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5 Versorgung psychisch kranker Kinder und Jugendlicher

5.6 Wichtige Versorgungsstrukturen außerhalb des SGB V

5.6.2 Kinder- und Jugendhilfe (öffentliche und freie)

Im Unterschied zum Kindschaftsrecht oder Jugendschutzrecht sind im Kinder- und Jugendhil-ferecht die familienergänzenden, -unterstützenden und -ersetzenden Maßnahmen des Staates und staatlich anerkannter gesellschaftlicher Gruppen zur Erziehung und Förderung von Kin-dern und Jugendlichen festgelegt (DÖLLING 2009). Die gesetzliche Grundlage stellt das Achte Buch des Sozialgesetzbuches dar, in dem das Leistungsspektrum der Kinder- und Jugendhilfe geregelt ist. Es umfasst die Bereiche der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und des erziehe-rischen Kinder- und Jugendschutzes (§§ 11 bis 14 SGB VIII), Angebote zur Förderung der Erziehung in der Familie (§§ 16 bis 21 SGB VIII), Angebote zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege (§§ 22 bis 25 SGB VIII) sowie Hilfen zur Erziehung und ergänzende Leistungen, Hilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche und er-gänzende Leistungen sowie Hilfen für junge Volljährige und Nachbetreuung (§§ 27 ff. SGB VIII). Die Hilfen zur Erziehung (HzE) sind in den §§ 28 bis 35 a SGB VIII geregelt und um-fassen eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote von ambulanten, teil- und vollstationären Er-ziehungshilfen (z. B. Erziehungsberatung, Sozialpädagogische Familienhilfe, Heimerzie-hung). Adressaten sind die Personensorgeberechtigten. Andere Aufgaben der Jugendhilfe beinhalten die Ausübung des staatlichen Wächteramtes nach Art. 6 II GG wie beispielsweise die Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen nach § 42 SGB VIII. Die Leistungsangebo-te richLeistungsangebo-ten sich an Kinder, Jugendliche sowie ElLeistungsangebo-tern und werden sowohl von Trägern der öf-fentlichen Jugendhilfe als auch von Trägern der freien Jugendhilfe wahrgenommen. Als Trä-ger der freien Jugendhilfe kommen Dölling (2009) zufolge insbesondere Wohlfahrtsverbände, Jugendverbände und Jugendgruppen in Betracht. Träger der öffentlichen Jugendhilfe lassen sich differenzieren in örtliche Träger (z. B. Jugendamt) und überörtliche Träger (z. B. Landes-jugendamt). Ziele der Jugendhilfe bestehen laut § 1 SGB VIII darin, junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung zu fördern, und dazu beizutragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen. Weitere Ziele bestehen in der Beratung und Unterstützung von Eltern und anderen Erziehungsberechtigten sowie darin, Kinder und Jugendliche vor Gefah-ren für ihr Wohl zu schützen.

Vorhandene Daten:

Die Internetseite „Monitor Hilfen zur Erziehung“ nutzt die amtliche Kinder- und Jugendhil-festatistik (KJH-Statistik) des Statistischen Bundesamtes, um Analysen zur aktuellen Situati-on sowie zu Veränderungen im Bereich der Hilfen zur Erziehung durchzuführen. Sie enthält u. a. Angaben zur Anzahl der Inanspruchnahmen von Hilfen zur Erziehung und in diesem Be-reich angefallenen Ausgaben. Erstmalig seit 2012 enthält sie auch Angaben zu den Gefähr-dungseinschätzungen der Jugendämter nach § 8 a I SGB VIII. Die Statistik wird seit dem Jahr 2007 durch eine jährliche Abfrage bei Erziehungsberatungsstellen und Jugendämtern erhoben (Stichtag 31.12.). Differenziert wird zudem nach der Art des Trägers (frei, öffentlich).

Im Jahr 2014 erhielten in Deutschland 1.037.728 Kinder, Jugendliche und junge Volljährige Hilfen zur Erziehung. Die Fallzahl beträgt 913.566. Statistisch betrachtet haben damit 7 % der unter 21-jährigen Bevölkerung eine HzE-Leistung erhalten (KOMDAT, 2015). Das Durch-schnittsalter der jungen Menschen bei Hilfebeginn liegt bei 10,3 Jahren. Von allen Hilfen werden 70 % beendet, wobei die Dauer dieser Hilfen durchschnittlich zehn Monate betrug.

Der Anteil der alleinerziehenden Familien bei Hilfebeginn liegt bei 41,5 %. Das Gros dieser Familien bezog zudem Transferleistungen (32,3 %). Familien, in denen vorrangig nicht Deutsch gesprochen wird, nahmen in 12,3 % der Fälle eine Hilfe zur Erziehung in Anspruch.

Gegenüber dem Vorjahr ist ein leichter Anstieg der Fallzahlen zu beobachten, welches auch für die finanziellen Aufwendungen gilt. Dies zeigt einerseits den größer werdenden Bedarf und die steigende Nachfrage an, zum anderen auch die höhere Inanspruchnahme und Reich-weite der Hilfen. Hinsichtlich der Art der Hilfe zeigt sich seit dem Jahr 2000 der Trend, dass ambulante Leistungen im Gegensatz zu der Unterbringung in Heimen oder Pflegestellen zu-nehmen. Dies gilt für alle Altersgruppen und kann als Indikator für eine „Ambulantisierung“

des Arbeitsfeldes gewertet werden. Je nach Art der Hilfe zeigen sich große Altersunterschie-de, was in den letzten Jahren konstant blieb. So wiesen Adressatinnen und Adressaten von Fremdunterbringungen ein höheres Alter, Adressatinnen und Adressaten von ambulanten Leistungen eher ein jüngeres Lebensalter auf. Die Geschlechterverteilung veränderte sich im Vergleich zu den Vorjahren kaum. Über alle Hilfen hinweg, mit Ausnahme der Erziehungsbe-ratung und der Vollzeitpflege, waren Jungen oder junge Männer überrepräsentiert. Regionale Unterschiede bei der Inanspruchnahme lassen sich ebenfalls verzeichnen. Dabei ist die Hete-rogenität der Gewährungspraxis bei den stationären Hilfen geringer ausgeprägt als bei den ambulanten und deutet auf ein lokal unterschiedliches konzeptionelles Verständnis der Hilfe-arten hin.

Bei Betrachtung der einzelnen Leistungssegmente zeigt sich, dass die Fallzahlen für die Er-ziehungsberatung im Vergleich zum Vorjahr bundesweit lediglich um 1 % gestiegen sind (nur neu begonnene Leistungen). Die Daten sprechen hier für eine stabile Inanspruchnahme und eine konstant hohe Anzahl an Neuhilfen.

Ein deutlicherer Anstieg lässt sich für den Bereich der ambulanten Hilfen konstatieren. Den KomDat (2015) zufolge geht dies auf den Anstieg der familienorientierten Hilfen zurück (u. a. sozialpädagogische Familienhilfe), die insgesamt über 6 % zugenommen haben.

Eine weitere deutliche Zunahme zeigt sich im Bereich der Fremdunterbringungen (Unterbrin-gung in Heimen, Pflegefamilien oder betreuten Wohnformen) mit über 7 %. Der Anstieg er-klärt sich durch gestiegene Fallzahlen im Bereich der Heimerziehung mit einem Plus von 8 % (Vollzeitpflege nur 4 % Anstieg). Bei genauerer Betrachtung der Variablen Alter und Ge-schlecht zeigt sich zunächst, dass zwischen 2013 und 2014 der Anteil der männlichen Jugend-lichen zwischen 14 und 18 Jahren stark zugenommen hat. Die weitere Analyse dieser Gruppe zeigt, dass es sich hauptsächlich um junge Männer mit Migrationshintergrund handelt, deren Anteil sich seit 2010 fast verdoppelt hat. Damit einher geht eine Veränderung der Gründe für eine Fremdunterbringung. Während in den Jahren 2010 bis 2013 hauptsächlich eine einge-schränkte Erziehungskompetenz der Eltern genannt wurde, war 2014 als Hauptgrund die Un-versorgtheit der jungen Menschen angeführt worden.

Daten zu den Gefährdungseinschätzungen nach § 8 a I SGB VIII liegen derzeit für den Zeit-raum 2012 bis 2014 vor. Im Jahresvergleich zeigt sich für den GesamtzeitZeit-raum eine deutliche Fallzahlenzunahme um 17 %, wobei sich starke regionale Differenzen und altersspezifische Unterschiede erkennen lassen. Im Jahr 2014 wurden insgesamt 124.213 Verfahren erfasst, was einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr von 7 % bedeutet. Dieser Anstieg geht zurück auf die Länder Nordrhein-Westfalen (+ 13 %), Niedersachsen (+ 54 %), Berlin (+ 34 %) und Brandenburg (+ 41 %). Der höchste Anstieg (bevölkerungsbezogen) ist für Berlin und Bran-denburg zu verzeichnen.

Mit Blick auf das Alter der Minderjährigen zeigt sich, dass Kinder unter 3 Jahren zu den häu-figsten, Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren zu den seltensten Adressatinnen und Adressa-ten zählen. Bei Betrachtung des Zuwachses im Jahresvergleich deuAdressa-ten die DaAdressa-ten darauf hin, dass die höchste Fallzahlentwicklung bei Jugendlichen festzustellen ist.

Mit Blick auf das Verfahrensende zeigt sich, dass 34 % der Verfahren mit der Feststellung endeten, dass das betroffene Kind nicht gefährdet ist. In jeweils 33 % der Fälle wurde eine la-tente oder akute Kindeswohlgefährdung konstatiert. Bei der Verteilung der Arten der Kin-deswohlgefährdung handelte es sich hauptsächlich um Vernachlässigung (64 %) sowie psy-chische (26 %) und körperliche (23 %) Misshandlung. Sexueller Missbrauch wurde in 5 % der Fälle angegeben. Bei Betrachtung der einzelnen Arten zeigt sich, dass der Anstieg der

Verfahren hauptsächlich auf die Zunahme bei Verfahren mit psychisch misshandelten Kin-dern zurückzuführen ist (+ 1.342 Fälle, Anstieg um 14 %).

Die Anzahl der Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII hat im Jahr 2014 seit Erfassung der Maßnahmen in der KJH-Statistik mit 48.100 Fällen einen Höchststand erreicht. In rund 11.600 dieser Fälle (24 %) handelte es sich um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Anzahl der Eingliederungshilfen bei einer (drohenden) seelischen Behinderung nach

§ 35 a SGB VIII belief sich im Jahr 2014 auf 27.124 begonnene Leistungen, was im Ver-gleich zum ersten erfassten Jahr 2008 ein Anstieg von 73 % bedeutet.

Vorhandene Daten: DJI-Survey AID:A II (Aufwachsen in Deutschland)

Im Rahmen einer bundesweiten Telefonbefragung des Deutschen Jugendinstituts (DJI) wur-den Daten zu rund 32.941 Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen (Alter: 0 bis 32 Jahre) und den Familien der Minderjährigen erhoben. Die Befragung erfolgte im Multi-Actor-Design, d. h. dass verschiedene Personen (das Kind selbst oder die Eltern) befragt wurden.

Dabei handelte es sich um 9.542 Interviews mit volljährigen Zielpersonen und 12.903 Inter-views mit erziehungsberechtigten Antwortpersonen minderjähriger Zielpersonen. Die Anzahl der Interviews mit minderjährigen Zielpersonen belief sich auf 4.791, die Anzahl der Inter-views mit der Partnerin oder dem Partner von Ziel- oder Antwortpersonen auf 5.705. Das Al-ter der Stichprobe lag zwischen 0 und 32 Jahren, wobei der Großteil (39,6 %) auf die AlAl-ters- Alters-spanne 18 bis 32 Jahre entfiel. Die Altersstufe der 9- bis 17-Jährigen belief sich auf 28,9 % und der Anteil der 3- bis 8-Jährigen auf 21,1 %. Die 0- bis 2-Jährigen bildeten 10,4 % der Ge-samtstichprobe.

Bezüglich der Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsleistungen nach dem Al-ter zeigte sich, dass 12.891 Kinder und Jugendliche mindestens eine der Leistungen erhalten hatten (siehe Abbildung).

Quelle: PREIN & VAN SANTEN, 2015, S. 60

Weiterhin zeigte sich, dass insgesamt nur für 50 % der als grenzwertig oder auffällig einstuften Kinder und Jugendlichen Beratungs- und Unterstützungsangebote in Anspruch ge-nommen wurden. Hierbei kamen mit je 30 % am häufigsten die Kinder- und Jugendpsycho-therapie (N = 8.551) sowie die Familien- oder Erziehungsberatung (N = 8.549) vor.

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Forschung und Lehre in der Kinder und Jugendpsychiatrie und