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INTEGRATIVES KONZEPT FÜR ÖFFENTLICHKEITSBETEILIGUNG IM DIGITALEN

Seit vielen Jahren werden in Österreich erfolgreich Partizipationsprojekte durchgeführt, in den letzten Jahren verstärkt auch unter Nutzung digitaler Technologien. Der technologische Fortschritt bietet dabei neue Möglichkeiten. Beteiligungsprojekte müssen völlig neu gedacht, konzipiert und durchgeführt werden. Denn es geht nicht darum, analoge Formen der Beteiligung durch digitale zu ersetzen, oder analogen Prozessen digitale Komponenten hinzuzufügen, sondern um die gelungene Verschränkung digitaler und analoger Möglichkeiten. Eine gute Beteiligungsarchitektur gewinnt immer mehr an Bedeutung. Damit können analoge und digitale Methoden und Instrumente entsprechend der Fragestellung, Thema, Zielgruppe sowie Zweck und Ziel von Beteiligungsverfahren ausgewählt und angepasst werden.

Orientiert an den Phasen des Policy Cycle und auf der Basis von theoretischem und praktischem Wissen von Expertinnen und Experten entwickelt, soll das ganzheitliche Strategiedokument für eine integrative Öffentlichkeitsbeteiligung im digitalen Zeitalter sowohl Expertinnen- und Expertenwissen und Theorie beinhalten und verständlich vorstellen. Der Policy Cycle oder Politikzyklus ist ein Modell für die Strukturierung eines poltisch-administrativen Prozesses und unterstützt durch kontinuierliches Monitoring und Evaluation die evidenzbasierte Politikgestaltung.

Die in der österreichischen Bundesverwaltung seit 1. Jänner 2013 zur Anwendung kommende wirkungsorientierte Verwaltungssteuerung folgt dieser universalen Reflexionslogik des Policy Cycle. Die Erbringung öffentlicher Aufgaben wird im Policy Cycle in unterschiedlichen Phasen strukturiert und die Öffentlichkeit kann mit passenden Beteiligungsprozessen eingebunden werden. Um dessen Einbindung in die Öffentlichkeitsbeteiligung zu erläutern, werden zunächst einige grundlegende Konzepte definiert.

2.2. Die Öffentlichkeit

Die Europäische Kommission definiert „Öffentlichkeit“ als „eine oder mehrere natürliche oder juristische Personen und, in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder der innerstaatlichen Praxis, deren Vereinigungen, Organisationen oder Gruppen“.1 Die Öffentlichkeit muss "frühzeitig und in effektiver Weise die Möglichkeit“ erhalten, sich an der Vorbereitung und Änderung oder Überarbeitung der Pläne oder der Programme zu.2

Die Plattform „Digitales Österreich“ des Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, definiert Öffentlichkeit als „einen offenen und unbegrenzten Personenkreis, alle Mitglieder und Organisationsformen einer Gesellschaft außerhalb staatlicher Organisationen.

Zu dieser Öffentlichkeit gehören Einzelpersonen und Personengruppen.“3 Personen sind nicht in Gruppen organisiert und agieren nicht für die Ziele einer Organisation, sondern ihrer Einzelinteresse. Oganisationen der Zivilgesellschaft gehören auch zur organisierten Öffentlichkeit, allerdings auf freiwilliger Basis und ohne gesetzlichen Auftrag.

1 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32003L0035&from=EN

2 Ibid.

3 https://www.digitales.oesterreich.gv.at/-/begriffsklarungen-zur-burgerbeteilung.

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2.3. Partizipation oder Öffentlichkeitsbeteiligung

Öffentlichkeitsbeteiligung ist ein sozialer, kommunikativer und politischer Prozess. Kurz (1991) beschreibt die Öffentlichkeitsbeteiligung als die „unmittelbare Mitwirkung von Betroffenen und/oder Interessierten und Engagierten am Entscheidungsverfahren der Verwaltung“ (nach Hoffmann-Riel und Rubbert 1984 (S.11)), und versteht sie als die „Anhörung von Betroffenen/Interessenten sowie die (…) ermittelten Einwendungen mit den Einwendern“ (S.12).

Einige Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung sind, laut Fisahn (2002):

 Information der Behörde einerseits und der Bürgerin und des Bürgers andererseits,

 Interessenvertretung und -ausgleich,

 Effektivitätssteigerung der Verwaltung,

 Beschaffung von Akzeptanz für Entscheidungen sowie

 Vorgelagerter (Grund)-Rechtschutz und Gewährung rechtlichen Gehörs

Auf Englisch wird Öffentlichkeitsbeteiligung als „public participation“ übersetzt und ist von der Europäischen Kommission v.a. im Umweltbereich verankert. Die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 fokussiert auf die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme. Das Ziel der Richtlinie ist es, die Pflichten aufgrund des Århus-Übereinkommens und eine verbesserte Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates zu erfüllen. Dabei hat die Öffentlichkeit das Recht, Stellung zu nehmen und Meinungen zu äußern, bevor Entscheidungen über die Pläne und Programme getroffen werden. Das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung soll bei der Entscheidung angemessen berücksichtigt werden und die zuständige Behörde soll nach der Prüfung der von der Öffentlichkeit vorgebrachten Meinungen und Stellungnahmen über die getroffenen Entscheidungen und das Verfahren zur Beteiligung informieren.4

In den „Standards für die Öffentlichkeitsbeteiligung“ (Bundeskanzleramt, 2008) wird eine ähnliche Definition angegeben, die Öffentlichkeitsbeteiligung ist „die Möglichkeit aller betroffenen und bzw.

oder interessierten Personen, ihre Interessen oder Anliegen bei der Entwicklung von Plänen, Programmen, Politiken oder Rechtsakten zu vertreten bzw. vorzubringen“ (S.15). Die Plattform

„Digitales Österreich“, die sich an den „Standards für die Öffentlichkeitsbeteiligung“

(Bundeskanzleramt, 2008) orientiert, sieht „dass (…) neben Bürgerinnen und Bürgern auch Interessengruppen wie die Kammern oder NGOs (Nichtregierungsorganisationen) zum Beispiel Umweltschutzorganisationen oder soziale Organisationen beteiligt werden“5 können.

Im Kontext dieser Definition geht die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD, 2017) auch darauf ein, dass im Mittelpunkt einer solchen Beteiligung der Policy Cycle steht (OECD, 2020) unter Einbezug der jeweiligen Stakeholder durch Information, Konsultation oder Kooperation in die Entscheidung, Gestaltung und Umsetzung von öffentlichen Projekten.

Daher beschreibt die Partizipation oder Öffentlichkeitsbeteiligung grundsätzlich den Einbezug der jeweiligen Stakeholder durch Information, Konsultation oder Kooperation (siehe unten) in die Entscheidung, Gestaltung und Umsetzung von öffentlichen Projekten. Die Stakeholder können sowohl einem weiten (z.B.: alle Personen, die in irgendeiner Weise von einem Vorhaben betroffen

4 https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32003L0035&from=EN

5 https://www.digitales.oesterreich.gv.at/-/begriffsklarungen-zur-burgerbeteilung.

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sind) als auch einem engeren (z.B. Personen aus institutionalisierten Interessensvertretungen) Verständnis folgen (s.o “Die Öffentlichkeit”).

In allen Formen birgt der Einsatz von Beteiligung, im Besonderen auch dort, wo keine gesetzliche Verpflichtung zur Beteiligung besteht, zahlreiche Potenziale. Dazu gehören vor allem:

 die Erhöhung der Wirksamkeit, Kapazität und Legitimität öffentlicher Entscheidungsprozesse;

 die Modernisierung der staatlichen Dienstleistungserbringung;

 eine höhere Interaktion zwischen öffentliche Verwaltung und Bürgerinnen und Bürgern;

 die verstärkte Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in Netzwerken und Dialogen;

 der Zugang zu neuen Ideen und Know-how;

 ein vertieftes Verständnis der Themen und folglich mehr Akzeptanz der getroffenen Entscheidung durch Bürgerinnen und Bürger;

 öffentlicher Nutzen durch die kollaborative Zusammenarbeit von öffentlichen Einrichtungen, dem privaten Sektor, Gemeinschaftsgruppen, Bürgerinnen und Bürger;

(Peter Parycek, Keynote bei Kick-Off)

Partizipative Prozesse sollen nicht nur zum Zweck der Akzeptanzbeschaffung geführt werden, sondern um die “die Werte und Werthaltungen der Beteiligten sowie ihre Interessen und Bedürfnisse sichtbar" (Standards für die Öffentlichkeitsbeteiligung, 2011) zu machen und qualitativ bessere, langfristig robustere und nachhaltige Entscheidungsprozesse und Ergebnisse zu erhalten, etwa durch Zugang der Verwaltung zur Praxis der Bürgerinnen und Bürger. Die Öffentlichkeitsbeteiligung im digitalen Zeitalter ist durch das Zusammenwirken von digitalen und analogen Methoden gekennzeichnet. Dieser integrative Ansatz bringt situationsspezifische neue Chancen für die Gestaltung von Beteiligungsprozessen.

2.4. Politische Partizipation

Politische Partizipation ist die Teilhabe und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern an politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozessen. Sie kann sich sowohl auf die grundlegende politische Ausrichtung, als auch auf spezielle politische Einzelfragen und Entscheidungen beziehen. Wie oben erwähnt, muss die Politische Partizipation von der Öffentlichkeitsbeteiligung unterschieden werden, da die politische Partizipation alle Aktivitäten von Bürgerinnen und Bürger mit dem Ziel politische Entscheidungen zu beeinflussen umfasst (Barrett

& Brunton-Smith, 2014). Dazu gehören auch Aktivitäten wie die Sammlung von Unterschriften, die Teilnahme an einer Demonstration, das Boykottieren von Produkten oder die Unterzeichnung einer Petition (Jan W. van Deth, 2009) (Jan W van Deth & Maloney, 2012) .

2.5. Integrative und integrierte Partizipation im digitalen Zeitalter

Das Partizipationsprinzip verlangt, dass Bürgerinnen und Bürger die Breite und Vielfalt einer Gemeinschaft in einem kooperativen Dialog während des gesamten Planungs- und Gestaltungsprozesses repräsentieren. Die Generierung von Ideen, Visionen und Entscheidungen verlangt Methoden, die zu reflexiven und kritischen Bürgerinnen- und Bürgerbeiträgen führen. Die integrative Partizipation stellt einen Ansatz dar, der öffentliche Verantwortung für Planung und Entwurf voraussetzt. Partizipatives Planen und Gestalten benötigt und ermöglicht die Integration von Verwaltungsebenen, Gesellschaftssegmenten und Fachgebieten und Verbindungen aber auch einen reflektierenden und kritischen Planungs- und Gestaltungsprozess umfasst. Themen, Probleme und Lösungen müssen über ihre Wechselbeziehungen betrachtet werden. Dieses Prinzip gilt auch für die Vielfalt der Wissenstypen und -grundlagen, einschließlich der Expertinnen

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und Experten, die für Nachhaltigkeit und Gemeinschaft notwendig sind. In einem integrativen Ansatz in der Partizipation sind mehrere Schritte notwendig (McCarthy & Jinnett, 2001):

 Die Verknüpfung der Aktivitäten einer Organisation zum Aufbau von Partizipation mit ihren Grundwerten und ihrem Zweck durch die Auswahl von Beteiligungszielen, die diesen Zweck unterstützen;

 Die Identifizierung klarer Zielgruppen und Ausrichtung ihrer Taktik auf gute Informationen über diese Gruppen.

 Verständnis der internen und externen Ressourcen, die für den Aufbau von Partizipation eingesetzt werden können.

 Die Einführung eines Prozesses für Feedback und Selbstevaluierung.

Wirtz et al weisen auf die Bedeutung eines integrierten strategischen Rahmens für e-Partizipation hin, da dieser die wichtigen strategischen, organisatorischen und umweltbezogenen Faktoren miteinander verbindet. Die integrierte e-Partizipationsstrategie ist ein Ansatz, bei dem alle Instrumente vollständig koordiniert werden: “Unter Berücksichtigung der individuellen Stärken und Schwächen der Instrumente wird ihre Anwendung so gesteuert, dass sie sich gegenseitig ergänzen. Das bedeutet, dass die Instrumente komplementär und damit nicht konkurrierend eingesetzt werden...Die erfolgreiche Realisierung einer integrierten Strategie erfordert daher ein hohes Maß an zentraler Integrations- und Koordinationskompetenz der E-Partizipation". (Wirtz, Daiser und Binkowska, 2018, S. 6)6

2.6. Besonderheiten digitaler Öffentlichkeitsbeteiligung (E-Partizipation)

Der Begriff „elektronische Partizipation“ oder "E-Partizipation" stammt aus den frühen 2000er Jahren und stützt sich im Allgemeinen auf einige Entwicklungen im Bereich der neuen Möglichkeiten der kollaborativen IKT-Umgebungen, Entwicklungen in der E-Demokratie z.B. e-Voting (die elektronische Stimmabgabe), die IKT-gestützte Interaktion zwischen Regierungen und Bürgerinnen und Bürgern (Konsultationen, Lobbying, Petitionen und Abstimmungen), aber auch im Bereich Wahlkampf und Kampagnen (Hilbert, 2007). Auch die Entwicklung im E-Government-Bereich, die zu immer komplexeren Dienstleistungsangeboten führen, spielen eine Rolle, da sie Interaktion, Optionen, Ergebnisse, Benachrichtigungen, Anfragen, Beschwerden und weitere Aktivitäten verlangen.

E-Partizipation beschreibt alle internetgestützten Verfahren, die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, sich an politischen Entscheidungsfindungsprozessen zu beteiligen: „die E-Partizipation (kann) als Weiterentwicklung klassischer Formen der Bürgerbeteiligung in Form von digitalen Werkzeugen angesehen werden“7. Viele Länder, Städte und Gemeinden haben mittlerweile Plattformen für die digitale Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger geschaffen. Daher ist e-Partizipation die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT), um die Prozesse demokratischer Entscheidungsfindung zu unterstützen (Macintosh, 2004). Auch aktuellere Artikel verweisen dabei auf die Einstufung von Macintosh und White (2008), welche

6„The integrated e-participation strategy is the most sophisticated approach, in which all instruments are completely coordinated. Taking into account the individual strengths and weaknesses of instruments, their application is managed in such a way that that they complement each other. This means that the instruments are used in complementary way, and thus do not compete with each other. Hence, synergy effects can be fully exploited and the competition between instruments is actively managed. Successfully realizing an integrated strategy thus requires a high light of centralized e-participation integration and coordination competence” (Wirtz, Daiser und Binkowska, 2018, S. 6)

7 http://kommunalwiki.boell.de/index.php/E-Partizipation

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Partizipation als die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger durch den Einsatz von IKT in die öffentliche Entscheidungsfindung definiert.

Aichholzer, Kubicek und Torres (2015) zeigen, dass Partizipationsmethoden in allen Phasen des Policy Cycle eingesetzt werden können, aber Unterschiede im Einsatz bestimmter Tools bestehen. Während Online-Plattformen eine der häufigsten und bekanntesten Umsetzungsmöglichkeiten für digitale Partizipation der Bürgerinnen und Bürger darstellen, werden nicht nur zahlreiche integrative Ansätze, wie eine Verbindung aus offline veranstalteten Ideenwettbewerben und digitalen Plattformen umgesetzt, sondern auch soziale Medien als zentrales Forum wahrgenommen.

Die Bedeutung der Gestaltung physischer oder virtueller öffentlicher Räume in Partizipationsprojekten steigt. Der Einsatz von Partizipationsmechanismen für die Gestaltung von Smart Cities, für die Einbindung junger Generationen oder im Allgemeinen für die Gestaltung und Verbesserung des Dialogs zwischen Bürgerinnen, Bürgern und Verwaltung nimmt weltweit zu.

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