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4. Diskussion

4.4 Diskussion der Methodik

4.4.1 Informationsgewinn durch Anamnese

4.4.1 Informationsgewinn durch Anamnese

Aufgrund der begrenzten Zeit pro Patientenkonsultation kann es sinnvoll sein, die Anamnese gezielt auf das betroffene System (hier am Beispiel des Leitsymptoms

„Husten“ bzw. angestrengte Atmung) sowie gegebenenfalls korrelierende Befunde, zu konzentrieren. Dementsprechend müsste ein zur Diagnose führender Fragenkatalog idealerweise bereits viele nützliche Informationen beinhalten. Der in der vorliegenden Arbeit entwickelte Fragebogen hatte zum Ziel, die anhand der elterlichen Beobachtungen - aus den Interviews - gesammelten Symptomkategorien vollständig abzubilden (siehe 3.2.1 Tab.7), ohne die ärztliche Erhebung der Anamnese abzuschaffen, sondern um diese zu ergänzen.

In der vorliegenden Arbeit wurde die Methode verwendet, aus einer speziellen Form der Anamnese - dem narrativen Interview - einen Fragebogen zu entwickeln und diesen im Anschluss in seiner Diagnose-unterstützenden Qualität zu bewerten.

Mögliche anamnestische Fragen anhand mathematischer Verfahren (Korrelationsmatrix siehe 3.5.6 und Informationsgewinn siehe 3.5.7) in ihrer Effizienz zu der korrekten Diagnosezuordnung zu analysieren ist ein ganz neuer Ansatz, der nach unserem Kenntnisstand bislang noch nicht untersucht wurde. An medizinischen Universitäten wird der Ablauf der Diagnosefindung meist nach einem 3-Punkte-Plan - Anamnese, körperliche Untersuchung und Durchführung spezifischer Tests (z.B.

Laboruntersuchungen) - gelehrt (Hampton et al., 1975). Welche Rolle bzw. welches konkrete Gewicht die unterschiedlichen Schritte oder diagnostische Tests bei verschiedenen Diagnosen besitzen ist dabei interessanterweise relativ unklar. In einer Studie von Hampton und Kollegen konnte bei 82,5% der Patienten einer Allgemeinmedizinischen Klinik die primäre Diagnose nach der Anamnese gestellt werden. Es fand sich eine hohe Übereinstimmung mit der finalen Diagnose zwei Monate nach der Erstvorstellung (Hampton et al., 1975). Dieses Ergebnis unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen Anamneseerhebung und guter Diagnostik. Leider werden in der Studie von Hampton und Kollegen keine genauen Angaben zu den erkannten Diagnosen („große Bandbreite einer allgemeinmedizinischen Klinik“) gegeben (Hampton et al., 1975).

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Die Übersichtsarbeit von Stewart stellte heraus, dass eine gute Arzt-Patienten Kommunikation inklusive gut gestellter Fragen sowohl Diagnose-unterstützend als auch das Outcome im funktionalen Sinne und die emotionale Gesundheit des Patienten verbessern kann (Stewart, 1995). Diese Annahme setzt aber gut gestellte Fragen voraus.

Auch wenn das vorgestellte Werkzeug nicht primär zur Verbesserung der Arzt-Patient-Kommunikation entwickelt wurde, ist diese dennoch ein wichtiger Bestandteil der ärztlichen Anamnese.

Sandler untersuchte bereits 1979, dass jährlich 1,25 Mio. £ durch das Auslassen sog.

Routinetests wie Röntgen-Thoraxaufnahmen bei Patienten deren Diagnose bereits mittels Anamnese und körperliche Untersuchung gestellt wurde, eingespart werden könnten. Untersucht wurden in dieser historischen Arbeit 630 Patienten mit kardiovaskulären, respiratorischen, ernährungsbedingten, Harnwegs-, neuro-logischen, endokrinen oder sonstigen unspezifischen Problemen wie beispielsweise ungewolltem Gewichtsverlust. Dyspnoe und Bronchitis waren dabei die häufigsten respirationsbedingten Probleme. Hier konnte bei 69% der untersuchten Personen nach der gründlichen Anamnese und geschulten körperlichen Untersuchung eine Diagnose gestellt werden. (Sandler, 1979). Diese Untersuchung unterstreicht den Wert von Anamnese und körperlicher Untersuchung. Die Wertigkeit der Anamnese wird durch die guten Ergebnisse der vorliegenden Arbeit unterstrichen.

In der vorliegenden Arbeit wurde von der Methode der narrativen Interviewführung Gebrauch gemacht und die Eltern wurden darum gebeten, von ihren Beobachtungen zur Krankheit und besonders der prädiagnostischen Phase ihrer Kinder zu erzählen.

Undeland und Malterud bestätigen, dass Patienten bereit dazu sind, ihre Krankheitsgeschichte zu erzählen, wenn Ärzte es ihnen nur ermöglichen und die Konsequenzen der Situation des Patienten nachempfinden können. Daraus folgern sie, dass besonders bei scheinbar unerklärlichen Symptomen die Aufmerksamkeit des Arztes auf die Ausführungen des Patienten zu seiner Krankengeschichte gerichtet sein sollte, um Ursachen für chronische Beschwerden - hier z.B. PCD oder CF - zusammenführen zu können. Sie warnen zudem davor, den Gesprächspartner vom diagnostischen Prozess auszuschließen, den Patienten - oder hier die Eltern - zu stereotypisieren und zum vorschnellen Entschluss zu kommen, dass es sich um ein „medizinisch unerklärbares“ Problem handelt. Patienten erklären ihre Symptome

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oder Erfahrungen mit eignen Begriffen, was es für Ärzte schwierig machen kann, den Schweregrad der Symptome einzuordnen (Undeland & Malterud, 2008). Diese Erkenntnisse unterstreichen, warum in der vorliegenden Arbeit der aufwändige Weg beschritten wurde, zunächst Interviews zu führen, um dann die elterliche Beobachtung, Wortwahl und Gefühlswelt in Fragen zu transformieren.

In der vorliegenden Arbeit wurden die narrativen elterlichen Beschreibungen in ihren Formulierungen für den Fragebogen beibehalten (z.B. Frage 16 „Kündigen sich Anfälle von Atemnot mit einer „käsigen oder komischen“ Gesichtsfarbe an?“), um keine fehlerhaften Interpretationen der Beschreibungen zuzulassen und den Fokus auf die unverfälschten Beschreibungen der Eltern zu richten. Die Werte hinsichtlich des Informationsgewinns der meisten Fragen zeigen wiederum, dass es gelungen ist, elterliche Beobachtungen und Emotionen in Fragen verständlich abzubilden.

Peterson und Kollegen befragten, in Anlehnung an die Studie von Hampton und Kollegen (1975), Internisten zu 80 ihnen unbekannten Patienten mit neuen Symptomen und ihren Vermutungen zur möglichen Diagnose jeweils nach der Anamnese, nach der körperlichen Untersuchung und im Anschluss an die Ergebnisse von abgenommenen Laborparametern. Interessanterweise führte bereits bei 76% der Patienten die Anamnese zur finalen Diagnose, bei 12% der Patienten führte die körperliche Untersuchung und bei 11% schließlich die Laboruntersuchung zur finalen Diagnose. Die mittels der Anamnese gestellten Diagnosen wiesen ein breites Spektrum auf und reichten vom ösophagealen Reflux, über die Prostatitis zu psychatrischen Erkrankungen wie z.B. bipolaren Störungen. Anamnestisch diagnostizierte respiratorische Erkrankungen waren chronische Bronchitiden, allergische Rhinitis und Asthma. Jedoch lagen in der beschriebenen Studie nur bei 5 der 80 Patienten respiratorische Erkrankungen vor (Peterson et al., 1992).

Trotter und Martin stellen in ihrer Arbeit die Bedeutung einer gründlichen Familienanamnese als wichtigen Zugangsweg für präventive Medizin bei Kindern in Risikogruppen für Diabetes, Asthma und kardiovaskuläre Erkrankungen heraus, der jedoch auf Grund von Zeitmangel bei Ärzten oft vernachlässigt wird (Trotter & Martin, 2007). In der hier vorgestellten Arbeit wurde nur eine Frage zur Familienanamnese generiert (Frage 37 „Gibt es Verwandte mit einer chronischen Lungenerkrankung (z.B. Asthma, Mukoviszidose, Primäre ziliäre Dyskinesie, Chronische Bronchitis oder Ähnliches?“)). Die Frage wurde jedoch „nur“ als „mittelmäßig“ bewertet.

Möglicherweise ist die Frage zu allgemein gestellt und müsste genauer und

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Diagnose-spezifischer formuliert werden. Jedoch würde damit die Fragenzahl erheblich wachsen, womit der Anspruch den Fragebogen in 10-15 Minuten beantworten zu können, eventuell nicht erfüllt werden könnte. Trotter und Martin empfehlen sog. „SCREEN“-Fragen zur Familienanamnese bei den Erkrankungen der oben genannten Risikogruppen („SC“=some concerns „Machen Sie sich Sorgen über Erkrankungen oder Zustände mancher Familienangehörigen?“; „R“=Reproduction

„Gab es Probleme bei Familienmitgliedern bei Schwangerschaften, mit Unfruchtbarkeit oder Geburtsfehlern?“; „E“=Early disease death, or disability „Sind Familienmitglieder bereits im jungen Lebensalter ernsthaft erkrankt oder gestorben?“,; „E“=Ethnicity „Woher stammen Ihre Eltern?“; „N“=Nongenetic „Liegen andere Risikofaktoren in Ihrer Familie vor?“), (Trotter & Martin, 2007). Diese Fragen sind jedoch offen gestellt und könnten damit in dieser Form nicht in den bestehenden Fragebogen integriert werden.

Orlando und Kollegen gingen noch einen Schritt weiter und stellten ein von Patienten in einem Pilotprojekt auszufüllendes Computerprogramm zur Aufnahme der Familienanamnese bei Mamma-, Ovarial-, Kolonkarzinom und Thrombosen, zur Risikoeinschätzung und Entscheidungsfindung für weiteres Vorgehens, vor. Dabei hoben sie die Notwendigkeit hervor, an der Akzeptanz dieser neuen Verfahren für Patienten und Ärzte arbeiten zu müssen, denn neue Technologien rufen häufig zunächst Zweifel beim Arzt und auch beim Patienten hervor (Orlando et al., 2011).

Bei der Durchführung der schriftlichen Befragung der vorliegenden Arbeit wurde die Bereitschaft zur Teilnahme von keinem Elternteil verneint. Jedoch kann die Akzeptanz der Eltern für die Computer-unterstützte Diagnosefindung - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - noch nicht ausreichend beurteilt werden. Der Einsatz des Programms im klinischen Alltag verbunden mit der anschließenden Befragung der Eltern zu der vorgestellten Methode wäre eine mögliche Anschlussfrage des Projektes.

Insgesamt belegen die zitierten Arbeiten im Kontext in der Zusammenschau mit den Ergebnissen der eigenen Untersuchung den Wert der Anamnese. Die Anamnese mit Fragen (ergänzend) zu explorieren und diese wiederum Computer-gestützt zur diagnostischen Unterstützung zu nutzen war Ziel dieser Arbeit. Die guten Ergebnisse hinsichtlich der diagnostischen Sicherheit unterstreichen, dass dies ein sinnvoller Weg zur Vermeidung von diagnostischen Fehleinschätzungen sein könnte.

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Der Wert der ärztlichen Anamnese und gründlichen körperlichen Untersuchung wird durch die im Rahmen dieser Arbeit erhobenen Daten nicht infrage gestellt, sondern ausdrücklich unterstrichen.