Verordnungen, Konkordate Datum Ereignisse,
Strukturentwicklungen 9.12.2013
WBF‐Verordnung zur Forschungs‐
und Innovationsförderungs‐
verordnung
1.1.2014 Inkrafttreten FIFG, V‐FIFG, V‐FIFG‐
WBF, FRPBV, ARAMIS‐Verordnung 1.1.2014
Volkswirtschaftsdepartement und Teile des EDI werden zum Eidg.
Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
5.5.2014
Verordnung zum Hochschulförderungs‐ und
Koordinationsgesetz (Entwurf) 2014
infolge Annahme der Volksinitiative
„Gegen die Masseneinwanderung“:
Schweiz am EU‐FRP nicht mehr als assoziierter Staat, sondern wieder als Drittstaat beteiligt
2015 HFKG, Hochschulkonkordat, ZSAV in Kraft
2015
Gründung Schweizerische Hochschulkonferenz (SHK)
Gründung Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen (swissuniversities)
Akkreditierungsrat konstituiert sich neu Auflösung CRUS, KFH, COHEP, EFHK, FHR, SUK
Es wird deutlich, dass die Ereignisdichte zur Gegenwart hin immer höher wird.
Auffällig sind fortwährende Bemühungen um die Neugestaltung der Kompetenz‐
ordnung (nachfolgend 7.2). Eine zunehmende Ausdifferenzierung der Steue‐
rungsbemühungen führte bis in die 2000er Jahre dazu, dass immer neue Akteu‐
re konstituiert werden – ein Trend, der in der jüngsten Zeit umgekehrt wurde, indem man in mehreren Fällen zuvor getrennt operierende Akteure zusammen‐
legte. Das im Laufe der Zeit entstandene instrumentelle Arsenal ist komplex (7.3). Bemühungen um strategische Programmierungen nehmen über die Jahre hin zu (7.4). Im Zuge der Neuerungen in der Kompetenzordnung kommt es auch zu Veränderungen der Finanzierungsströme (7.5).
7.2.1 Entwicklungsetappen
Betrachtet man das gesamte Bildungs‐ und Wissenschaftssystem, so sind die Kompetenzen zwischen dem Bund und den 26 Kantonen und Halbkantonen,3 nicht zuletzt aus historischen Gründen, verteilt (Übersicht 20):
Der Bund verfügt über die alleinigen Kompetenzen im ETH‐Bereich, in der Forschungs‐ und Innovationsförderung (SNF und KTI) sowie bei der internatio‐
nalen Zusammenarbeit. Er ist zudem zuständig für die kompetitive Forschungs‐
förderung, die Innovationsförderung und die internationale Zusammenarbeit in Bildung, Forschung und Innovation. Ebenso liegen die Kompetenzen in der hö‐
heren Berufsbildung beim Bund.
Übersicht 20: Kompetenzverteilung in der Bildungs‐ und Wissenschaftspolitik
Bereich
Regelungs‐
kompetenz Aufsicht Finan‐zierung*
Forschungs‐
förderung
SNF
KTI
Universitäten/ETH
Innovations‐
förderung
WTT
Start‐ups
Regionalpolitik
Wirtschaftsförderung
Internationale Zusammenarbeit
Tertiärstufe
ETH‐Bereich
Universitäten 20%
Fachhochschulen 30%
Pädagogische Hochschulen**
Höhere Berufsbildung 25%
Sekundar‐
stufe II
Allgemeinbildende Schulen
Berufliche Grundbildung 25%
Obligatorische Schule
Vorschulstufe
Legende: Bund Kantone Private
* Die Prozentangaben umfassen den Anteil an Grund‐, Investitions‐ und projektgebundenen Beiträgen.
** Pädagogische Hochschulen können nur projektgebundene Beiträge vom Bund erhalten; diese werden an den Kosten für Planung, Aufbau und Betrieb eines Projekts ausgerichtet (vgl. Art. 47 Abs. 2 und Art. 60 HFKG).
Quellen: http://www.sbfi.admin.ch/themen/01366/ (28.8.2014); Hotz‐Hart (2013: 790); eigene Darstellung
3 BV Art. 142 Abs. 4 bestimmt sechs Kantone als solche mit „je eine(r) halbe(n) Standesstim‐
me“, d.h. diese haben im Ständerat eine Stimme statt, wie die anderen 20 Kantone, zwei Stim‐
men. Die Gründe sind historisch und reichen in einem Falle auf das Jahr 1597 zurück.
Die Kompetenzen der Kantone umfassen die gesamte Schulbildung. Im In‐
novationsbereich engagieren sich die Kantone allerdings auch mit Mitteln der regionalen Wirtschaftsförderung.
Verzahnte Kompetenzen existieren traditionell im Bereich der beruflichen Grundbildung. Im Hochschulbereich teilen sich Bund und Kantone infolge des HFKG nunmehr auch die Zuständigkeiten für die Fachhochschulen, Pädagogi‐
sche Hochschulen, Universitäten und anderen Institutionen des Hochschulbe‐
reichs. Im Stipendienbereich unterstützt der Bund die Kantone. Für die Weiter‐
bildung regelt der Bund die Grundsätze und engagiert sich fördernd. Die Kanto‐
ne können ergänzende Bestimmungen erlassen. Gemeinsam sorgen Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für eine hohe Qualität und Durch‐
lässigkeit des Bildungsraumes Schweiz. (Vgl. Schweizerischer Bundesrat 2012:
3115ff.)
In den letzten Jahren hat sich der Bund dabei mehr Handlungsspielräume er‐
schlossen. Bis Ende der 90er Jahre hatte er zwar die Möglichkeit, sich an der Fi‐
nanzierung der Hochschulen zu beteiligen, nicht aber, auch inhaltlich Hoch‐
schulpolitik zu betreiben. Dem standen zwei Niederlagen in Volksabstimmun‐
gen während der 70er Jahre entgegen. Mit diesen war es dem Bund verwehrt worden, über neue Zuständigkeiten im Bildungsbereich tätig zu werden. (Ben‐
ninghoff/Leresche 2003; WBK‐NR 2005)
Allerdings hatte der Bund bereits damals im Forschungsbereich Kompetenzen erlangt. Die Förderung der wissenschaftlichen Forschung war durch Art. 64 der Bundesverfassung und das Forschungsgesetz4 als Aufgabe des Bundes be‐
stimmt. Daneben war projektförmige Bundesförderung im Hochschulförde‐
rungsgesetz von 1968 festgelegt. Der Bund nahm die Aufgabe der Forschungs‐
förderung vorrangig dadurch wahr, dass Einrichtungen im Hochschulsektor mit Aufträgen und projektgebundenen Finanzierungen bedacht werden. (Vgl. Gries‐
sen/Braun 2010: 720)
Daneben waren (und sind) die Kantone insoweit in der Forschungsförderung ak‐
tiv, als sie in ihrer Eigenschaft als Hochschulträger „strukturelle Forschungsgel‐
der“ vergeben (ebd.: 721). Entscheidend aber war hinsichtlich der Kompetenz‐
verteilung, dass es keine gemeinsame Hochschulplanung von Bund und Kanto‐
nen gab.
Bis in die 90er Jahre herrschte daher hochschulpolitisch eine lediglich lose Kopplung zwischen Bund und Kantonen mit dem Nachteil, nur mühsam auf Ver‐
änderungen reagieren zu können (ebd.: 725). Im Kontrast zum deutschen Föde‐
ralismus beschreiben dies Griessen/Braun so:
„Deutschland konnte politisch nur mühsam auf Veränderungen im bildungs‐ und hochschulpolitischen Bereich reagieren, weil es stark verflochten war. Die Schweiz konnte es ebenso wenig, weil sie zu wenig verflochten war.“ (Ebd.)
4 mit Inkrafttreten des FIFG im Dezember 2012 aufgehoben (Art. 57 FIFG)
7.2.2 Verflechtungssteigerung bei Entflechtungskontinuitäten Seit Ende der 90er Jahre haben dann Reformen zu einer weiteren Verflechtung geführt. Die Rolle des Bundes ist dabei
„in jeder Hinsicht innerhalb des Hochschulsystems gestärkt worden. Er entschei‐
det in allen wichtigen strukturellen Fragen der Hochschulen mit, sitzt den Ver‐
sammlungen der … SHK vor, besitzt ein Veto und besitzt schliesslich die ‚subsidi‐
äre‘ Kompetenz, darüber zu wachen, dass das System seinen Koordinations‐
pflichten nachkommt. Die Autonomie der Kantone ist durch funktionale Abhän‐
gigkeiten (Finanzen, teilweise fehlende Bildungsangebote) sowie durch die in der Verfassung auferlegte Pflicht zur Kooperation mit anderen Kantonen und dem Bund mehr und mehr eingeschränkt.“ (Griessen/ Braun 2010: 739) Die wichtigste Veränderung der jüngeren Zeit ergab sich, als durch Volksabstim‐
mung am 21.5.2006 zehn angepasste Verfassungsartikel in die Schweizer Ver‐
fassung aufgenommen wurden. Die sogenannte Bildungsverfassung nahm im Bildungs‐ (BV Art. 61a) und Hochschulartikel (BV Art. 63a) wichtige Elemente für die zukünftige Zusammenarbeitspraxis auf:
„Bund und Kantone sorgen gemeinsam im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für ei‐
ne hohe Qualität und Durchlässigkeit des Bildungsraumes Schweiz. Sie koordi‐
nieren ihre Anstrengungen und stellen ihre Zusammenarbeit durch gemeinsame Organe und andere Vorkehren sicher. Sie setzen sich bei der Erfüllung ihrer Auf‐
gaben dafür ein, dass allgemein bildende und berufsbezogene Bildungswege ei‐
ne gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung finden.“ (BV Art. 61a)
Damit sind die Bundeskompetenzen in diesem Bereich erheblich gestärkt wor‐
den. Die Bundesverfassung stipuliert nun die Pflicht zur Zusammenarbeit im Bil‐
dungsbereich ebenso horizontal, also unter den Kantonen, wie auch vertikal zwischen den Kantonen und dem Bund. Im Hochschulbereich „tritt an die Stelle bisher paralleler Rechtssetzungskompetenzen eine gemeinsame Steuerung des gesamten Bereichs durch Bund und Kantone“. (Ambühl 2008: 86f.)
Der neue Hochschulartikel verleihe dem Bund nun eine Art „Generalkompe‐
tenz“, wie eher kritisch angemerkt wird (Braun et al. 2007: 27). Entsprechend, so die daran anschliessende Einschätzung, versuche der Bund, „in allen Berei‐
chen seinen Einfluss auszuweiten bzw. Gesamtsteuerungen herbeizuführen“
(ebd.: 36).
Die Gegenposition dazu ist, dass sich die Schweiz im internationalen Vergleich
„mit 26 Kantonen und noch beinahe 3000 Gemeinden für sieben Millionen Ein‐
wohner einen einzigartigen institutionellen Luxus“ leiste. „Hinzu kommen un‐
terschiedliche Grössenverhältnisse: Die Bevölkerung des Kantons Appenzell‐In‐
nerrhoden ist mit 15000 Einwohnern kleiner als der Personaletat des grössten Kantons Zürich.“ (Linder 2007: 9)
Gerade im BFI‐Bereich wird in einer solchen Kleinteiligkeit ein Hemmnis für die gesamtstaatliche Entwicklung gesehen. Der Bund müsse, so etwa der SWTR im Jahr 2010, vermehrt als Einheit gegenüber seinen Partnern in Wissenschaft und Innovation, dem Parlament und der Öffentlichkeit auftreten können. Die Mate‐
rien Wissenschafts‐ und Innovationsförderung verlangten eine Perspektive, die
über den unterschiedlichen Politikbereichen und Bundesstellen stehe. Dies gel‐
te insbesondere für die Wissenschafts‐ und Innovationspolitik sowie deren Wir‐
kungsüberprüfung. „Die Bundesstellen sollen deshalb gemeinsam Querschnitt‐
aufgaben in der Forschungsförderung, Innovationsförderung und Ressortfor‐
schung an die Hand nehmen.“ (SWTR 2010d: 8)
Inzwischen ist es zu einer durchaus erstaunlichen neuen institutionellen Situa‐
tion gekommen, die zunächst allgemein in den Bildungsartikeln der Bundesver‐
fassung und nun konkret im neuen HFKG ihre rechtlichen Formen bekommen hat:
Die Kantone sind zur Kooperation verpflichtet.
Dem Bund wurde die Leitung der Koordination der gemeinsamen Aktivitä‐
ten im Hochschulbereich übertragen.
Sollte eine Einigung zwischen den Kantonen bzw. Bund und Kantonen nicht zustande kommen, kann nunmehr der Bund entsprechend Subsidiaritätspri‐
nzip regeln.
Auch darf der Bund jetzt auf Antrag interessierter Kantone interkantonale Ver‐
träge zu den kantonalen Hochschulen für allgemeinverbindlich erklären oder Kantone zur Beteiligung an interkantonalen Verträgen verpflichten. Schliesslich wurde die bisher freiwillige Mitfinanzierung der Hochschulen durch den Bund in eine Finanzierungspflicht umgewandelt. (Vgl. Griessen/ Braun 2010: 732) Zu‐
sammengefasst: „Der Bund finanziert im BFI‐Bereich weniger als die Kantone, hat aber mehr Gewicht. Er kann mehr entscheiden.“5 (Übersicht 21)
Übersicht 21: Verteilung der BFI‐Ausgaben zwischen Bund und Kantonen
Quelle: EVD/BBT (2012: 12) zzgl. Aufwendungen der Kantone für die PHs; Darstellung: SWIR
5 Interview Eric Fumeaux, 2000‐2005 BBT‐Generaldirektor und 2000‐2007 KTI‐Präsident, 11.6.
2014
0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000
ETH Universitäten Fach-HS Pädagog. HS Berufsbildung SNF KTI EU-FRP Weitere Ausg.
54% 46%
Bund: 6.5 Mrd. Kantone: 7.6 Mrd.
Infolge des jüngst in Kraft getretene Bundesgesetzes über die Förderung der Hochschulen und die Koordination im schweizerischen Hochschulbereich (HFKG) und des totalrevidierten Forschungs‐ und Innovationsförderungsgeset‐
zes (FIFG) wurde auch eine Reihe von funktionalen und prozessualen Neube‐
stimmungen vorgenommen. Die wichtigsten dieser Veränderungen sind:
Im Hochschulbereich nimmt, wie erwähnt, der Bund die Leitung der Koordi‐
nation der gemeinsamen Aktivitäten wahr, die Kantone sind zur Kooperation verpflichtet, und sollte die Koordination scheitern, kann der Bund entsprechend Subsidiaritätsprinzip Vorschriften erlassen.
Die Zuständigkeiten für Bildung und Forschung innerhalb des Bundesrates wurden mit dem Bereich Wirtschaft und Innovation vereint.
Die früher getrennte Steuerung der zwei (bzw. drei) Hochschultypen wurde zusammengeführt.
Die grundsätzlichen Beitragsberechtigungen der Forschungsförderungsinsti‐
tutionen und die Finanzierung der KTI‐Ausgaben sind nunmehr gesetzlich veran‐
kert.
Mit dem FIFG gibt es ein Rahmengesetz für die Ressortforschung ein‐
schliesslich ihrer Koordination mit der allgemeinen Forschungs‐ und Innovati‐
onsförderung des Bundes.
Das Hochschul‐ und das Forschungsgesetz sind hinsichtlich der Koordination zwischen hochschul‐ und forschungspolitischen Fördermassnahmen sachlich aufeinander abgestimmt.
Das Akkreditierungswesen wurde vereinheitlicht.
Die Verflechtung verschiedener Entscheidungsebenen ist damit nicht aufgeho‐
ben. Auch weiterhin werden BFI‐Entscheide nicht nur auf Bundesebene, son‐
dern ebenso in den Kantonen und Regionen getroffen – und zunehmend auch durch die Institutionen der Europäischen Union, mit der die Schweiz durch zahl‐
reiche Verträge verbunden ist (vgl. EDA 2014).
Angesichts dieser sowohl Regionalisierung als auch Europäisierung der BFI‐Poli‐
tik, so Hotz‐Harz/Kissling (2013: 804), bestehe eine komplexe Struktur des Ne‐
ben‐, bestenfalls Mit‐, oft aber auch Gegeneinanders der verschiedenen Ebe‐
nen. Vielfältig miteinander verflochtene Verfahren und Entscheide verbänden sich zu einer Mehrebenenproblematik, einer „Konkurrenz zwischen den födera‐
tiven Ebenen um Kompetenzen sowie Kosten und Nutzen der BFI‐Förderung, verbunden mit deren wiederholter Verlagerung zwischen den Ebenen“ (ebd.:
802).
7.3 Interaktionen: Instrumente und Prozeduren in der