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2.3 Vitalität des ländlichen Raums: Begriffsdefinition und Messung

2.3.1 Begriffsverständnis und Indikatoren zur Operationalisierung

Wie in Abschnitt festgehalten, erfolgten die Begriffsdefinition und die Operationalisierung von Vitalität (und Attraktivität) des ländlichen Raums in einem iterativen Vorgehen unter Einbindung von Expertinnen und Experten aus dem Bereich Landwirtschaft sowie Mitgliedern aus der Be-gleitgruppe. Zentrale Gefässe waren zwei Workshops, in welchen einerseits eine Auslegeord-nung erstellt und andererseits eine Validierung der von den Studienautoren eingebrachten Vor-schläge vorgenommen wurde. Detailinformationen dazu sind in Anhang A (Kapitel 9) wieder-gegeben. An dieser Stelle werden nur die erarbeiteten Ergebnisse festgehalten.

Ausgehend von den Ausführungen in Abschnitt 2.2 wird beim Begriff Vitalität zwischen den drei Dimensionen

 gesellschaftliche

 wirtschaftliche

 ökologische

Vitalität unterschieden. In einem ersten Arbeitsschritt sind für jede Dimension Attribute be-stimmt worden, die eine vitale Ausprägung der drei Dimensionen umschreiben. Abbildung 2-5 hält die Ergebnisse aus diesem ersten Arbeitsschritt fest.

Abbildung 2-5: Attribute zur Umschreibung der drei Dimensionen von Vitalität – Glaube an die eigene

Gemein-schaft und an deren Zukunft – Klima und Kultur in der

Zivilge-sellschaft

In einem zweiten Arbeitsschritt sind für die Attribute mögliche Indikatoren zur Operationalisie-rung bzw. zur quantitativen Messung von Vitalität hergeleitet und diskutiert worden. Anhang A enthält die entsprechende Übersicht. In der folgenden Abbildung 2-6 ist festgehalten, welche Indikatoren ausgewählt wurden und entsprechend in der vorliegenden Studie zur Operationa-lisierung von Vitalität des ländlichen Raums verwendet werden.

Die Wahl der in Abbildung 2-6 ausgewiesenen Indikatoren ist wie folgt begründet:

 Aus Ressourcengründen konnten nur Indikatoren berücksichtigt werden, die aufbereitet vorliegen, und dies für die Raumeinheit „Gemeinde“. Verknüpfungen von bestehenden Gemeindedatensätzen blieben selbstverständlich möglich, nicht aber die Ableitung und/

oder Generierung neuer Daten bspw. aus Rechnungen der öffentlichen Hand.

Gesellschaftliche Vitalität:

– Der zentrale Indikator ist eine positive Bevölkerungsentwicklung. Eine vitale Bevölke-rung bleibt im Zeitverlauf mindestens stabil. Auf einen weiteren grundsätzlich verwend-baren Indikator, den „Wanderungssaldo„, wurde verzichtet, da dieser Saldo in die ge-samthafte Bevölkerungsentwicklung einfliesst.

– Mit dem Jugendkoeffizienten wird die Bevölkerungsstruktur und damit die für den länd-lichen Raum relevante Frage der Überalterung berücksichtigt.

– Für das Attribut „lebendige Zivilgesellschaft und intaktes Zusammenleben“ sind prak-tisch keine quantitativen Indikatoren verfügbar. Einzig der Indikator „aktive Stimm- und Wahlbeteiligung“ kann einbezogen werden. Dieser Indikator deckt das für die

gesell-schaftliche Vitalität sehr wichtige Attribut „lebendige Zivilgesellschaft und intaktes Zu-sammenleben“ nur sehr beschränkt ab. Für die vorliegende Untersuchung wäre sehr wünschenswert, wenn zu solchen „Soft Factors“ differenzierte und periodisch aktuali-sierte Grundlagendaten verfügbar wären. Diese datenseitig begründete Einschränkung stufen wir aus konzeptioneller Sicht als bedeutend ein. Dem wichtigen Attribut „leben-dige Zivilgesellschaft und intaktes Zusammenleben“ wird mit unserer Indikatorenwahl bei Weitem nicht ausreichend Rechnung getragen.

Abbildung 2-6: Verwendete Indikatoren zur Operationalisierung von Vitalität Dimensionen

von Vitalität

Attribute Ausgewählte Indikatoren Gesellschaftliche

Vitalität Vitale Bevölkerung Positive Bevölkerungsentwicklung:

Veränderung der ständigen Wohnbevölkerung in % (Ø 2009-2014) – Jugendkoeffizient:

Anteil < 20-Jährigen in % (2013) Lebendige

Zivilgesell-schaft und intaktes Zusammenleben

Aktive Stimm- und Wahlbeteiligung:

Anteil der Stimmenden/Wählenden an den Stimm-/Wahlberechtigten in % (2011)

Gesundheit und sozi-ale Situation

Geringe Arbeitslosigkeit:

Arbeitslosenquote in % (Anteil der registrierten Arbeitslosen am Total aller Erwerbspersonen 2013)

Wenig Sozialhilfebeziehende:

Sozialhilfequote in % (Anteil der Sozialhilfeempfänger/Innen zur gesamten Bevölkerung 2013)

Wirtschaftliche

Vitalität Wettbewerbs- fähigkeit

Arbeitsplatzentwicklung (ohne öffentliche Hand):

Entwicklung Anzahl Vollzeitäquivalente in Privatwirtschaft (2008-2012) – Unternehmertum:

Neu geschaffene Stellen in neu gegründeten Unternehmen pro 1‘000 Be-schäftigte (2008-2012)

Ökologische Vitalität

Intaktes und resilien-tes Ökosystem

Potenzial aufgrund Fläche:

- Anteil Biodiversitätsförderfläche (ehemals ökologische Ausgleichsfläche) an landwirtschaftlicher Nutzfläche (2013)

- Anteil ökologisch bewirtschaftete Ackerfläche an LN (2013) – Ökologisch wertvolle Flächen:

- Flächenanteil der Bioinventare an Gesamtfläche (2007/2008/2010/2013, unterschiedlich nach Typ des Biotopinventars)

- Flächenanteil BLN-Objekte sowie Moorland an Gesamtfläche (2001) - Flächenanteil Pärke an Gesamtfläche (2015)

Versiegelung:

Anteil der Siedlungsfläche an der Gesamtfläche (2004/2009)

– Schliesslich stellen die Sozialhilfe- und / oder Arbeitslosenquote geeignete Indikato-ren zur Einstufung der Vitalität einer Gesellschaft bzw. zur Messung des Attributs „Ge-sundheit und soziale Situation“ dar. Bei einer hohen Quote sind die

Rahmenbedingun- Wirtschaftliche Vitalität: Beim Attribut „Wettbewerbsfähigkeit“ beschränken wir uns auf den zentralen Indikator Arbeitsplatzentwicklung (ohne öffentliche Hand) sowie auf einen Indikator zur Messung von Unternehmertum. Auf die Berücksichtigung von Anteilen an wertschöpfungsstarken und/oder zukunftsträchtigen Branchen wird verzichtet. Für eine kleinräumige Analyse ist dieser Indikator beschränkt aussagekräftig, da es innerhalb der einzelnen Branchen grosse Unterschiede gibt, je nachdem wo die entsprechende Betriebs-stätte steht (so nimmt bspw. eine Bankfiliale im ländlichen Raum eine ganz andere Aufgabe wahr als das Hauptquartier in Zürich, entsprechend unterschiedlich fällt auch die Wert-schöpfung pro Arbeitsplatz aus).

Ökologische Vitalität: Das Biodiversitätsmonitoring Schweiz (BDM)45 bietet zahlreiche Da-ten zum Zustand der Biodiversität in der Schweiz, jedoch nur auf grossräumiger Ebene.

Deshalb musste zur Messung der ökologischen Vitalität mangels Alternativen auf Hilfskon-strukte zurückgegriffen werden. Basierend auf dem Verständnis, dass es einen minimalen Flächenanteil an gewissen Flächen braucht, um die Biodiversität zu erhalten, wird das Po-tenzial für die Biodiversität aufgrund der Fläche als Indikator aufgenommen. Im Agraröko-system zählen die ökologische Ausgleichsfläche, Flächen des biologischen Landbaus und ökologisch bewirtschaftete Ackerflächen als Flächen mit hohem Potenzial46. Als Indikator dient deshalb deren Flächenanteil an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzflä-che. Ausserhalb des Agrarökosystems sind es insbesondere Biotopinventare, BLN-Flä-chen und Pärke, die zum Schutz der Arten beitragen. Als zusätzliche Indikatoren wird des-halb deren Flächenanteil an der Gesamtfläche einer Gemeinde aufgenommen. Für die Bo-denqualität eignet sich der Anteil der versiegelten Fläche, mit dem Verständnis, dass ver-siegelter Boden die schlechtest mögliche Qualität aufweist.

Abschliessend ist festzuhalten, dass es sich bei der hier vorgenommenen Operationalisierung des Begriffs „Vitalität“ um eine Möglichkeit unter vielen handelt. Sie weist v.a. bei den Soft Factors der gesellschaftlichen Vitalität und bei der ökologischen Vitalität datenverfügbarkeits-bedingte Schwächen auf. Aber auch ohne diese Schwächen wäre die Festlegung als eine im Rahmen dieses Projekts getroffene Konvention zu interpretieren. Es wird nicht der Anspruch erhoben, dass es sich hierbei um die richtige und allgemeingültige Definition und Operationa-lisierung von Vitalität des ländlichen Raums handelt. Vielmehr ist es eine mögliche Operatio-nalisierung unter vielen.

Zudem weisen wir darauf hin, dass die gewählten Indikatoren vereinfachende Hilfskonstrukte sind. Es darf nicht der Schluss gezogen werden, dass jede Massnahme, die bei einem ausge-wählten Indikator zu einem besseren Messwert führt (z.B. zu einer tieferen Sozialquote), in der Realität auch zu einer höheren Vitalität führt. Um eine solche Aussage machen zu können, müssten alle Wirkungen einer Massnahme erfasst werden und nicht nur jene auf den ausge-wählten Indikator.

45 BAFU (2014)