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Informations- und Bildpolitik

Im Dokument Fotografie und atomare Katastrophe (Seite 81-88)

3 Hiroshima und Nagasaki in der Fotografie

3.1 Ereignis und Bildpolitik

3.1.2 Informations- und Bildpolitik

Der Diskurs um die Interpretation der Ereignisse von Hiroshima und Nagasaki ist wesent-lich mit der Informationspolitik der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte verbunden. Nach der Besetzung Japans durch das Militär der USA, die ab dem 2. September 1945 stattfand, wurde das Bild der Atombombe in der japanischen Öffentlichkeit und der Weltöffentlich-keit entschieden durch die Informationssperren und Zensurpolitik der USA gelenkt.

Die General Headquarters of the Supreme Commander for the Allied Powers (GHQ) verhängten unter Leitung des Militärs Douglas MacArthur am 19. September eine Informationssperre über die japanische Öffentlichkeit.300 Nach Coulmas waren die primären Motive der Infor-mationskontrolle, die Gefahr öffentlicher Unruhen zu bannen sowie die Kausalität des amerikanischen Militärs zu statuieren, die den Einsatz der Atombomben als moralisch ge-rechte Konsequenz der Kriegsverbrechen Japans interpretierte.301 Diese Zensur hielt bis zum Ende der Okkupation 1952 an.

Sie umfasste das Verbot, die Atombombe sowie die Zensur selbst zu erwähnen. Zum einen verhinderte diese Informationssperre die medizinische Behandlung der Atombombenop-fer, da kein Austausch von Erkenntnissen zwischen den Krankenhäusern stattfinden konn-te und keine medizinischen Behandlungshinweise gegeben wurden.302 Zum anderen wurde die massenpsychologische historische Aufarbeitung der Ereignisse durch die Informations-politik gelenkt. Die wenigen Publikationen in Japan, die sich in den ersten Nachkriegsjah-ren mit der Atombombe beschäftigten, mussten, wie Takashi Nagais Die Glocken von

298 Im Übrigen stellte es ein informationspolitisches Ziel der UdSSR während der Zeit des Kalten Kriegs dar, den amerikanischen Einsatz der Atombombe als aggressiven Akt der Expansionspolitik zu werten, wobei die eigenen Programme zur Atomwaffenforschung geflissentlich verschwiegen wurden; vgl. etwa o. A. 1965.

299 Siehe Kapitel 2.1.2.

300 Vgl. Dower 1997: 117. MacArthur verfolgte ein Reformprogramm, das eine generelle Umerzie-hung der japanischen Gesellschaft vorsah. Kernprogramm waren dabei fünf Reformziele, die die Emanzipation der Frau, die Bildung von Gewerkschaften sowie die Liberalisierung des Schulsys-tems, der Justiz und der Wirtschaft umfassten. Trotz dieser Reformen der Liberalisierung und De-mokratisierung befand sich Japan John Dower zufolge bis 1949 in einem Ausnahmezustand, und die Bevölkerung litt an Hungersnöten und Epidemien; vgl. Dower 2010: 331, 334.

301 Vgl. Coulmas 2005: 47, 51.

302 Vgl. Hiroshima Peace Memorial Museum 1999: 90.

saki von 1949, eine deutliche Schuldzuweisung an Japan implizieren sowie die Auflage er-füllen, zusammen mit einem Report über japanische Kriegsverbrechen zu erscheinen.303 Zahlreiche für die moralische Rechtfertigung der USA prekäre Fakten wurden hingegen unterdrückt, wie etwa die Tatsache, dass sich das Hypozentrum der Bombe Nagasakis über einem hauptsächlich von armen Lohnarbeitern bewohnten Viertel befand oder dass Naga-saki die Stadt Japans mit dem größten Anteil an Christen war.304

Für die Weltöffentlichkeit wurde das Wesen der Bombe medial primär über Sprengkraft und die unmittelbaren Todeszahlen vermittelt. Das Ausmaß an Hitze und Druck waren in der offiziellen amerikanischen Informationspolitik Ausdruck der Zerstörungskraft dieser mysteriösen Waffe. Dementsprechend war die Zensurpolitik der USA darauf erpicht, den Aspekt der Strahlung und ihre auch humanitären Folgen zu verdecken. Wie Catherine Cau-field zeigt, wurde so z.B. Harold Jacobson, ehemaliger Mitarbeiter des Manhattan-Projekts, vom Kriegsministerium und dem FBI aufgrund seiner Aussagen zur Kontamination in Hiroshima in US-Medien im August 1945 unter Druck gesetzt.305 General Groves entsand-te etwa einen Monat nach den Atombombenabwürfen ein Team des Manhattan-Projekts nach Hiroshima, um die radioaktive Belastung des Ortes zu messen. Den Angaben der Manhattan Project Atomic Bomb Investigation Group zufolge überstiegen die Messungen nicht die damaligen Grenzwerte. Die maximalen Werte der Gammastrahlung befanden sich in Hiroshima zwischen 5 und 25 Röntgen und in Nagasaki zwischen 30 und 110 Röntgen. Die strahlungsbedingten Schäden der Bevölkerung seien dem Report zufolge auf die bei der Explosion freigewordene Gammastrahlung zurückzuführen und im Vergleich zu den Schä-den durch Druck und Hitze sehr gering.306 Diese Aussagen stehen in deutlichem Wider-spruch zu den Beobachtungen von Journalisten wie Wilfred Burchett, die das rätselhafte Sterben von Menschen, die sich erst nach dem Angriff in Hiroshima aufhielten, beklag-ten.307 Heute geht die Stadt Hiroshima von einer langfristigen Verstrahlung der Böden aus,

303 Vgl. Coulmas 2005: 74-76.

304 Vgl. Coulmas 2005: 47.

305 Vgl. Caufield 1994: 87-89. Jacobson hatte nach Caufield erklärt, dass Hiroshima kontaminiert und für ca. 25 Jahre unbewohnbar bleiben würde. Die radioaktiven Stoffe würden sich durch Regen und Auswaschung verbreiten und zahlreiche Opfer fordern. Jacobsen relativierte unter Druck schließlich seine Aussagen.

306 Vgl. Hacker 1987: 112-113.

307 Vgl. Caufield 1994: 89.

die bei zahlreichen Helfern und Angehörigen Symptome der Strahlenkrankheit ausgelöst haben, teilweise mit Todesfolge.308

Die unsichtbare Strahlenbelastung wurde aufgrund der fehlenden Informationen in der betroffenen Bevölkerung mythologisiert, was die Voraussetzung für die Stigmatisierung der Opfer bildete, die über viele Jahre anhalten sollte.309 Genährt durch die Unterbindung von Information, kursierten innerhalb Japans zahlreiche Gerüchte über das Wesen der Bombe und deren Folgen. Die rätselhaften Symptome der Petechien, die den baldigen Tod schein-bar unverletzter Überlebender ankündigten, schürten Ratlosigkeit und kollektive Angstzu-stände. Nach Stölken-Fitschen erklärten sich zahlreiche Opfer das Ereignis dementspre-chend in Analogie zu Naturkatastrophen oder als apokalyptisches Ereignis. Dabei räumt sie ein, dass auch die japanischen Behörden bis zur Kapitulation das vorhandene Wissen über die angewandte Waffe der Zivilbevölkerung nicht mitteilten.310

Vor 1952 wurde der Weltpresse nur wenig über die Opfer und deren anhaltendes Leiden bekannt. Der Australier Wilfred Burchett war der einzige ausländische Korrespondent, dem es gelang, ohne Erlaubnis in Hiroshima zu recherchieren. In seinen Beobachtungen wäh-rend des Septembers 1945 beschrieb er die Leiden der Strahlenopfer und setzte damit einen seltenen Konterpunkt zu der offiziellen amerikanischen Bagatellisierung der Strahlung.311 Ebenfalls stellt John Herseys Reportage Hiroshima eine große Ausnahme dar, deren Publi-kation in Japan jedoch verboten wurde.312 Die vom Magazin New Yorker beauftragte und am 31. August 1946 erstmals publizierte Studie gibt die Schilderungen von sechs Zeugen des Bombenabwurfs wieder, darunter die menschlichen Leiden nach der Explosion sowie auch die Erkenntnisse eines Arztes an einem Krankenhaus in Hiroshima über „a new sickness“313, die langfristige und fatale Wirkung der Strahlenkrankheit.314

Gegen 1949 wurde die Zensur etwas gelockert und die breite japanische Bevölkerung mit den Geschehnissen in Hiroshima und Nagasaki konfrontiert. Diese Aufklärung der

308 Vgl. Hiroshima Peace Memorial Museum 1999: 68. Die tatsächliche Dosis und Dauer der Kon-tamination wird allerdings nicht konkretisiert, heute sei der Boden jedoch nicht höher belastet als an anderen Orte auf der Erde.

309 Vgl. Dower 1999: 61-64, Tachibana 1997 sowie Hofmann und Kreye 2011.

310 Vgl. Stölken-Fitschen 1995: 41-44.

311 Vgl. Stölken-Fitschen 1995: 45.

312 Vgl. Coulmas 2005: 46, Stölken-Fitschen 1995: 39-40.

313 Hersey 1989: 76.

314 Herseys Schilderungen wurden enorm breit rezipiert. Die Wirkungskraft der Berichte potenzier-te sich dabei unpotenzier-ter anderem durch den vorhandenen Mangel an Informationen. So geriet das Buch in der Rezeption, wie für George Bataille 1947, zu einer beispiellosen „sensory representation of the cataclysm“; Bataille 1995: 223.

kerung fiel zeitlich mit den Kriegsverbrechertribunalen in Japan, den sog. Tokioter Prozes-sen, zusammen, im Zuge derer Führungspersonen der ehemaligen Regierung im November 1948 zum Tode verurteilt wurden.315 Florian Coulmas zufolge unterstützte diese Korrelati-on der Ereignisse eine Haltung des „Opferbewusstseins“316 im japanischen Volk, die die Kriegsschuld auf die Militärregierung, die durch die Tokioter Prozesse zur Rechenschaft gezogen wurde, verlagerte und eine Mitschuld des Kaiser oder der Bevölkerung negierte.

Eine kritische Kontextualisierung der Ereignisse sei nach Coulmas durch die Zensur ver-hindert worden. Dass die Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki als singuläre Ereignisse ohne kausale Verbindung zur japanischen Geschichte betrachtet werden, wird von Histori-kern wie Ian Buruma entsprechend als eine von zahlreichen kontraproduktiven Konse-quenzen der Zensur der GHQ gesehen.317 Wie Stölken-Fitschen feststellt, wurde durch die Informationspolitik der USA „die Atombombe von Beginn an in das Reich der Mythen und Legendenbildung befördert.“318

In der Bildpolitik zeichnen sich diese Zusammenhänge ebenfalls ab. Wie die Zensur von Berichten und Fachinformationen betraf die Informationssperre der GHQ auch Bildin-formationen. Zahlreiche Fotografien und Filme wurden von der GHQ konfisziert und teil-weise jahrzehntelang in amerikanischen Archiven verwahrt. Innerhalb Japans war bis 1952 selbst der Besitz von Negativen von in Hiroshima oder Nagasaki aufgenommenen Fotogra-fien verboten.319 Ein Beispiel, das die Bildpolitik der Zeit illustriert, ist das des Kamera-teams um Daniel McGovern.320 Das Team wurde im Rahmen des U.S. Strategic Bombing Sur-vey im September 1945 nach Hiroshima geschickt und damit beauftragt, Filmaufnahmen zu machen sowie das konfiszierte Filmmaterial japanischer Kameramänner zu verwerten. Die japanische Filmgesellschaft Nippon Eigasha hatte bis dahin umfangreiches Filmmaterial in Auftrag gegeben, das nun im Besitz der GHQ und McGoverns war. Das amerikanische Team um McGovern filmte selbst mit durchaus kritischer Intention. Dies geht etwa aus den Schilderungen Herbert Sussans, einer der Befehlshaber des amerikanischen Teams, hervor. In seiner Rückschau wird der Abwurf der Atombombe bezeichnenderweise als holocaust tituliert und ihre Konsequenz deutlich von den medial vermittelten Bildern des Atompilzes abgesetzt:

315 Vgl. Dower 1999: 449-461.

316 Coulmas 2005: 48.

317 Vgl. Buruma 1994: 101-103.

318 Stölken-Fitschen 1995: 48.

319 Vgl. Coulmas 2005: 51.

320 Vgl. Mitchell 2009.

“We were the only people with adequate ability and equipment to make a record of this holocaust ... I felt that if we did not capture this horror on film, no one would ever really understand the dimensions of what had happened. At that time people back home had not seen anything but black and white pictures of blasted buildings or a mushroom cloud.”321

Das Material dieser Dokumentation blieb bis 1968 in den National Archives der USA unter Verschluss und wurde erstmals 1970 als Neuschnitt durch Eric Barnow unter dem Titel Hiroshima-Nagasaki 1945 in den USA gezeigt.322

Auch die von Robert Serber gemachten Bilder aus Hiroshima blieben gleichermaßen un-veröffentlicht. Serber war selbst am Manhattan-Projekt beteiligt und reiste ebenfalls im September 1945 im Rahmen des U.S. Strategic Bombing Survey nach Hiroshima, um die Wir-kung der Atombombe zu dokumentieren.323

Ein weiteres Beispiel stellt der amerikanische Kriegsfotograf Joe O’Donnell dar, der so-wohl Hiroshima als auch Nagasaki mit jeweils zwei Kameras dokumentierte. Eine Kamera lieferte die geforderten Bilder für das US-Militär, eine zweite diente seinen privaten Auf-nahmen des menschlichen Leids. Letztere hielt O’Donnell bis in die 1990er Jahre zurück und ließ sich schließlich durch seine Familie zur Publikation der Fotografien bewegen.324 Für die umstrittene Ausstellung der Enola Gay im National Air and Space Museum 1995 in Washington, die einen breiten Streit in der amerikanischen und internationalen Öffentlich-keit mit sich brachte, sollten O’Donnells Fotos eigentlich zur Demonstration des menschli-chen Elends einbezogen werden. Der Protest von Veteranen und konservativen Interes-sengruppen in den USA verhinderte diese Perspektive.325

Bilder der Atombombenopfer stellten einen zentralen Gegenstand der Bildzensur dar und wurden somit nicht verbreitet. Die wenigen Bilder, die in der amerikanischen Presse zur Veröffentlichung gelangten, wurden im Sinne der moralischen Rechtfertigung des US-Militärs kontextualisiert. Im Oktober 1945 erschien im Life Magazine die Fotografie einer Mutter aus Hiroshima, die tröstend neben ihrem schwerverletzten Sohn liegt. Die Bildun-terschrift hingegen rückt das Ereignis in den moralischen Revanchismus nach Pearl Har-bor:

321 Zitiert nach Mitchell 2009.

322 Vgl. Stölken-Fitschen 1995: 45, Mitchell 2009 sowie Coulmas 2005: 51.

323 Vgl. Coulmas 2005: 51.

324 Vgl. Martin 2007.

325 Vgl. Coulmas 2005: 35-37, Martin 2007, Iwakura 1995: 12 sowie Hogan 1997.

„Photographer Eyerman reported their injuries looked like those he had seen when he photographed men burned at Pearl Harbor.“326

Wie auch aus den Aussagen Herbert Sussans hervorgeht, wurde das Bild der Atombombe in der Zeit der Informationssperre und darüber hinaus von den Filmaufnahmen und Foto-grafien aus der Perspektive der Bombenflugzeuge dominiert. Die Aufnahmen des Atompil-zes über Hiroshima stammen von der Besatzung eines dritten Bombers, der den Atom-bombenabwurf über Hiroshima mit dem konkreten Ziel, Bilder des Explosionsverlaufs anzufertigen, begleitete.327 Die erste Fotografie aus Hiroshima, die die amerikanische Presse veröffentlichte, war eine solche Aufnahme des Atompilzes im Life Magazine vom 20. August 1945.328

Fotografien des Atompilzes sowie der niedergebrannten, menschenleeren Städte dominier-ten die Bilder der Weltpresse. Beide Bildvariandominier-ten zeichnedominier-ten sich eben durch die extreme Absenz von Menschen und die Dominanz übergeordneter Phänomene – eines überdimen-sionierten Feuerballs oder eines nicht enden wollenden Brachlands – aus. In der internatio-nalen Presse wurde somit ebenfalls das Bild einer abstrakten physikalischen Errungenschaft gepflegt, deren menschliche Konsequenz nicht darstellbar und deshalb kaum vorstellbar war. Zudem war die internationale Presse, auch die Organe der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands, meist von amerikanischer oder britischer Berichterstattung geprägt.329 So etablierte sich die Ikonografie des Atompilzes als Abstraktion der Atombombe, was Florian Coulmas als Fortsetzung der bagatellisierenden amerikanischen Informationspolitik wertet.330 Die Bombe werde auf ein ästhetisches, physikalisches Phänomen reduziert, das die massenmörderischen Folgen für die betroffenen Menschen verschleiern soll. Der kriti-sche Diskurs um Hiroshima, der dem Ereignis eine epochale, mythologikriti-sche Bedeutung zuschreibt, stehe ebenfalls in dieser Tradition der Abstraktion eines Massenmords. Nach Kyo Maclear stellt die abstrakte Perspektive notwendigerweise die des pragmatischen Solda-ten dar, dessen Handlungsfähigkeit durch das Bewusstsein der menschlichen

326 Zitiert nach Dower 2010: 281.

327 Mit dem für die Betitelung der todbringenden Waffen berühmten Zynismus der Flugzeugbesat-zungen wurde dieser Bomber als Necessary Evil bezeichnet; vgl. Dower 2010: 284.

328 Vgl. Maclear 1999: 36 sowie Kapitel 3.2.1.

329 Vgl. Coulmas 2005: 40. Auch eine Studie Mark Seldens über die Darstellung des Pazifikkriegs in amerikanischen Schulbüchern zwischen 1961 und 2000 belegt diese politische Ikonografie des A-tompilzes. Von zwei Ausnahmen abgesehen, die Opfer der Atombombenangriffe zeigen, wird stets eine Fotografie des Atompilzes zur Illustration der Ereignisse verwendet; vgl. Selden 2005b: 2 sowie Coulmas 2005: 95.

330 Vgl. Coulmas 2005: 101.

zen behindert werde.331 Die andauernde Pflege dieser Perspektive lässt sich kulturpsycholo-gisch dementsprechend als Verharren in der militärischen Kausalität interpretieren.

Für diese These spricht die Rolle der Fotografien von Opfern in Japan. Im Zuge der pazi-fistischen Bewegung in Japan der 1960er und 1970er Jahre wurden zahlreiche Fotografien und Filme von Opfern recherchiert und zutage gefördert.332 Nach Hiromi Nakamura nah-men die Bilder der Opfer und der Ereignisse zu dieser Zeit eine Schlüsselrolle für subversi-ve und antiamerikanische Strömungen ein.333 Dementsprechend setzte sich ab 1977 ein bürgerschaftliches Projekt in Japan dafür ein, die Konsequenzen des Atombombenabwurfs mit dem Band Hiroshima-Nagasaki: A pictorial Record of the Atomic destruction, der über 4000 Fotografien enthielt, in Nordamerika bekannt zu machen.334 Das konkrete, kreatürliche Bild der Hibakusha, das durch die GHQ jahrzehntelang unter Verschluss gehalten werden sollte, bildet in dieser bipolaren Interpretation das Gegenstück zum abstrakten Atompilz.

Kyo Maclear folgert insofern, dass die unterschiedliche museale Ausstellungspraktik in den USA und Japan als Fortsetzung der einstigen Bildpolitik zu interpretieren ist, die mit der Macht der Bilder einen Beleg für eine jeweilige Geschichtsschreibung verfolgen würde. In ihrer polaren Teilung in „two zones of visibility“335 steht die Ausstellungsdidaktik des Smithsonian Instituts mit ihrer Konzentration auf die Vogelperspektive auf den Atompilz der Ausstellungspraktik des Hiroshima Peace Memorial Museums mit zahlreichen Fotografien der Opfer gegenüber:

„In the end, of course, the curators in Washington and Hiroshima remain mimetic ri-vals.”336

Mclear wie Coulmas vernachlässigen mit einer derartigen bipolaren Schablone der Bildpoli-tik jedoch die differenzierten Funktionen der Ikonografie des Atompilzes, wie sie sich etwa in der kritischen künstlerischen Rezeption oder in der gegenwärtigen Museumskonzeption des Hiroshima Peace Memorial Museums zeigen. In der Behandlung der Ikonografie Hiroshi-mas wird sich dazu ein differenziertes Bild ergeben.337

331 Vgl. Maclear 1999: 38.

332 Vgl. Mitchell 2009.

333 Vgl. Bürkner 17.05.2010: 2.

334 Vgl. Committee of Japanese Citizens 1978 sowie Maclear 1999: 34-35.

335 Maclear 1999: 37.

336 Maclear 1999: 30.

337 Siehe dazu ausführlich Kapitel 3.2.1.

Im Dokument Fotografie und atomare Katastrophe (Seite 81-88)