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INDUKTION Hempels Rabe

Im Dokument IM LABYRINTH DES DENKENS (Seite 40-71)

Das bekannteste Paradox der modernen Bestätigungstheorie hat der deutsch-amerikanische Philosoph Carl G. Hempel 1946 vorgetragen. Hempels «Rabenparadox» betrifft die In-duktion, die Ableitung von allgemeinen Aussagen. Es ist eine raffinierte Reaktion auf all die, die annehmen, in der Wissen-schaft könne nach einfachen Rezepten gekocht werden.

Hempel versuchte, sich einen Vogelkundler vorzustellen, der die Hypothese «Alle Raben sind schwarz» überprüfen will.*

* Ornithologische Anmerkung: Als «Raben» bezeichnet man üb-licherweise eine einzige Spezies, Corvus Corax, die auf der gesam-ten Nördlichen Halbkugel vorkommt. Dies ist der Rabe, von dem das Gedicht Edgar Allan Poes handelt. Raben haben ein schwarz schimmerndes Gefieder mit vorwiegend grünen, violetten und blauen Glanzpunkten. In Mexiko und dem Südwesten Amerikas gibt es daneben einen kleineren Vogel, den sogenannten Chihuahu-Raben (Corvus cryptoleucus). Dieser Vogel ist schwarz und hat einen weißen Hals, der zutage tritt, wenn er den Kopf senkt. Ich habe keinerlei Erwähnungen von Albino-Raben oder anderen nicht schwarzen Exemplaren der Spezies gefunden, wäre aber nicht allzu überrascht zu erfahren, daß es derartige Vögel gibt. Das alles hat natürlich nicht das geringste mit dem vorliegenden Fall zu tun. Von dieser Anmerkung ausgenommen, werde ich von der Annahme ausgehen, daß die Farbe von Raben vollkommen wohldefiniert ist und daß nie jemand einen Raben gesehen hat, der irgendeine an-dere Farbe hatte als Schwarz.

Die übliche Art, diese Theorie zu überprüfen, besteht darin, Raben zu suchen und ihre Farbe zu kontrollieren. Jeder aufge-fundene schwarze Rabe bestätigt die Hypothese. (Er liefert Be-weismaterial für sie.) Andererseits widerlegt bereits ein einziger Rabe, der irgendeine andere Farbe als schwarz hat, die Hypo-these unmittelbar. Wenn Sie auch nur einen einzigen roten Ra-ben entdecken, brauchen Sie nicht weiter zu suchen: Die Hypo-these ist falsch.

Darüber besteht allgemein Einmütigkeit. Hempels Paradox geht von der Behauptung aus, man könne die Hypothese folgen-dermaßen umformulieren: «Alle nichtschwarzen Dinge sind Nichtraben.» Es ist logisch einsichtig, daß dieser Satz genau dasselbe sagt wie die ursprüngliche Hypothese. Wenn alle Ra-ben schwarz sind, kann selbstverständlich etwas, das nicht schwarz ist, kein Rabe sein. Diese Umformulierung nennt man Kontraposition, und die kontraponierte Form einer Aussage ist mit der Ausgangsaussage bedeutungsgleich.

Die Überprüfung der Behauptung «Alle nichtschwarzen Dinge sind Nichtraben »ist erheblich einfacher. Jedesmal, wenn Sie etwas sehen, das nicht schwarz ist, und sich herausstellt, daß es sich nicht um einen Raben handelt, wird die neuformulierte Hypothese bestätigt. Statt in feuchter und unzugänglicher Moorlandschaft auf Rabenjagd zu gehen, brauchen Sie nur noch nach Dingen Ausschau zu halten, die weder schwarz noch Raben sind.

Sie erblicken ein Rotkehlchen. Es ist nicht schwarz, und es ist kein Rabe. Das bestätigt die kontraponierte Version der Hypo-these. Die gleiche Bestätigung bieten ein rosa Flamingo, eine Purpurschwalbe und ein grüner Pfau. Natürlich braucht ein nichtschwarzer Gegenstand nicht einmal ein Vogel zu sein. Ein Goldring, ein blauer Gartenzwerg, der sprichwörtliche rote He-ring, der Bluthunde von der Spur abbringt, und das weiße Papier dieser Buchseite bestätigen die Hypothese ebenfalls. Der Vogel-kundler braucht sich nicht vom Lehnstuhl zu erheben, um Be-lege dafür zu finden, daß alle Raben schwarz sind. Wo Sie sich

auch gerade befinden mögen, Ihr Gesichtsfeld wimmelt von Gegenständen, die bestätigen: «Alle Raben sind schwarz».

Natürlich ist das lächerlich. Um das ganze Ausmaß der Ab-surdität zu erkennen, stellen Sie sich vor, Sie wollten dem Para-dox die Spitze abbrechen, indem Sie zugeben, daß ein Rotkehl-chen oder ein roter Hering den Satz «Alle Raben sind schwarz»

in minimalem Grade bestätigen. Wenn Sie einen Geist beschwö-ren könnten, der imstande wäre, alle nichtschwarzen Gegen-stände der Welt in einem Augenblick zu erfassen, und wenn dieser Geist feststellte, daß nicht ein einziges unter diesen nicht-schwarzen Dingen ein Rabe ist, dann wäre das sicher ein Beweis dafür, daß es keine nichtschwarzen Raben gibt, daß also alle Raben schwarz sind. Vielleicht ist die Idee doch nicht so unvor-stellbar, daß ein roter Hering unsere Hypothese bestätigen könnte.

Geben Sie sich nicht zu schnell mit dieser bequemen Lösung zufrieden. Es ist leicht einsichtig, daß der gleiche rote Hering auch die Hypothese «Alle Raben sind weiß» bestätigt. Die kon-traponierte Form dieser Aussage lautet «Alle nichtweißen Dinge sind Nichtraben», und der Hering, der rot und nicht weiß ist, bestätigt sie. Eine Beobachtung kann aber nicht zwei einan-der ausschließende Hypothesen bestätigen. Wenn Sie einen einan- der-art offensichtlichen Widerspruch einmal zulassen, wird alles

«beweisbar». Der rote Hering bestätigt, daß die Farbe aller Raben schwarz und zugleich, daß sie weiß ist. Also

Schwarz ist weiß. Q.e.d.

Vernünftige Annahmen haben zu einem massiven Wider-spruch geführt.

Für Wissenschaftler ist Hempels Paradox mehr als eine bloße Denksportaufgabe. Zu jeder Hypothese existiert eine Kontraposition; und es ist häufig leicht, bestätigende Beispiele für die Kontraposition zu finden. Irgend etwas stimmt hier nicht. Aber was ?

Hempels Rabe ist eine gute Einführung in die Gefahren und

Geheimnisse der Bestätigung. Unter all den wichtigeren Para-doxen, von denen hier die Rede sein soll, ist es eines derjenigen, die einer Lösung am nächsten gekommen sind. Aber bevor wir auf die Lösung eingehen, lohnt es, ein wenig zurückzugehen und den Hintergrund des Paradoxons darzustellen.

Bestätigung

So knapp wie möglich ausgedrückt, ist Bestätigung die Suche nach Wahrheit. Sie ist die Antriebsfeder der Wissenschaft, und darüber hinaus ist Bestätigung etwas, womit wir es ständig im Alltagsleben zu tun haben.

Die Analyse der Bestätigung hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Versuch, das Niesen zu analysieren: Wir wissen ge-nau, was es ist, aber normalerweise geschieht es so automa-tisch, daß wir nicht exakt beschreiben können, wie wir es tun.

Die Paradoxe der Bestätigungstheorie gehen vermutlich weit-gehend auf gemeinsame unbewußte Erwartungen zurück, Er-wartungen, die uns in die Irre führen können.

Wahrscheinlich erinnern Sie sich noch daran, daß man Ih-nen, wie uns allen, in der Schule beigebracht hat, es gebe so etwas wie eine «wissenschaftliche Methode», die folgender-maßen verlaufe: Man formuliert eine Hypothese, eine unbe-stätigte Annahme darüber, wie die Welt funktioniert. Dann versucht man, diese Hypothese durch Beobachtung oder Expe-rimente zu überprüfen. Die gesammelten Beweismaterialien bestätigen die Hypothese oder widerlegen sie. Wie so manches von dem, was man uns in der Schule beigebracht hat, ist das eine korrekte Beschreibung, die Wesentliches ausläßt.

Die meisten fruchtbaren Hypothesen sind Verallgemeine-rungen. Hempels Paradox spielt mit einer Commonsense-Re-gel, die man nach dem französischen Philosophen Jean Nicod als «Nicods Kriterium» bezeichnet. Auf schwarze Raben ange-wandt, sagt diese Regel, daß (a) das Auffinden eines schwarzen

Raben die allgemeine Aussage «Alle Raben sind schwarz»

wahrscheinlich macht; daß (b) das Auffinden eines nicht-schwarzen Raben die gleiche Aussage widerlegt; und daß (c) Beobachtungen schwarzer Nichtraben und nichtschwarzer Nichtraben irrelevant sind. Eine schwarze Billardkugel oder ein blauer Gartenzwerg verraten uns nichts über die Farbe von Raben. Nicods Kriterium liegt jeder wissenschaftlichen For-schung zugrunde, und wenn daran etwas nicht stimmt, geraten wir in erhebliche Schwierigkeiten.

Die Beobachtung eines schwarzen Raben liefert eine bestär-kende Bestätigung für die Annahme, daß alle Raben schwarz sind, beweist die Hypothese aber selbstverständlich nicht. Das kann überhaupt keine Einzelbeobachtung leisten. Die Beob-achtung schwarzer Raben bei gleichzeitigem Fehlen von Raben irgendeiner anderen Farbe erhöht (vernünftigerweise) Ihre Zu-versicht, daß alle Raben schwarz sind.

Bestätigung ist ein komplizierteres Geschäft, als man ge-meinhin annimmt. Man sollte glauben, je mehr bestätigendes Beweismaterial es für eine Hypothese gibt, desto wahrscheinli-cher sei es, daß sie wahr ist. Das braucht aber nicht so zu sein.

Es ist möglich, daß zwei bestätigende Beobachtungen bewei-sen, daß eine Hypothese falsch ist. Das ist der Witz bei dem folgenden Gedankenexperiment, das auf den Philosophen Wesley Salmon zurückgeht.

Materie und Antimaterie

Nehmen wir einmal an, einige Planeten im Universum bestün-den aus Materie und andere aus Antimaterie. (Derartige Ver-mutungen sind schon angestellt worden.) Materie und Anti-materie sehen vollkommen gleich aus. Wenn man einen ent-fernten Stern im Fernrohr betrachtet, kann man auf keine Weise feststellen, ob er aus Materie oder aus Antimaterie be-steht. Auch das Licht des Sterns verrät nichts, denn Photonen

sind ihre eigenen Antipartikel, und ein Stern aus Antimaterie strahlt das gleiche Licht aus wie ein Stern aus Materie. Nur wenn Antimaterie normale Materie berührt - dann KNALLT ES!!! Materie wie Antimaterie werden in einer gigantischen Explosion vernichtet.

Diese störende Tatsache stellt einen Risikofaktor bei der Aufnahme interstellarer Kontakte dar. Ein Raumschiff vom Planeten X trifft zufällig im Weltraum ein Raumschiff vom Planeten Y. Sie nehmen Funkkontakt auf (auch Rundfunkwel-len bestehen aus Photonen, sind also weder Materie noch Anti-materie). Die Computer entziffern die fremden Sprachen, und man nimmt diplomatische Beziehungen auf. Die beiden Raum-schiffe einigen sich darauf, anzulegen und Botschafter auszu-tauschen. Alles ist voll von Frieden und Freude, bis im letzten Moment die Schiffe anlegen, und dann - KNALLT ES oder nicht, je nachdem, woraus die Planeten X und Y bestehen. Je-desmal, wenn der eine aus Materie und der andere aus Antima-terie besteht, explodieren die Schiffe. (Wenn beide Raum-schiffe aus Antimaterie bestehen, kommt es nicht zum Knall.)

Eines Tages berichten irdische Astronomen, daß sie zwei winzige Lichtpunkte entdeckt haben, die sich aufeinander zu bewegen und bei denen es sich möglicherweise um Raum-schiffe handelt. Sie sind nicht sicher, ob die beiden Objekte Raumschiffe sind, aber auf Grund bisheriger Erfahrungen können die Astronomen sagen, daß für jeden der beiden Licht-punkte eine dreißigprozentige Chance besteht, daß es sich um ein Raumschiff handelt, und eine siebzigprozentige Chance, daß es ein völlig irrelevantes anderes natürliches Phänomen ist.

Man weiß auch aus früheren Beobachtungen, daß zwei Raum-schiffe, die einander so nahe kommen, immer aneinander anle-gen. Anscheinend weiß niemand im Weltraum, außer der Menschheit, etwas von dem Problem, das Materie und Anti-materie darstellen. Alle anderen müssen erst noch aus bitteren Erfahrungen lernen.

Also lautet die große Frage: Explodieren sie oder nicht? Die

Buchmacher von Las Vegas nehmen makabre Wetten auf die mögliche Totalvernichtung an. Sie argumentieren wie folgt: Es ist bekannt, daß zwei Drittel aller Planeten im Universum aus Materie bestehen und ein Drittel aus Antimaterie. Also besteht für jeden der beiden Lichtpunkte eine Chance von 70%, daß es sich um ein Naturereignis handelt, das in diesem Zusammen-hang uninteressant ist, eine Chance von 20%, daß es sich um ein Raumschiff aus Materie handelt, und eine Chance von 10%, daß es ein Antimaterie-Raumschiff ist.

Nennen wir die beiden Lichtpunkte A und B. Zum Knall kann es auf einem von zwei einander ausschließenden Wegen kommen. Entweder ist Objekt A ein Materie-Raumschiff und Objekt B ein Antimaterie-Raumschiff, oder Objekt A ist ein Antimaterie-Raumschiff und Objekt B ein Materie-Raum-schiff. Die Wahrscheinlichkeit für den ersten Fall beträgt 20%

von 10%, also 2%. Die Chancen für den zweiten Fall berech-nen sich als 10% von 20%, also wieder 2%. Da die beiden Möglichkeiten einander ausschließen, beträgt die Gesamt-wahrscheinlichkeit der gegenseitigen Vernichtung 2% plus 2%, also 4%.

Die Buchmacher setzen die Gewinnquoten auf der Grund-lage dieser berechneten Wahrscheinlichkeit fest. Nehmen wir jetzt an, ein Goldgräber im Weltraum auf dem Heimweg zur Erde stößt durch einen jener unendlich unwahrscheinlichen Zufälle, wie sie dennoch immer wieder auftreten, mit Objekt A zusammen. Dabei erfährt er, daß Objekt A ein Raumschiff ist und aus gewöhnlicher Materie besteht. (Letzteres weiß er, weil er das Ereignis überlebt hat.) Auf die Erde zurückgekehrt, hört er von den Wetten, die in Las Vegas abgeschlossen werden.

Der Goldgräber handelte klug, wenn er aufgrund seiner Insi-der-Informationen auf Vernichtung setzte. Er weiß mit Sicher-heit, daß Objekt A ein Raumschiff ist, während alle anderen denken, es sei höchstwahrscheinlich (mit einer siebzigprozenti-gen Wahrscheinlichkeit) nur ein Asteroid oder sonst ein natür-licher Gegenstand. Wenn aber Gegenstand A ein Raumschiff

aus normaler Materie ist, ist die Chance für Vernichtung 10 Prozent, denn das ist die Wahrscheinlichkeit, daß Objekt B ein Raumschiff ist und aus Antimaterie besteht. Die Buchma-cher haben die Gewinnchancen auf 4% berechnet, aber der Goldgräber, der über umfassenderes Wissen verfügt, kann die Wahrscheinlichkeit auf 10% berechnen.

Schön und gut. Was wäre nun, wenn ein zweiter Metallsu-cher im Weltraum den gleichen Unfall mit Objekt B hätte und dabei feststellte, daß es sich auch hier um ein Raumschiff han-delt, das aus Materie besteht? Er könnte natürlich aufgrund des gleichen Gedankengangs zum selben Schluß kommen:

nämlich, daß die Vernichtungschancen von 4% auf 10% ge-stiegen seien. Aber in Wirklichkeit schließen die kombinierten Informationen der beiden Abenteurer die Möglichkeit der Ver-nichtung vollständig aus. Sie haben festgestellt, daß beide Raumschiffe aus der gleichen Art von Materie bestehen wie die Erde, und das bedeutet, daß die Wahrscheinlichkeit für eine alles vernichtende Explosion genau Null ist!

Absolute und kumulative Bestätigung

Zwei bestätigende Ereignisse (die beiden Zusammenstöße der Weltraumabenteurer mit den Raumschiffen) bestätigen jeweils einzeln die Annahme, daß es zur Explosion kommen wird, ob-wohl beide Beobachtungen zusammen sie widerlegen. Ich möchte eine derartige Situation nicht im eigentlichen Sinne pa-radox nennen, denn ohne Zweifel können solche seltsamen Konstellationen entstehen. Die Wahrscheinlichkeitsberech-nungen der Buchmacher, der Abenteurer und unsere eigenen, soweit wir die Erfahrungen beider Abenteurer kennen, sind korrekt. Diese seltsamen Konstellationen sind in der Bestäti-gungstheorie eingehend untersucht worden.

Das Seltsame an ihnen ist zum Teil semantisch bedingt. Das Verb «bestätigen» wird in zweierlei Bedeutung verwendet. Im

alltäglichen Sprachgebrauch wenden wir «bestätigen» fast im-mer im absoluten Sinne an, als wollten wir sagen, etwas sei jetzt endgültig klar, über jeden Zweifel erhaben. «Der Chef hat bestätigt, daß Sandra eine Gehaltserhöhung kriegt», heißt:

Egal, was für Zweifel bestanden haben mögen, jetzt ist es prak-tisch hundertprozentig sicher, daß Sandra die Gehaltserhö-hung bekommt.

Es gibt aber kaum Experimente, die eine Hypothese im abso-luten Sinne bestätigen würden. Wissenschaftler und Bestäti-gungstheoretiker verwenden das Wort «bestätigen» häufig im kumulativen Sinne. Kumulativ bestätigen heißt «Belegmate-rial für etwas liefern» oder «die Wahrscheinlichkeit von etwas erhöhen». Wir sprechen hier von Wahrscheinlichkeit, weil eine allgemeine Aussage immer nur vorläufig bestätigt werden kann.

Man kann eine Hypothese, die wahrscheinlich von Anfang an unzutreffend war und es auch weiterhin bleibt, kumulativ bestätigen. Wir würden nicht sagen: «Der Chef bestätigt, daß Sandra eine Gehaltserhöhung bekommt», wenn wir meinen, daß auf Grund einer uneindeutigen Bemerkung des Chefs die Wahrscheinlichkeit der Gehaltserhöhung von 15 % auf 18 % gestiegen ist. Aber das ist die Art von Bestätigung, die für wis-senschaftliche Forschung typisch ist.

Kumulative Bestätigung war das entscheidende Element der Geschichte von der Raumschiffvernichtung. Die Informatio-nen jedes einzelInformatio-nen Abenteurers erhöhen eine geringe Ver-nichtungswahrscheinlichkeit (4 Prozent) auf eine größere, aber immer noch geringe Wahrscheinlichkeit (10 Prozent). Ihr gemeinsamer Informationsgehalt aber läßt die Wahrschein-lichkeit auf Null schrumpfen. Es ist ein tröstlicher Gedanke, daß derartige Ausrutscher nicht mehr auftreten, wenn die Wahrscheinlichkeiten höher sind, wenn eine Hypothese sich ihrer absoluten Bestätigung nähert.

Das läßt sich zeigen, wenn wir die Chancen etwas manipu-lieren. Definieren wir die Situation so, daß die Einschätzung

der Buchmacher ein bißchen näher an die tatsächliche Situa-tion herankommt. Für jeden der beiden Gegenstände soll die Wahrscheinlichkeit, daß er ein natürlicher Gegenstand ist, jetzt 10 % betragen, diejenige, daß es ein Materie-Raumschiff ist, 80 % und die, daß es ein Antimaterie-Raumschiff ist, 10 %.

Dann müssen die Buchmacher die Wahrscheinlichkeit der Ver-nichtung auf (80% von 10%) plus (10% von 80%), also auf 16 % berechnen. Jeder der beiden Abenteurer kann, nachdem er festgestellt hat, daß einer der Gegenstände ein Materie-Raumschiff ist, (genau wie im ersten Beispiel) damit rechnen, daß die Wahrscheinlichkeit der Vernichtung 10% beträgt, nämlich genau die Wahrscheinlichkeit, daß der zweite Gegen-stand ein Antimaterie-Raumschiff ist. Jetzt ist die Wahrschein-lichkeitsschätzung jedes der beiden Abenteurer niedriger als die der Buchmacher. Das ist normal, denn sie wissen mehr als die Buchmacher, und die tatsächliche Wahrscheinlichkeit bleibt ja weiterhin Null.

Gegenbeispiele

An dieser Geschichte kann man sehen, daß es nicht nur um Bestätigung geht. Beobachtete Belegmaterialien können eine Hypothese auch widerlegen oder falsifizieren. Wissenschafts-theoretiker der Schule Karl Poppers betonen die Bedeutung der Falsifikation.

Das klingt ein wenig nach der Unterscheidung zwischen einem halbleeren und einem halbvollen Glas. Aber so einfach ist es nicht, denn Bestätigung und Widerlegung stehen nicht in einem symmetrischen Verhältnis zueinander. Eine allgemeine Aussage ist leichter zu widerlegen als zu bestätigen.

Ein Gegenbeispiel ist die Ausnahme von einer vermeint-lichen Regel. Ein weißer Rabe ist ein Gegenbeispiel zur Hypo-these, alle Raben seien schwarz. Ein weißer Rabe läßt die Hypothese nicht bloß weniger wahrscheinlich erscheinen,

sondern beweist ein für allemal, daß sie falsch ist. In der Logik bezeichnet man das als modus tollens oder «Verneinung der Schlußfolgerung».

In der Praxis liegen die Dinge nur selten so einfach. Es hat viele «Gegenbeispiele» gegen die Hypothese gegeben, daß es kein Ungeheuer von Loch Ness gibt. Jedesmal, wenn jemand behauptet, es gesehen zu haben, ist das ein Gegenbeispiel. Den-noch glauben die meisten Wissenschaftler weiterhin nicht an das Ungeheuer von Loch Ness. Offensichtlich sind nicht alle angeblichen Gegenbeispiele gewichtig genug, um eine sonst be-stätigte Hypothese zu widerlegen.

Viele Hypothesen im Randgebiet des erreichten Wissens-standes können nur in Situationen überprüft werden, in denen zugleich zahlreiche Zusatzhypothesen überprüft werden. Zu-satzhypothesen sind vorgängige Annahmen darüber, wie sich die Haupthypothese in den allgemeinen Wissensstand einfü-gen läßt, wie Mikroskope, Fernrohre und andere zur Überprü-fung der Hypothese notwendige Instrumente funktionieren und so weiter. Bei diesen Zusatzhypothesen ist häufig die pro-blemlose Anwendbarkeit des modus tollens nicht garantiert.

Wesley Salmon führte einen schönen Fall an, wo zwei ähn-liche Gegenbeispiele zur Widerlegung einer Zusatz- bezie-hungsweise der Haupthypothese geführt haben. Vom New-tonschen Gravitationsgesetz ausgehend, sind die zukünftigen Positionen der Planeten vorhersagbar. Im neunzehnten Jahr-hundert stellte sich heraus, daß die Vorhersagen für die Umlaufbahn des Uranus geringfügig, aber gleichmäßig falsch waren.

Einige Astronomen kamen auf die Idee, die Unstimmigkei-ten könnUnstimmigkei-ten auf einen unbekannUnstimmigkei-ten PlaneUnstimmigkei-ten jenseits der Umlaufbahn des Uranus zurückgehen. Nachdem dieser Planet (der Neptun) 1846 entdeckt worden war, war die Newtonsche Theorie nicht nur wiederhergestellt, sondern sogar bestärkt.

Die Existenz des Neptun war ein zusätzlicher Beleg für die Theorie Newtons.

Ungefähr zur gleichen Zeit wurden andere Unregelmäßig-keiten in der Umlaufbahn des Merkur festgestellt. Die

Ungefähr zur gleichen Zeit wurden andere Unregelmäßig-keiten in der Umlaufbahn des Merkur festgestellt. Die

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