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2 Spätantike Inschriftlichkeit in den italischen Provinzen – ein Panorama

2.1 Quantitäten

2.2.2 Inschriften und Bauwerke

Wenn wir von Inschriften im Kontext von Bauwerken sprechen, so bezeichnen wir diese zumeist als ‚Bauinschriften‘, einerseits, um damit auf den Anbringungsort der Inschriften an einem Gebäude zu verweisen, andererseits, weil diese sog. tituli operum locorumque publicorum von der Erbauung, Wiederherstellung oder Weihung eines solchen kündeten.⁹⁶ Dabei konnte es sich um profane wie religiöse, um öffentliche wie private Bauten handeln. Inschriften prangten an Basiliken und Portiken, an Tempeln und Schreinen. Sie befanden sich an Bauten des politischen Lebens, in Kurien und Amtslokalen genauso wie an Vergnügungsbauten, etwa Theatern und Badehäusern.

Auch Bauwerke an den Rändern und außerhalb der Städte konnten Inschriften tragen, und so finden wir sie ferner an Stadttoren und -mauern, Brücken und Aquädukten. In der Regel waren diese Inschriften von monumentaler Größe und an der Außenfassade des Gebäudes angebracht, sodass sie für den Betrachter gut wahrnehmbar und lesbar waren. Beliebte Anbringungsorte waren etwa Architrave und andere Gebälkteile, in welche die Inschriften in großen, meist sehr sorgfältig ausgeführten Buchstaben ein-geschrieben waren. Noch größere Aufmerksamkeit zogen tituli aus eingelegten Metall-lettern auf sich, die man seit augusteischer Zeit vor allem für Tempel und Ehrenbö-gen verwendete. Zuweilen kam es auch vor, dass man den Text auf einer großen Tafel anbrachte und diese dann gut sichtbar am Äußeren des Gebäudes befestigte. Ohnehin gehörten die gute Sichtbarkeit, ein wirkungsvolles Erscheinungsbild und eine gewisse Monumentalität zu den zentralen Merkmalen römischer Bautituli, und wie bei kaum

96 Zum Typus der Bauinschriften s. Bodel 2001, 46–48; Horster 2001; Cooley 2012, 39–52, 152–159.

einem anderen Inschriftentypus war ihre äußere Gestalt von einem so durch und durch öffentlichen, repräsentativen Wesen geprägt. Dieser Charakter spiegelt sich auch auf der inhaltlichen Ebene der Texte wieder, in denen nicht nur von den jeweiligen Bau-maßnahmen die Rede ist, sondern immer auch von demjenigen, der diese initiiert und durchgeführt hatte. Insofern wäre die Bezeichnung „Bauherreninschrift“ oder „Stif-terinschrift“ in den meisten Fällen wesentlich treffender, denn sie verdeutlicht, dass dieser Typus von Inschriften seinen eigentlichen Bezugspunkt weder in dem Bauwerk selbst noch in dem Akt der Errichtung oder Restaurierung fand, sondern zuerst in der hierfür verantwortlichen Person, eben dem Bauherren oder Stifter. Dementspre-chend wird man unter den Bauinschriften der römischen Antike nur wenige Exem-plare finden, welche den jeweils Verantwortlichen nicht erwähnen  – ob während der Epoche der Republik, der Kaiserzeit oder der Spätantike. Doch wenngleich der Name des Bauherren zu allen Zeiten unverzichtbarer Bestandteil römischer Bautituli gewesen war, so blieb deren inhaltliche Gestaltung im Verlauf der Jahrhunderte nicht vollkommen unverändert. Politische Umbrüche, gesellschaftlicher Wertewandel und neue Konzepte innerhalb des staatlichen und städtischen Bauwesens ließen auch die hiermit so eng verbundene Praxis der Ausstattung öffentlicher Gebäude mit Inschrif-ten nicht unberührt und beeinflussInschrif-ten sowohl Inhalt als auch Form der tituli.

Während der Römischen Republik war die Errichtung und Instandhaltung von gemeinschaftlich genutzten Bauwerken eine öffentliche Angelegenheit, um die sich die munizipalen Institutionen und Beamten zu kümmern hatten. In der Regel beauf-tragte der Stadtrat einen zuständigen Beamten mit dem Bau oder der Instandsetzung eines Gebäudes, der die hierfür notwendigen Arbeiten veranlasste und den Baupro-zess überwachte. Finanzielle Verpflichtungen entstanden ihm daraus nicht, da die Kosten in der Regel aus öffentlichen Geldern beglichen wurden. Die entsprechenden Inschriften waren mithin von eher sachlichem, informativem Tonfall und nannten nicht bloß die Namen der verantwortlichen Beamten, sondern bestätigten auch, dass diese ihren amtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Volk in allen Belangen nach-gekommen waren.⁹⁷ In der Kaiserzeit übernahmen die Kaiser selbst, ferner auch Ange-hörige des Hofs, des politischen Stabs, Reichsbeamte sowie Privatleute die Rolle der Bauherren und beschenkten die Stadtgemeinden des Reichs mit öffentlichen

Gebäu-97 So zum Beispiel im Fall der Bauinschrift der Thermae Stabianae in Pompeji, wo die beiden duoviri iure dicundo C. Vulius und P. Aninius für die öffentliche Ausschreibung der erforderlichen Baumaß-nahmen gesorgt und über die Einhaltung des Vertrags zwischen Stadt und Bauunternehmen gewacht hatten. Nach Ausweis der Inschrift wurden die hierfür vorgesehenen finanziellen Mittel vom ordo decurionum durch ein Finanzgesetz bewilligt: CIL X 829 = CIL I 1635 = ILS 5706 = ILLRP 648: C(aius) Vulius C(ai) f(ilius) P(ublius) Aninius C(ai) f(ilius) IIv(iri) i(ure) d(icundo) / laconicum et destrictari-um / faciund(destrictari-um) et porticus et palaestr(am) / reficiunda locarunt ex / d(ecreto) d(ecuriondestrictari-um) ex / ea pequnia quod eos e lege / in ludos aut in monumento / consumere oportuit faciun(da) / coerarunt eidemque probaru(nt). – Zu Bauinschriften in Italien während der Republik s. Panciera 1997; Pobjoy 2000; zum Bauverfahren und der Organisation öffentlicher Bauvorhaben mit Schwerpunkt auf die späte Republik und frühe Kaiserzeit s. Martin 1989.

2.2 Erscheinungsformen  41

den und Tempeln. Dementsprechend waren die vormals üblichen Formulierungen wie decreto decurionum, senatus consulto, faciendum curavit idemque probavit und pecunia publica anderen Wendungen wie extruxit, exornavit, restituit, dedit sowie de sua pecunia oder sumptu suo gewichen, die auf die private Initiative eines Einzelnen abhoben. Die im Kontext privater Schenkungen entstandenen Bauinschriften der Kaiserzeit verstanden es nicht nur, den jeweiligen Stifter durch die unverzichtbare Nennung seines Namens und den Hinweis, dass er das Gebäude aus seinem persönli-chen Vermögen finanziert hatte, als großzügigen Wohltäter erscheinen zu lassen. Sie ermöglichten es dem Stifter auch, sich als treuer Anhänger und Bewunderer des Herr-scherhauses zu gerieren, indem er das Gebäude dem regierenden Kaiser widmete und dies gleich zu Beginn der Inschrift mit Formulierungen wie in honorem domus divinae, pro salute imperatoris oder imperatori Caesari … festhalten ließ.

Mit dem Wandel der staatlichen bzw. öffentlichen Baupolitik ging immer auch ein Wandel des inhaltlichen Formulars der Inschriften und mithin ihrer Botschaften einher, der sich in der Spätantike nicht weniger offenkundig niederschlug als in der Umbruchszeit zwischen Republik und Kaiserzeit. Obgleich sich die textliche Struktur der tituli in ihren Grundzügen kaum veränderte – nach wie vor gehörten der Name des Bauherren, der Name desjenigen, dem er den Bau gewidmet hatte, Informatio-nen zur Finanzierung sowie ein Hinweis darauf, ob das Gebäude neu errichtet, res-tauriert, fertiggestellt oder verschönert worden war, zu den elementaren Bestand-teilen –, hoben sich die Texte der Spätantike in mancherlei Hinsicht doch merklich von ihren Vorgängern ab. Auf der einen Seite lässt sich beobachten, dass bestimmte Merkmale, die in der Kaiserzeit eher als Tendenzen bestanden hatten, nun zu echten Charakteristika gesteigert wurden. Das betraf zum Beispiel die Praxis, das gestiftete Gebäude dem Kaiserhaus zu weihen und die Inschrift mit einer Gruß- oder Glück-wunschformel beginnen zu lassen. Insbesondere in Nordafrica und in der östlichen Reichshälfte war diese Sitte besonders ausgeprägt und dementsprechend sind derlei Beispiele dort sehr häufig.⁹⁸ Doch auch im italischen Raum begegnen immer wieder Exemplare, die von der Weihung eines Baus an das Kaiserhaus zeugen. Mit Blick auf die hier stellvertretend untersuchten italischen Provinzen Venetia et Histria, Tuscia et Umbria und Apulia et Calabria ließen sich etwa eine Epistylinschrift aus Aquileia (Inschrift Nr. A. III. 3) und je eine auf einer Tafel angebrachte Inschrift aus Ocriculum (Inschrift Nr. B. III. 1) und Luceria (Inschrift Nr. C. III. 2) beispielhaft anführen. Während die Exemplare aus Aquileia und Luceria in ihrer Formulierung recht knapp gehalten sind und nicht mehr als den Namen der geehrten Kaiser im Dativ anführen, beginnt die zu einem Thermenhaus gehörende Inschrift aus dem umbrischen Ocriculum mit dem Segenswunsch Provocati temporis beatitudinem, in diesem Fall gerichtet an Con-stantius II. und Constans, und dargebracht von dem Brüderpaar Sextus Cluvius

Mar-98 Für Nordafrica s. Kotula 1983 und Waldherr 1989; für den Osten, wo diese Tendenz allerdings schon wesentlich früher, nämlich in der frühen Kaiserzeit einsetzte s. Robert 1948.

tinus und Marcus Caesolius Saturninus. Dieses, so die Inschrift, ließ die Badeanlage auf eigene Kosten restaurieren, und zwar ordini seu civibus Ocriculanis ad meliorem pulc(h)ritudinem pro civica adfectione.

Die Wendung am Ende der Inschrift offenbart ferner ein zweites textliches Charak-teristikum spätantiker Bautituli, welches nunmehr weniger den Anlass der jeweiligen Inschriftensetzung betrifft als vielmehr die Gründe für die durchgeführten Baumaß-nahmen und die Motivation des Stifters. Warum man ein Gebäude erbauen, restau-rieren, erneuern oder verschönern ließ, wurde in der Spätantike oftmals ebenso aus-führlich dargelegt wie die Absichten, die man hiermit verfolgte. In Anbetracht der Tatsache, dass seit dem 4. Jh. kaum noch neue Gebäude errichtet wurden und sich die Stadtgemeinden in erster Linie darum bemühten, den alten Baubestand zu erhalten und zu pflegen, sprechen nur die wenigsten tituli dieser Zeit von tatsächlichen Neu-bauten. Viel häufiger hingegen lesen wir von Reparatur- oder Aufbaumaßnahmen, die entweder vom hohen Alter des Baus herrührten oder in Folge einer plötzlichen Zerstörung notwendig geworden waren.⁹⁹ Im campanischen Abellinum etwa wurde im Jahr 324 ein seit langer Zeit verfallener Aquädukt durch die zuständigen Beamten wiederhergestellt.¹⁰⁰ In Pisaurum ließ der amtierende curator rei publicae des Jahrs 378/79 eine aus Altersgründen zerfallene Brücke wiederherstellen.¹⁰¹ Und in Liternum bei Neapolis war es eine Badeanlage, die – longi temporis vetustate corruptum – der Restaurierung im späteren 4. Jh. bedurfte.¹⁰² Nicht selten hatten auch Brandkatast-rophen oder Erdbeben zum Verfall öffentlicher Gebäude geführt, was die Inschriften mit Wendungen wie incendio consumptum oder terrae motibus collapsum zum Aus-druck zu bringen wussten. Im Jahr 346 wurde die Provinz Samnium durch ein

hefti-99 Dabei gilt es allerdings zu berücksichtigen, dass solche Formulierungen oftmals nicht mehr als topische Rhetorik waren und nicht immer allzu wörtlich verstanden werden müssen; zu diesem As-pekt s. ausführlich Thomas/Witschel 1992.

100 AE 1939, 151: Dd(omini) nn(ostri) Fl(avius) Constan/tinus Max(imus) Pius / Felix Victor Aug(ustus) / et Fl(avius) Iul(ius) Crispus et / Fl(avius) Cl(audius) Constantinus / nobb(ilissimi) Caess(ares) / fon-tis Augustei / aquaeductum / longa incuria / et vetustate conruptum / pro magnificentia / liberalitafon-tis consuetae / sua pecunia refici iusserunt / et usui civitatium infra / scriptarum reddiderunt / dedicante Ceionio Iuliano v(iro) c(larissimo) / cons(ulare) Camp(aniae) curante / Pontiano v(iro) p(erfectissimo) praep(osito) eiusdem / aquaeductus / nomina civitatium / Puteolana Neapolitana Nolana / Atellana Cumana Acerrana / Baiana Misenum.

101 CIL XI 6328 =
 ILS 5903 = AE 2000, 551 = AE 2003, 599: Dd(omini) nn(ostri) Impp(eratores) Caess(ares) Gratianus [et] Valentinianus triump(hatores) s[emp(er) Augg(usti)] / pontem vetustate corrụ[ptum] / in usum cursus publici res[titui] / aptariq(ue) iusserunt. / Curag(ente) Fl(avio) Va[len]-tino(?), c(uratore) r(erum) p(ublicum) P[is(aurensium) et Fan(estrium)]. Wie auch die zuvor genannte Inschrift aus Abellinum war der Bau den amtierenden Kaisern geweiht.

102 EphEp VIII 456b =
 ILS 5693 = SupplIt 25, 2010, 44 f. Nr. 12: Balneum Veneris lon[gi tempo]/ris vetustate corruptum / Domitius Severianus v(ir) c(larissimus) con[s(ularis)] / Campaniae ad pristinam faciem [revo]/cavit curante hac(!) dedican[te] / Sentio Marso v(iro) c(larissimo) comite divinor[um] / curatore Capuensium Liternin[orum] / et Cumanorum.

2.2 Erscheinungsformen  43

ges Beben erschüttert, das offenbar viele Gebäude in Mitleidenschaft zog.¹⁰³ Unter der Amtszeit des damaligen rector provinciae Fabius Maximus wurden jedenfalls zahlreiche Bauten, darunter Thermen und ein Macellum, wieder aufgebaut, in deren Inschriften die Naturkatastrophe als Ursache für die Baumaßnahmen verantwortlich gemacht wird.¹⁰⁴ Was die Absichten der Stifter angeht, so ist oftmals die Rede davon, dass sie das Stadtbild zu verschönern suchten, wie im Fall des praefectus praetorio Fabius Pasiphilus, der in Puteoli eine Basilika sowie die Hafenanlagen restaurieren ließ und damit zum Wohlgefallen (gratia) und zum Glanz (splendor) der Gemeinde beitragen wollte.¹⁰⁵

Indem man die Inschriften mit Widmungen und Segenswünschen an das Kaiser-haus beginnen ließ und den Betrachter der Inschrift darüber in Kenntnis setzte, was den Stifter zu den Baumaßnamen veranlasst und motiviert hatte, bereicherte man die Inschriften um inhaltliche Elemente, die für die eigentliche Kernbotschaft der Bau-inschriften unerheblich waren. Zuweilen trugen sie auch durchaus narrative Züge.

Anders als die Bautituli aus Republik und Kaiserzeit neigten diejenigen der Spätan-tike oftmals zu wortreicheren Texten, wie wir sie zuvor auch schon im Zusammenhang mit den Ehreninschriften der Statuenbasen beobachten konnten, welche ihrerseits vor allem die lobenswerten Eigenschaften der Geehrten betonten und ihre Tugendhaf-tigkeit in mitunter ausschweifenden Worten feierten. Ganz ähnlich wie bei den tituli honorarii finden sich auch unter den tituli operis publici der Spätantike metrisch abge-fasste Inschriften, Epigramme und Gedichte. Bezeichnenderweise beschränkten sich diese jedoch auf eine bestimmte Sphäre und auf gewisse Gebäudetypen, und zwar die religiöse Sphäre des frühen Christentums und seine Kult- und Begräbnisstätten.

Christliche Bauinschriften finden wir vor allem im Kontext großer Kirchenanla-gen, seltener auch im Zusammenhang mit kleineren Kapellen, Baptisterien, Klöstern, Xenodochia und Begräbnisstätten. Ähnlich wie bei profanen Bauten im öffentlichen Raum und paganen Kultbauten gab es auch unter den Gebäuden der christlichen Sphäre im Grunde keins, das nicht mit Inschriften hätte versehen werden können. Im Unterschied zu den tituli römischer Profanbauten und Tempel waren die Inschriften

103 Hieron. Chron. (ed. Helm, 236).

104 CIL IX 2338 = ILS 5691 (Allifae); CIL IX 2643 (Aesernia); CIL IX 2842 = ILS 5362 (Histonium); CIL IX 6307; AE 1930, 120; Athenaeum 56, 1978, 149 Nr. 7 (alle Saepinum); außerdem folgende Statuenba-sen für Fabius Maximus, die ihn als Stifter nennen: AE 1996, 475 (Bovanium); CIL IX 2447, 2448 (Saepi-num); AE 1972, 150 (Telesia). Zum Bauprogramm des Fabius Maximus s. Thomas/Witschel 1992, 170 f.

mit Zweifeln, ob die Bauten tatsächlich immer der Restaurierung bedurft hatten. Womöglich, so die Argumentation, könnten die Baumaßnahmen auch Maximus’ Profilierungssucht geschuldet gewesen sein, der sich als großzügiger Stifter gerieren und somit soziales Prestige erlangen wollte. Zur Person des Fabius Maximus s. außerdem Camodeca 1971.

105 CIL X 1692, 1694 = ILS 792: Pro beatitudine temporum / felicitatemque publici status Imp(e ra-torum) / ddd(ominorum) nnn(ostrorum) Theodosi Arcadi et Honori / perennium Augustorum / ripam macelli dextra lebaque / ad gratiam splendoremque / civitatis Puteolanae instructum / dedicavit Fabius Pasiphilus v(ir) c(larissimus) / agis vicem praefectorum praetorio / et urbi.

christlicher Bauwerke aber nicht an den Außenmauern und -fassaden angebracht, sondern im Inneren, wo sie zumeist in Form großer Mosaikinschriften an den Wänden, seltener auch auf dem Boden zu sehen oder am Gebälk der Innenarchitektur einge-schrieben waren. Ein solches Exemplar ist etwa aus dem umbrischen Spoletium über-liefert. Es zeigt einen kunstvoll gearbeiteten Architrav mit Lotus-Palmetten-Fries und die darunter angebrachte Stiftungsinschrift für einen durch Bischof Achilles errichte-ten Bau (Inschrift Nr. B. VI. 11, Abb. 1). In der Kathedrale von Clusium war es hingegen ein Kämpferblock, an welchem sich Bischof Florentinus mit den schlichten Worten Sanctus episcopus Florentinus fecit verewigte (Inschrift Nr. B. VI. 1, Abb. 2).

In weniger monumentaler Form fanden sich Inschriften im Kirchenraum auch im Mosaikboden, auf Altären, Mobiliar und liturgischem Gerät, wobei es sich hier in der Regel um Inschriften mit den Namen der jeweiligen Stifter handelte. Angesichts der vielfältigen Erscheinungsformen und unterschiedlichen Anbringungsorten im Gebäudeinneren waren Kirchen Orte mit einer ungemein dichten Präsenz von Inschrif-ten. Sie waren gewissermaßen ‚beschriebene Räume‘, in denen sich das Phänomen Inschriftlichkeit auf vielerlei Weise entfaltete. Als wie reichhaltig und komplex sich eine solche Verdichtung von Inschriftlichkeit innerhalb einer Kirchenanlage darstel-len konnte, inwiefern die Inschriften mit theologischen Botschaften verknüpft waren und welche Rolle sie als Medien der Repräsentation innerhalb des Baus spielten, zeigt in aller Deutlichkeit das Beispiel der frühchristlichen Kathedrale in Parentium aus dem 6. Jh., die in Kapitel 5 ausführlicher behandelt wird.

Doch nicht nur hinsichtlich ihrer materialen Präsenz im Raum, sondern auch im Bezug auf die inhaltliche Gestaltung und den Charakter der Texte sind signifikante Besonderheiten auszumachen, die christliche Bauinschriften von solchen des profa-Abb. 1: Architrav mit der Stiftungsinschrift des Bischofs Achilles, Spoleto.

Abb. 2: Kämpferblock mit der Inschrift des Bischofs Florentinus in der Kathedrale in Chiusi.

2.2 Erscheinungsformen  45

nen Raums und des römisch-polytheistischen Glaubens unterscheiden. Es war Luce Pietri, die sich erstmals intensiv mit dem Wesen spätantiker Inschriften im Kontext (christlich-)religiöser Architektur auseinandersetzte.¹⁰⁶ Sie erkannte im Wesentlichen drei Typen von Inschriften – sie spricht von „trois styles principaux d’inspiration“ –, die sie im Hinblick auf ihre inhaltliche Aussageabsicht und die zugrundeliegenden Motivationen ihrer Autoren voneinander unterschied. Die Inschriften des ersten Typus sind anlässlich der Errichtung, Erneuerung oder Weihung eines Gotteshauses entstanden und gaben Auskunft über das Bauwerk, seinen Bauherren bzw. Stifter und die durchgeführten Baumaßnahmen. Die Inschriften des zweiten Typus waren hin-gegen weniger von informativem als vielmehr von ekphrastischem Charakter, denn sie beschrieben ein Bauwerk, einzelne architektonische Elemente oder die dekora-tive Ausstattung, und dies in zumeist feierlichen Worten, zum Teil mit durchaus lite-rarischem Anspruch und nicht selten in Form von Epigrammen und Gedichten. Die Inschriften des dritten Typus bezeichnete Pietri als „spirituelle“ Inschriften mit theo-logischem Gehalt, bei denen es sich vornehmlich um Bibelzitate, Heiligenviten oder Elogen auf verstorbene Märtyrer und Bischöfe handelte. Wie auch die Inschriften der zweiten Gruppe war die Präsenz von derlei Texten in architektonischen Kontex-ten zuvor unbekannt. Unter den BauinschrifKontex-ten waren sie also etwas Neuartiges und letztendlich das Resultat einer gewandelten Inschriftenkultur und neuer Praktiken im Umgang mit öffentlich dargebrachter Schrift und inschriftlichen Texten, wie sie erst unter dem Einfluss des neuen Glaubens hatten ausgebildet werden können.

Bei den Inschriften der ersten Gruppe hat man die Traditionen kaiserzeitlicher Bautituli durchaus gepflegt, denn sie nannten in bekannter Weise den Namen des Bauherren bzw. Stifters, unter Umständen auch dessen Amtsbezeichnung sowie die Umstände der Baumaßnahmen. So geschehen etwa im Fall einer Bauinschrift des 4.

oder 5. Jhs. aus Ostia: Sanctis martyribus et beatissimis / Eutropio Bonosae et Zosimae / Donatus episc(opus) tum[ul]um ado[rnavit] / sed et basilicam coni[un]ctam [tumulo] / a fundamentis sanctae [ple]bi d[ei construxit]¹⁰⁷ oder einer weiteren, zur gleichen Zeit entstandenen aus Portus: Heraclida episc(opus) servus / [Dei] basil[icam] Yppo-lito / [beatissimo martyri] / [fecit]¹⁰⁸. Wie hier zu sehen, verkündeten die Inschriften außerdem, wem der Bau geweiht war, und machten auf diese Weise den Namen des jeweiligen Heiligen, Märtyrers oder Kirchenpatrons für jedermann sichtbar, wobei die Bauten durchaus auch unter dem Patrocinium aller Heiligen, also der Gemeinschaft der sancti, stehen konnten.¹⁰⁹ Mitunter wurde auch auf die Beweggründe des

Stif-106 Pietri 1988.

107 CIL XIV 1937 = ILCV 1788a (em) = Thylander 1952, B 234.

108 ILCV 995 = AE 1982, 135b = Mazzoleni 1983, 253.

109 Die kleine Basilika Sant’Andrea in Betika wurde in honore beat(orum) sanct(orum) errichtet (Caillet 1993, 337 Nr. 1 = Zettler 2001, 184). In Ravenna verkündete die Inschrift: Petrus episc(opus) s(an)c(ta)e Ravenat(is) eccl(esiae) coeptum opus // [a fund]amentis in honore s(an)c(to)r(u)m perfecit (CIL XI 265 = ILCV 1798a = IGRavenna 23).

ters eingegangen. Im Fall der Weihinschrift der Kirche S. Laurentius in Rom wurden diese sehr detailliert ausgeführt.¹¹⁰ Sie konnten aber auch wesentlich knapper mit den Wendungen pro voto oder votum solvit zum Ausdruck gebracht werden. Es waren dies Formeln, mit denen auf die Erfüllung eines Gelübdes verwiesen wurde und die auch schon für Weihungen an Gottheiten der römisch-polytheistischen Glaubenswelt ver-wendet worden waren. Ganz im Sinne christlicher Glaubens- und Wertevorstellungen bemühte man sich in den Inschriften zuweilen auch darum, als treuer Diener Gottes zu erscheinen und seine Demut gegenüber dem Herrn zu bezeugen, indem man sich als servus oder famulus Dei bezeichnete¹¹¹ und erklärte, der Bau sei mit der Hilfe des Herrn errichtet worden.¹¹² Insbesondere in den musivischen Bodeninschriften des Adriaraums, mit denen sich die an der Finanzierung des Tesselats beteiligten Gemein-demitglieder im Bau verewigt hatten, war auch die Wendung de donis Dei beliebt.

Damit gab man zu verstehen, dass die eigene Stiftung im Grunde nichts anderes als eine Gabe Gottes war, die man ihm nun zurückgab.¹¹³ Bezeichnenderweise reichte das Gebot der demütigen Bescheidenheit allerdings nicht so weit, dass die Inschriften den Namen und Rang des jeweiligen Stifters verschwiegen oder Angaben zum Umfang der Spendensumme vorenthalten hätten, wie es etwa bei spätantiken Kirchenbauinschrif-ten aus dem OsKirchenbauinschrif-ten des Römischen Reichs vergleichsweise häufig zu beobachKirchenbauinschrif-ten ist.¹¹⁴ Sehr anschaulich zeigt sich dies am Beispiel einer Inschrift aus Pisaurum, in der sich traditionelle Elemente römischer Stiftungsinschriften mit einem Bekenntnis zu christ-lichen Werten vereinen:¹¹⁵

Auxiliante / deo et interceden/te beata Maria Ioh/annis vir gloriosus / magistro(!) militum / et ex consul(e) provin/ciae Mysiae natus / hanc basilicam / cum omni devoti/one et desiderium(!) / a fundam[ent]is / construx[it].

Durch Gottes Hilfe und das Einlenken der seligen Maria hat Iohannes, ein ruhmreicher Mann, magister militum und Sohn eines Konsuls der Provinz Mysia, diese Basilika von Grund auf

Durch Gottes Hilfe und das Einlenken der seligen Maria hat Iohannes, ein ruhmreicher Mann, magister militum und Sohn eines Konsuls der Provinz Mysia, diese Basilika von Grund auf