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Rollenprofile und Politikstile

V. Kapitel: Justiz

Recht gehört zu den "unaufgebbaren Elementen" (Niklas Luhmann) eines jeden Gemeinwe­

sens, insofern es als ein verbindlicher Regelungsmechanismus kontroverse Spannungen durch die Festlegung von Proportionalitätskriterien zu überwinden und Interessenkonflikte rechtsförmig zu entscheiden sucht. Im Begriff des "Rechtsstaates" wiederum bündeln sich nach gängiger Auffassung mehrere Postulaie oder Zielsetzungen, nämlich "Freiheitssiche-rung" "Rechtsgleichheit", "Rechtssicherheit" und "Gewaltenteilung". Die Justizrechtsord-nung ist in diesem Zusammenhang zweifelsohne auch politisch bestimmt, insofern sie auf die jeweilige Staatsverfassung bezogen sowie an anderes Gesetzesrecht relativ stark gebunden, an den sozialdominanten Vorstellungen von der "guten und gerechten Ordnung einer Gesell­

schaft" orientiert und zudem unweigerlich in die soziohistorischen Zeitumstände eingebettet ist, deren Ausfluss sie zwar ist, auf die sie aber zugleich ein- und zurückwirkt.1

Die liechtensteinische Verfassung von 1921 rechnet einige wesentliche Strukturprinzipien des formellen Rechtsstaates ausdrücklich zu den Staatsaufgaben. Art. 27 nämlich bestimmt:

"Der Staat sorgt für ein rasches, das materielle Recht schützendes Prozess- und Voll­

streckungsverfahren, ebenso für eine den gleichen Grundsätzen angepasste Verwaltungs­

rechtspflege. Die berufsmässige Ausübung der Parteienvertretung ist gesetzlich zu regeln."

Diesen Erfordernissen wurde - auch im Hinblick auf die Art. 99 ff. der Verfassung - u.a.

durch das Gerichtsorganisations-Gesetz (LGB1. 1922, Nr. 16), das Landesverwaltungspflege-gesetz (LGB1. 1922, Nr. 24) und das RechtsanwälteLandesverwaltungspflege-gesetz (LGBl. 1968, Nr. 33) nebst Novel­

lierungen und Ergänzungen entsprochen. Die rechtlichen Institutionen werden im VII. Hauptstück der Verfassung zu den Behörden gezählt; der Abschnitt C (Art. 97 und 98) betrifft die Verwaltungsbeschwerde-Instanz, Abschnitt D die Rechtspflege (Art. 99-103) und Abschnitt E den Staatsgerichtshof (Art. 104-106). Letzterer entscheidet neben anderen Auf­

gaben nach Art. 112 der Verfassung bei Zweifelsfragen über die Auslegung einzelner Bestim­

mungen der Verfassung. Näheres ist im Staatsgerichtshofgesetz (LGBl. 1925, Nr. 8 mit nach­

folgenden Änderungen) niedergelegt.

Ferner garantiert die liechtensteinische Verfassung bereits im IV. Hauptstück, das den Grundrechten und -pflichten (Art. 28—44) gewidmet ist, neben der Rechtsgleichheit und dem Grundsatz "nulla poena sine lege" (Art. 33) in An. 43 ein Beschwerderecht gegenüber den Behörden und hierfür ein geregeltes Verfahren, das inzwischen (nach Ratifikation der EMRK) sich bis auf die europäischen Rechtsinstanzen hin auswirken und ebenso von Aus­

ländern in Liechtenstein in Anspruch genommen werden kann.2 Der Grundrechtsschutz ist demnach in Liechtenstein gut ausgebaut, was wir auch in anderen Kontexten feststellen kön­

nen. Im VII. Hauptstück der Verfassung, das von den (an die Verfassung und die übrigen Gesetze gebundenen) Behörden handelt, ist nach Art. 78 Abs. 3 auch die Möglichkeit gege­

ben, dass anstatt der Kollegialregierung durch Gesetz besondere Kommissionen für die Ent­

scheidung von Beschwerden eingesetzt werden können, und wird in Art. 92 der Verfassung

• Vgl. Wassermann 1986.

- Siehe auch Hangartner 1986.

statuiert, dass die Regierung Verordnungen "nur im Rahmen der Gesetze" erlassen darf (Abs. 1), des weiteren sich die gesamte Landesverwaltung "innerhalb der Schranken der Ver­

fassung und der übrigen Gesetze zu bewegen" hat sowie auch bei freier Ermessensentschei­

dung die "durch die Gesetze gezogenen Grenzen" genauestens zu beachten sind (Abs. 2), so dass das Legalitätsprinzip umfassend garantiert und auch die Effektivität des Rechtsstaates sichergestellt ist. Die Verwaltungskontrolle wird insbesondere durch "zwei Rechtsschutzein­

richtungen erreicht, die sich beide gegen fehlerhafte oder gesetzwidrige Verwaltungsakte richten. Die Verwaltungssachen gelangen im verwaltungsinternen Instanzenzug und die Ver­

waltungsstreitsachen durch die verwaltungsexterne Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Beurtei­

lung."3

In Liechtenstein wird die gesamte Gerichtsbarkeit4 im Auftrag des Landesfürsten aus­

geübt (Art. 99 Abs. 1 der Verfassung). Mit Ausnahme der Verwaltungsbeschwerde-lnstanz und des Staatsgerichtshofes ergehen alle Urteile und Entscheidungen "im Namen seiner Durchlaucht des Landesfürsten". Wie in allen Rechtsstaaten ist auch im Fürstentum die Unabhängigkeit der Richter verfassungsrechtlich garantiert (wenngleich nicht konkret defi­

niert)5: "Die Gerichte sind innerhalb der gesetzlichen Grenzen ihrer Wirksamkeit und im gerichtlichen Verfahren unabhängig von aller Einwirkung durch die Regierung." (Art. 99 Abs. 2 der Verfassung) - Auch Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantiert in Zivil- und Strafsachen das Recht auf ein "unabhängiges und unpartei­

isches, auf Gesetz beruhendes Gericht".

Um die richterliche Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu gewährleisten, werden im Gerichtsorganisationsgesetz (GOG) für die Zivil- und Strafgerichtsbarkeit die Ausschlies-sungs- und Ablehnungsgründe bezüglich der Ausübung des Richteramtes und der weiteren Organe im gerichtlichen Verfahren festgelegt (§§ 10-13), die in den kleinräumigen Verhält­

nissen Liechtensteins wegen relativ enger verwandtschaftlicher Bindungen sowie persön­

licher und beruflicher Beziehungen häufiger als anderswo greifen.

Ein Richter kann in bürgerlichen Rechtssachen u.a. deswegen abgelehnt werden, wenn er direkt oder indirekt vom Ausgang des Rechtsstreites einen erheblichen Vor- oder Nachteil zu erwarten hat, selbst an einer Gesellschaft oder juristischen Person beteiligt ist, um deren Streitsache es sich handelt, wenn ein zureichender Grund vorliegt, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen, insbesondere, falls er mit einer der Parteien in einem Rechtsstreit steht oder nach § 11 GOG "wegen zu enger Freundschaft oder zu grosser Feindschaft" zu einer der Parteien als befangen erscheint.

Ferner verbietet es § 22 Abs. 3 des Gerichtsorganisationsgesetzes den Richtern an kolle­

gialen Gerichten bei Amtspflicht ausdrücklich, private Parteienbesuche zu empfangen oder die Parteien selbst aufzusuchen, um ihnen über den gerichtlichen Stand der Streitsache zu berichten bzw. Rat oder Auskunft zu erteilen. Diese Vorschrift dürfte indes nicht nur für die Richter an kollegialen Gerichten anwendbar sein, sondern für jeden in Liechtenstein tätigen Richter.6 Das GOG kennt in § 23 auch eine Aufsichtsbeschwerde, welche gegen Gerichte, deren Präsidenten und richterliche Beamte wegen ungebührlichen Benehmens bei ihrer Amtsausübung sowie wegen Verweigerung oder Verzögerung der Rechtspflege eingebracht werden kann.

In den Kommissionsberichten zum Gesetzesentwurf über die allgemeine Landesverwal­

tungspflege und demjenigen über den Staatsgerichtshof hat schon der Gesetzesredaktor Wil­

helm Beck festgehalten, dass die neue Verfassung von 1921 den Geist des Rechtsstaates erkennen lässt, der den Polizeistaat mit seiner Bevormundungs- und Glücklichmachungs-lehre endgültig verabschiedet habe. Es müsse jetzt in einem gewissen Sinne der Grundsatz

3 Steger 1962, S. 524.

* Vgl. zum Überblick u.a. Jehle 1982, Stoitcr 1984.

5 Vgl. Jehle 1986» S. 136.

» Ebd., S. 134.

Landgericht

der sog. Dekonzentration verwirklicht werden. Hinsichtlich der allgemeinen Landesverwal­

tungspflege sei es der leitende Grundsatz, dass Behörde und Bürger ihre Rechte und Pflich­

ten haben. Durch die Vorlage erhalte Liechtenstein "eine neuzeitliche und zeitgemässe Rege­

lung des Verfahrens vor den Verwaltungsbehörden, um die uns manche Staaten beneiden dürften."7 Wenn man weiter in Rechnung stellt, dass Liechtenstein mit dem Staatsgerichts-hof, auf dessen Kompetenzen und Funktionen wir noch zu sprechen kommen, nunmehr seit fast siebzig Jahren eine gut ausgestaltete Verfassungsgerichtsbarkeit kennt, und damit zu den ersten Staaten überhaupt zählt, die eine solche eingeführt haben,' dann haben sich diese selbstbewussten Feststellungen und Prognosen insgesamt durchaus bewahrheitet.

Hinsichtlich der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestimmt die Verfassung in Zusammenhalt mit dem Gerichtsorganisationsgesetz, dass in Zivilsachen (bürgerlichen Rechtssachen), also in Zivilrechtsstreiten (Prozessen) und Ausserstreitsachen (z.B. Vormundschaften, Verlassen­

schaftssachen), in erster Instanz das Fürstlich Liechtensteinische Landgericht, in zweiter Instanz das F.L. Obergericht, in dritter Instanz der F.L. Oberste Gerichtshof eingerichtet ist, die alle ihren Sitz in Vaduz haben. Der Instanzenweg nach der organisatorischen Bestim­

mung des Art. 101 der Verfassung kann durch Gesetze geändert resp. eingeschränkt werden.

So sieht z.B. die Zivilprozessordnung vor, dass bei Beschlüssen des Erstgerichtes, die im Rekurswege vom Obergericht bestätigt werden, ein weiteres Rechtsmittel ausgeschlossen ist.

In Strafsachen wird die Gerichtsbarkeit in erster Instanz durch das Landgericht (Kriminalge­

richt, Schöffengericht, Jugendgericht, Einzelrichter), in zweiter Instanz durch das Oberge­

richt und in dritter Instanz durch den Obersten Gerichtshof in Vaduz ausgeübt. Als Ankla­

gebehörde fungiert in allen Instanzen die Fürstliche Staatsanwaltschaft.

Während in Zivilsachen alle Entscheidungen des Landgerichtes durch Einzelrichter getroffen werden, werden in Strafsachen erstinstanzlich im vereinfachten Verfahren lediglich die vom Gesetz definierten Übertretungen sowie diejenigen Vergehen (siehe § 317 StPO) von einem Einzelrichter des Landgerichtes erledigt, die mit keiner höheren Strafe als mit einer Freiheitsstrafe von höchstens 6 Monaten oder einer Geldstrafe geahndet werden sollen und im Verfahren vor dem Einzelrichter (§ 312 i.V. mit § 15 StPO), wenn die im Gesetz ange­

drohte Höchststrafe das Mass von fünf Jahren nicht übersteigt. In allen anderen Fällen wer­

den Vergehen (abschliessend in § 15 Abs. 3 StPO aufgezählt) vom Schöffengericht (Dreier-Senat) und Verbrechen vom Kriminalgericht (Fünfer-(Dreier-Senat) abgeurteilt. In Jugendstrafsachen entscheidet das Jugendgericht (Dreier-Senat). Die Geschäftsverteilungsbeschlüsse werden jeweils in der Liechtensteinischen Juristen-Zeitung publiziert.

Das Obergericht und der Oberste Gerichtshof sind Kollegialgerichte. Die Geschäfte des Obergerichtes sind auf zwei Senate verteilt, während der Oberste Gerichtshof in Zivil- und Strafsachen in gleicher Besetzung entscheidet, und zwar ebenso wie das Obergericht als Fünfer-Senat.

Landgericht

Die liechtensteinischen Einzelrichter (derzeit acht', davon drei mit österreichischer Staatsan­

gehörigkeit) beim Landgericht sind usancegemäss auf Dauer bestellt, mithin im Hauptberuf tätig und stehen gegenüber dem Staat in einem öffentlich-rechtlichen Arbeitsververhältnis, im Falle von Ausländern (z. Zt. drei) allerdings mit befristeten (jedoch verlängerbaren) Dienstverträgen (auf vier Jahre). Einer der Landrichter wird von der Fürstlichen Regierung

i Beck 1922, S. 20.

* Siehe u.a. Brandstätter 1970, S. 120.

* Diese Zahl entspricht einer vergleichbaren schweizerischen Stadt von 100000 Einwohnern. Allerdings sind die Auf­

gaben der Landrichter in Liechtenstein durch die hohe Anzahl der SiizgeselLsc haften sehr umfangreich. Siehe "Justiz dient der Aufrechierhalcvng einer Friedensordnung*. Gespräch mit Landrichter Pius Heeb, in: Liechtensteiner Vaterland vom 11. März 1993, S. 3.

zum Landgerichtsvorstand bestellt (GeOLG Art. 4 Abs. 1). Die Festsetzung der Besoldung der Landrichter fällt in die Kompetenz des Landtages (regelmässig in nicht-öffentlichcr Sitzung), wobei die Regierung ein Antragsrecht hat. Die Überwachung des gesetzmässigen und ununterbrochenen Geschäftsganges des Landgerichtes (LV Art, 93 lit. e) gehört ebenfalls zum Wirkungsbereich der Regierung, die dem Obergericht, dem die Oberaufsicht über die Justizpflege obliegt und das die Disziplinargewalt über die Landrichter ausübt (GOG § 6 Abs. 2), Anzeige zu erstatten hat, wenn Vorschriftswidrigkeiten wahrgenommen werden. Die allgemeine Dienstaufsicht im Hinblick auf den förmlichen Ablauf der richterlichen Verrich­

tungen ist demnach zwischen Regierung (Anzeigepflicht) und Disziplinarbehörde (Handha­

bung) verteilt. In zweiter Instanz entscheidet der Oberste Gerichtshof, der die Disziplinar­

gewalt über die Mitglieder des Obergerichtes ausübt und als Beschwerdeinstanz der Land­

richter in Disziplinarangelegenheiten fungiert (GOG § 6 Abs. 4). Eine Beendigung des Dienstverhältnisses gegen den Willen des liechtensteinischen Richters ist nur aus disziplina­

rischen Gründen zulässig. Eine administrative Entlassung der Landrichter mit liechtensteini­

scher Staatsangehörigkeit ist daher nicht möglich, so dass für inländische Richter praktisch das Lebenszeitprinzip gilt. Hingegen sind Entlassungen von Richtern mit ausländischer Staatsangehörigkeit möglich.

Die Landrichter stehen jedoch wie die Verwaltungsbeamten in einem öffentlich-rechtli­

chen Dienstverhältnis und damit in einem besonderen Rechtsverhältnis zum Staat. Es ist hin­

gegen fraglich, ob sie ausserhalb des Strafgesetzes und abgesehen von ihrer Zuordnung zu den Staatsbeamten und Staatsangestellten hinsichtlich Arbeitszeit10, Urlaubsregelung, Lohn-und Gratifikationsansprüchen, Eingliederung in die Betriebs-, Nichtbetriebsunfall- Lohn-und Krankenversicherung sowie das Statut der Pensionskasse und der Sparversicherung als

"Staatsbeamte" gelten, da sie vom Fürsten im Einvernehmen mit dem Landtag (wie stets bei Richterwahlen in Form der geheimen Wahl mit absolutem Mehr) und nicht von der Regie­

rung ernannt werden. Eine differenziertere Regelung des Dienstrechtes der Richter ist somit wohl unumgänglich und steht im Augenblick noch aus. Eine solche dienstrechtliche Neure­

gelung könnte entweder in einem eigenständigen Erlass oder im Rahmen des Gerichisorga-nisationsgesetzes erfolgen. Auch im Hinblick auf das Dienstrecht der weiteren Richter der verschiedenen Gerichte in Liechtenstein bestehen ziemliche Unklarheiten, und es gibt derzeit noch keine Regelung, die man sich zum Beispiel in Form eines "Richterdienstgesetzes"

durchaus vorstellen könnte. Vielleicht sollte man zum Schutze der richterlichen Unabhän­

gigkeit auch eine klare Besoldungsordnung schaffen sowie eine "gesetzliche Regelung der Frage, welche Qualifikationen für die Ausübung des Richterberufes (insbesondere des hauptamtlichen) erforderlich sind.""

Das Landgericht als Kriminalgericht besteht aus einem Präsidenten, einem Stellvertreter, einem Landrichter, drei Kriminalrichtern und drei Ersatzrichtern. Der Präsident, dessen Stellvertreter und die weiteren drei Kriminalrichter werden vom Landtag gewählt. Als Vor­

sitzender kommt durchweg ein österreichischer Richter im Nebenamt zum Zuge.12 Die drei Kriminalrichter sind den Schöffen bzw. Ersatzschöffen entnommen, die anderen Schöffen bzw. Ersatzschöffen sind Ersatzrichter der Kriminalrichter. Von den drei Berufsrichtern (im Falle von Ausländern im Nebenamt) ist einer Landrichter, die übrigen Mitglieder sind liech­

tensteinische Laienrichter. Die Kriminalrichter sind wie alle Mitglieder und Ersatzmitglieder der Kollegialgerichte vom Landtag auf vier Jahre gewählt. In der Praxis werden die Kandida­

ten für die Kollegialgerichte von den Fraktionsführern der Parteien im Landtag zur Wahl vorgeschlagen.13 Zur nebenamtlichen oder -beruflichen Richtertätigkeit ist jeder wahlfähige Bürger verpflichtet, auf den diese Wahl fällt.

10 Liechtensteinische Entscheidungssammlung (LES) 1982, S. 8 ff.

11 Jehle 1986, S. 137.

ü Kohlegger 1988, S. 286.

15 Steger 1980/81, S. 44.

Landgericht

Im Unterschied zu den Landrichtern und den Mitgliedern des Obergerichtes und des Obersten Gerichtshofes werden die Richter des Kriminal- und des Schöffengerichtes (mit Ausnahme des darin von Gesetzes wegen tätigen Landrichters) zwar vom Landtag gewählt, bedürfen zu ihrer gesetzmässigen Bestellung aber weder der Ernennung noch einer Bestäti­

gung durch den Landesfürsten.14

Das Schöffengericht besteht aus dem jeweiligen Landrichter als Vorsitzenden, einem Stell­

vertreter, zwei Schöffen und drei Ersatzschöffen. Der Spruchkörper besteht aus dem Land­

richter und den zwei Schöffen. Das Schöffengericht ist ausschliesslich zur Entscheidung über bestimmte Vergehen eingesetzt, für alle übrigen Straftaten ist das Land- und Kriminalgericht zuständig.

Das Landgericht als Jugendgericht setzt sich aus dem Landrichter als Vorsitzenden und zwei Mitgliedern des Jugendrates (§ 4 bis GOG) zusammen, die kraft Gesetzes, also ohne eigene Bestellung, in ihr Amt gelangen, wobei die zwei ältesten ordentliche, die übrigen Mit­

glieder (von fünfen) Ersatzrichter sind. Der Jugendrat selbst besteht aus dem von der Regie­

rung bestellten Leiter des Jugendamtes als dem Vorsitzenden und vier weiteren Mitgliedern und Ersatzmitgliedern. Es muss bezweifelt werden, ob die obige Besetzungslösung des Jugendgerichtes sehr zweckmässig ist, insofern "der Geburtsschein dafür massgebend" ist,

"welche Mitglieder des Jugendrates Jugendrichter und welche Ersatzrichter sind". Sicherlich wäre es "konsequenter und entspräche dem Grundsatz der Gewaltentrennung, wenn die Jugendrichter vom Landtag gewählt würden."14

Es fällt bereits als durchgängiges Charakteristikum der Kollegialgerichte auf, dass diese mehrheitlich mit Laien (und Inländern) besetzt sind, was den wachsenden Grad der justiziel­

len Abstraktheit zwar nicht gänzlich verhindern, aber praktisch doch in etwa begrenzen kann sowie eine stärkere Landes- und Volksverbundenheit mit sich bringt. Darüber hinaus ist es in Liechtenstein - wie in der Schweiz - eine (wenn auch nicht immer strikt durchgehaltene) Orientierungsnorm, dass Gesetzestexte, Verordnungen, Entscheidungen usw. nach Möglich­

keit in einer auch dem Nicht-Experten verständlichen Sprache zu formulieren sind.

So wird, um ein besonders eindrückliches Beispiel anzuführen, im Kommissionsbericht zum Gesetzesentwurf über die allgemeine Landesverwaltungspflege ausdrücklich dargetan:

"Es war beabsichtigt, nur Gutes und Bewährtes, vor allem aus deutschen einzelstaatlichen, schweizerischen und österreichischen Verhältnissen und in einer für unsere Behörden und das Land passenden Weise aufzunehmen; wobei ausländische Gesetze, Entwürfe und Ver-waltungsentscheidungen berücksichtigt worden sind. Bei der Formulierung wurde auf mög­

lichst leichte Lesbarkeit des Textes geachtet, so dass auch ein Nichtrechtskundiger das Gele­

sene soll verstehen können. Die Vorlage wollte zudem manche in der früheren liechtensteini­

schen Rechtssprache bekannte Ausdrücke in neuer Fassung zu Ehren ziehen (z.B. Kund­

schaft, Trölerei, Fürsprech, Landsnöte, Landsrettung) und dadurch enthält die Fassung in manchen Ausdrücken eine lokale Färbung."16

14 Oehry 1986, S. 146.

'5 Ebd. - Es isi eine Regierungsvorlage auf dem UTege der Gesetzgebung, die eine Entflechtung von Jugendamt, Jugend­

rai und Jugendgericht beabsichtigt. In Abänderung des Gerichtsorginisationsgesetzes ist das Land- als Jugendgericht in Zukunft nur dann ordnungsgemäss besci2t, wenn mindestens ein Schöffe dem Geschlecht des/der Angeklagten angehört. Es sollen insoweit bei der künftigen Bestellung des Jugendgerichtes vermehrt Frauen berücksichtigt wer­

den. Die Mitglieder des Jugendgerichtes dürfen ferner nicht mehr beim Jugendamt tätig sein. Im übrigen wurde in $ 8 GOG, in welchem festgelegt wird, dass über die Beratung und Abstimmung der Gerichte in Zivilsachen die Bestimmungen der 5$ 8 bis 12 der Jurisdiktionsnorm gelten und in Strafsachen die Bestimmungen der Strafprozes­

sordnung Anwendung finden, bei der Erwähnung der Gerichte das Jugendgericht offensichtlich vergessen.

16 Beck 1922, S. 4. Siehe in diesem Zusammenhing auch An. 55 Abs. 2 d es Gesetzes über die allgemeine Landesver-waltungspflege (LVG): "Es ist von amtswegen darauf hinzuwirken, dass das Verfahren auf möglichst Übersicht liehe und erschöpfende, rasche, einfache und wenig kostspielige Weise, ohne zuviel Schreibwerk durchgeführt werden kann und dass über der Einhaltung unwesentlicher Formen die Befriedigung der Rechte und 1 nteressen der Parteien im Rahmen des öffentlichen Rechts herbeigeführt wird.*

Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft, derzeit drei Staatsanwälte, davon eine Frau, als Vertreter des öffent­

lichen Rechtes unterstehen der Landesregierung, die ihre Disziplinarbehörde ist und den Staatsanwälten gegenüber ein Weisungsrecht mit bindender Wirkung ausübt. Da über die Staatsanwaltschaft eine interne Behördenkontrolle (z.B. durch Oberstaatsanwaltschaften) in Liechtenstein nicht besteht, ist die Regierung unmittelbar Kontroll- und Weisungsbehörde1*, was sicher nicht ganz unproblematisch ist, auch wenn es sich um eine Kollegialregierung mit zwei politischen Gewichten handelt. Bei besonders brisanten oder Öffentlichkeitsrelevanten Fällen betrachtet es die Regierung als opportun, nur wenig einzugreifen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, politischen Druck ausgeübt zu haben.

Der Staatsanwalt hat insbesondere alle strafbaren Handlungen, die zu seiner Kenntnis gelangen, von Amts wegen zu verfolgen und wegen deren Untersuchung und Bestrafung durch das Gericht das Erforderliche zu veranlassen. Die Staatsanwaltschaft nimmt demnach die öffentliche Anklage wahr und ist eine selbständige, vom Gericht getrennte Justizverwal­

tungsbehörde mit dem Recht auf gerichtliche Akteneinsicht. Trotz ihrer Einordnung in das allgemeine Behördensystem, ihrer Aufgabenstellung als staatliche Anklagebehörde und ihrer Weisungsgebundenheit kommt es ganz wesentlich darauf an, ihre Selbständigkeit in der Strafrechtspflege und in anderen Bereichen zu beachten.

Die Regierung hat daher inzwischen ein Gesetz über die Staatsanwaltschaft erarbeitet, das sich an dem österreichischen Staatsanwaltschaftsgesetz aus dem Jahre 1986 orientiert. Hinzu­

kommen wird eine Verordnung, welche die Aufgaben und innere Einrichtung der Staatsan­

waltschaft, die Behandlung der Strafsachen und den innerbehördlichen Geschäftsgang (Refe­

rate, Geschäftsstelle) konkretisiert. Die Staatsanwaltschaft hat nämlich auch und vermehrt Rechtspflegeaufgaben in bestimmten Bereichen des Zivilrechtes und auf dem Gebiet der Strafrechtspflege zu erfüllen. Sie ist als Verwaltungsbehörde hierarchisch gegliedert und monokratisch organisiert, d.h. wegen der Kleinheit Liechtensteins mit nur einem Gerichts­

bezirk wird auch künftig die Leitung von nur einer Person verkörpert (Prinzip der Einheit der Staatsanwaltschaft), die das Anklagemonopol sowie das sog. Substitutions- und Devolu­

tionsrecht hat. Der Vertretene kann seinem Stellvertreter zwar Weisungen erteilen, die aber keine Wirkung nach aussen haben, insofern gilt selbst die weisungswidrige Handlung des Stellvertreters als Handlung des Vertretenen.