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3. Theoretische Grundlagen

3.2. Atom-transfer radical polymerization (ATRP)

3.2.3. Initiatoren und Initiierungsmethoden

In einer gut kontrollierten Polymerisation bestimmt die eingesetzte Menge des Initiators bei vollständigem Monomerumsatz die endgültige Molmasse des Polymers. Dabei ist es besonders wichtig, dass die Initiierung sehr schnell im Vergleich zur Wachstums-reaktion verläuft, um über ein gleichmäßiges Kettenwachstum wohldefinierte Polymere mit möglichst niedrigen Dispersitäten zu erhalten. Einer der Hauptvorteile der ATRP liegt in der großen Vielzahl an passend einsetzbaren und kommerziell gut erhältlichen Initiatoren, die als zwingende Voraussetzung lediglich eine Kohlenstoff-(Pseudo-) Halogen-Bindung besitzen müssen, die durch eine benachbarte funktionelle Gruppe aktiviert ist. Als aktivierende Gruppen dienen dabei α-Carbonyl-, Phenyl-, Vinyl- oder Cyanogruppen.

Für eine erfolgreiche ATRP ist es sinnvoll, den Initiator dem Monomer so anzupassen, dass die Reaktivität des Initiatorradikals ähnlich dem der gebildeten wachsenden Kette ist.[11] Dies bedeutet, dass der Initiator dem Monomer strukturell möglichst ähnlich sein sollte. So werden z. B. für die Polymerisation von Styrolen und deren Derivaten meist benzylische Halogenide, von (Meth-)acrylaten häufig α-Halogenester und von Acrylnitrilen vorwiegend α-Halogennitrile verwendet (Abb. 3.2).

Die Reaktivität des Initiators hängt in erster Linie reziprok von der Bindungs-Dissoziations-Energie (BDE) der Kohlenstoff-Halogen-Bindung ab.[78] Als Maß für die Reaktivität der Initiatoren kann man die Werte der Geschwindigkeitskoeffizienten für den aktivierenden Schritt kact für strukturell unterschiedliche Initiatoren aber gleiche Reaktionsbedingungen (Katalysator, Temperatur, etc.) vergleichen. Es zeigt sich, dass kact bei verschiedenen Initiatoren von drei Faktoren abhängt:[79]

 Abgangsgruppe: Iodid > Bromid > Chlorid >> Thiocyanat/Isothiocyanat

 Substitution des halogentragenden Kohlenstoffs: tertiär > sekundär > primär

 Radikalstabilisierende Gruppe: Phenyl + Ester > Cyanid > Ester > Benzyl > Amid

Abb. 3.2: Beispiele für strukturell an das verwendete Monomer angepasste Initiatoren in der ATRP. Monomere (oben): Styrol, Methylacrylat (MA), Methylmethacrylat (MMA), Acrylnitril (AN). Initiatoren (unten): 1-Phenylethylbromid (PEBr), Brom-propionsäuremethylester (MBrP), Bromisobuttersäuremethylester (MBriB), 2-Brompropionitril (BrPN).

Mit diesen Tendenzen lässt sich für das jeweilige Reaktionssystem der passende Initiator wählen, um die erwünschte Kontrolle zu garantieren.

Bevor man jedoch den genauen Initiator für die ATRP-Reaktion aussucht, ist zunächst die passende Initiierungsmethode zu wählen. In der ATRP gibt es sieben verschiedene Methoden der Initiierung, über die nur ein kurzer Überblick gegeben werden soll (die Anordnung gibt nur die Reihenfolge der Entwicklung wieder, jedoch keine Aussage zu der Güte der Methode):[49]

1. Normale ATRP: Der Mechanismus wurde bereits in Kap. 3.2.1. beschrieben. Sie eignet sich hauptsächlich für weniger sauerstoffempfindliche Systeme. Bei geringen Katalysatormengen muss besonders auf sauerstofffreie Bedingungen geachtet werden, um die Aktivität des Katalysators zu erhalten.

2. Reverse ATRP: Bei dieser Methode wird der Übergangsmetall-Komplex in der höheren Oxidationsstufe (CuII) zusammen mit einem konventionellen Radikalinitiator vorgelegt. Die Initiierung kann z. B. thermisch durch Azo-bis-isobutyronitril (AIBN)[80] erfolgen, wonach die gebildeten Radikale dann entweder direkt durch den Katalysator desaktiviert werden oder zuvor mit Monomer propagieren. Die Vorteile liegen vor allem in der einfachen Durchführung, da der Komplex in der stabileren Oxidationsstufe eingesetzt wird. Jedoch ist die Auswahl

geeigneter Initiatoren und Funktionalitäten im Vergleich zur normalen ATRP beschränkt.

3. Simultaneous reverse and normal initiation (SR&NI): Es handelt sich hier um die Kombination beider bisher vorgestellten Methoden, um aus beiden die Vorteile zu nutzen. Hierbei wird der Komplex in der stabilen höheren Oxidationsstufe zusammen mit einem Alkyl-Halogen-Initiator und geringen Mengen konventionellem Initiator vorgelegt. Damit kann die Durchführung wie in der reversen ATRP erleichtert und zudem die strukturelle Vielfalt der normalen ATRP genutzt werden.[81]

4. Activator generated by electron transfer (AGET): Hier wird wie bei der SR&NI der Komplex in der stabileren Oxidationsstufe mit einem Alkyl-Halogenid als Initiator vorgelegt, jedoch die aktivierende Form des Katalysators nicht durch einen konventionellen Initiator, sondern mit Hilfe eines nicht radikalbildenden Reduktionsmittels gebildet. In Frage kommen dafür z. B. Zinn-2-Ethylhexanoat[82]

oder Ascorbinsäure[83], die aus dem oxidationsstabilen Komplex den Aktivator bildet. Damit können höchst aktive Katalysatoren in unkomplizierter Weise genutzt und außerdem Polymerisationen durch einen Überschuss an Reduktionsmittel auch in Gegenwart geringer Mengen Sauerstoffs ohne Probleme durchgeführt werden.[84]

Als Reduktionsmittel kommen aktuell vermehrt auch metallische Komponenten wie Zink, Magnesium oder Eisen zum Einsatz,[85] ebenso wie metallisches Kupfer.[86]

5. Activator regenerated by electron transfer (ARGET): Im Vergleich zu AGET macht man sich hier die Tatsache zunutze, dass durch einen Überschuss an Reduktionsmittel auch das durch Terminierung gebildete persistente Radikal, der CuII-Komplex, fortlaufend durch Reduktion zum aktivierenden CuI-Komplex regeneriert wird. Dadurch ist es möglich die Katalysatormenge deutlich zu reduzieren (auf wenige ppm).[87] Zudem wird durch die geringere Katalysatorkonzentration das Auftreten von Nebenreaktionen vermindert und es können höhere Umsätze sowie Molmassen erzielt werden.[88]

6. Initiators for continuous activator regeneration (ICAR): Diese Methode kann gewissermaßen als “reverse” ARGET gesehen werden, da hierbei als reduzierendes Agens konventionelle radikalische Initiatoren wie AIBN dienen. Die Radikale, die den CuII-Komplex zum CuI-Komplex regenerieren, werden kontinuierlich thermisch gebildet, sind aber auch in der Lage neue wachsende Ketten zu bilden. Daher werden diese Initiatoren nur in geringen Mengen (0.1 Äq. im Vergleich zum Alkyl-Halogenid) eingesetzt.[89-90]

7. Electrochemically mediated ATRP (eATRP): Die neueste Methode zum Start einer ATRP verfolgt das Prinzip der ARGET-ATRP, wobei zum Reduzieren der CuII -Spezies ein elektrochemisches Potenzial erzeugt wird.[91-92] Durch Änderung des Potenzials kann die Polymerisation gestoppt oder beschleunigt werden, da die Polymerisationsgeschwindigkeit Rp direkt proportional zu dem Verhältnis CuI/CuII

ist. Das Stoppen und Weiterführen der Polymerisation hat keinen Verlust der Kettenendfunktionalität zur Folge.