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Kirchliche Zustände in Altpreussen

Im Dokument Theologie und Kirche. (Seite 65-87)

Einige Bemerkungen zur

Octoberversanimlung In Berlin.

In den nachfolgenden Zeilen beabsichtigen wir nicht einen Berioht über den äusseren Verlauf der kirchlichen Oktoberver-samralung zu geben, sondern die Leser eiaeo Blick ir» das

innere Getriebe derselben, die Stellung, die Hoffnungen und Befürchtungen der Parteien thun zu lassen. Es gilt auch von solchen kirchlichen Ereignissen, dass dabei „mancher Herzen Gedanken offenbar -werden." Nur als solches ist das, was sich in den Tagen vom 9.—12. Oktober in Berlin zugetragen, bedeu­

tungsvoll.

Die gewaltigen Ereignisse auf dem politischen Gebiete hatten allseitig die Erwartung angeregt, dass auch auf kirch­

lichem etwas geschehen werde und müsse. Oder sollten die grossen Thaten Gottes am deutschen Volke, die es so mächtig in die Höhe gebracht, nicht auch der deutschen Kirche fördernd zu Gute kommen? Gewiss lag das in der Absicht Gottes.

Aber merkwürdig und sehr bezeichnend dafür, wie eng bei uns nationales und kirchliches Leben verbunden sind, suchte man diesen Gewinn, parallel mit dem politischen, zunächst nach der Seite der kirchlichen Einigung, nicht nach der Seite der Kräf­

tigung der kirchlichen Grundlagen. Nach der Stelle, von der die erste Anregung ausging, war das nicht anders zu erwarten.

Berlin, die Hauptstadt des deutschen Reiches, konnte nur in dieser Weise die Initiative ergreifen. W e r die Schriften des Gen.-Sup. Hoffmann eingesehen, weiss, welch stark nationalen oder kosmopolitischen Beigeschmack seine Theologie hat. An seine Seite war vor Kurzem Dr. Brückner aus Sachsen gekom­

men,, der die Kluft zwischen seinem luther. Heimathlande und dem unirten Preussen schmerzlich empfand. Neben ihnen machte dem weiten, liebereichen Herzen Dr. Wicherns die kirchliche Zerklüftung schwere Kümmerniss. Die kirchlichen Schranken waren ihm eben so viele Hindernisse für sein inneres Missions­

werk. Der Kirchentag und der damit verbundene Congress für innere Mission hatten einigermaassen darüber hinweggeholfen;

aber seitdem die Lutheraner sich davon zurückgezogen hatten, genügten sie nicht mehr. Man behauptet, Dr. Wichern hätte zuerst die Idee angeregt, etwas Neues zu pflügen, den Kirchen­

tag zu einer evangelisch-nationalen Versammlung umzuformen.

Wie dem auch sei, so hat sich ohne Zweifel Dr. Brückner als­

bald des Planes bemächtigt. Jedenfalls war er später die Seele des Ganzen. Niemand war auch geeigneter dazu als gerade er.

Die beiden andern Coryphäen der positiven Union, Hoffmann und Dorner, hatten so gründlich das Vertrauen bei den Luthe­

ranern verscherzt, dass, wenn sie aktiv als Referenten auf­

getreten wären, schwerlich ein Lutheraner erschienen wäre.

Von Brückner dagegen hatte man noch immer die Hoffnung, er werde eine Brücke aus der Union zur Conföderation bilden.

Das Einladungsschreiben, im Juli verfasst und von hervor­

ragenden Mitgliedern der Unionspartei unterzeichnet, wurde an einzelne Lutheraner von minder schroffer Stellung mit der Bitte um Mitunterzeichnung übersandt. Die unterschrieben, thaten es meist nach eigenem Urtheil ohne Verständigung mit ihren Freunden. Bei der Dringlichkeit, mit der man die Sache betrieb, war dazu in den meisten Fällen keine Zeit. Von den 235 Unter­

zeichnern der Einladung mögen etwa 30—40 zu den Luthera­

nern gerechnet werden können. Es genügte das indessen voll­

kommen für den beabsichtigten Zweck. Es sollte der deutsch­

evangelischen W e l t gezeigt werden bei Publicirung der Ein­

ladung, dass das Programm von allen Richtungen und Particular-kirchen gebilligt war, mithin alle Richtungen unbedenklich an der Versammlung theilnehmen könnten. Auch war es in der That, obwohl seinen Ursprung aus unirtem Lager nicht ver­

leugnend, so gefasst; constatirte ausdrücklich, dass durch die Betheiligung an der Versammlung weder die confessionelle noch die landeskirchliche Stellung der Mitglieder irgendwie beein­

trächtigt und präjudicirt werden solle, Hess so wenig bestimmte Ziele durchblicken, betonte vielmehr nachdrückUcb, dass es die Aufgabe sei, die rechten W e g e zu suchen, dass die Theilnahme uuverfangUch erschien. Bei dem allgemeinen Verlangen nach gegenseitiger Annäherung konnte eine günstige Aufnahme des Vorhabens erwartet werden. Wirklich war auch die Wirkung zunächst eine erwünschte. Ueberau, wo man hinhörte, sprach

innere Getriebe derselben, die Stellung, die Hoffnungen und Befürchtungen der Parteien thun zu lassen. Es gilt auch von solchen kirchlichen Ereignissen, dass dabei „mancher Herzen Gedanken offenbar werden." Nur als solches ist das, was sich in den Tagen vom 9.—12. Oktober in Berlin zugetragen, bedeu­

tungsvoll.

Die gewaltigen Ereignisse auf dem politischen Gebiete hatten allseitig die Erwartung angeregt, dass auch auf kirch­

lichem etwas geschehen werde und müsse. Oder sollten die grossen Thaten Gottes am deutschen Volke, die es so machtig in die Höhe gebracht, nicht auch der deutschen Kirche fördernd zu Gute kommen? Gewiss lag das in der Absicht Gottes.

Aber merkwürdig und sehr bezeichnend dafür, wie eng bei uns nationales und kirchliches Leben verbunden sind, suchte man diesen Gewinn, parallel mit dem politischen, zunächst nach der Seite der kirchlichen Einigung, nicht nach der Seite der Kräf­

tigung der kirchlichen Grundlagen. Nach der Stelle, von der die erste Anregung ausging, war das nicht anders zu erwarten.

Berlin, die Hauptstadt des deutschen Reiches, konnte nur in dieser Weise die Initiative ergreifen. W e r die Schriften des Gen.-Sup. Hoffmann eingesehen, weiss, welch stark nationalen oder kosmopolitischen Beigeschmack seine Theologie hat. An seine Seite war vor Kurzem Dr. Brückner aus Sachsen gekom­

men,, der die Kluft zwischen seinem luther. Heimathlande und dem unirten Preussen schmerzlich empfand. Neben ihnen machte dem weiten, liebereichen Herzen Dr. Wicherns die kirchliche Zerklüftung schwere Kümmerniss. Die kirchlichen Schranken waren ihm eben so viele Hindernisse für sein inneres Missions­

werk. Der Kirchentag und der damit verbundene Congress für innere Mission hatten einigermaassen darüber hinweggeholfen;

aber seitdem die Lutheraner sich davon zurückgezogen hatten, genügten sie nicht mehr. Man behauptet, Dr. Wichern hätte zuerst die Idee angeregt, etwas Neues zu pflügen, den Kirchen­

tag zu einer evangelisch-nationalen Versammlung umzuformen.

Wie dem auch sei, so hat sich ohne Zweifel Dr. Brückner als­

bald des Planes bemächtigt. Jedenfalls war er später die Seele des Ganzen. Niemand war auch geeigneter dazu als gerade er.

Die beiden andern Ooryphäen der positiven Union, Hoffmann und Dorner, hatten so gründlich das Yertrauen bei den Luthe­

ranern verscherzt, dass, wenn sie aktiv als Referenten auf­

getreten wären, schwerlich ein Lutheraner erschienen wäre.

Von Brückner dagegen hatte man noch immer die Hoffnung,

er werde eine Brücke aus der Union zur Conföderation bilden.

Das Einladungsschreiben, im Juli verfasst und von hervor­

ragenden Mitgliedern der Unionspartei unterzeichnet, wurde an einzelne Lutheraner von minder schroffer Stellung mit der Bitte um Mitunterzeichnung übersandt. Die unterschrieben, thaten es meist nach eigenem Urtheil ohne Verständigung mit ihren Freunden. Bei der Dringlichkeit, mit der man die Sache betrieb, war dazu in den meisten Fällen keine Zeit. Von den 235 Unter­

zeichnern der Einladung mögen etwa 30—40 zu den Luthera­

nern gerechnet werden können. Es genügte das indessen voll­

kommen für den beabsichtigten Zweck. Es sollte der deutsch­

evangelischen Welt gezeigt werden bei Publicirung der Ein­

ladung, dass das Programm von allen Richtungen und Particular-kirchen gebilligt war, mithin alle Richtungen unbedenklich an der Versammlung theilnehmen könnten. Auch war es in der That, obwohl seinen Ursprung aus unirtem Lager nicht ver­

leugnend, so gefasst; constatirte ausdrücklich, dass durch die Betheiligung an der Versammlung weder die confessionelle noch die landeskirchliche Stellung der Mitglieder irgendwie beein­

trächtigt und präjudicirt werden solle, Hess so wenig bestimmte Ziele durchblicken, betonte vielmehr nachdrücklich, dass es die Aufgabe sei, die rechten W e g e zu suchen, dass die Theilnahme unverfänglich erschien. Bei dem allgemeinen Verlangen nach gegenseitiger Annäherung konnte eine günstige Aufnahme des Vorhabens erwartet werden. Wirklioh war auch die Wirkung zunächst eine erwünschte. Ueberau, wo man hinhörte, sprach

sich die Bereitwilligkeit aus, die dargereichte Hand anzunehmen, der Einladung zu folgen. Indess bald wurden andere Stimmen laut. Die Führer der Lutheraner in Preussen waren weniger vertrauensvoll als der Haufe. Sie glaubten, um der Stelle willen, von der die Sache ausging, ihr Misstrauen entgegensetzen zu müssen. Man witterte hinter dem Plane ein unionistisches Fangnetz. Es ist eine natürliche, aber übele Folge der Partei­

stellung, dass sie leicht auch bei wohlgemeinten Schritten des Gegners Hintergedanken sucht, überhaupt einzelnen Maass-nahmen ein Gewicht beilegt, das sie gar nicht haben können.

Aus dieser Neigung heraus ist der Oktoberversammlung beider­

seits eine viel zu grosse Bedeutung beigelegt worden. — Zuerst erliess der Centraivorstand der luth. Vereine eine Erklärung des Inhalts, dass die luth. Vereine als solche keine Veranlassung hätten, sich an der Versammlung zu betheiligen. Doch solle es den Mitgliedern unverwehrt sein hin zu gehen, wenn sie für das, was der luth. Kirche Noth thut, dort zeugen wollten. Viel schärfer trat die Evangel, Kirchenzeitung auf. Sie bezeichnete die Theilnahme ziemlich unverhohlen als eine Verleugnung.

Die Versammlung habe keine andere Tendenz als die Union zu stärken, ja über das ganze Reich auszudehnen und die lutheri­

scher Seits an ihr theilnehmen würden, gäben zu erkennen, dass sie damit einverstanden wären. Unter dem „zerreis-senden Parteitreiben", von dem das Programm redete, seien ja unverkennbar die Bestrebungen der Lutheraner gemeint.

Gegen diese wolle man einen Schlag führen in Berlin; die L u ­ theraner, jedenfalls in der Minderzahl, könnten nicht hoffen, zu Biegen. Sie würden nur dazu dienen, den Feind zu ermuthigen und ihm Triumphe zu bereiten. Auch die Luther. Kirchen­

zeitung erwartete nichts von der Versammlung und rieth von der Betheiligung ab. Dagegen sprach sich das Vo-lksblatt für Stadt und Land, auch ein lutherisches Organ, sehr warm für die Betheiligung aus, bei aller Würdigung der entgegenstehenden Bedenken.

So war das lutherische Lager überrascht, gespalten, unent­

schieden, was zu thun. Ein bedeutender Vortheil für den Geg­

ner, wenn es sich um politische Manöver handelt. Hier aber zeigte sich, dass bei dem Kampf um die kirchlichen Tagesfragen ganz andere Gesetze walten und andere Faktoren den Ausschlag geben als auf politischem Gebiet. Nie ist wohl die luth. Partei undisciplinirter erschienen und selten hat sie in den letzten Jahren mehr erreicht als bei Gelegenheit der Oktoberversamm­

lung, indem es ihr da gelang, einer zur weiteren Lockerung des Bekenntnisses führenden Bewegung ein Halt entgegenzustellen.

Recht ein Beweis, dass sie keine Partei ist und keine Partei­

interessen verfolgt, wie ihr ja auch die Geschlossenheit, jedes Han­

deln nach vereinbarten Regeln, jede Unterordnung unter be­

stimmte Führer fehlt, sondern dass sie nichts weiter ist als eine Anzahl lose verbundener Männer, die nur in dem gleichen Stre­

ben, das Reich Gottes auf dem Grunde lutherischen Bekennt­

nisses zu bauen, sich zusammenfinden. Die Oktobertage haben das ausser allen Zweifel gestellt und damit hoffentlich manches böse Stich- und Scheltwort über die Lutheraner, wie „Partei­

terrorismus, Parteitreiben" für die Zukunft begraben.

Die Unentschlossenheit, die Meinungsgetheiltheit der Luthe­

raner wurde durch die unter ihnen gepflogenen Verhandlungen nicht gehoben, sondern nur noch vermehrt; und dass es dahin nicht kommen werde, wofür einer von ihnen plaidirte: entweder muss Alles gehen, was kann, oder aber Niemand, das war vor­

aus zu sehen. Man hatte nämlich inzwischen in Berlin nach langen Verhandlungen es durchgesetzt, dass dem Missionsdirektor Dr. Wangemann, dem Führer der preussischen Lutheraner, gleich nach dem Referenten Dr. Brückner das W o r t zu längerem Vor­

l a g bewilligt werden solle. Damit waren für die milder Ge­

sinnten die Bedenken wesentlich beseitigt; die Schrofferen be­

harrten indess auf ihrer Weigerung, nicht nach Berlin zu gehen.

Noch 8 Tage vor der Versammlung erklärte der Präses des Gnadauer Vereins: es ist der Ehre und Würde unserer luth.

Kirche zuwider, nach Berlin zu gehen. Dennoch fand sich am Vorabende der Tage auf einer luther. Fraktionsversammlung eine unerwartet grosse Anzahl Lutheraner zusammen, darunter auch die Proff. Kahnis und von Scheurl als Gäste. Es ist rich­

tig, es ging ein schwermüthiger Zug durch die Versammlung.

Niemand trug sich mit der Hoffnung auf Sieg. Man war nur gekommen, um öffentlich Zeugniss abzulegen und wollte sich darüber verständigen, in welcher Weise dies am angemessensten zu geschehen habe. Vereinzelte Stimmen forderten ein rück­

sichtsloses Aussprechen aller Herzenswünsche bis zur Personen­

frage. Mehrere, namentlich aus den Laien, redeten einer Form das Wort, die die Verständigung nicht ausschloss. Die Mehr­

zahl stimmte den 6 Sätzen des Dr. Wangemann zu, die freilich nicht die geringste Aussicht auf Annahme hatten. Man ver­

hehlte sich das keineswegs, aber man wollte auch nur Zeugniss ablegen; und jene Sätze geben allerdings einen getreuen und klaren Ausdruck dessen, was die Lutheraner in Preussen seit langem erstrebt hatten. Sie forderten die thatsächliche Anerken­

nung der luther. Kirche und eine demgemässe Gliederung des Kirchenregiments auf allen seinen Stufen nach den 3 Bestand­

t e i l e n der Landeskirche. Diese 6 Sätze wurden mit einer Art Begeisterung von den Versammelten als luther. Programm an­

genommen. Unseres Erachtens leiden sie an einem dreifachen Mangel. Ihr Hauptfehler ist, dass sie eine in sich wider­

sprechende Combination enthalten; sie wollen das Recht der luth. Kirche und die Einheit der Landeskirche gleichzeitig fest­

halten. Das ist eine Unmöglichkeit; Eins schliesst das Andere aus; denn bei jener liegt der Schwerpunkt im Bekenntniss, bei dieser im Landesherrn. Der andere Mangel ist der, dass das Programm darüber im Unklaren lässt, in welcher Weise die Gliederung vorgenommen werden soll, ob nur die Behörden in 3 Theile geschieden werden sollen oder auch die Gemeinden.

Man sollte meinen, das Letztere wäre die nothwendige Voraus­

setzung für das Erstere. Daan aber musste angegeben werden,

nach welchen Normen die Gemeinden vertheilt werden sollten, was als Kriterium für den Bekenntnissstand der einzelnen Ge­

meinden dienen sollte, eine Frage, über die bei sonstiger Bereit­

willigkeit der Unirten, auf die luth. Vorschläge einzugehen, ein Streit entstanden wäre, dessen Ausgang nicht abzusehen. Wahr­

scheinlich hätte die Union fast das ganze altpreussische Gebiet bei der Theilung für sich in Anspruch genommen. Damit ist auch schon das dritte Gebrechen jener Sätze bezeichnet: dass sie nämlich, anstatt einfach ein Zeugniss für die Selbständigkeit der luth. Kirche abzulegen, ein Verfassungsprogramm aufstellen, und die Wege angeben wollen, aufweichen dieses Ziel zu erreichen sei.

An sich schon in so wenig Worten eine missliche Sache, bei unsern völlig verfahrenen und verworrenen kirchlichen Verhält­

nissen geradezu eine Unmöglichkeit.

Sonach waren jene sechs Sätze, um die am Montag Abend die Lutheraner Altpreussens als um ihr Feldzeichen sich schaarten und mit denen sie in's Feld- rücken wollten, in keiner Weise geeignet als Anknüpfungspunkt auch mit einem gutwilligen Gegner zu dienen.

Die bedeutungsvollen Tage eröffnete ein Gottesdienst in der Domkirche, in dem Gen.-Sup. Hoffmann die Predigt hielt über Judä V . 2. Diese Predigt hielt so scharf die richtige Grenze

e in , griff nicht vor und vertrat nicht Parteitendenzen, sondern hielt sich allein an die göttlichen Gedanken des Worts und griff an das Herz und Gewissen, dass sie jeden Hörer zur dank­

baren Freude darüber stimmte, wie breit doch trotz allem die gemeinsame Basis sei, dabei aber freilich auch den Schmerz von Neuem weckte, dass es nicht möglich sei und sich auch alsbald als unmöglich ausweisen würde, mit solchen Gegnern über die wichtigsten kirchlichen Fragen sich zu vereinigen oder auch nur zu verständigen.

Zunächst freilich Hessen sich die tiefgehenden Differenzen über dem begeisterten, an alle Herzen gleich mächtig anklingen­

den Vortrag von Ahlfeld noch einmal vergessen. Aber schon

Dorp. Zeltschr. f. Th. u. K. N. F. U. Bd. A

der Vortrag des Correferenten, Garnisonpfarrers P r o m m e l , brachte es durch einzelne Wendungen den Confessionellen in Erinnerung, dass sie sich Anschauungen gegenüber befänden, die sie nimmer zu theilen vermöchten. Sind wir da, um hinaus zu werfen oder um hinein zu locken? rief der Redner mit Emphase unter Beifallsgemurmel der Versammlung aus. Das war bezeichnend für die Richtung, die hier das W o r t führte.

Sie fasst die kirchliche Aufgabe ganz anders als dio Lutheraner.

Sie will nur durch die Liebe gewinnen, sie hält es nach dem Worte Christi: wer zu mir kommt, den will ich nicht hinaus-stossen, für unstatthaft, irgend Jemand vom Sakrament zurückzu­

weisen, der es begehrt; sie perhorrescirt zwar nicht den Ernst des Worts, aber wohl den Ernst der That; sie legt wenig oder gar kein Gewicht auf die Ordnungen der Kirche in Lehre, Zucht, Cultus als pädagogische Mittel, sondern will Alles erreichen durch das subjektive W o r t , d. h. die Wärme, die Treue, die Kraft und Genialität der Verkündigung, oder wie das später ein Redner ausdrückte, durch die Macht der Persönlichkeit. Es fehlt dieser Richtung an jedem Verständniss für das Wesen der Kirche als einer Gemeinschaft des Bekenntnisses, die ihren Glie­

dern mit dem Anspruch auf Unterordnung unter dasselbe ent­

gegentritt und eine bestimmte Lebensanschauung und Weise

„als dem Evangelio gemäss" aus sich heraussetzt, an die sie ihre Glieder für gebunden erklärt. Daher, weil sie sich in die Bekenntnisskirche nicht finden kann, klammert sie sich mit fast krampfhafter Angst an die Landeskirche, den landesherrlichen Summepiscopat an; jeder Versuch, der gegen die Einheit der Landeskirche gerichtet ist, erscheint ihr fast wie ein Verbrechen.

Oder aber, wenn sie, mehr liberal gesinnt, die Selbständigkeit der Kirche anstrebt, dann weiss sie kein anderes Fundament für die befreite Kirche anzugeben als das allgemeine Priesterthum der Gläubigen. Auch diese Schattirung der Union war stark in Berlin vertreten und fand ihren beredten Wortführer in Prof.

B e y s c h l a g . Dieser Theologe versuchte alles Ernstes die

Versammlung zu bestimmen, seinen Ideen beizutreten, indem er einen dahinzielenden Antrag durchzubringen trachtete. Doch stiess er damit auf sehr entschiedenen allgemeinen Widerspruch. Es war nicht zu ermitteln, ob nur die confessionelle Richtung da­

mit einen Ausdruck ihrer Willensmeinung und uicht zu ver­

achtenden Stärke gab oder ob auch andere Elemente sich hinein­

gemischt hatten und den Widerspruch so durchschlagend machten.

Mit grosser, durch die Erlebnisse dieses Tages noch ge­

steigerter Spannung sah man dem Mittwoch entgegen, an den sich sehr weittragende Fragen für die Zukunft der deutschen evangelischen Kirche knüpfen konnten. Allerdings war die Ver­

sammlung nicht ermächtigt, bindende Beschlüsse zu fassen, wohl aber trefflich geeignet, die Geister zu sondiren. Galt es doch den Versuch, ob es sich nicht erreichen Hesse, die gläubigen Ele­

mente gegenüber dem immer mächtiger emporstrebenden Un­

glauben unter gewissen Formen zu sammeln, in äussere Orga­

nisation zu bringen. Gewiss, wenn die Versammlung den Vor­

schlägen des Dr. B r ü c k n e r einmüthig zufiel, so Hess sich in etwas voraussehen, welche Wege die evangel. Kirche Deutsch­

lands in Zukunft einschlagen werde. Es war wohl Niemand in der Versammlung, der nicht die Grösse der Aufgabe, die im Thema gestellt war, erkannte, wenngleich auch Viele zweifelten, dass bei dieser Gelegenheit sie zu lösen möglich sei; Niemand, der nicht deD Wunsch hegte, es möge ein Schritt vorwärts ge-than werden aus der Zersplitterung heraus. ( D i e absolut nichts erwartenden Geister hatten sich auf die Emporen zurück­

gezogen.) Die Vergangenheit des Referenten gab der Hoffnung

gezogen.) Die Vergangenheit des Referenten gab der Hoffnung

Im Dokument Theologie und Kirche. (Seite 65-87)