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Die Industrialisierung in England

3 Die bahnbrechenden Erfindungen zur Drucktechnik in London (1807–1817)

3.1 Die Industrialisierung in England

3 Die bahnbrechenden Erfindungen zur Drucktechnik in

lineare Abfolge von produktionstechnischen Erfindungen und Verbesse-rungen erklären, sondern eher als ein ineinandergreifender Prozess von Ursache und Wirkung, bei dem die Produkte der Industrialisierung gleichzeitig ihr Antrieb waren. Die Nachfrage nach neuen Maschinen er-zeugte eine gesteigerte Nachfrage nach mehr Rohstoffen, wodurch der Güterverkehr anstieg und zum Ausbau der Eisenbahn zwang, der wiede-rum Rohstoffe, Maschinen und Transportkapazität benötigte.94

Drei entscheidende Neuerungen begründeten und kennzeichneten die Industrialisierung. Das Werkzeug, das bis zum 18. Jahrhundert durch die Hand des Menschen, des Handwerkers, zur Herstellung von Gegenstän-den benutzt wurde, wurde nun von Werkzeugmaschinen mit einer un-gleich höheren Produktivität, Genauigkeit und reproduzierbaren Qualität geführt. Die neuen Spinnmaschinen beispielsweise hatten 80–100 Spin-deln gegenüber den ein bis zwei des herkömmlichen Spinnrades und er-füllten aufs Beste die Forderung nach einer gleichmäßig gesponnenen Fadenstärke. Des Weiteren wurden die benötigten größeren Energie-mengen statt durch Wind- oder Wasserkraft nun durch Dampfmaschi-nen, Turbinen und später Elektromotoren als Arbeitsmaschinen gelie-fert. Schließlich setzten sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts die Naturwissenschaften an den Universitäten und den neugegründeten technischen Hochschulen durch. Die wissenschaftlich ausgebildeten Meister, Techniker und Ingenieure lösten in der Folge die Praktiker ab, die zu Beginn der Industriellen Revolution die umwälzenden Erfindun-gen aus ihrer eiErfindun-gen Produktionserfahrung heraus entwickelt hatten, je-doch mit der wissenschaftlichen Theorie kaum Kontakt hatten.95 Hier kann Koenigs Erfindung der Schnellpresse als prototypisch für die Phase der Frühindustrialisierung gelten. Bereits die Zylinderschnellpresse von 1812 hatte eine mehr als dreifache Druckleistung als die herkömmliche Tiegelpresse. Zum Antrieb konnte sie mit einer Dampfmaschine ver-bunden werden. Entwurf und Bau der Maschinen basierten auf

Berlin 1968, S. 1–20, hier: S. 7. Diese Voraussetzungen sieht Ulrich Nef bereits in den Entdeckungen neuer Erdteile, in dem heliozentrischen Weltbild von Ko-pernikus oder dem Rationalismus von Descartes als gegeben und legt daher die Anfänge der Industrialisierung in diese frühneuzeitliche Epoche. (Fischer, In-dustrialisierung, S. 7, Fußnote.)

94 Dirk Götschmann: Grundlage und Grundzüge der Industrialisierung in Fran-ken. In: Frankenland 57 (2005), S. 152–168, hier: S. 158.

95 Hans Mottek: Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Ein Grundriss, Bd. 2. Berlin 1964, S. 69.

matischen Berechnungen, ingenieurmäßigen Konstruktionszeichnungen und Fertigungsprozessen, entsprechend dem damaligen wissenschaftli-chen Standard.

Grundvoraussetzung für die Industrielle Revolution war ein stetig zu-nehmendes Bevölkerungswachstum im 18. und 19. Jahrhundert, das wie-derum zwei Auswirkungen nach sich zog. Zum einen führte eine stei-gende Bevölkerung auch zu einer steistei-genden Binnenmarktnachfrage, die technische Neuerungen in der Produktion des lebensnotwendigen Grundbedarfs und von Gütern eines gestiegenen Lebenshaltungsniveaus auslöste.96 Zum anderen nahm auch der nicht-bäuerliche Anteil der Ge-samtbevölkerung zu, der nicht mehr im Prozess der Nahrungsmittelher-stellung gebunden war, sondern für die Produktion anderer Güter frei war. Erst dadurch wurde die differenzierte Arbeitsteiligkeit ermöglicht, die eine wesentliche Voraussetzung der modernen industriellen Volks-wirtschaft ist, das heißt demographische Entwicklung und Wirtschafts-entwicklung standen in einem direkten Zusammenhang. Hinzu kam, dass im Zeitraum von 1775 bis zum Ersten Weltkrieg England neben Frank-reich, Belgien und Holland – nicht jedoch Deutschland – zu den wohl-habenden Nationen Europas gehörte und damit ausreichend Kapital für die Industrialisierung bereitstellen konnte.

Auch die außenpolitischen Entwicklungen unterstützten den industriel-len Fortschritt. Dank seiner Insellage blieb England immer von kriegeri-schen Verwüstungen verschont, die englische Wirtschaft wurde bis dahin nie durch militärische Lasten destabilisiert und es gab weder Arbeitskräf-teknappheit noch Kapitalmangel. Die Ausweitung des Kolonialreichs förderte den Konsum und die Produktion. Eine energische merkantilisti-sche Wirtschaftspolitik mit restriktiven handelspolitimerkantilisti-schen Maßnahmen sowie die Durchsetzung der Seeherrschaft und Dominanz im Übersee-handel auch mit kriegerischen Mitteln ermöglichten und sicherten Eng-land einen wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber seinen europäischen Konkurrenten.97 Ebenso herrschten für den Industrialisierungsprozess günstige innenpolitische Rahmenbedingungen: eine konstitutionelle Mo-narchie, deren Finanzpolitik weitgehend vom Parlament abhängig war, funktionierende Verwaltung und effiziente Bürokratie, objektives

96 Samuel Lilley: Technischer Fortschritt und die Industrielle Revolution 1700–

1914. In: Carlo M. Cipolla (Hrsg.): Die Industrielle Revolution. Stuttgart, New York 1976, S. 119–148, hier: S.138.

97 Butschek, Industrielle Revolution, S. 158 f.

Rechtswesen, abgeschaffter Ämterkauf sowie eine marktorientierte Ag-rarproduktion, die eine wachsende Bevölkerung ausreichend ernähren konnte.

Mindestens ebenso wichtig wie günstige Ressourcen und innovative Ideen war aber auch die Einstellung der Gesellschaft zum technischen Fortschritt und seiner industriellen Nutzung im Allgemeinen. Um die Wende zum 19. Jahrhundert verband sich das neue technisch-wissenschaftliche Denken mit einer veränderten Einstellung des Men-schen zur Welt. Als selbstbestimmtes und eigenverantwortlich handeln-des Individuum im Sinne der Aufklärung wollte der Mensch seine Um-welt gestalten und beherrschen.98 Im 18. Jahrhundert hatte sich in England eine technisch-wissenschaftliche und fortschrittsorientierte Ge-sellschaft herausgebildet, die die Technik nach wirtschaftlichen Interes-sen einsetzte und weiterentwickelte. Akademiker, Praktiker und Unter-nehmer wurden in Akademien zusammengeführt, Mechaniker in Mechanikerschulen ausgebildet und somit eine geistig bereite und intelli-genzmäßig fähige Gesellschaft für die industrielle Nutzung von Innova-tionen herangebildet. Die Patentanmeldungen, ein guter Indikator für technisch-wissenschaftliche Kreativität, stiegen beispielsweise in England von 300 in den 1780er auf 2453 in den 1830er Jahren.99

Samuel Lilley kommt zu dem Schluss, Erfindungen in der Frühphase der Industriellen Revolution seien die Folge der obigen Gründe, nicht die Ursache für die Industriellen Revolution gewesen. Da andererseits die Erfindungen aber eine Eigendynamik entwickelten, indem sie selbst wirt-schaftliche und gesellwirt-schaftliche Veränderungen hervorriefen, seien sie wiederum auch Ursache für die Industrielle Revolution.100 So hatten die Erfindungen also ein Doppelgesicht: Sie waren Folge von gesellschaftli-chen und politisgesellschaftli-chen Gegebenheiten einerseits und Ursache von tech-nisch-wirtschaftlichen Änderungsprozessen andererseits.

Wie bei der Periodisierung in der Historiographie nicht ungewöhnlich, werden auch Beginn und Phasen des Verlaufs der Industriellen Revoluti-on in Abhängigkeit vRevoluti-on den gewählten Beurteilungskriterien unterschied-lich definiert. Im englischen Textilgewerbe lag der Ursprung der Indust-riellen Revolution. Da die Webstühle mehr Garn benötigten als die herkömmlichen Spinnereien liefern konnten, wurde 1770 die erste

98 Schnabel, Deutsche Geschichte, S. 243–246.

99 Butschek, Industrielle Revolution, S. 147 f., 156.

100 Lilley, Technischer Fortschritt, S. 136–144.

Spinnmaschine eingeführt und 1786 folgte der erste mechanische Web-stuhl. Ein weiterer großer Entwicklungssprung und damit die eigentliche technische Revolution war 1789 die erste Dampfmaschine in einer Spin-nerei, also die Verbindung von Kraft- und Arbeitsmaschine.101 Nach Wolfgang Zorn erfolgte die Industrialisierung in geographischen und zeitlichen Wellen. Sie nahm ihren Ausgangspunkt in den englischen In-dustriegebieten um Liverpool, Manchester, Birmingham und Glasgow und erstreckte sich in zwei Wellen auf die anderen Länder. Die erste Wel-le 1770–1820 erfasste England, die Baumwollindustrie der Schweiz und die USA. Die zweite Welle der Frühindustrialisierung 1820–1860 er-streckte sich auf Belgien mit Steinkohleabbau, Textil-, Eisen- und Ma-schinenindustrie sowie auf Frankreich und Deutschland.102 Hans Mottek definiert die Zeiträume der Vorbereitungsphase und der eigentlichen In-dustriellen Revolution nach dem Verlauf und dem Anstieg der massen-haften Anlage von konstantem fixen Kapital. Demnach begann die Vor-bereitungsphase in den 1760er Jahren mit den ersten Spinnmaschinen und der verbesserten Dampfmaschine von Watt, die eigentliche Industri-elle Revolution erfolgte Anfang der 1780er Jahre mit einer plötzlichen Beschleunigung der industriellen Produktion von explosivem Charak-ter.103 Vor der Industrialisierung arbeiteten 9 % der Beschäftigten in Eng-land in der Textilindustrie. Sie war völlig frei und dereguliert, unterlag keinem Zunftzwang und wurde daher zur treibenden Modellbranche der Industrialisierung.

Die sprunghafte Verbesserung des Technikeinsatzes auf ein qualitativ deutlich höherwertiges Niveau vollzog sich in drei Bereichen. Die An-triebskräfte, bisher durch Menschen, Tiere oder Wind und Wasser er-zeugt, wurden jetzt durch die Dampfmaschine übernommen. In England war bereits seit längerem ein leistungsfähiges Verkehrsnetz in Form von Küstenschifffahrt, Kanälen und befestigten Landstraßen vorhanden. Der Einsatz der Dampfmaschine auf der Schiene als Lokomotive durch Ste-phenson führte zum Massentransport auf dem Land und erweiterte da-mit das vorhandene Transportnetz. Nachfolgend wurde die

101 Schnabel, Deutsche Geschichte, S. 249.

102 Wolfgang Zorn, Theodor Wessels: Industrie. In: Staatslexikon. Recht Wirtschaft Gesellschaft, Bd. 4. Freiburg 1959, Sp. 262–284, hier: Sp. 264, 266.

103 Mottek, Wirtschaftsgeschichte, S. 73.

onsverbreitung durch den Einsatz schneller Dampfschiffe auf See und der Eisenbahn auf dem Land ausgeweitet und beschleunigt.104

Diese Entwicklung führte zu einem stetigen wirtschaftlichen Wachstum in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und war auch deshalb auf das Engste mit England verbunden, weil hier der Prozess ungefähr fünf Jahrzehnte früher als in den anderen europäischen Staaten begonnen hatte.105 Die Dampfmaschine, gleichsam das Symbol dieser Veränderung, wurde zunächst für Pumpanlagen in Bergwerken, später in der Textil- und Eisenindustrie und mit fortschreitender Ausbreitung allgemein in Betrieben eingesetzt, die mechanische Antriebe benötigten.106 Die wirt-schaftstheoretische Grundlage für diese Entwicklungen lieferte der Nati-onalökonom und Begründer des wirtschaftlichen Individualismus Adam Smith (1723–1790), der die freie wirtschaftliche Entfaltung des Einzel-nen als die beste Voraussetzung für das Gedeihen des Gemeinwohls an-sah und dessen Lehre für das 19. Jahrhundert die Grundlage allen wirt-schaftlichen Handels wurde.107

Die Textil- und Eisenindustrie, der Kohlebergbau und der Maschinenbau waren die leading sectors oder strategic industries, die als strategisch wichtige Gewerbe im Sekundärsektor der Gesamtwirtschaft die Industrialisierung vorantrieben.108 Für den rasant steigenden Eisenbedarf der Maschinen-bauindustrie und später des Eisenbahnbaus musste für den Energieträger Holz ein alternativer Grundstoff zur Verfügung gestellt werden. Die Energieträger in der vorindustriellen Zeit waren Wasser für die An-triebsenergie und Holz für die thermische Energie; sie wurden in der In-dustrialisierung abgelöst durch Steinkohle und Gas, später durch Erdöl und Elektrizität. Im 18. Jahrhundert benötigte man für die Herstellung von einer Tonne Eisen acht Tonnen Holzkohle, was 30 Tonnen Holz insgesamt entsprach, da die Holzkohleherstellung selbst wiederum Holz

104 Lütge, Wirtschaftsgeschichte, S. 432 f.; Butschek, Industrielle Revolution, S. 149 f.

105 Butschek, Industrielle Revolution, S. 155.

106 Conrad Matschoß: Ein Jahrhundert deutscher Maschinenbau. Von der mecha-nischen Werkstätte bis zur deutschen Maschinenfabrik 1819–1919. Berlin 1919, S. 1 f.

107 Conrad Matschoß: Preussens Gewerbeförderung und ihre grossen Männer.

Dargestellt im Rahmen der Geschichte des Vereins zur Beförderung des Ge-werbfleisses 1821–1921. Berlin 1921, S. 18.

108 Fischer, Industrialisierung, S. 10.

für die Hitzeerzeugung erforderte.109 Holz war, obwohl nachwachsend, auf Grund des mehrjährigen Nachwachsprozess und der begrenzten Bodenfläche ein endlicher Rohstoff, was die Ursache für Stagnation und Rückgang der Eisenproduktion war. Der Brennstoffe Kohle dagegen er-schien aus der damaligen Sicht unbegrenzt.110

In Wales und Nordostengland gab es große, dicht unter der Erdoberflä-che liegende Steinkohlevorkommen, die zuerst im Tagebau, dann im 19.

Jahrhundert mit Hilfe von Aufzügen auch in der Tiefe abgebaut wurden.

Die geographisch günstige Insellage erlaubte es, die Kohle mit der Küs-tenschifffahrt und über Binnenkanäle einfach und kostengünstig zur wei-teren Bearbeitung in das Landesinnere zu transportieren. Hinzu kamen verfahrenstechnische Neuerungen im Verhüttungsprozess. In den zu Ende des 16. Jahrhunderts eingeführten Hochöfen wurde im Laufe des 18. Jahrhunderts die Holzkohle durch Koks ersetzt und von Dampfma-schinen angetriebene Gebläse erzeugten eine andauernde Koksglut. Die Herstellung von Koks aus Steinkohle wurde im 18. Jahrhundert in Eng-land entwickelt, wobei man Steinkohle unter Sauerstoffabschluss erhitzte und die ausströmenden brennbaren Gase als Energieträger gespeichert werden konnten. Durch dieses Verfahren erhielt man hochwertigen Koks, der wegen seines hohen Heizwertes zu einer großen Leistungsstei-gerung bei den Hochöfen führte. Henry Cort entwickelte 1784 das Pud-delverfahren zur Stahlherstellung. Im Puddelofen wurde durch Umrüh-ren und Anblasen mit bUmrüh-rennbaUmrüh-ren Gasen dem geschmolzenen Roheisen unter Sauerstoffabschluss Kohlenstoff entzogen und somit schmiedba-res Eisen gewonnen.111 Kohle war aber nicht nur aus verfahrenstechni-scher Sicht für die massenhafte Produktion von Eisen und Stahl not-wendig, sondern lieferte auch mittels Dampfmaschine die Antriebsleistung für die Arbeitsmaschinen durch die Umsetzung ihrer thermischen Energie in mechanische Energie. Bereits 1807 hatten

109 Die Angaben zum Holzverbrauch sind in der Literatur stark schwankend. So sprechen Aubin/Zorn von durchschnittlich zwölf Tonnen Holz für eine Tonne Eisen. (Hermann Aubin, Wolfgang Zorn (Hrsg.): Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Bd. 1. Stuttgart 1978, S. 543.)

110 Dirk Götschmann: Wirtschaftsgeschichte Bayerns. 19. und 20. Jahrhundert. Re-gensburg 2010, S. 19 f.

111 Engl. to puddle = matschig machen; Butschek, Industrielle Revolution, S. 157;

Schnabel, Deutsche Geschichte, S. 247; Zorn, Industrie, 263.

ton und Watt berechnet, dass die Tagesarbeit von 8⅓ Menschen dem Äquivalent von circa 50 kg Kohle entspreche.

Neben dem Ersatz des nachwachsenden Rohstoffes Holz durch den fos-silen Rohstoff Kohle als Energieträger lag der nächste wichtige Impuls für die Industrialisierung in der Ablösung der Empirie durch die Wissen-schaft. Die stetige Entwicklung der Naturwissenschaften und bedeuten-de technische Erfindungen führten dazu, dass die früheren Fertigungs-methoden und Erfindungen, die auf empirisch-handwerklichen und persönlichen Erfahrungen beruhten, jetzt auf der Basis naturwissen-schaftlicher Erkenntnis gemacht wurden. Das technische Wissen war personenunabhängig, nachlesbar und überprüfbar geworden, es war re-produzierbar und beliebig oft anwendbar und konnte damit systematisch verbreitet und breiten Kreisen zugänglich gemacht werden.112 Nicht nur die Form des Wissenserwerbs änderte sich, sondern auch die Art und Weise der Wissensübertragung. Das persönlich empirisch erworbene handwerkliche und technische Wissen des Handwerkmeisters wurde bis-her von ihm an die nachfolgende Generation weitergegeben. Diese Wis-sensvermittlung wurde nun abgelöst durch eine Wissensweitergabe auf der Basis offizieller wissenschaftlicher Methoden, die öffentlich zugäng-lich waren und die sich jedermann selbst aneignen konnte.113 So hat bei-spielsweise James Watt, der als Feinmechaniker an der Universität Glas-gow wissenschaftlich ausgebildet war, die Weiterentwicklung der Dampfmaschine ganz auf Grundlage der Naturgesetze betrieben.114

Diesem rationalen, naturwissenschaftlich geprägten Vorgehen war auch Koenig verpflichtet, dennoch konnte er sich – bewusst oder unbewusst – dem damaligen Sprachgebrauch nicht entziehen. So bezeichnete er in ei-nem Brief seinen Kompagnon Bauer als Künstler, die seinerzeit übliche Bezeichnung für einen Gewerbemeister, der sein Handwerk beherrschte und eben kunstvoll ausführte. Das gemeinsame Lebenswerk von Koenig und Bauer sollte zeigen, dass sie ihr Metier zwar beherrschten, aber nicht auf der Basis einer sich der objektiven Beurteilung entziehenden Kunst, sondern auf der Grundlage von mathematischen Berechnungen,

112 Götschmann, Wirtschaftsgeschichte, S. 17; Friedrich Zunkel: Der Rheinisch-Westfälische Unternehmer 1834–1879. Ein Beitrag zur Geschichte des deut-schen Bürgertums im 19. Jahrhundert. Köln 1962, S. 34 f.

113 Sombart, Volkswirtschaft, S.136.

114 Schnabel, Deutsche Geschichte, S. 248.

struktionszeichnungen, präziser mechanischer Fertigung und Erprobun-gen der Maschinen zum Tauglichkeitsnachweis im Versuch.115

Ernst Alban, der unablässig die Abhängigkeit der deutschen industriellen Entwicklung von dem großen Vorbild England geißelte, fragte kritisch,

„ob mit den ungeheuren Mitteln, in so langen Zeiträumen, nicht noch weit mehr geleistet werden könnte“.116 Koenigs Blick auf England und der Vergleich mit Deutschland waren differenzierter. In einem Brief an den bayerischen König Maximilian I. von Bayern stellte er 1821 fest, dass in England die Regierung zwar nichts für die Unternehmen tue, außer was die Gesetze vorschrieben, aber es gebe ausreichend Kapital, Unter-nehmergeist, Exportstreben, Talente, die Karriere machten, und Privile-gien auf Erfindungen. Auf dem Kontinent hingegen sei keine Unterstüt-zung von der Öffentlichkeit und Regierung zu erwarten und kein Unternehmer gehe von England auf den Kontinent, wenn er hier keine Anlaufunterstützung erhielte. Der belgische Fabrikant Cockerill habe bei-spielsweise eine Wollspinnerei in Berlin aufgebaut und dafür eine Kaser-ne und zwei andere Gebäude vom preußischen Staat geschenkt bekom-men zuzüglich eines Vorschusses. Ein Unternehbekom-men müsse sich zwar selber tragen, sonst sei es der Unterstützung nicht wert, aber ohne eine Anlaufunterstützung durch die Regierung würde auf dem Kontinent kein neues Unternehmen entstehen.117

Diese gesellschaftlichen und technisch-wirtschaftlichen Gegebenheiten Englands fand Koenig vor, als er 1806 in London eintraf.

115 Brief Koenig an Nördlinger, ohne Ortsangabe, 1. August 1816 (KBA 466).

116 Ernst Alban: Die Hochdruckdampfmaschine: Richtigstellung ihres Werthes in der Reihe der übrigen Dampfmaschinen-Systeme, Vortheile ihrer allgemeinen Anwendung, so wie Vorschläge zu einer zweckmäßigern Construction dersel-ben, um die Dämpfe möglichst Brennmaterial ersparend und gefahrlos in ihr benutzen zu können. Rostock, Schwerin 1843, S. 518. Ernst Alban (1791–1856) aus Neubrandenburg war der Sohn eines Pastors und von Beruf Augenarzt.

Nach einem zweijährigen Aufenthalt in England konstruierte er eine Hoch-druckdampfmaschine und errichtete 1829 auf seinem Gut in Mecklenburg eine Maschinenbauanstalt für Sämaschinen. 1840 gründete er eine Maschinenfabrik in Plau und baute hier seine eigenen Hochdruckdampfmaschinen. (Lutz Graf Schwerin v. Krosigk: Die große Zeit des Feuers. Der Weg der deutschen Indust-rie, Bd. 3. Tübingen 1957, S. 290.)

117 Gesuch Koenigs an König Maximilian I., Oberzell, 12. Februar 1821 (BayHStA, Nr. 20 882).