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a) Methodisches Vorgehen und damit verbundene Herausforderungen

Für die Definition und Operationalisierung von Vitalität und Attraktivität wurde ein pragma-tisches und schrittweises Vorgehen gewählt:

 In einem ersten Schritt wurde eine Auslegeordnung der Begriffsverwendungen erstellt.

Diese zeigte, dass beide Begriffe mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden, und eine exakte allgemeingültige oder auch schon nur allgemein verwendete Definition nicht verfüg-bar ist.

 In einem zweiten Schritt wurden an einem Workshop mit Expertinnen und Experten aus dem Landwirtschaftsbereich sowie Mitgliedern der Begleitgruppe zu dieser Studie Attribute zusammengetragen, die die Vitalität und Attraktivität eines Gebietes charakterisieren.

 Der nächste Arbeitsschritt bestand darin, öffentlich verfügbare quantitative Indikatoren zu finden, mit denen diese zusammengetragenen Attribute quantitativ gemessen werden kön-nen. Mit Blick auf die im Evaluationsteil durchzuführenden Wirkungsanalysen mussten diese Indikatoren auf Gemeindeebene verfügbar sein. Bei einzelnen Indikatoren war zudem wichtig, dass Daten über einen gewissen Zeitraum hinweg verfügbar waren, damit Durch-schnittswerte gebildet werden konnten.

 Die auf diese Weise definierten und mit entsprechenden Daten quantifizierten Indikatoren wurden schliesslich in einem zweiten Experten-Workshop einer Validierung unterzogen.

Neben der Definition geeigneter Indikatoren für welche auch entsprechende Daten zur Verfü-gung stehen, stellte die Vielschichtigkeit der beiden Begriffe eine Herausforderung dar:

 Bei der Vitalität ist zwischen den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit, Gesellschaft (vi-tale Bevölkerung, lebendige Zivilgesellschaft und intaktes Zusammenleben, Gesundheit der Bevölkerung, etc.), Wirtschaft (hohe Wettbewerbsfähigkeit) und Ökologie (resilientes und intaktes Ökosystem) zu unterscheiden.

 Bei der Attraktivität sind drei unterschiedliche Optiken relevant: Attraktivität eines Ge-bietes als Wohnstandort (Grundversorgung, Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten, natur- und kulturräumliche Vielfalt, Einkommenssituation und Steuerbelastung), als Wirtschafts-standort (Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, Infrastrukturausstattung) und als Frei-zeit- und Erholungsraum (verkehrstechnische Erreichbarkeit, touristische Infrastruktur und Angebote).

Schliesslich sind je 13 Einzelindikatoren verwendet worden, um die Vitalität und die Attraktivität des ländlichen Raums oder eines Teilgebietes davon zu beschreiben (vgl. dazu Abbildung 2-8 und Abbildung 2-16). Aus diesen Einzelindikatoren sind folgende Grössen hergeleitet worden:

 Ein Gesamtindikator in Form eines Indexwertes zur Quantifizierung der gesamthaften Vi-talität einer Gebietseinheit sowie drei Teilindikatoren in Form von Teilindizes zur je spe-zifischen Quantifizierung der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und ökologischen Vitalität.

 Ein Gesamtindikator in Form eines Indexwertes zur Quantifizierung der gesamthaften At-traktivität einer Gebietseinheit sowie drei Teilindikatoren in Form von Teilindizes zur je spezifischen Quantifizierung der Attraktivität als Wohnstandort, als Wirtschaftsstandort und als Freizeit und Erholungsraum.

Vergleichsweise einfacher war die Definition und Operationalisierung von Landwirtschaft und Agrarpolitik:

 Die Landwirtschaft wird in der vorliegenden Studie einerseits über die landwirtschaftliche Prägung der Gemeinden und andererseits über ihren Output bzw. ihre Leistungen definiert:

– Als Messgrössen für die landwirtschaftliche Prägung dienen die Standardarbeitskräfte Landwirtschaft (SAK) pro Einwohner einer Gemeinde. In deren Berechnung fliessen u.a.

die Grösse der landwirtschaftlichen Nutzfläche, die Zahl der Grossvieheinheiten und aus Hanglagen resultierende Erschwernisse ein.

– Für eine differenzierte Abbildung der landwirtschaftlichen Leistungen wird auf so ge-nannte standardisierte landwirtschaftliche Outputs abgestellt, und dies für die Katego-rien Ackerflächen, Weiden und Wiesen, Dauerkulturen, geschützte Kulturen, Rin-der/Schafe/Ziegen/etc., Schweine/Geflügel/etc.

 Die Operationalisierung von Agrarpolitik erfolgt über räumlich und inhaltlich differenzierte Direktzahlungen (allgemeine und ökologische DZ) im Zeitraum 2005-2009 sowie über Zah-lungen für Strukturverbesserungen als Teil der agrarpolitischen Fördermassnahme „Grund-lagenverbesserung und Sozialmassnahmen“ (vgl. Abbildung 3-5) im Zeitraum 2003-2014.

Die quantitative Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Landwirtschaft und Agrarpolitik so-wie Vitalität und Attraktivität des ländlichen Raums wurde auf Gemeindeebene mithilfe statis-tischer Verfahren durchgeführt.

b) Ergebnisse: Die Vitalität und Attraktivität des ländlichen Raums

Mit den operationalisierbaren bzw. quantitativen Indikatoren war es möglich, konkrete Aussa-gen über die Vitalität und Attraktivität von Gebietseinheiten (Gemeinde, Bezirk, Regionen) des ländlichen Raums zu machen. Da die ausgewählten Indikatoren zur Messung von Vitalität und Attraktivität auf Gemeindeebene verfügbar sind, sind beliebige Gebietsaggregationen möglich.

Die folgende Abbildung illustriert, wie die ermittelten Indexwerte auf Gemeindeebene ausge-wiesen werden können.

Abbildung 8-1: Wirtschaftliche und ökologische Vitalität des ländlichen Raums nach Ge-meinde, Illustration

Wirtschaftliche Vitalität Ökologische Vitalität

Welche Gebietsdefinition sinnvoll ist, um die Vitalität und Attraktivität zu umschreiben, lässt sich nur aus den angestrebten Aussagen ableiten. Oder anders gesagt: Die richtige Perime-terwahl bzw. die relevante Gebietsdefinition ergibt sich aus dem konkreten Zweck einer Vitali-täts- oder Attraktivitätsmessung.

Aus der Anwendung der beschriebenen Definition und Operationalisierungen auf der Gemein-deebene haben sich folgende Merkmale von gesellschaftlich, wirtschaftlich und ökologisch vitalen Gemeinden herleiten lassen:

 Gemeinden mit einer hohen gesellschaftlichen Vitalität haben verhältnismässig wenig Einwohnerinnen und Einwohner, sind aber auch bezüglich der Fläche eher klein und haben eine relativ tiefe Bevölkerungsdichte. Zudem ist der Ausländeranteil klein und die Steuer-belastung tief. Der Anteil der bestockten und der unproduktiven Fläche ist im Vergleich zum gesamten ländlichen Raum eher klein. Diese Charakteristika sind typisch für die kleinen

Landgemeinden des Flachlands und der Voralpen. Wir finden sie ausgeprägt im Mittelland und in der Zentralschweiz.

 Gemeinden mit einer hohen wirtschaftlichen Vitalität haben verhältnismässig viele Ein-wohnerinnen und Einwohner, einen hohen Ausländeranteil, eine relativ grosse Gesamtflä-che und eine hohe Bevölkerungsdichte. Das Reineinkommen pro Einwohner ist tendenziell hoch und die Steuerbelastung niedrig. Diese Charakteristika sind weniger eindeutig, ent-sprechen aber am ehesten jenen einer agglomerationsnahen Gemeinde des ländlichen Raums. Weniger wirtschaftlich vital sind peripher gelegene und nicht-touristisch geprägte Gemeinden.

 Gemeinden mit einer hohen ökologischen Vitalität haben wenig Einwohnerinnen und Ein-wohner, eine sehr grosse Fläche, eine sehr tiefe Bevölkerungsdichte und vor allem einen grossen Anteil unproduktive Fläche. Der Ausländeranteil ist nur leicht unterdurchschnittlich.

Diese Charakteristika zeichnen das Bild von Gemeinden im Hügel- oder Berggebiet, die durch die Landwirtschaft und den Tourismus geprägt werden.

Die Teilindizes für die drei Optiken von Attraktivität (Attraktivität als Wohnstandort, als Wirt-schaftsstandort und als Freizeit- und Erholungsraum) weisen deutlich homogenere Charakte-ristika auf. Sie sind stark von Eigenschaften verhältnismässig urbaner Gemeinden geprägt:

 Hohe Bevölkerungszahl mit hohem Ausländeranteil

 Kleine Gesamtfläche mit hoher Bevölkerungsdichte

 Tiefer Anteil an unproduktiver Fläche (Gebirge und Seen) und grosser Anteil Verkehrsfläche

 Starker Dritter Sektor: Hoher Anteil an privatwirtschaftlicher Dienstleistungen, Handel und Verkehr

Bei Gemeinden mit hoher Attraktivität als Wirtschaftsstandort sind die Merkmale urbaner Ge-meinden besonders stark ausgeprägt. Entsprechend sind sie in erster Linie im Mittelland an-zutreffen. Bei der Attraktivität als Wohnstandort ist der Zusammenhang deutlich schwächer.

Es finden sich durchaus auch ausserhalb des Mittellandes Gemeinden mit einer hohen Attrak-tivität als Wohnstandort. Bei der AttrakAttrak-tivität für Freizeit und Erholung kombiniert sich der Einfluss der Merkmale von agglomerationsnahen Gemeinden mit jenen von alpinen Touris-musgemeinden.

c) Kritische Würdigung von Vorgehen und Ergebnissen

 Das oben beschriebene Vorgehen zur Definition von Vitalität und Attraktivität des länd-lichen Raums stellt ein pragmatisches, auf Expertenmeinungen basierendes Vorgehen dar.

Restriktionen bei der Datenverfügbarkeit haben bewirkt, dass nicht alle identifizierten Attri-bute von Vitalität und Attraktivität bei der quantitativen Messung berücksichtigt werden konnten. Entsprechend nimmt die derart hergeleitete Definition auch nicht in Anspruch, die

„richtige“ Definition zu sein, vielmehr handelt es sich um eine im Rahmen dieses Projekts getroffene „wohl überlegte Konvention“ zu den beiden Begriffen.

Die Arbeiten haben gezeigt, dass verschiedene wichtige Attribute von Vitalität und Attrakti-vität des ländlichen Raums mangels Datenverfügbarkeit nicht berücksichtigt werden konn-ten. Bei der Vitalität sind das insbesondere „Soft Factors“ wie bspw. das Vorhandensein einer lebendigen Zivilgesellschaft und eines intakten Zusammenlebens. Sie sind für die ge-sellschaftliche Vitalität von grosser Bedeutung, konnten aber nicht in die Analyse einflies-sen. Bei der Attraktivität konnten ebenfalls nicht alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden, die die Attraktivität eines Raumes ausmachen, wohl aber die wichtigsten. Von da-her stufen wir die aus mangelnder Datenverfügbarkeit resultierende Schwäche der Opera-tionalisierung von Vitalität als kritischer ein als jene im Fall von Attraktivität. Bei der Inter-pretation der Ergebnisse ist immer im Auge zu behalten, dass sie unmittelbar von den hier verwendeten Definitionen und Operationalisierungen von Vitalität und Attraktivität abhän-gen.

 Die beiden Begriffe wurden bewusst generell und nicht ausgerichtet auf einen potenziel-len Einfluss der Landwirtschaft definiert. Eine Definition aus landwirtschaftlicher Perspek-tive hätte zur Folge gehabt, dass definitionsgemäss ein posiPerspek-tiver Zusammenhang zwischen der Landwirtschaft und den beiden Grössen resultiert hätte, was die Aussagekraft der Er-gebnisse entsprechend geschmälert hätte.

 Die erwähnte Vielschichtigkeit der beiden Begriffe Vitalität und Attraktivität erschwerte die sinnvolle Bildung von Gesamtindikatoren bzw. Gesamtindizes. Dies gilt besonders für die Vitalität, weil die drei Dimensionen „gesellschaftliche Vitalität“, „wirtschaftliche Vitalität“

und „ökologische Vitalität“ teilweise gegenläufig sind: Wirtschaftlich vitale Räume weisen i.d.R. eine tiefe ökologische Vitalität auf, und umgekehrt. Die Bildung eines Gesamtindexes macht in einem solchen Fall wenig Sinn, da seine Aussagekraft gering ist und weil wesent-liche Zusammenhänge verwischt werden. Im Fall der Attraktivität ist diese Problematik we-niger ausgeprägt.

 Geringere methodische und datenseitige Probleme bot die Definition und Operationali-sierung von Landwirtschaft und Agrarpolitik. Dank der hervorragenden Datenbasis war eine sehr differenzierte und kleinräumige (Gemeindeebene) Operationalisierung von Landwirtschaft bzw. landwirtschaftlicher Prägung und landwirtschaftlicher Leistung sowie der Finanzflüsse aus den Zahlungen der Agrarpolitik möglich.