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Liechtensteins primäre Zielsetzung ist die Bewahrung der Unabhängigkeit (resp. Souverä­

nität oder "Eigenstaatlichkeit") in gesicherten Grenzen. Insofern einem Kleinstaat generell die Machtmittel fehlen, seine Interessen durchzusetzen, ist er ganz besonders darauf angewie­

sen, dass internationales Recht gilt und angewendet wird. Er benötigt im Konfliktfall den Rechtsschutz in höherem Masse als grössere Staaten, da seine Durchsetzungschancen anson­

sten vergleichsweise gering sind. Der Kleinstaat muss seinerseits in den zwischenstaatlichen Interaktionen und vor allem bei existentieller Angewiesenheit auf Kooperation in beständiger Weise seine Verlässlichkeit und Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Darüber hinaus kann ein in der Regel verletzlicher, auf rechtlichen Schutz, politische wie wirtschaftliche Unterstüt­

zung und Zusammenarbeit angewiesener wie hiervon strukturell abhängiger Mikrostaat eine aktive Aussenpolitik, soll sie überzeugend und langfristig erfolgreich sein, nur vor dem Hin­

tergrund einer exemplarischen Innenpolitik betreiben.142

Des weiteren muss der ressourcenschwache Kleinstaat Liechtenstein an der Optimierung seiner wirtschaftlichen Existenzgrundlagen aus vitalen Gründen interessiert sein, und er muss sich gleichzeitig im Rahmen seiner Möglichkeiten als fähig erweisen, zu den universellen So­

lidaritätszielen der Weltgemeinschaft im Blick auf friedliche Zusammenarbeit, Freiheit, Si­

cherheit und humanitäre Hilfe einen angemessenen Beitrag zu leisten. Seitens des Kleinstaates kann dies sicherlich nicht ubiquitär erfolgen, sondern bedarf der Schwerpunktsetzung. Folge­

richtig misst Liechtenstein den bilateralen Beziehungen zu seinen beiden Nachbarstaaten Schweiz und Osterreich das Hauptgewicht zu. Insbesondere zur Schweiz besteht eine enge und vielfältige Vertragsgemeinschaft. Es wird dies vor allem mit dem Zollanschlussvertrag aus dem Jahre 1923 (LGB1. 1923, Nr. 23/24 und LGBl. 1924, Nr. 11) dokumentiert, der die Grundlage für weitere Verträge und Vereinbarungen darstellt, wobei weiters der Währungs­

vertrag aus dem Jahre 1980 besonderer Erwähnung bedarf.143

Der Beziehungsreichtum mit dem eidgenössischen Sozius war und ist für das Fürstentum a limine äusserst positiv, welches hierdurch seine Grössennachteile kompensieren und einer Peripherisierung erfolgreich entgehen konnte. Allerdings gehen mit der Anbindung und par­

tiellen Assimilation, die als struktursparende Strategien der selektiven Optimierung verstan­

den werden können und auf (revidierbaren) politischen Entscheidungen beruhen, auch spezi­

141 Siehe insbesondere Geiger/Waschkuhn 1990.

i« Gstöhl 1988, S. 84.

10 Siehe Aussenpolitik 1988.

Internationaler Kontext

fische Autonomieverluste einher. Es ist emeut darauf zu verweisen, dass Liechtenstein, ob-schon die Zoll- und Währungsunion sowie die weiteren Abkommen mit der Schweiz (prinzi­

piell) kündbar sind, Autonomieabstriche erfahren hat, insofern man die Aussenhandels-, Geld- und Währungspolitik freiwillig dem helvetischen Nachbarn überliess. Trotz einer in vie­

lerlei Hinsicht selbstbezogenen Ausrichtung und Entwicklung hat Liechtenstein somit auf ei­

nen bedeutenden Teil eigenständiger Wirtschaftspolitik verzichtet und sogar einige Vollzugs­

kompetenzen im Fürstentum selbst an schweizerische Behörden abgetreten. Der Währungs­

vertrag hat ferner zur Folge, dass alle massgeblichen Gerichtsentscheidungen, die im Zuge der Anwendung von Rechts- und Verwaltungsvorschriften im Rahmen dieses Vertrages gefällt werden, der alleinigen Beurteilung der schweizerischen Gerichtsbarkeit anheimgestellt blei­

ben.1" Ferner gelangen aufgrund des Zollanschlussvertrages zahreiche schweizerische Erlasse in Liechtenstein zur Anwendung, die dem Referendum strukturell entzogen sind. Dieser Be­

reich ist somit den direktdemokratischen Völksrechten, die als Institut von der Schweiz adap­

tiert sind, in Liechtenstein materiell und faktisch zur Gänze verschlossen.'45 Hinzu kommt, dass auch der Inhalt der von Liechtenstein aufgrund des "Zollvertrages" (und der weiteren Verträge und Abkommen) übernommenen Schweizer Vorschriften vom F.L. Staatsgerichtshof nicht an der liechtensteinischen Verfassung gemessen, d.h. auf ihre Verfassungsmässigkeit hin überprüft werden (können); es ist dies jedenfalls noch nie vorgekommen.

Die vordem stärkeren Beziehungen zu Österreich wurden gerade in letzter Zeit wieder in­

tensiviert, vor allem im Bereich der rechtlichen Zusammenarbeit, der Ausbildung und Erzie­

hung sowie des Sozialwesens. Die historisch-politische Abkehr Liechtensteins nach dem Er­

sten Weltkrieg hat von österreichischer Seite her mithin keine langfristigen Folgewirkungen gezeigt, zumal die sozialrelevanten Umbrüche dort und nicht in Liechtenstein stattfanden.

Der Pragmatismus Liechtensteins führte nicht zur Stigmatisierung, so dass die traditionelle Partnerschaft überdauerte, zumal die Wurzeln des Fürstenhauses "habsburgisch" zu verorten sind. Das nur zeitweise getrübte Nahverhältnis kann heute wieder ohne Übertreibung als völ­

lig entspannt und weithin störungsfrei bezeichnet werden. Auch die EG-Aspirationen Öster­

reichs haben zu keinen Irritationen geführt. Allerdings kommt Liechtenstein vermutlich in eine prekäre oder zumindest schwierige Situation, wenn auch die Schweiz die EG-Vollmit-gliedschaft anstrebt, wovon nach den Bundesratsentscheiden vom 22. Oktober 1991 und 18. Mai 1992 zumindest auf politisch-administrativer Ebene zumindest langfristig auszuge­

hen ist. Liechtenstein wäre in Relation zu den Nachbarländern nicht mehr auf einer Ebene und die Asymmetrien würden sich verstärken. Es ist daher Liechtenstein zu wünschen, dass der Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWU) unter Beteiligung der Schweiz und Liechtensteins tatsächlich zustandekommt, d.h. nicht in den Volksabstimmungen schei­

tert, damit keine womöglich fatalen Ungleichzeitigkeiten entstehen.,<6 Im Rahmen der EWR-Verhandlungen zwischen der EG und den EFTA-Staaten hatte das Fürstentum immerhin als einen mehr indirekten und institutionellen Erfolg erreicht, ab 1. September 1991 vollwertiges EFTA-Mitglied zu sein bei einer entsprechenden Abänderung des Zollvertrages mit der Schweiz. Ständige Vertreterin Liechtensteins bei der EFTA mit Sitz in Genf ist die ausseror­

dentliche und bevollmächtigte Botschafterin Andrea Willi (ebenso Botschafterin bei den Ver­

einten Nationen in Genf). Liechtenstein kann neuerdings (Art. 8 bis des Zollvertrages) als eigenständiger Vertragspartner bei internationalen Übereinkommen oder als Mitgliedstaat

144 Vgl' Kleine-Hartlage 1988.

1,5 Ritter 1990, S. 6.

144 Inzwischen ist eine andere faule Ungleichzeitigkcit entstanden: Die Volksabstimmung vom 6. Dezember 1992 in der Schweiz erbrachte für das EWK- Abkommen weder ein Volks- noch ein Sündemehr, hingegen votierten in der liech­

tensteinischen Abstimmung vom 13. Dezember 1992 55,8 % für einen Beitritt des Fürstentums zum Europäischen Wiruchaftsraum. Nachdem "schwarzen Sonntag" (Bundesrai Delamuraz) vom 6.12.1992 findet der europäische ln-tegrationsprozess vorerst ohne die Schweiz suti. Nach dem positiven EWR-Vorum in Liechtenstein ist es derzeit eine offene Frage, ob die Option auch realisiert werden kann, insofern der Zollvenrag mit der Eidgenossenschaft prioriür ist und womöglich nicht entsprechend flexibilisien werden kann.

internationaler Organisationen auftreten, denen die Schweiz angehört. Es gilt der Vorbehalt, dass die Schweiz bereits Mitglied dieser Abkommen ist. Am bilateralen Verhältnis zwischen Liechtenstein und der Schweiz ändert sich damit materiell nichts. Ausschlaggebend für den Wunsch Liechtensteins, künftig als selbständiger Vertragspartner auftreten zu können, waren die Verhandlungen im Rahmen der europäischen Integration und des GATT, da diese Über­

einkommen nicht nur den internationalen Warenverkehr betreffen, sondern auch Bereiche wie Dienstleistungen, Personen- und Kapitalverkehr, Umweltschutz sowie Forschungs- und Bildungspolitik. Es ist indes noch offen, ob Liechtenstein von der EFTA abgeschlossene Ab­

kommen nachvollziehen muss.

Eigene diplomatische Vertretungen unterhält Liechtenstein zur Schweiz, zu Österreich und zum Heiligen Stuhl, weiter beim Europarat, bei der EFTA, bei der UNO und bei der EG, während die diplomatischen und konsularischen Interessen Liechtensteins im Ausland seit 1919 ansonsten von der Schweiz wahrgenommen werden. In Liechtenstein sind über dreissig konsularische Vertreter akkreditiert, jedoch gibt es keinen Schweizer Botschafter in Vaduz, während Liechtenstein in Bern durch S.D. Prinz Nikolaus von Liechtenstein vertre­

ten ist. Die Botschaft in Wien war lange vakant und wird seit 5.9.1991 von Graf Mario von Ledebur-Wichein als ausserordentlicher und bevollmächtigter Botschafter Liechtensteins ge­

leitet. Die Botschaft beim Europarat hingegen wurde in den letzten Jahren nicht permanent betreut (nämlich in Personalunion durch Roland Marxer, Leiter des Amtes für Auswärtige Beziehungen in Vaduz). Ab Februar 1992 ist der frühere Leiter des Schulamtes, Prof. Dr.

Josef Wolf, Ständiger Vertreter beim Europarat in Strassburg, der diese Funktion nunmehr vollamtlich wahrnimmt. Im Zuge des EWR-Beitritts Liechtensteins kam die Einrichtung einer Vertretung in Brüssel hinzu (Maria Pia von Liechtenstein).

Die bilateralen Beziehungen zu den übrigen Staaten sind naturgemäss starken Beschrän­

kungen unterworfen und selektiv. Die liechtensteinische Aussenpolitik ist aber bereit und offen zur bilateralen Zusammenarbeit, wo diese als norwendig und sinnvoll erachtet wird.

So hat das sozialdominant katholische Fürstentum z.B. Abkommen über die kulturelle Zu­

sammenarbeit und im Bildungssektor mit Costa Rica abgeschlossen.

Insofern Liechtenstein nicht für alle sozialen Belange eine eigene staatliche Infrastruktur schaffen kann, zieht es einen besonderen Nutzen aus den bestehenden Möglichkeiten der grenzüberschreitenden und regionalen Zusammenarbeit mit den Behörden und Institutionen der schweizerischen Nachbarkantone Graubünden und St. Gallen sowie den Ämtern und Einrichtungen des angrenzenden österreichischen Bundeslandes Vorarlberg, insbesondere in den Bereichen des Bildungs- und Gesundheitswesens.

Die multilaterale Zusammenarbeit vollzieht sich zuvörderst auf europäischer Ebene.

Liechtenstein ist durch ein Zusatzabkommen von 1972 in das Freihandelsabkommen zwi­

schen der Schweiz und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft einbezogen. Auch beim EWR-Vertrag, der am 2. Mai 1992 von Regierungschef Brunhart im portugiesischen Porto unterzeichnet wurde, ist das Fürstentum Liechtenstein eigenständige Vertragspartei, auch bei den vorangegangenen EG-EFTA-Verhandlungen agierte Liechtenstein bereits als selbständi­

ger Verhandlungspartner.

Mit dem Beitritt zum Europarat 1978 vollzog Liechtenstein einen eminent wichtigen aus-senpolitischen Schritt, der zugleich ein Zeugnis dafür ist, dass Liechtenstein ungeachtet seiner geringen Grösse respektiert und als ein rechtsstaatliches und demokratisches Land anerkannt wird.'47

1,7 N.v.Liechtcnsiein 1984.