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(Inter)kommunale Netzwerke

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 38-42)

Petra Wust, Oberbürgermeisterin von Bitterfeld-Wolfen, betont zu Beginn der Debatte die dringende Notwendigkeit, das Thema Digitalisierung im kommunalen Verbund aufzugreifen. Verwaltung und auch die Arbeitswelt würden sich zunehmend in digitale Netzwerke verlagern. Hier dürfe Bitterfeld-Wolfen buchstäblich nicht den Anschluss verlieren.

Im gesamten Bundesgebiet, aber vor allem in Ost-deutschland vollziehe sich aktuell ein weiterer Mega-trend. Der demografische Wandel werde mittelfristig eine Vertiefung der Disparitäten zwischen Ober-zentren, Universitäts- und Hochschulstandorten, Mittelstädten sowie dem ländlichen Raum bewirken.

Bitterfeld-Wolfen müsse sich im Konkurrenzkampf der Standorte und um die Fachkräfte auch durch eine leistungsfähige Infrastruktur behaupten.

In diesem Zusammenhang thematisiert die Oberbürgermeisterin den Fachkräftemangel in den kommunalen Verwaltungen und den Unternehmen der Stadt. Die kommunalen Akteure müssten noch aktiver und konzertierter versuchen, junge

Führungskräfte zu finden bzw. heranzubilden. Sinn-voll wäre es, diese Mitarbeiter aus der Verwaltung und den kommunalen Unternehmen strukturübergreifend in einem Pool zusammenzuführen. Damit könnte der Austausch befördert und spezifische Qualifizierungs-maßnahmen realisiert werden. Dies wäre ein gute Initiative, damit Stadt und Region die künftigen Anforderungen angemessen bewältigen können.

Prof. Dr. Michael Schäfer bringt die Sprache auf die zum Zeitpunkt der Gesprächsrunde laufende CEBIT in Hannover, der größten Computermesse der Welt. Hier hätten sich namhafte Experten von Microsoft und anderen Unternehmen dahin-gehend geäußert, dass Deutschland den Trend der Digitalisierung verschlafen hätte – sowohl in der Industrie, als auch in der öffentlichen Verwaltung.

Dies sei umso bedauerlicher, als dass die technischen Möglichkeiten und das nötige Know-how ja vor-handen seien. Bei der Frage, welche Akteure in einem kommunalen Gemeinwesen die kommunikative und technologische Umgestaltung anführen könnten und

müssten, nennt Prof. Dr. Schäfer explizit die Stadt-werke und Wohnungsgesellschaften. Die einen seien als Netzdienstleister geradezu prädestiniert für die Verknüpfung von Daten und Leistungen, die anderen stellten den körperlichen Raum, in dem viele der

neuen technischen Möglichkeiten aufliefen. Daher werden die am Tisch versammelten Vertreter von Stadtwerken, Wohnungsgesellschaften und Netz-betreibern gefragt, welche Implikationen sie mit der Digitalisierung verbinden.

Cornelia Al-Turk vertritt als Technische Leiterin die Neue Bitterfelder Wohnungs- und Baugesell-schaft. Sie sagt, dass im Hinblick auf eine effiziente Verwaltung die technischen Möglichkeiten der Ver-netzung noch besser genutzt werden müssten. Gerade im Hinblick auf die Stadtwerke und das derzeit in der Novellierung befindliche Messstellenbetriebs-gesetz ließe sich der Austausch zwischen verschiedenen kommunalen Unternehmen vor Ort, aber auch inner-halb der Region deutlich intensivieren. Bitterfeld-Wolfen hätte in den vergangenen 25 Jahren einen enormen Entwicklungssprung vollzogen.

Diejenigen, die diese Erfolge zusammen erreicht hätten, müssten über gemeinsame Informationsplatt-formen noch stärker versuchen, Werbung für Stadt und Region zu machen. Petra Wust stimmt zu, dass auch in der Verwaltung das Ende des papiernen Zeit-alters absehbar sei. Trotz der immensen Erfolge sei es Digitalisierung

POTENTIALE, DEFIZITE, KOOPERATIONEN UND RECHTLICHE HüRDEN

UNTERNEHMERIN KOMMUNE • AUSGABE 01 / MÄRZ 2016 39

INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN

mitunter schwierig, ein positives Bild von der Stadt Bitterfeld-Wolfen zu vermitteln. Zu festgefügt seien althergebrachte Klischees und zu begierig würden Informationen aufgenommen, die diese vermeintlich bestätigen. Wust bedauert die Wahlerfolge der AfD in Bitterfeld-Wolfen. Diese seien jedoch nicht signifikant größer als in anderen Teilen des Bundeslandes.

Dennoch eigneten sie sich offenkundig als Auf-hänger, um die Erfolge der Vergangenheit zu nivellieren und kleinzureden. Bitterfeld-Wolfen sei mit seinen über 2.000 Unternehmen ein vergleichsweise prosperierender Wirtschaftsstandort, der Perspektiven biete für junge und kreative Menschen. Grundlage für eine weiterhin positive Entwicklung sei ein leistungsfähiges Breitband-netz. Daneben müssten die Anstrengungen intensiviert werden, von den vielfältigen Möglichkeiten in Stadt und Region zu berichten.

Datenauswahl, Strukturierung und Transparenz

Wenn über Digitalisierung gesprochen würde, sei zumeist der reine Austausch von Daten gemeint, so Prof.

Dr. Schäfer. Allerdings müsse in diesem Zusammenhang gefragt werden, wie sich die Vielzahl an Informationen angemessen gewichten, vernetzen und nutzen ließe.

Auf der kommunalen Ebene müsste im Vorfeld eine abgestimmte Strategie zwischen den verschiedenen Akteuren und Interessengruppen vor Ort entwickelt werden, wie sich das Datenvolumen möglichst effizient und transparent sammeln und verwerten lässt.

In die Runde wird gefragt, ob und auf welchen Wegen dies exerziert wird und wie sich bestehende Synergiepotentiale in Zukunft noch besser nutzen lassen. Hans-Joachim Herrmann antwortet: „Für Fernsehen, Telefon und Internet gilt dies schon heute, in Zukunft werden aber auch ganz normale Haushaltsgeräte vollständig vernetzt sein. Die Energie-versorger brauchen online die Verbrauchsdaten aller Abnehmer und die Einspeisedaten aller EEG-Anlagen, um die Netze steuern und die Erneuerbaren Energien möglichst optimal einsetzen zu können.“ Der Vor-sitzende der VKU-Landesgruppe Sachsen-Anhalt verweist auf Studien, wonach sich der Datenverkehr

alle anderthalb Jahre ver-doppelt. Die Initiative des Bundes, wonach bis 2020 eine flächendeckende Versorgung mit Über- tragungsgeschwindig-keiten von 50 Megabit pro Sekunde gesichert sein solle, sei damit schon heute obsolet. Auf der CEBIT in Hannover hätte Bundeswirt-schaftsminister Sigmar Gabriel gefordert, die Übertragungs-geschwindigkeiten bis 2025 zumindest für Industrie und Gewerbe auf ein Gigabit pro Sekunde zu erhöhen, wozu allerdings Investitionen in Höhe von 100 Milliarden Euro nötig seien. Die kommenden Jahre würden zeigen, ob diese ambitionierten Ziele tatsächlich umgesetzt werden.

Die Stadtwerke Wittenberg sehen sich als Infra-strukturdienstleister. Versorgung mit schnellen Datenleitungen, also Breitband, sei auch ein Teil der Daseinsvorsorge, für den sich die Stadtwerke verantwortlich fühlten, argumentierte Herrmann.

„Unsere Stadtwerke haben vor wenigen Tagen ein Unternehmen erworben, welches sich seit 1998 bei Breitband und Telekommunikation engagiert.

Gemeinsam mit dieser neuen Tochtergesellschaft werden wir die Breitband-Infrastruktur in und um Wittenberg ausbauen und damit die Voraussetzung schaffen für die weitere Entwicklung in der Region“, informierte Herrmann.

Jürgen Voigt räumt ein, dass sicherlich weitere Potentiale bestünden. Vieles sei aber auch schon passiert. Der Geschäftsführer der Wohnungs- und Baugesellschaft Wolfen mbH erinnert sich, dass die Glasfaserleitungen nach der Wende ganz bewusst an die Wohnobjekte in Wolfen heran-geführt wurden. Als Vorteil habe sich erwiesen, dass eine von zwei einspeisenden Kopfstationen der Primacom in Bitterfeld-Wolfen steht und den

Kunden der Wohnungsgesellschaft somit eine durch-aus konkurrenzfähige Verbindungsqualität angeboten werden konnte. Petra Wust stimmt zu.

Dennoch ließen sich in der Kooperation der verschiedenen Unternehmen vor Ort sowie unter Nutzung der technischen Möglichkeiten noch mehr Synergien abschöpfen. Die Primacom als Netzdienstleister mit einem starken Bezug zur Stadt Bitterfeld-Wolfen schließt sie in diese Gedankenspiele ausdrücklich mit ein. Leider könne nicht überall in der Stadt und erst recht nicht in den umliegenden Dörfern auf eine ausreichend hohe Übertragungsrate zurück-gegriffen werden. Diese sei jedoch Voraussetzung für alle weitergehenden Überlegungen zu übergreifenden Kooperationen im Sinne der Digitalisierung. Die Übertragungsgeschwindigkeit sei auch ein ent-scheidendes Argument im Ansiedlungsmarketing.

Ob für Unternehmen oder für junge Menschen, kaum jemand werde sich in Stadt und Region nieder-lassen, wenn ein gewisser Verbindungsstandard nicht angeboten werden könne.

Indikatoren und Definitionen Prof. Dr. Schäfer verweist auf eine aktuelle Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers. Hier werde den Kommunen ein Katalog von Indikatoren an die Hand gegeben, nach dem sie selbst ermessen könnten, wie weit die Digitalisierung in der jeweiligen Gemarkung schon fortgeschritten sei. Beispielhaft nennt er die Digitalisierung

Gemeinsam mit unserer neuen Stadtwerke-Tochter werden wir die Breitband-Infrastruktur in und um Wittenberg ausbauen und damit die Voraussetzung schaffen für die weitere Entwicklung in der Region.

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Hans-Joachim Herrmann

Hans-Joachim Herrmann (l.) und Lars Waldmann (r.)

Sabine Barth, Cornelia Al-Turk und Detlef Dreißig (v.l.n.r.)

Möglichkeit einer Online-Terminvereinbarung mit der Verwaltung, den Kauf von Nahverkehrstickets über das Smartphone, ein Online-Beschwerden- und Anliegenmanagement oder das Vorhandensein eines Beauftragten, der sich ausschließlich mit Aspekten der Digitalisierung befasst. Kommunale Digitalisierung werde in der PwC-Studie als systematischer Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie zur Lösung kommunaler Aufgaben in Verwaltung, Politik und allen Bereichen der Kommunalwirt-schaft beschrieben. Diese, nach Ansicht von Prof.

Dr. Schäfer, durchaus gelungene Begriffsbestimmung beziehe sich sowohl auf das Wie einer Umsetzung als auch auf ein konkretes Ziel. Systematisch Daten zu erfassen, hieße auch zu wissen, welche Informationen wichtig und welche irrelevant sind.

Generell sollten sich alle Aktivitäten auf das schlichte Kernziel beziehen, den kommunalen Aufgabenkanon noch effizienter, besser und bürger-näher vorhalten zu können. Im übergreifenden Sinne sei die Digitalisierung auch ein wesentlicher Impuls-geber für verstärkte Kooperationen zwischen den ver-schiedenen Beteiligungen einer Kommune und unter Umständen auch darüber hinaus. Denn schließlich ließen es die technischen Möglichkeiten zu, Quer-schnittsthemen wie Abrechnung oder Buchhaltung aus einer Hand und äußerst kosteneffizient zu leisten.

Gemessen an den Potentialen sei der Ausbaustand interkommunaler Kooperationen und auch der der Vernetzung zwischen verschiedenen Beteiligungen derselben Kommune insgesamt als recht dürftig zu bezeichnen. Vor diesem Hintergrund will Prof. Dr.

Schäfer wissen, wie die anwesenden Vertreter der kommunalen Beteiligungen der Stadt Bitterfeld-Wolfen die Zusammenarbeit bewerten und ob sie Ausbaupotentiale identifizieren können.

„Wenn ich ein kompetentes, schnelles und dienst-leistungsorientiertes Stadtwerk habe, frage ich mich,

wozu man fremde Messdienste in Anspruch nehmen soll. Wieso macht nicht derjenige, der die Leistung liefert, auch die Abrechnung?“, sagt Cornelia Al-Turk. Schließlich hätte Digitalisierung auch etwas mit Vertrauen zu tun, dass die gesammelten persön-lichen Daten und die Informationen zum spezifischen Nutzerverhalten auch sorgsam und diskret behandelt werden. Die Stadtwerke könnten sich hier als ver-trauensvoller Partner anbieten.

Lars Waldmann fügt an, dass mit schnellen Übertragungsraten allein noch nichts gewonnen sei. Kommunen müssten auch über die notwendige Software verfügen. Die Investitionskosten für die Implementierung etwa eines Abrechnungsprogramms könnten und sollten als Treiber für intensivere Kooperationen wirken. In den Niederlanden hätten sich just zu diesem Zweck bereits mehrere Zusammen-schlüsse benachbarter Kommunen gebildet.

„Digitalisierung bietet auch die Chance, den Bürger stärker einzubeziehen“, so Waldmann.

In der nordrhein-westfälischen Mittelstadt Heins-berg hätte Alliander als Netzbetreiber 2009 begonnen, das Energienetz über digitale Sensortechnik und Smart Meter intelligent auszubauen. Inzwischen seien 40 Prozent der Anschlüsse mit einem Smart Meter ver-sehen. Auch hier seien anfangs kritische Fragen zum Thema Datensicherheit gestellt worden. Von diesen Erfahrungen könnten andere profitieren. Wenn ein Stadtwerk oder auch ein kommunaler Energiedienst-leister wie Alliander die Digitalisierung im Sinne einer stärkeren Transparenz von Prozessen verstehe und den Bürger aktiv zu den Vorteilen aufkläre, könnten am Ende größere Bürgernähe und wachsendes Vertrauen stehen. Kundenbefragungen in Heinsberg und anderswo hätten gezeigt, dass den Stadtwerken als Vorsorge- und Fürsorgeunternehmen noch immer eine besondere Hin-wendung zuteilwerde. Insofern seien sie prädestiniert dafür, Skepsis abzubauen sowie Bürger und Kunden an neue technische Möglichkeiten heranzuführen.

Jürgen Voigt wirft ein, dass der in den Kommunen sicherlich vorhandene Wille zur Nutzung von Potentialen oft an rechtlichen Hürden scheitere. So sei es mietrechtlich noch immer nicht möglich, dass die Stadtwerke unter Umgehung der Wohnungsbau-gesellschaften Fernwärme an die Kunden verkaufen.

„In der Theorie klingen die vielfältigen Möglichkeiten sehr beeindruckend und sicherlich können auch wir im Zusammenhang mit der Digitalisierung noch effizienter werden“, räumt Voigt ein. In der Praxis sei es dann und wann aber auch ganz hilfreich, Anlass zu

haben, eine Wohnung betreten zu dürfen und sehen zu können, wie der Nutzer mit dem Eigentum umgeht.

Sabine Barth, Vorstand der WGW Wohnungs-genossenschaft Wolfen eG, thematisiert die Liberalisierung auf den Versorgungsmärkten. Der zunehmende Wettbewerb hätte dazu geführt, dass sich gerade die Stadtwerke, aber auch andere kommunale Versorger intensiv darum kümmern müssten, sämt-liche Synergie- und Effizienzpotentiale zu nutzen.

Barth warnt aber vor möglichen Fallstricken. Diese könnten nicht nur in einem unangemessenen Daten-management liegen, sondern auch in einer möglichen Manipulation von Messinstrumenten. Waldmann wendet ein, dass die Digitalisierung vielmehr das Potential habe, die Anbieter vor unsachgemäßer Nutzung oder der Manipulation von Zählern zu bewahren. „Der Datensatz selbst lässt sich nicht verändern und Manipulationen am Gerät können durch eine systematische Datenanalyse viel leichter erkannt werden.“

Detlef Dreißig ist Geschäftsführer der Netz-gesellschaft Bitterfeld-Wolfen mbH, einer hundert-prozentigen Tochter der Stadtwerke. Er sieht die Digitalisierung als eine wesentliche Voraussetzung für Liberalisierung und Wettbewerb, denn ohne die Digitalisierung

Stadtwerke sind prädestiniert, Skepsis abzubauen sowie Bürger und Kunden an neue technische Möglichkeiten heranzuführen.

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Lars Waldmann

Die Digitalisierung ist auch eine wesentliche Voraussetzung für Liberalisierung und Wettbewerb.

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Detlef Dreißig

Wenn ich ein kompetentes, schnelles und dienstleistungs-orientiertes Stadtwerk habe, frage ich mich, wozu man fremde Mess-dienste in Anspruch nehmen soll.

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Cornelia Al-Turk

Einst für die Agfa als Bürogebäude erbaut – heute Denkmal des Neoklassizismus und Rathaus der Stadt Bitterfeld-Wolfen.

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INSPIRATIONEN/INFORMATIONEN

technischen Möglichkeiten von heute wäre es vor 25 Jahren auch in einem deregulierten Markt kaum machbar gewesen, den Anbieter von Netzdienst-leistungen zu wechseln. Die Stadtwerke bzw. deren Netzgesellschaft stünden als Betreiber des Netzes in Bitterfeld-Wolfen in der Verantwortung, den dis-kriminierungsfreien Zugang zu Netz und Kunden zu gewährleisten und einen freien Lieferanten-wechsel zu ermöglichen. Damit sei eine erhebliche Verantwortung im Hinblick auf die Datensicher-heit verbunden. „Die Stadtwerke Bitterfeld-Wolfen engagieren sich schon jetzt intensiv für die Vernetzung von Stadt und Bürgern“, so Dreißig. Aktuell werde darüber nachgedacht, wie und wo sich die W-LAN-Zonen im öffentlichen Raum ausweiten lassen.

Kooperationen mit der Hochschule Anhalt sollen dafür sorgen, dass technische Potentiale identifiziert und möglichst optimal genutzt werden können.

Ein wesentlicher Teil der Daseinsvorsorge

Die Debatte zur Digitalisierung dürfe sich nicht im Detail oder in möglichen rechtlichen Hürden ver-lieren, sondern müsse das Große und Ganze im Sinn führen, so Prof. Dr. Schäfer. In Nordrhein-Westfalen hätten sich vier benachbarte Städte in einem Pilot-projekt zusammengeschlossen, um bei Beschaffung, Immobilienmanagement, Bauhof, Kasse und Personalverwaltung miteinander zu kooperieren. Bei lediglich 70.000 Einwohnern im gesamten Verbund Digitalisierung

Digitalisierung kann und sollte Anlass dazu geben, die Interak-tionen zwischen den kommunalen Unternehmen einer Stadt, aber auch zwischen benachbarten Kommunen innerhalb einer Region, dahingehend zu überprüfen, inwiefern sich Prozesse optimieren und gemeinsame Projekte entwickeln lassen. Wenn etwa das Abrechnungssystem aus einer Hand erfolgt,

spezifi-sche Daten automatisch zwispezifi-schen den Partnern übermittelt werden und in eine zentrale Buchhaltungs-dienstleistung münden, dann hilft dies nicht nur den Unternehmen, sondern im Sinne von Kundennähe,

Effizienz und Preis auch den Bürgern. Falk Schäfer

DIE TEILNEHMER DER GESPRÄCHSRUNDE (IN NAMeNSALPHABetISCHer reIHeNFoLGe)

ˆ Petra Wust, Oberbürgermeisterin Stadt Bitterfeld-Wolfen, Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Bitterfeld-Wolfen GmbH, der Wohnungs- und Baugesellschaft Wolfen mbH und der Neue Bitterfelder Wohnungs- und Baugesellschaft mbH

ˆ Jürgen Voigt, Geschäftsführer Wohnungs- und Baugesellschaft Wolfen mbH

ˆ Detlef Dreißig, Geschäftsführer Netzgesellschaft Bitterfeld-Wolfen mbH

ˆ Cornelia Al-Turk, Technische Leiterin bei der Neue Bitterfelder Wohnungs- und Baugesellschaft mbH

ˆ Sabine Barth, Vorstand WGW Wohnungsgenossenschaft Wolfen eG

ˆ Hans-Joachim Herrmann, Vorsitzender Landesgruppe Sachsen-Anhalt, Verband kommunaler Unternehmen (VKU), Geschäftsführer Stadtwerke Lutherstadt Wittenberg GmbH

ˆ Lars Waldmann, Experte für Netze und Energiewende, Alliander AG, Berlin

Ich möchte auch vor Fallstricken warnen. Zum Beispiel in Gestalt eines unangemessenen Daten-management oder einer möglichen Manipulation von Messinstrumenten.

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Sabine Barth

In der Theorie klingen die viel-fältigen Möglichkeiten der Digitalisierung sehr beeindruckend

und sicherlich können wir damit noch effizienter werden. In der Praxis ist es aber weiter hilfreich, eine Wohnung betreten zu dürfen

und sehen zu können, wie der Nutzer mit dem Eigentum umgeht.

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Jürgen Voigt

i infos

könnten jährlich immerhin 1,5 Millionen Euro ein-gespart werden. Ließe sich ein solches oder ähnliches Szenario auch für Bitterfeld-Wolfen, die Region bzw.

für die kommunalen Unternehmen denken?

Cornelia Al-Turk bringt einen verstärkten Datenaustausch zwischen Unternehmen und Ver-waltungen der Stadt ins Gespräch und illustriert dies mit folgendem Beispiel: Eine ganze Reihe von Mietern ihrer Wohnungsgesellschaft stellen Anträge auf Mietzuschüsse beim Sozialamt. Natürlich habe der Vermieter ein berechtigtes Interesse, sich zeitnah

über den Bearbeitungsstand informieren zu können.

Cornelia A-Turk hat eine weitere Idee: Der Anteil älterer Menschen werde auch in Bitterfeld-Wolfen immer größer. Deshalb wäre es hilfreich, ein Notfall-armband zu entwickeln, mit dem bei schwerwiegenden Beeinträchtigungen schnell und unkompliziert der Rettungsdienst gerufen werden kann.

Den Gedanken, die kommunalen Akteure in Bitterfeld-Wolfen unter Nutzung der modernen Informationstechnogien besser zu verzahnen, unter-stützt die Oberbürgermeisterin sehr nachdrücklich.

„Es nutzt nichts, wenn nur ein Unternehmen vor-prescht, Ideen entwickelt und diese umsetzt. Ein nach-haltiger Gewinn für die Stadt wird sich nur in einem konzertierten Verbund aller Beteiligungen unter Ein-schluss der Verwaltung erzielen lassen.“ Voraussetzung hierfür seien eine gemeinsame Bestandaufnahme und die Orientierung auf konkrete Kernziele.

„Die von Alliander entwickelte Open Smart Grid Plattform ist im Wesentlichen nichts anderes als ein interoperables Betriebssystem für Strom-netze“, sagt Lars Waldmann. Hierüber könne eine flexible, dezentrale und nach Erzeugungsarten differenzierende Einspeisung von Energie erfolgen.

Ein modernes Glasfasernetz sei geeignet, neben allen anderen Effekten auch die Energieversorgung erheblich zu modernisieren. Um Investitionen zu realisieren und Potentiale möglichst vollumfänglich nutzen zu können, müsse es im Vorfeld natürlich zu einer intensiven Abstimmung zwischen allen beteiligten Akteuren einer Kommune kommen, so Waldmann.

Kommunale Unternehmen fühlten sich gemäß ihrem Daseinsvorsorgeauftrag verantwortlich für eine funktionsfähige Infrastruktur mit notwendigen Dienstleistungen des täglichen Gebrauchs, sagt Hans-Joachim Herrmann. Es sei auch ein Ergeb-nis der Digitalisierung, dass neben Strom, Gas, Wasser, Wärme und anderen Leistungen nun auch ein modernes Glasfasernetz zum Aufgabenkanon der Kommunen gehöre. Der Vorsitzende der VKU-Landesgruppe Sachsen-Anhalt und Geschäfts-führer der Stadtwerke Wittenberg plädiert allerdings dafür, dass sich Stadtwerke und andere kommunale Unternehmen auf infrastrukturelle Dienstleistungen beschränken. n

Die Diskussion dokumentierte Falk Schäfer www.bitterfeld-wolfen.de www.vku.de

www.alliander.de

Bereits seit über 15 Jahren fördert das Stromsteuer-gesetz die dezentrale Stromerzeugung. § 9 Abs. 1 Nr. 3 gewährt eine Steuerbefreiung für Strom, der in Anlagen bis zu zwei Megawatt erzeugt und im räumlichen Zusammenhang entnommen wird. Die Finanzver-waltung wollte die Begünstigung zunächst eng aus-legen. Der Bundesfinanzhof hat allerdings bereits 2004 zugunsten der Anlagenbetreiber entschieden, dass der Strom auch ins Netz der öffentlichen Versorgung ein-gespeist werden darf, dass die Entnahme im Gemeinde-gebiet – jedenfalls im Umkreis von 4,5 Kilometern – einem räumlichen Zusammenhang gleichkommt und dass die Stromsteuerbefreiung in gleicher Weise für Anlagen der Erneuerbaren Energieerzeugung wie auch für solche der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) gilt.

Stärkung der dezentralen Erzeugung der kommunalen Versorger

Diese Entscheidung stärkte die dezentrale Erzeugungs-situation vieler kommunaler Energieversorger.

Begünstigt waren kommunale Blockheizkraft-werke (BHKW) der örtlichen Stromversorgung,

erdgasbefeuerte KWK-Anlagen, aber auch Biomethan-BHKW, örtliche Wasserkraft- oder Photovoltaik- und in bestimmten Fällen auch Windkraftanlagen. Viele Betreiber von Erneuerbaren Erzeugungsanlagen haben – den Vorgaben des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) folgend – in den vergangenen Jahren auf die sogenannte regionale Direktvermarktung umgestellt.

Sie vertreiben ihren Strom also direkt an die eigenen Kunden vor Ort. Durch die Steuerbefreiung kann insbesondere der kaufmännische Mehraufwand der Vor-Ort-Vermarktung gedeckt werden.

Nachdem diese Praxis jahrelang akzeptiert, umgesetzt und auch zuletzt im Rahmen der EEG-Novelle 2014 nicht thematisiert wurde, rütteln Gesetz- und Verordnungsgeber nunmehr an diesem Verständnis der Begünstigung. Sie streben eine erhebliche Einschränkung der Stromsteuerbefreiung an, die insbesondere auf zwei Wegen eintreten soll.

Faktischer Ausschluss der EEG-Anlagen durch das Strommarkt-Gesetz

Der erste Vorstoß erfolgte mit dem Entwurf des Strommarktgesetzes vom 06. November 2015.

Hier versteckt sich eine Regelung, die zu einem faktischen Ausschluss

der Stromsteuer-befreiung für EEG-Anlagen führt. Denn ein neuer § 19 Abs.

1a EEG 2014 soll die Betreiber von EEG-An-lagen künftig zur Wahl verpflichten, ob sie eine finanzielle Förderung nach dem EEG oder stattdessen die Strom-steuerbefreiung nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 StromStG in Anspruch nehmen wollen. Dasselbe gilt für die Steuerbefreiung nach

§ 9 Abs. 1 Nr. 1 StromStG für sogenannten „grünen Strom aus grünem Netz“. Diese Wahlpflicht besteht sowohl für tatsächlich eingespeisten wie auch für kaufmännisch-bilanziell weitergegebenen Strom. Sie soll rückwirkend zum 01.01.2016 in Kraft treten und sämtliche Anlagen umfassen, die nach früheren Fassungen des EEG gefördert werden. Da die EEG- Förderung zumeist wirtschaftlich bedeutsamer sein dürfte als die Stromsteuerbefreiung, entfällt selbige regelmäßig.

Die Auswirkungen sind fatal: Denn damit werden die Begriffe „dezentral“ und „erneuer-bar“ gewissermaßen zu Gegensätzen. So muss sich der Betreiber einer dezentralen KWK-An-lage künftig entscheiden. Verwendet er das teurere Biogas, um eine EEG-Förderung zu erhalten, erübrigt sich die Steuerbefreiung. Benötigt er für die Wirtschaftlichkeit der Anlage hingegen die Steuerbefreiung, kann er dies nur mit einem Erdgasbetrieb erreichen, wodurch wiederum die EEG-Förderung entfällt.

Mit Blick auf den Vertrauensschutz noch kritischer zu bewerten ist, dass die beschriebenen Auswirkungen nicht nur für neue Projekte gelten, sondern alle EEG-Bestandsanlagen und bestehenden Modelle umfassen. Dies gilt Regulierung

DEZENTRALE STROMERZEUGUNG UND REGIONALE DIREKTVERMARKTUNG

Im Dokument Unternehmerin Kommune: (Seite 38-42)