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Intelligenz kommt vom lateinischen Wort „intellectus“ und bedeutet Erkenntnis und Einsicht. Das Zitat, das es so viele Definitionen von Intelligenz gibt wie es Intelligenzforscher und Theorien darüber gibt, wird schon lange nicht mehr verwendet. Nach rund 100 Jahren Intelligenzforschung ergab sich eine Definition des Intelligenzbegriffes, welche weitläufig anerkannt ist (Neubauer & Stern, 2009).

Im wesentlichen wird Intelligenz wie folgt beschrieben: „Intelligenz wird bezeichnet als die Fähigkeit, sich in neuen Situationen auf Grund von Einsichten zurechtzufinden oder Aufgaben mit Hilfe des Denkens zu lösen, ohne dass hierfür die Erfahrung, sondern vielmehr die Erfassung von Beziehungen das Wesentlichste ist“ (Dorsch Psychologisches Wörterbuch, 1998, S. 403).

Die Beschäftigung mit der Intelligenz ist keine Erfindung der Neuzeit. Die Anfänge der Intelligenzforschung reichen weit zurück. Bereits in Platos Schriften wird

erwähnt, dass die Vergabe von Regierungsämtern aufgrund der Auswahl der Besten getroffen wurde. Auch im alten China diente ein solches Auswahlverfahren der Bestimmung hoher Beamter. Viele einflussreiche Schriften dieser Zeit thematisieren Verstand, Denken und Intelligenz, darunter das Alte und Neue Testament, die traditionellen Schriften Indiens, die Lehren des Konfuzius und die Arbeiten griechischer Philosophen (Schubert, 2005).

Entscheidende Impulse für die Entstehung der Intelligenzforschung entstammen der Beschäftigung mit individuellen Unterschieden in der Biologie beispielsweise der Evolutionstheorie von Darwin (1809-1882). Ein Vetter Darwins, Sir Francis Galton (1822-1911) gilt als einer der ersten wissenschaftlichen Forscher der Intelligenz- und Begabungsforschung. Anhand seiner Stammbaummethode versuchte er als Erster eine Häufung besonderer Begabungen in bestimmten Familien zu erklären. Galton versuchte Begabungen physikalisch zu messen, indem er die Reaktionszeit, sensorische und motorische Fähigkeiten und die Reizunterscheidung erhob (Neubauer & Stern, 2009).

Intelligenz ist jedoch kein physikalisches Merkmal wie Größe oder Gewicht, welches man mit einem Messinstrument direkt erfassen kann. Vielmehr wird Intelligenz als ein Konstrukt bezeichnet, welches nicht direkt beobachtbar ist, sondern nur aus bestimmten Anzeichen erschlossen werden kann. Somit ist ein Intelligenztest eine Sammlung von Aufgaben, bei denen die Testentwickler davon ausgehen, Aufschluss über die Intelligenzleistung von Getesteten zu erhalten (Holling & Kanning, 1999). Boring (1923) beschreibt den Sachverhalt wie folgt:

“Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst“ (Boring, 1923, zitiert nach Neubauer, 2002).

1.2.1 Intelligenztheorien und die Entwicklung von Intelligenztests

Ein Intelligenztest ist ein Instrumentarium der psychologischen Diagnostik zur Erfassung der Intelligenz einer Person. Es gibt viele unterschiedliche Intelligenztests, da es darauf ankommt, welche Facette der Intelligenz erfasst werden sollte. Ziel ist jedoch die Messung der kognitiven Fähigkeiten einer Person und in neueren Studien und Tests auch deren soziale und emotionale Kompetenz. Es wird davon ausgegangen, dass Leistungsunterschiede in Intelligenztests auch Unterschiede in

konstruieren ihre Tests nach impliziten Annahmen und bestehenden Intelligenztheorien. Dementsprechend gibt es Tests zur Erfassung der allgemeinen Intelligenz (einem Generalfaktor) oder von Komponenten (Dimensionen oder Faktoren) der Intelligenz. Deshalb kann auch davon ausgegangen werden, dass verschiedene Intelligenztests unterschiedliche Aspekte der Intelligenz messen. Auch sind die verwendeten Untertests in den Intelligenzverfahren teilweise sehr unterschiedlich (Bortz & Döring, 1995).

Die Erfindung der Intelligenztests geht im Wesentlichen auf Alfred Binet (1857-1911) und Thèophile Simon (1873-1961) zurück. Binet und Simon wollten die Eignung von Kindern für verschiedene Schulformen feststellen. Sie stellten Aufgabengruppen zusammen und prüften, welche davon Kinder einer bestimmten Altersgruppe lösen konnten. Wenn ein Kind bei der Testung die Aufgaben seiner Altersstufe lösen konnte, wurde ihm ein Intelligenzalter zugeschrieben, welches seinem Lebensalter entsprach. Das Problem hierbei war lediglich, dass ein Intelligenzrückstand oder -vorsprung bei einem dreijährigen Kind eine wesentlich andere Bedeutung hatte als bei einem 14-jährigen Kind. Um dieses Problem zu beheben, entwickelte William Stern (1912) den Intelligenzquotienten (IQ), bei dem das Intelligenzalter durch das Lebensalter geteilt und mit 100 multipliziert wurde.

Lediglich für Erwachsene lässt sich nach dieser Formel das Ausmaß der Intelligenz nicht mehr sinnvoll berechnen. Dieses Problem wurde von Wechsler 1955 beseitigt indem der Abweichungs-IQ entwickelt wurde. In dieser Formel ist sowohl das individuelle Testergebnis der Person wie auch Kennzahlen ihrer Altersgruppen enthalten. Im Wesentlichen entspricht diese Formel unserer heutigen Auffassung des IQs (Holling & Kanning, 1999).

Im Folgenden sollen nun einige der bekanntesten Theorien, welche die Grundlage für verschiedene Intelligenztests bilden, kurz dargestellt werden.

Spearman konzipierte 1904 sein „Zweifaktorenmodell“, in dem er Intelligenz in einen

„general factor“ (abgekürzt g-Faktor) und einen „special factor“ (kurz s-Faktor) aufteilte. Damit versuchte Spearman zu erklären, warum manche Menschen generell bessere Intelligenzleistungen erbringen als andere, weil ihr g-Faktor hoch ausgeprägt ist und auch bestimmte s-Faktoren hoch ausgeprägt sind. Aufgrund der Einfachheit und Plausibilität wurde Spearmans Theorie allgemein bekannt. Aufgrund der Konzeption eines Generalfaktors ist es schwierig g mit nur einem Intelligenztest zu

messen, dafür wird eine breit angelegte Testbatterie zu Hilfe genommen (Stemmler et. al, 2011).

Thurstone konzipierte in den 30er Jahren das Gruppenfaktorenmodell und gab die Theorie eines allgemeinen Intelligenzfaktors auf. Thurstone gliedert Intelligenz in die folgenden sogenannten sieben „Primärfaktoren“: verbal comprehension, word fluency, number, memory, perceptual speed, space, reasoning. Thurstones Modell zufolge sind beim Lösen von Denkaufgaben immer mehrere Primärfaktoren beteiligt.

Grundlegend ist aber die Annahme, dass die Zahl von Primärfaktoren immer niedriger ist als die Zahl der Tests, welche in Untersuchungen eingesetzt werden.

Mehrere Tests können sich somit zu einer Primärfähigkeit zusammenschließen.

Somit gilt die Voraussetzung, dass die Leistung in einer bestimmten Aufgabe nicht zugleich von allen vorhandenen Primärfähigkeiten determiniert wird (Stemmler et. al, 2011).

Ein anderes hierarchisches Faktorenmodell der Intelligenz wurde von Cattell 1963 entwickelt. Er definiert zwei verschiedene Formen von Intelligenz, die „fluide“, vorwiegend erbbedingte Intelligenz und die „kristalline“, vom Lernen, Umwelt und Kultur abhängige Intelligenz.

In den letzten beiden Jahrzehnten wurde versucht, bestimmte Fähigkeiten mit Variablen des kognitiven Systems gleichzusetzen, wie zum Beispiel dem Arbeitsgedächtnis. Aufgrund der Tatsache, dass Verarbeitungsgeschwindigkeit und -kapazität des Arbeitsgedächtnisses interindividuell verschieden ausgeprägt sind, können somit Intelligenzunterschiede erklärt werden (Stemmler et. al, 2011).

Eine Theorie, die diesem Ansatz gerecht wird, stammt von Jäger. Er postulierte 1982 das Berliner Intelligenzstrukturmodell und unterscheidet zwei Ebenen der Intelligenz.

Er beschreibt eine allgemeine Intelligenz, welche sich aus einzelnen Fähigkeiten zusammensetzt, die durch Inhaltsbereiche (z.B. „verbal“) bestimmt und durch kognitive Faktoren (z.B. „Verarbeitungskapazität“) voneinander unterschieden sind.

Ein weiteres Konzept macht populärwissenschaftlich auf sich aufmerksam. Es ist die Theorie der Multiplen Intelligenzen von Gardner (1991). Nach dieser Theorie lassen sich sechs Intelligenzsysteme unterscheiden, welche relativ unabhängig voneinander arbeiten: logisch-mathematische Intelligenz, sprachliche Intelligenz, räumliche Intelligenz, musikalische Intelligenz, Körperbeherrschung und soziale Intelligenz (Holling & Kanning, 1999).

1.2.2 Empirische Befunde der Intelligenz

In der Psychologie betrachtet man Intelligenz als generelle Denkfähigkeit im Umgang mit Problemstellungen und kognitiven Aufgaben verschiedenster Art. Zwar werden diverse Intelligenzkomponenten (z.B. verbal, rechnerisch, visuell-räumlich, figural) unterschieden, jedoch korrelieren diese intellektuellen Teilfähigkeiten immer bedeutsam positiv miteinander. Neubauer und Stern gehen davon aus, dass bei Personen mit gut ausgeprägten sprachlichen Fähigkeiten auch deren mathematische Fähigkeiten relativ gut ausgeprägt sind. Deshalb entstand in der fast 100-jährigen Intelligenzforschung die Annahme eines „Generalfaktors“, welcher als allgemeine Intelligenz betrachtet wird. Sowohl die allgemeine Intelligenz wie auch die einzelnen Teilfähigkeiten können mit unseren heutigen Intelligenztests zuverlässig gemessen werden. Die Leistungen in diesen Tests sind in der Lage, den schulischen und beruflichen Erfolg vorherzusagen. Intelligenz ist der wichtigste Prädiktor für Berufserfolg und wird noch deutlicher, wenn es sich um Berufe mit steigender Komplexität der Anforderungen handelt (Neubauer & Stern, 2009).

In der Kindheit nimmt die Intelligenz stetig zu, obwohl eine relative Intelligenzstabilität innerhalb einer Population besteht (Süß, 2007). Empirische Studien belegen, dass eine zuverlässige Intelligenzbeurteilung bereits im Vorschulalter möglich ist. Die Zusammenhänge zwischen Intelligenz im Vorschulalter und der Intelligenz im Erwachsenenalter liegen um .50 und steigen mit zunehmendem Alter rapide an. Ab einem Alter von 10 – 12 Jahren verbessert sich die Vorhersagegenauigkeit von Intelligenztests nur noch sehr gering (Neubauer, 2007).

Warum gerade ab diesem Alter zuverlässige Vorhersagen möglich sind, lässt sich mit neuesten Erkenntnissen zur Gehirnentwicklung erklären. Laut der heutigen Forschung werden in den ersten Lebensjahren viele synaptische Verbindungen zwischen Nervenzellen aufgebaut, aber im Laufe der kindlichen Entwicklung kommt es auch immer wieder zu Rückbildungen dieser Synapsen. Dieser Vorgang wird als neurale Bereinigung bezeichnet, überflüssige synaptische Verbindungen werden bereinigt. Ein weiterer Prozess im Gehirn ist die Myelinisierung, die Isolierung der Axone, welche mit zunehmendem Alter steigt. Beide Prozesse machen das Gehirn effizienter. Studien zur Gehirnaktivierung beim Problemlösen zeigen, dass intelligentere Menschen ihr Gehirn „energieeffizienter“ nutzen. Bei intelligenteren

Menschen erfolgt eine Aktivierung aufgabenspezifischer Gehirnareale, während weniger intelligente Personen ein diffuses, über das ganze Gehirn verteiltes, Aktivierungsmuster zeigen (Neubauer, Grabner, Fink & Neuper, 2005).

Auch weitere Moderatorvariablen wie Lernen, Aufgabenschwierigkeit und Expertise beeinflussen das Auftreten des effizienten Aktivierungsmusters. Zwar sind Intelligenz und Begabung wichtig, jedoch kann gezeigt werden, dass hohe Motivation, Interesse und harte Arbeit, wenn eine Grundvoraussetzung vorhanden ist, förderlich für gute oder herausragende Leistungen sind (Neubauer, 2007).

Die Ursachen individueller Intelligenzunterschiede liegen in den genetischen Einflüssen und den Umwelteinflüssen. Aus verhaltensgenetischen Zwillings- und Adoptionsstudien ist bekannt, dass bei Kindern und Jugendlichen etwa 50 % der Intelligenzunterschiede auf die Gene, etwa 25 % auf (von den Mitgliedern einer Familie) geteilte Umwelteinflüsse und 20 % auf nicht geteilte Umwelteinflüsse (außerfamiliäre Einflüsse) zurückgeführt werden können. Die restlichen 5%

bezeichnen den Messfehler. Somit spielt der Schulbesuch, der zu den nicht geteilten Umwelteinflüssen zählt, eine wichtige Rolle. Die Quantität und die Qualität des Schulbesuches könnten somit dafür verantwortlich gemacht werden, dass der IQ - ausgehend von einem genetische IQ – um +/- 21 Punkte variieren könnte. Neubauer unterlegt diese Annahme mit folgenden Beispiel: Ein Kind, welches beispielsweise einen „genetischen IQ“ von 115 hat, würde bei sehr schlechter Förderung nur einen IQ von ca. 95 erreichen, jedoch bei optimaler Förderung einen IQ von 135 erzielen (Neubauer, 2007).

Im folgenden Kapitel soll nun speziell die verbale Intelligenz näher beschrieben werden.