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2 Literaturübersicht

2.5 Status quo in der Lehre

2.5.1 Kommunikationslehre in der Tiermedizin und in anderen Gesundheitsberufen

hierbei eher um eine Charaktereigenschaft, die man entweder besitzt oder eben nicht? Die Persönlichkeit mag zwar die Einstellung zur Kommunikationslehre beeinflussen, aber Kommunikation an sich kann erlernt werden (KURTZ 2006). Der positive Einfluss von Kommunikationstrainings auf die Entwicklung von kommunikativen Fähigkeiten wird durch

eine Vielzahl an Nachweisen unterstützt (MILLS 1997; ASPEGREN 1999; KURTZ 2006;

LATHAM u. MORRIS 2007; ENGELSKIRCHEN et al. 2016).

Sowohl praktizierende Tierärzt/innen als auch Studierende der Tiermedizin erkennen kommunikative Fähigkeiten als wichtige Kompetenz für ihren beruflichen Alltag an

(HAMOOD et al. 2014; MCDERMOTT et al. 2015; HALDANE et al. 2017; GAIDA et al.

2018). Die Mehrheit der Absolvent/innen der Tiermedizin empfinden ihre Ausbildung hinsichtlich kommunikativer Fähigkeiten allerdings als unzureichend und fühlen sich diesbezüglich nicht adäquat auf den Berufseinstieg vorbereitet (MCDERMOTT et al. 2015;

HALDANE et al. 2017). Besonders schwierig fällt es Berufsanfänger/innen, mit herausfordernden Tierbesitzer/innen umzugehen, über finanzielle Angelegenheiten zu diskutieren oder in emotionalen Situationen, wie zum Beispiel im Rahmen einer Euthanasie,

kompetent zu kommunizieren (TINGA et al. 2001; MEEHAN u. MENNITI 2014; GRÜTZKE 2019). Auch das Überbringen von schlechten Nachrichten an Tierbesitzer/innen bezüglich der Gesundheit des Tieres fällt Berufsanfänger/innen schwer (DILLY 2019). Die Absolvent/innen sind hierbei oftmals mit der Komplexität der Kommunikation und der damit verbundenen emotionalen Intensität überfordert.

Dies hat wichtige Auswirkungen auf die tiermedizinischen Ausbildungsstätten, wenn es darum geht, die Erwartungen der Studierenden zu erfüllen und die Kommunikationslehre im Rahmen des tiermedizinischen Lehrplans zu verbessern (TINGA et al. 2001). Eine adäquate Ausbildung, zu der auch speziell die Förderung von kommunikativen Fähigkeiten gehört, ist daher essenziell (KURTZ 2006; WENSLEY 2008; HAMOOD et al. 2014).

Die „European Association of Establishments for Veterinary Education“ (EAEVE), welche im Auftrag der Europäischen Union regelmäßig die veterinärmedizinischen Ausbildungsstätten

Europas zur Sicherung eines hohen Qualitätsstandards der tierärztlichen Ausbildung kontrolliert, listet demnach eine effektive Kommunikation in ihrer Liste der erforderlichen Ersttagskompetenzen („Day One Competences“) auf. Bei diesen Ersttagskompetenzen handelt

es sich um erste berufsbezogene Fähigkeiten, welche Absolvent/innen nach ihrer abgeschlossenen, tiermedizinischen Ausbildung durchführen können sollen. Diese sollen einen

optimalen Start in die verschiedenen tiermedizinischen Berufsfelder ermöglichen. Neben der Kommunikation mit Kund/innen, Teammitgliedern sowie der Öffentlichkeit wird außerdem ein

hoher Wert auf die interprofessionelle Kommunikation gelegt. Demnach sollen Absolvent/innen in der Lage sein, mit Kolleg/innen zu kommunizieren und als Mitglied eines

multidisziplinären Teams bei der Erbringung von Dienstleistungen effektiv zu arbeiten (EAEVE 2015). Auch die „Federation of Veterinarians of Europe“ (FVE), die “American Veterinary Medical Association” (AVMA) und die “Canadian Veterinary Medical Association”

(CVMA/ACMV) haben das Fach der interprofessionellen Kommunikation in ihrem Studienprogramm für Tierärzt/innen festgelegt. Diese fordern das Beherrschen einer effektiven

Kommunikation mit Kund/innen, Kolleg/innen sowie Mitarbeiter/innen als Ersttagskompetenz für tiermedizinische Absolvent/innen (AVMA, CVMA, FVE 2011). Weiterhin hat das „Royal Veterinary College“ (RVC) eine Liste mit grundlegenden Kompetenzen definiert, welche von Absolvent/innen der Tiermedizin nach ihrem Abschluss beherrscht werden sollen. Zu diesen

festgelegten Ersttagskompetenzen gehört neben einer effektiven Kommunikation mit Tierbesitzer/innen auch die Kommunikation mit interprofessionellen Kolleg/innen sowie mit

der Öffentlichkeit (RVC 2007). Im „Roadmap for veterinary medical education in the 21st

century“, welcher im Jahr 2011 vom „North American Veterinary Medical Education Consortium“ (NAVMEC) erstellt wurde, wird im Bereich „One Health“ ebenfalls ein Augenmerk auf die interprofessionelle Zusammenarbeit gelegt. Demnach sollen Tierärzt/innen

dazu in der Lage sein, effektiv in einem interdisziplinarischen, multiprofessionellen Team zu agieren, um so möglichst erfolgreiche Ergebnisse zu erreichen (NAVMEC 2011). Außerdem hat die WHO die Notwendigkeit einer interprofessionellen Ausbildung festgestellt und daher 2010 ihren Aktionsrahmenplan „Framework for Action on Interprofessional Education and Collaborative Practice“ veröffentlicht (WORLD HEALTH ORGANIZATION 2010).

Um den Anforderungen der Kommunikationslehre in der tiermedizinischen Ausbildung gerecht zu werden, wurden kommunikative Fähigkeiten auf internationaler Ebene an mehreren Standorten in das tiermedizinische Curriculum integriert. Im „Competency Profile“ der tiermedizinischen Fakultät der Universität Utrecht in den Niederlanden zum Beispiel werden sowohl Kommunikation als auch die Zusammenarbeit mit Kolleg/innen als Kompetenzen aufgeführt, welche von den Absolvent/innen beherrscht werden sollen. Dieses „Competency Profile“ wurde von der „Royal Dutch Veterinary Association“ erstellt (UTRECHT UNIVER-SITY 2018). Im Curriculum Diplomstudium Veterinärmedizin der Veterinärmedizinischen Universität Wien werden psychosoziale Fähigkeiten mit Schwerpunkt Kommunikation bereits ab dem ersten Studienabschnitt vermittelt. Diese können als Wahlfach belegt werden. Als Startkompetenzen werden im Qualifikationsprofil als persönliche Kompetenzen sowohl eine kompetente Wissensvermittlung und respektvolle Kommunikationsfähigkeit gegenüber Tier-besitzer/innen, Fachpersonal, Tierärzt/innen sowie Behörden und Dienststellen, als auch eine

transparente, respektvolle Vermittlung der Diagnose, Behandlungsmöglichkeit und Prognose-abschätzung an Tierbesitzer/innen erworben. Im sechsten Semester trainieren die Studierenden die Gesprächsführung mit Tierbesitzer/innen mithilfe von Simulationspatient/innen (VETMED UNI VIENNA 2014). Im Lernzielkatalog der Vetsuisse-Fakultät der Schweizer Universitäten in Bern und Zürich werden mehrere Kompetenzen gelistet, welche auf kommunikativen Fähigkeiten beruhen. So wird zum Beispiel gefordert, dass Studierende mit Tierbesitzer/innen eine den individuellen Bedürfnissen entsprechende partnerschaftliche Kommunikationsweise

zu pflegen und als verantwortliches Mitglied eines tiermedizinischen Behandlungsteams aufzutreten haben (VETSUISSE 2011). Im Vereinigten Königreich und in Irland wurden 2003

Vorlesungen und Trainings zu kommunikativen Fähigkeiten von der „Veterinary Defence Society“ im Rahmen der „National Unit for the Advancement of Veterinary Communication Skills“ (NUVACS) an allen zu dem Zeitpunkt existierenden tiermedizinischen Ausbildungs-stätten eingeführt (GRAY et al. 2006). 2003 wurde außerdem an dem „Atlantic Veterinary College der University of Prince Edward Island“ in Kanada ein einwöchiges Rotations- programm zur Lehre von kommunikativen Fähigkeiten für Studierende im letzten Studienjahr eingeführt (SHAW u. IHLE 2006). Trotz intensiver Recherche konnten keine konkreten Angaben zu Umfang oder Stundenanzahl der Lehre von kommunikativen Fähigkeiten in den Curricula auf internationaler Ebene gefunden werden. Zudem scheint die Kommunikations-lehre nach keinem einheitlichen Prinzip durchgeführt zu werden, sondern in der Verantwortung der einzelnen Schulen und Universitäten zu liegen.

Interprofessionelle Ausbildungskonzepte zur Förderung der interprofessionellen Zusammen- arbeit sind derzeit sowohl auf der Berufsfachschulebene als auch auf der Hochschulebene in allen Gesundheitsberufen noch selten (WALKENHORST et al. 2015). In Deutschland werden

die Ausbildung und das Studium von medizinischen, pflegerischen, therapeutischen und diagnostischen Gesundheitsberufen vorwiegend separiert durchgeführt. Durch neue Ausbildungskonzepte spielt die interprofessionelle Ausbildung aber zunehmend eine Rolle.

Auch im humanmedizinischen Bereich machen sich erste Anfänge einer interprofessionellen Ausbildung bemerkbar. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde bisher allerdings

nur wenig Literatur zu diesem Thema veröffentlicht. Obwohl Tierärzt/innen sowie Tiermedizinische Fachangestellte in ihrem Praxisalltag eng zusammenarbeiten und beide

Berufsgruppen einen Beitrag zur Behandlung von Patienten leisten, wurde bislang wenig Wert auf eine interprofessionelle Ausbildung zwischen Studierenden der Veterinärmedizin und Auszubildenden zu Tiermedizinischen Fachangestellten gelegt (KINNISON et al. 2011). Die

heutigen tiermedizinischen Lehrpläne haben die Herausforderung, tiermedizinische Absolvent/innen auf eine erfolgreiche interprofessionelle Zusammenarbeit vorzubereiten, noch

nicht implizit angenommen (HODGSON u. PELZER 2017).

Durch den signifikanten Einfluss von kommunikativen Fähigkeiten sowohl auf die Interaktion zwischen Tierärzt/innen mit Tierbesitzer/innen als auch auf die Ergebnisse der Behandlung von Patienten und die Interaktion im Team, ergibt sich die Notwendigkeit, Kommunikation in die

Lehre an tiermedizinischen Ausbildungsstätten zu integrieren und anderen klinischen Fähigkeiten in ihrer Wichtigkeit gleichzusetzten (KURTZ 2006). Ein weiterer Bereich, der in

den Kommunikationslehrplan aufgenommen werden sollte, ist die interprofessionelle Kommunikation im Team (KURTZ 2006). Um die Studierenden adäquat auf den Berufs- einstieg vorzubereiten, sollte ihnen die Möglichkeit geboten werden, schon während ihres Studiums in einem sicheren Umfeld den Umgang mit schwierigen Situationen zu erlernen

(ADAMS et al. 2000; TINGA et al. 2001; HAMOOD et al. 2014). Hierzu gehört unter anderem die Diskussion über finanzielle Angelegenheiten, das Überbringen von schlechten Nachrichten und der sichere Umgang mit herausfordernden oder emotionalen Tierbesitzer/innen, wie zum Beispiel im Rahmen einer Euthanasie (TINGA et al. 2001; MEEHAN u. MENNITI 2014;

DILLY 2019; GRÜTZKE 2019). Die Lehre von kommunikativen Fähigkeiten sollte als vollwertiges Fach in alle Curricula integriert und hierbei longitudinal gesteigert werden (POHL

et al. 2021).