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Embleme, Zeichen und Buchstabensymbole

2 Spätantike Inschriftlichkeit in den italischen Provinzen – ein Panorama

2.1 Quantitäten

2.2.8 Embleme, Zeichen und Buchstabensymbole

Neben den Inschriften komplexeren Inhalts und den benennenden Beischriften in bildlichen Darstellungen kannte die Spätantike noch eine weitere Spielart von Inschriftlichkeit, die sich ihren Ausdruck in Emblemen, Symbolen und Schriftzeichen verschaffte. Diese waren weder von informativem noch narrativem noch erklären-dem Charakter, sondern wirkten, inerklären-dem sie auf jemanden oder auf etwas verwiesen und ihn oder es repräsentierten: Gott, Christus, Heilige, lebende Personen, abstrakte Ideen, nicht fassbare Vorstellungen. Als solche waren sie gleichsam ‚unaussprechli-che Schrift‘ und konnten nicht tatsächlich gelesen, sondern mussten deutend verstan-den werverstan-den. Obgleich sie sich in ihrem Wesen und ihrer optischen Präsenz also erheb-lich von den anderen Inschriftentypen unterschieden, verfügten sie dennoch über ein ebenso hohes kommunikatives Potential. Oftmals war ihre Aussagekraft sogar beson-ders stark an einen kommunikativen Zusammenhang gebunden. Zuweilen konnten sie aber auch aus diesem herausgelöst werden und die Form eines Ornaments annehmen, das nun weniger verweisend als viel mehr ästhetisierend oder dekorierend wirkte.

Zu dieser speziellen Form spätantiker Inschriftlichkeit zählen etwa Monogramme, Abbreviaturen und christliche Symbole wie Kreuze, Christogramme, die symbolischen Buchstaben A und Ω sowie die nomina sacra, die in Abkürzung geschriebenen ‚Heili-gen Namen‘ und zentralen Begriffe christlicher Gottesvorstellung. Oftmals begegne-ten sie in Verbindung mit anderen Inschrifbegegne-ten, vor allem mit christlichen Grabinschrif-ten, deren Texte gerne durch die Hinzufügung von Symbolen und Zeichen bereichert wurden. Zuweilen kamen sie aber auch vollkommen losgelöst von einer textlichen Botschaft vor und entfalteten ihre Wirkung ganz aus sich selbst heraus. Das gilt in besonderem Maß für die Gruppe der Monogramme, deren Verwendung erst in spätan-tiker Zeit häufiger zu beobachten ist, als man sich ihrer erstmals in konzeptioneller Art und Weise als Medien der repräsentativen Selbstdarstellung bediente. Monogramme sind aus den Buchstaben eines Namens gebildete Embleme und entstehen aus der Ver-schmelzung einzelner Lettern zu einem einzigen Zeichen, und dies unter Auflösung ihrer ursprünglichen Reihenfolge. Wenngleich Monogramme über eine besonders ausgeprägte visuelle Wirkkraft verfügen und ihre Erschaffung kreatives und künstleri-sches Geschick verlangt, so sind sie doch nicht bloß Ausdruck eines ‚kalligraphischen Spieltriebs‘ oder des Wunschs, eine Buchstabenfolge in ein dekoratives Ornament zu verwandeln. Insbesondere mit publikumswirksam inszenierten Monogrammen ließ sich durch die Einheitlichkeit ihres optischen Ausdrucks ein hohes Maß an Aufmerk-samkeit, Wirkmacht und repräsentativer Präsenz erzielen. Als solche spielten sie vor allem in Byzanz eine tragende Rolle, fanden aber auch Eingang in das Repräsentati-onswesen des westlichen Römischen Reichs.²³⁴ Vor allem Bischöfe scheinen für diese

234 Zum Monogramm und seiner Anwendung in der byzantinischen Kultur s. Gardthausen 1924;

Fink 1981.

Form der medialen Selbstdarstellung empfänglich gewesen zu sein, waren doch eine ganze Reihe frühchristlicher Bistumskirchen des spätantiken Italiens mit den Mono-grammen ihrer bischöflichen Stifter ausgestattet.

Das früheste Beispiel dieser Art finden wir an einem Kämpferblock aus der Basi-lika S. Felicita in Pula (Pola), die der erste namentlich bekannte Bischof der istrischen Stadt, Antonius, im beginnenden 6. Jh. restaurieren und baulich erweitern ließ.²³⁵ Etwa zur gleichen Zeit setzte Papst Johannes II. sein Monogramm auf die Schranken-platten des Presbyteriums in der Kirche S. Clemente in Rom (Abb. 19).²³⁶ In Tergeste war es Bischof Frugifer, der in der Mitte des 6. Jhs. für den Umbau und die dekorative Neugestaltung der Kathedrale S. Giusto gesorgt hatte und der daraufhin seinen Namen nicht nur in Form einer Mosaikinschrift im Boden der Kirche hinterließ, sondern auch die reich reliefierten Kämpfer einiger Kapitelle mit seinem Monogramm versah.²³⁷

Aufwendig gestaltet waren die Monogramme des Elias in der Basilika Sant’Eufemia in Grado. Dort präsentierten sie sich dem Besucher der Kirche auf dem mit Mosai-ken ausgelegten Fußboden: ein erstes Mal im zentralen Mittelschiff, wo sich auch die Stiftungsinschrift des Elias befand (Taf. 16 Abb. 128), ein zweites Mal im Salutatorium (Taf. 20 Abb. 140), und ein drittes Mal in einem kleinen apsidialen Raum neben dem

235 Marušic 1980, 51 Nr. 2.

236 Brandenburg 2004, 147.

237 InscrIt X 4, 295–297; Abbildung bei Cuscito 2009, 246 fig. 145.

Abb. 19: Schrankenplatte in der Kirche S. Clemente in Rom mit dem Monogramm Papsts Johannes II.

(533–535).

2.2 Erscheinungsformen  89

Chor, wo es genau in der Mitte eines Teppichs aus Kreisen und rechteckigen Feldern mit geometrischen Schmuckelementen saß und den Raum optisch ganz beherrschte (Taf. 21 Abb. 141).²³⁸

Von noch stärkerer und dichterer Präsenz waren die Monogramme des Eufra-sius, mit denen der in Parentium wirkende Bischof die nach ihm benannte Kathedrale regelrecht ‚beschriften‘ ließ. Sie fanden sich sowohl am Äußeren als auch im Inneren des Baus, wo nicht nur die Kämpfer der Säulen im Hauptschiff (Abb. 60, s. u. S. 190) sein Monogramm trugen, sondern auch die mit opus sectile verzierten Innenwände der Apsis (Taf. 38 Abb. 168). Möglicherweise zeigte – ähnlich wie in Grado – auch der mit Mosaiken ausgelegte, aber leider in großen Teilen zerstörte Boden das Monogramm des Bischofs.²³⁹ Und schließlich könnte sich auch Damasus auf diese Weise in der von ihm erbauten Kirche S. Laurentius in Rom verewigt haben. So jedenfalls klingt es in der von ihm selbst gedichteten Stiftungsinschrift des Baus an, in der es heißt, dass ihre Säulen „für alle Zeit den eigenen Namen des Damasus tragen sollen“.²⁴⁰

Jenseits der Kirchenbauten finden wir Monogramme auch in wesentlich weniger repräsentativen Kontexten, und zwar in den römischen Katakomben, eingeschrieben in die Loculusplatten der Gräber einfacher Bürger. Im Gegensatz zu den bischöflichen Monogrammen wirken diese allerdings schlichter und wurden selten mit so viel Raffi-nesse und Genauigkeit ausgeführt.²⁴¹ Ein einfaches Exemplar (Abb. 20) hat sich etwa

238 Zu den Bodenmosaiken der Basilika Sant’Eufemia in Grado s. Carlini 1980 und zuletzt Trovabene 2010; s. hierzu ausführlicher Kap. 4.

239 Die Eufrasius-Basilika in Parentium wird im Fallbeispiel des Kapitels 5 ausführlicher behandelt, insbesondere unter der Fragestellung, welche Rolle die materiale Präsenz der Monogramme an den vielen verschiedenen Orten des Kirchenraums für die Repräsentation des Eufrasius als Stifter und Bischof der Kirche spielte.

240 Epigr. Damas. 57: archivis fateor volui nova condere tecta / addere praeterea dextra laevaque co-lumnas / quae Damasi teneant proprium per saecula nomen.

241 Zum Beispiel: ICUR III, 8748 = EDB 19095 = Ehler 2012, II.11.7; ICUR V 14751, Taf. 37, b5 = EDB 4959 = Ehler 2012, IV.9.14; Ehler 2012, V.3.16; ICUR III, 7274, Taf. 9, e2 = EDB 22765 = Ehler 2012, V.3.51;

ICUR III 7813, Taf. 15, d10 = EDB 24481 = Ehler 2012, V.4.24; ICUR III 8392, Taf. 14, a3 = EDB 25606 = Ehler 2012, X.2.8; ICUR III 7230 = EDB 23805 = Ehler 2012, XI.1.60. Zahlreich sind die aus den

Buchsta-Abb. 20: Monogramm des Constans auf einer Grabplatte aus dem Coemetrium subdiale ad Catacumbas, Rom.

auf einer Grabplatte aus dem Coemetrium subdiale ad Catacumbas erhalten. Es lässt sich vergleichsweise einfach als Constans lesen.²⁴²

Ähnlich verhält es sich mit einem Monogramm aus der Calixtus-Katakombe, das aus den Buchstaben des Namens Simplitianus gebildet wurde und zusammen mit der Darstellung einer Palme den Ort der Beisetzung markierte.²⁴³ Bei einer dritten Grab-platte aus der Commodilla-Katakombe wiederum sitzt das Monogramm inmitten eines Kranzes am Schluss der kurzen Inschrift und lässt sich wohl zu dem Namen Eufen-tine auflösen.²⁴⁴ Ein sehr anschauliches Beispiel überliefert die Katakombe an der Via Ardeatina, wo sich eine Loculusplatte mit Grabinschrift und dazugehörigen Ritzzeich-nungen erhalten hat. Oberhalb des Texts ist offenbar Victor, der Bestattete selbst, in einem Brustbild dargestellt und rechts daneben ein Pferd mit aufwendigem Kopf-schmuck, welches das Monogramm des Viktor auf seiner Flanke trägt.²⁴⁵

Monogramme erfreuten sich vor allem unter Christen großer Beliebtheit. Dies war wohl kein Zufall, wurde doch der Name Christi selbst mit dem Buchstabensymbol des Chrismon dargestellt, das sich aus den Anfangsbuchstaben des griechischen Worts für Christus X (Chi) und P (Rho), oder für Jesus Christus I (Iota) und X (Chi) zusam-mensetzt. Obgleich das Christusmonogramm schon seit dem 3. Jh. in Gebrauch war, erlangte es erst unter Konstantin I. größere Bedeutung, der unter diesem Zeichen den Sieg über Maxentius im Jahr 312 davon getragen haben soll, und der es seither für die kaiserliche Standarte und das Labarum verwendete. Als solches bezeichnete es den Triumph des Christentums über den Erdkreis und den Sieg des Erlösers über die Herr-schaft der Sünde. Den frühen Christen diente es mitunter als Erkennungszeichen, das Christus selbst und den Glauben an ihn bezeugte. Ab dem 4. Jh. fand es weitreichende Verbreitung vor allem in der Katakombenmalerei, auf Sarkophagen und auf Gegen-ständen wie Lampen, Ringen und liturgischem Gerät.²⁴⁶ Das Chrismon wurde häufig mit anderen Symbolen des christlichen Glaubens kombiniert, wie zum Beispiel mit den griechischen Buchstaben A (Alpha) und Ω (Omega), dem ersten und dem letzten Buchstaben des griechischen Alphabets, die sinnbildlich für Anfang und Ende sowie das Allumfassende stehen.²⁴⁷ Zusammen mit Kreuzen in verschiedenen Variationen, Staurogrammen, Vögeln, Lämmern, Fischen und Ankern zählen Christusmonogramm

ben P und E gebildeten Monogramme des Namens Petrus, zum Beispiel: ILCV 3731 = ICUR I 1427 = di Stefano Manzella 1997, 3.9.1a+b = Ehler 2012, VI.1.52; Ehler 2012, VI.2.22, VI.2.23. S. auch die Auflistung in PLRE III B 1556–1573.

242 ICUR V 13277 = EDB 5400 = Ehler 2012, 384 Nr. V.2.74 mit Abbildung.

243 ICUR IV 12341, Taf. 31, b6 = EDB 2323 = Ehler 2012, 536 Nr. VI.3.17; Datierung: wohl 2. Hälfte 4. Jh.

244 ICUR II 6060, Taf. 5, c7 = EDB 16491 (datiert 400) = Ehler 2012, 554 f. Nr. VII.1.34.

245 ICUR III 9226 = EDB 20998 = Ehler 2012, II.1.15.

246 Zu Ursprung und Bedeutung des Chrismon in der Symbolsprache des Christentums s. Sachs/

Badstübner/Neumann 71998; Seibert 2002; Baudry 2010, 29–31, jeweils mit beispielhaften Abbildun-gen. Speziell zur Bedeutung für die Herrschaft Konstantins I. s. Seeliger 1989.

247 A und Ω sind biblischen Ursprungs. Sie tauchen an mehreren Stellen als symbolische Selbstbe-zeichnungen Gottes oder Christi auf: Jes 44,6; Offb 1,8; 21,6; 22,13.

2.3 Räume  91

und A und Ω zu den wichtigsten Elementen der frühchristlichen Sepulkralsymbolik, denn sie galten als Manifestation des Heiligen, und es wurde ihnen eine besondere Wirkkraft zugeschrieben, die man durch ihr ‚Präsent-machen‘ am Grab zu entfalten versuchte.²⁴⁸

Eine letzte Gruppe inschriftlicher Zeichen sei mit den Buchstabensymbolen auf den Gewändern von Aposteln, Heiligen oder Christus angeführt. Dabei handelt es sich um griechische Buchstaben, besonders oft Zeta, Tau, Iota und Gamma, deren genaue Bedeutung allerdings noch nicht vollständig geklärt ist.²⁴⁹ Fest steht, dass sie sowohl als Buchstaben wie als auch Zahlzeichen verstanden werden können und dass ihnen eine symbolische Bedeutung beigemessen wurde. Deutlich wird dies im Fall der Buchstaben, die in das Gewand Christi eingeschrieben wurden, etwa das Zeta, wie es auf dem Apsismosaik der Basilika S. Vitale in Ravenna aus dem 6. Jh. vorkommt (Abb. 10, s. o. S. 81). Es kann zum einen als Anfangsbuchstabe des griechischen Worts für Leben, zoé, gelesen werden, wodurch Christus ausgewiesen wurde als derjenige, der das Leben schenkt. Zum anderen war dem Zeta der numerische Wert Sieben zuge-ordnet und damit eine Zahl von großer Symbolkraft, die für absolute Vollkommenheit und die Totalität der göttlichen Schöpfung stand. Ähnlich ist wohl auch das Gamma zu deuten, das wiederum besonders häufig in den Gewandsäumen der Apostel oder Heiligen geschrieben steht. Als Zeichen für die Zahl Drei wies es ihren Träger als voll-kommen und heilig aus, denn die Dreizahl galt als Symbol der Trinität und war damit Inbegriff höchster Heiligkeit. Mit dem Eta wiederum war die Zahl Acht belegt, die mit der Auferstehung Christi in Zusammenhang steht und die ewige Seligkeit und kosmi-sche Unendlichkeit versinnbildlicht. Doch längst nicht alle Buchstaben lassen sich auf diese Weise erklären und so bleiben sowohl ihr Sinn als auch ihre Bedeutung für die Aussageabsicht des Bilds ungeklärt – ebenso wie die Antwort auf die Frage, ob sie die zeitgenössischen Betrachter stets zu deuten wussten.

2.3 Räume

Inschriften begegneten in der Spätantike in verschiedenen Räumen und in unter-schiedlichen Kontexten. Nicht alle Typen und Erscheinungsformen kamen für die Aufstellung an ein und demselben Ort in Frage, und längst nicht überall konnte man Inschriftlichkeit in gleicher Dichte und mit gleicher Intensität antreffen. Wo Inschrif-ten und mit InschrifInschrif-ten versehene Monumente zur Aufstellung kamen, war von vielen Faktoren abhängig, darunter die ihnen angedachten Funktionen, die Intentionen des

248 Zu den vielfältigen Symbolen, die in der christlichen Sepulkralkunst Verwendung fanden s.

Dresken-Weiland 2006; Baudry 2010; Dresken-Weiland 2010; Dresken-Weiland/Angerstorfer/Merkt 2012, jeweils mit Beispielen.

249 Eine ausführlichere Studie zur Bedeutung der Buchstaben in den Gewändern fehlt m. W. für die Bildkunst des frühen Christentums.

Auftraggebers, die Bedürfnisse des Betrachters, die jeweilige Rezeptionssituation oder die räumlichen Gegebenheiten des Orts. Dabei standen Inschrift und Raum stets in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander, waren in reziproker Weise aufein-ander bezogen: Ebenso wie der Aufstellungsort den Charakter und die Botschaft des Monuments bestimmte, trug dieses umgekehrt dazu bei, dem umgebenden Raum eine bestimmte Atmosphäre zu verleihen und eine spezifische Stimmung zu evozieren. Ins-besondere wenn wir nach der Wirkung einer Inschrift auf den menschlichen Betrach-ter und umgekehrt nach dessen Bedeutungszuschreibungen an die Inschrift fragen, ist dies entscheidend. Daher wollen wir uns nach den Erscheinungsformen spätan-tiker Inschriftlichkeit nun ihre wichtigsten Räume und Kontexte überblicksartig vor Augen führen.

Zuvor sei auf einen wichtigen Aspekt bzw. auf ein nicht zu unterschätzendes methodologisches Problem in diesem Zusammenhang hingewiesen: die oftmals schwierige räumliche (Re-)Kontextualisierung der Inschriften. In vielen Fällen können wir ihren ursprünglichen Aufstellungsort nur noch bedingt oder gar nicht mehr nach-vollziehen, zumeist weil die Stücke nicht in situ, sondern fernab ihres ursprünglichen Kontexts (zum Beispiel als wiederverwendetes Baumaterial) gefunden wurden, weil die Fundumstände nicht detailliert genug dokumentiert wurden und/oder weil wir zu wenig über die architektonische Umgebung vor Ort wissen. Es ist uns zwar aufgrund vergleichbarer Funde mit gut bekannten Kontexten und aufgrund von Erfahrungs-werten durchaus möglich, bestimmte Typen bestimmten Räumen zuzuordnen – so werden Ehrenstatuen und ihre Inschriftenbasen in aller Regel im öffentlichen Stadt-raum, etwa auf dem Forum, aufgestellt gewesen sein, Meilensteine entlang den Fern-straßen und Inschriften, in denen von Tod und Bestattung die Rede ist, in unmittel-barer Nähe eines Grabs. Ob die Porträtstatue nun aber am Rand oder in der Mitte des Forums stand und welche Monumente dort außerdem noch zu sehen waren, ob der Meilenstein alleine für sich oder zusammen mit mehreren miliaria zur Aufstellung gekommen war und ob die Grabinschrift für jedermann oder nur für eine bestimmte Gruppe von Betrachtern zugänglich war, lässt sich nur unter genauer Kenntnis des jeweiligen räumlichen Kontexts klären, der uns jedoch allzu oft verborgen bleibt.

Ohne daher an dieser Stelle auf konkrete Beispiele einzugehen, wollen wir uns zunächst vergegenwärtigen, in welchen Räumen (hier weniger als topographisch definierte Orte, sondern vielmehr als operative Kategorie zu verstehen), genauer: in welchen Sphären der spätantiken Gegenwart Inschriftlichkeit eine Rolle spielte und wo nicht (mehr).

Der urbane Lebensraum der römischen Gesellschaft war seit jeher durch drei Sphären unterschiedlichen Charakters und Bedeutungsgehalts bestimmt. Erstens:

der öffentliche Stadtraum als Ort politischer Zusammenkunft, gesellschaftlicher Interaktion, kollektiver Kommemoration und persönlicher Repräsentation. Hier kom-munizierten die Bürger mit- und untereinander. Zweitens: die Heiligtümer als Orte des Kults und der Götterverehrung. Hier war der Raum für die Kommunikation zwischen Menschen und Göttern. Und drittens: die Nekropolen als Orte des Totengedächtnisses.

2.3 Räume  93

Hier trat man mit seinen Ahnen in Kontakt und pflegte das Andenken der Verstorbe-nen. An dieser Struktur änderte sich in der Spätantike grundsätzlich nichts. Innerhalb der einzelnen Sphären setzten im 4. Jh. aber Veränderungsprozesse ein, die sich nicht zuletzt auch auf die kontextuelle Präsenz der Inschriften auswirkten. Dieser Prozess erstreckte sich über einen längeren Zeitraum und schlug sich regional zum Teil sehr unterschiedlich nieder. Mit Blick auf das spätantike Italien lässt sich zum Beispiel in vielen Gemeinden des Nordens beobachten, dass die zentralen Platzanlagen als städtische Zentren und Repräsentationsorte im 4. Jh. noch intensiv gepflegt wurden, nach der Mitte des 5. Jhs. jedoch zunehmend vernachlässigt wurden und langsam zer-fielen.²⁵⁰ Andernorts gab man die öffentlichen Plätze der Innenstädte jedoch nicht vollkommen auf. In den campanischen Städten Puteoli und Ostia zum Beispiel spiel-ten sie für das gemeinschaftliche Leben noch weit bis in das 5. Jh. (eventuell sogar bis in das 6. Jh.) eine wichtige Rolle und wurden nach wie vor für die Errichtung von Inschriften in Anspruch genommen.²⁵¹

Insbesondere auf den Fora hatten sich im Laufe der Zeit regelrechte ‚Inschriften-landschaften‘ aus alten und neu errichteten Monumenten gebildet. An keinem anderen Ort lässt sich dies besser nachvollziehen als am Forum Romanum, dessen archäolo-gischer und epigraphischer Befund so reichhaltig wie exzeptionell ist. So zeigen die erhaltenen Zeugnisse, dass sich hier in der Spätantike viele Bildnisse der Kaiser und städtischer Beamte neben etliche neu- oder wiedererrichtete Standbilder von Göttern und Heroen gesellten – sämtlich errichtet auf beschrifteten Statuenbasen, deren Texte mitunter ausführlich über die Motive des Stifters und den Anlass der Weihung Aus-kunft gaben. Wie Carlos Machado herausgearbeitet hat, kamen zwischen dem späten 3. und späten 5. Jh. an die 70 solcher Standbilder nebst dazugehörigen Inschriften auf dem Forumsplatz und den angrenzenden Gebäuden zur Aufstellung.²⁵² Zusammen mit den bereits vorhandenen Denkmälern dieser Art muss es mancherorts also regelrechte

‚Wälder‘ aus bereits vorhandenen und neu geschaffenen Statuen gegeben haben, und man fragt sich, ob das einzelne Bildwerk, geschweige denn dessen Inschrift, über-haupt noch wahrgenommen bzw. tatsächlich gelesen wurde.

In geringerer Dichte, aber von kaum weniger beeindruckender Wirkung müssen auch die monumentalen Inschriften der Forumsbauten gewesen sein. Eine ganze Reihe von ihnen wurde im Zuge von Restaurierungsarbeiten im 4. und 5. Jh. mit neuen tituli ausgestattet, in denen auffällig häufig Bezug auf die Vergangenheit genommen wurde, indem sie die Praxis des Wiederaufbaus und der Wiederherstellung des eins-tigen architektonischen Erscheinungsbilds ausdrücklich zur Sprache brachten.²⁵³ Im

250 S. hierzu Haug 2010.

251 Zu Puteoli s. Gehn 2010, 37–44; zu Ostia s. Gering 2004; ders. 2011a; ders. 2011b.

252 Machado 2006. Rund die Hälfte davon waren Ehrenbildnisse der Kaiser, ein gutes Drittel Statu-enaufstellungen, in beiden Fällen zumeist dargebracht von den amtierenden Stadtpräfekten.

253 Zu den spätantiken Bauaktivitäten am Forum Romanum s. Bauer 1996, 7–79; Hölscher 2006, 118–120; Freyberger 2009, 95–118.

Fall des altehrwürdigen Tempels der Concordia an der Westseite des Forums verkün-dete die Inschrift, dass dieser sogar in noch schönerem Zustand und mit einem noch prächtigeren Kult wiederhergestellt worden war: S(enatus) p(opulus)q(ue) R(omanus) / aedem Concordiae vetustate conlapsam / in meliorem faciem opere et cultu splendi-diore restituit.²⁵⁴ Und schließlich sah man sich beim Besuch des Forums ja noch einer beträchtlichen Zahl an Inschriften aus der Vergangenheit gegenüber, die hier einst zum Ruhm ehrwürdiger Männer, zum Gedenken an Siege oder als Erinnerungsmale historischer Ereignisse zur Aufstellung gebracht worden waren.²⁵⁵

Nun ist das Forum Romanum ein exzeptioneller Einzelfall und mithin kaum repräsentativ für die Stadtgemeinden des spätantiken Italiens, zumal die Errichtung inschriftlicher Monumente auf dem Forum hier bis in das 5. Jh. hinein nachweisbar ist. Die große Bedeutung des Forums als Ort inschriftlicher Präsenz, wie wir sie in Rom erleben, lässt sich jedoch durchaus auf andere Gemeinden übertragen. Denn auch außerhalb der Metropole Rom erweisen sich angesichts der epigraphischen Befunde die Fora und ihre angrenzenden Bauten als bevorzugte Orte für die Prä-sentation öffentlicher Inschriften, wenn auch weniger lange und in weit geringerem Ausmaß. Überblickt man das erhaltene Material in seiner Gesamtheit, so stellt man fest, dass die meisten der auf den öffentlichen Platzanlagen errichteten Inschriften zu Ehrenbildnissen für die Kaiser bzw. Staatsbeamte sowie zu wiedererrichteten Statuen

Nun ist das Forum Romanum ein exzeptioneller Einzelfall und mithin kaum repräsentativ für die Stadtgemeinden des spätantiken Italiens, zumal die Errichtung inschriftlicher Monumente auf dem Forum hier bis in das 5. Jh. hinein nachweisbar ist. Die große Bedeutung des Forums als Ort inschriftlicher Präsenz, wie wir sie in Rom erleben, lässt sich jedoch durchaus auf andere Gemeinden übertragen. Denn auch außerhalb der Metropole Rom erweisen sich angesichts der epigraphischen Befunde die Fora und ihre angrenzenden Bauten als bevorzugte Orte für die Prä-sentation öffentlicher Inschriften, wenn auch weniger lange und in weit geringerem Ausmaß. Überblickt man das erhaltene Material in seiner Gesamtheit, so stellt man fest, dass die meisten der auf den öffentlichen Platzanlagen errichteten Inschriften zu Ehrenbildnissen für die Kaiser bzw. Staatsbeamte sowie zu wiedererrichteten Statuen