• Keine Ergebnisse gefunden

In vitro Selektion funktioneller Protein- und Nukleinsäuremoleküle

1. Einleitung

1.4. In vitro Selektion funktioneller Protein- und Nukleinsäuremoleküle

1.4.1. Grundlagen und Anwendungen

Die in vitro Selektion von Proteinen und Nukleinsäuren hat als Verfahren zur raschen Identifizierung von spezifisch an einen Analyt bindenden Molekülen eine breite Anwendung gefunden. Mit diesem Ansatz konnten darüber hinaus neue Nukleinsäuren, Peptide oder Proteine mit bisher noch nicht bekannter Funktion oder Eigenschaften (wie z. B. molekulare Mimikry, Katalyse durch DNA-Enzyme (Roberts & Ja 1999)) aus einer Molekülbibliothek gewonnen werden.

Die SELEX-Methode (Systematic Evolution of Ligands by EXponential enrichments, (Tuerk

& Gold 1990)) basiert auf einer wiederholten Anwendung des Prinzips der Selektion und Amplifikation von Proteine oder Nukleinsäuren einer gewünschten Funktionalität. Das Prin-zip der Nukleinsäurenselektion ist in der Abb. 1-7 dargestellt. Ein großer DNA-Pool, der ty-pischerweise 1013 bis 1015 verschiedene chemisch synthetisierte Moleküle umfasst, wird

12 EINLEITUNG

durch in vitro Transkription mit T7 RNA-Polymerase in eine Bibliothek von RNA-Molekülen umgeschrieben. Der DNA-/RNA-Pool wird dann für eine gewünschte Eigenschaft selektiert, wobei DNAs bzw. RNAs , die diese Eigenschaft besitzen, z. B. mittels Affinitätschroma-tographie, Protein-Nukleinsäure Bindung an Nitrozellulose-Filter oder Gelelektrophorese isoliert werden (Kopylov & Spiridonova 2000). Die so selektierten Moleküle werden als Ap-tamere bezeichnet. Da nur ein kleiner Bruchteil der in der Anfangsbibliothek enthaltenen Varianten die gewünschte spezifische Eigenschaft besitzt, sind mehrere Selektionszyklen nötig, um einen mit bestimmten Spezies angereicherten Pool zu erhalten. Daher wird der RNA-Pool nach jedem Selektionsschritt durch reverse Transkription in DNA umgeschrieben und die DNA-Moleküle werden mittels PCR amplifiziert. Zur Vergrößerung der Variabilität des DNA-Pools kann die PCR unter Bedingungen erhöhter Mutationsrate (z. B. durch Zu-gabe von Mn2+) durchgeführt werden (Li et al. 2000). Um den Endpunkt der Selektion und die Variabilität des Pools zu bestimmen, wird entweder eine DNA-Sequenzierung nach ver-schiedenen Selektionsrunden durchgeführt oder die DNA-Renaturierungsrate quantifiziert bzw. die Aktivität des Pools gemessen (Charlton & Smith 1999). Meist werden die DNA-Moleküle nach 5-10 SELEX-Zyklen kloniert und sequenziert. Über einen Sequenzvergleich können gemeinsame Motive identifiziert und die funktionellen und strukturellen Eigenschaf-ten einzelner klonierEigenschaf-ten Moleküle untersucht werden. Über einen Konsensusmotiv-Vergleich und eine phylogenetische Sequenzanalyse ist es möglich, Vorhersagen zur Se-kundär- bzw. Tertiärstruktur der selektierten Moleküle zu treffen.

Eine Erweiterung des SELEX-Verfahren zur Identifizierung Nukleinsäure-bindender Protei-ne hat Golden et al etabliert. Dabei wird eiProtei-ne Photoselektion verwendet, bei der die Apta-mere BrdU enthalten und über UV-Bestrahlung kovalent mit einem Protein verknüpft wer-den (Golwer-den et al. 2000).

Die meisten Selektionsverfahren werden in zellfreien Systemen durchgeführt. Der Bedarf, Aptamere unter nativen Bedingungen zu selektieren, führte zur Entwicklung von neuen Se-lektionsmethoden. Cooper hat eine RNA-Selektion in Wirbeltier-Zellen etabliert, um

Exon-Abb. 1-7: Selektion funktioneller DNA-, RNA-Moleküle in vitro(SELEX).

Aus einem Nukleinsäure-Pool können DNA- oder RNA-Moleküle mit einer gewünschten Eigenschaft durch wiederholte Selekti-ons- und AmplifikatiSelekti-ons- Amplifikations-zyklen isoliert werden.

IN VITRO SELEKTION FUNKTIONELLER PROTEIN- UND NUKLEINSÄUREMOLEKÜLE 13

Sequenzen, die Exon-Splicing inhibieren, zu isolieren. Dabei wurden die Exon-Sequenzen in ein Minigen ligiert und die gesamte mRNA wurde nach der Zelltransfektion isoliert. Wäh-rend der RT-PCR konnten nur das Exon enthaltende Moleküle amplifiziert werden. Dieser Methode macht es ebenfalls möglich, Protein-spezifische Exon-Sequenzen zu isolieren und zu untersuchen (Cooper 1999). Das in vivo SELEX-Verfahren mit den an der Phageno-berfläche exponierten Aptameren fand eine breite Anwendung in der Peptid- bzw. Protein-Selektion auch aufgrund der Vermehrung des Ausgangsmaterials in vivo (Kay et al. 2001).

Mit dem Ziel, die Selektion in vitro so nah wie möglich an die Situation in vivo für die DNA-Selektion anzupassen, wurden randomisierte DNA-Pools aus genomischer Arabidopsis, E. coli, Hefe und humaner DNA konstruiert (Gold et al. 1997) und für die DNA-Selektion mit spezifisch-bindenden Proteinen eingesetzt (Singer et al. 1997).

Die schrittweise durchgeführten Selektionsverfahren enthalten verschiedene Nachteile wie den Eingriff des Experimentators in die Selektionsreaktion, eine selektive Amplifikation nur bestimmter Varianten sowie einen Hintergrund von inaktiven mitselektierten Molekülen, Verluste des Ausgangsmaterials bei jedem Reinigungsschritt und ein dadurch entstehender Zeitaufwand. Um dies zu umgehen, haben Wright & Joyce eine “ununterbrochene in vitro Evolutions-Strategie“ für autokatalytische Aptamere etabliert (Wilson & Szostak 1999;

Wright & Joyce 1997). Das Verfahren erlaubt eine exponentielle Vermehrung der aktiven RNA-Aptamere in sehr kurzer Zeit (100 Transferrunden in 52 Stunden). Die kontinuierliche Evolution, die zur Zeit nur begrenzt einsetzbar ist, stellt ein realistisches Model der biologi-schen Evolution in vitro mit einem minimalen Eingriff von Experimentator und niedrigem Zeitaufwand vor.

Da die Protein- oder Ligandbindung an die DNA meist auf die Bindung an die B-DNA zu führen und relativ leicht zu untersuchen ist, fand die DNA-Selektion in der SELEXEntwicklungsphase keine vielfältige Anwendung. Vergleichbar mit RNAtetraloops oder -bulge-loops können auch einzelsträngige DNA-Moleküle katalytisch aktive Sekundär- oder Tertiärstrukturen bilden (Breaker 1997), wobei neben den A:T, G:C Basenpaaren auch Nicht-Watson-Crick Basenpaarungen bzw. Basenstapelungen sowie Pseudoknoten, „kis-sing“-Komplexe, parallele oder antiparallele Triplexen und Guanin-Quadruplexen vorkom-men können (Gilbert & Feigon 1999; Li & Breaker 1999).

Mit der Entdeckung von DNA-Enzymen ist das Interesse an DNA-SELEX-Verfahren und DNA-Katalysatoren geweckt worden. Obwohl DNA-Enzyme in vivo nicht bekannt sind, konnten katalytische DNA-Moleküle mittels Selektion in vitro isoliert werden, die dieselben Reaktionen wie in der Natur vorkommende Ribozyme katalysieren. Im Gegensatz zu RNA sind die ssDNA-Aptamere stabiler und leichter handhabbar, was die Untersuchung katalyti-scher DNA-Eigenschaften auch unter extremer Temperatur oder hohem pH-Wert ermög-licht (Li & Breaker 1999). In der Tabelle 1-1 sind einige bekannten Reaktionen, in denen RNA- und DNA-Enzyme als Katalysatoren wirken, zusammengestellt.

14 EINLEITUNG

Tabelle 1-1: Katalyse durch RNA- und DNA-Enzyme (Joyce 1998). Unter natürlichen Ribozymen ver-steht man Derivate der katalytischen, biologischen RNA, künstliche Enzyme bezeichnen während der Selekti-on in vitro erzeugte Moleküle.

RNA-Enzyme DNA-Enzyme Reaktion

natürliche künstliche künstliche

Phosphoester-Transfer + +

Phosphoester-Hydrolyse + + +

Ligation von Polynukleotiden + +

Autophosphorylierung + +

Knüpfung einer Peptidbindung + +

Metallbindung in Porphyrine + +

Aminoacyl-Transfer +

Oxidative DNA Spaltung +

1.4.2. Selektionsexperimente in vitro für die Charakterisierung von Pro-tein-Nukleinsäure-Wechselwirkungen

SELEX-Verfahren erlaubt die Detektion, Untersuchung und Charakterisierung vieler ver-schiedenen Funktionen von Nukleinsäuren. Neben der katalytischen Aktivität von DNA's oder RNA’s kann deren spezifische Bindung an Proteine mit Hilfe der in vitro Selektion un-tersucht werden. Während der Selektion ist die Entdeckung neuer Nukleinsäuren möglich, die in die Therapie und Diagnose eingesetzt werden. Viele SELEX-Untersuchungen kon-zentrieren sich auf spezifische Protein-Nukleinsäure-Wechselwirkung, wobei – neben be-reits bekannten und funktionell charakterisierten Protein-Nukleinsäure-Interaktionen (Cui et al. 1995; Emmerich et al. 2000) – auch eine Nukleinsäurebindung für solche Proteine in den Selektionsverfahren gefunden werden konnte, für die in vivo keine Nukleinsäurebin-dung bekannt ist. In diesem Fall enthalten die Proteine häufig eine Polyanionen-Bindungstasche. Für Proteine mit bereits bekannter Nukleinsäurebindung konnten mit SE-LEX-Verfahren solche Aptamere gefunden werden, die mit höherer Affinität – Kd–Wert in pikomolarem Bereich – als die natürliche zugehörige Nukleinsäure gebunden werden. Für Proteine ohne bekannter Nukleinsäurebindung konnten in vitro Aptamere mit nanomolarer Affinität selektiert werden. Ein Beispiel dafür sind RNA-Aptamere, die mit Heparin-bindenden-Wachstumsfaktoren eine starke Wechselwirkung aufweisen. Dies spricht für die mögliche therapeutische Anwendung solcher Aptamere (Gold et al. 1997). Analyse der Pro-tein-DNA-Wechselwirkung mittels DNA-SELEX erlaubt in der Regel eine Bestimmung des konservierten Protein-Bindungsmotivs in selektierter DNA (Tsai & Reed 1998). Identifizierte Aptamere sind anderseits nicht immer hochkonservativ und mit den im Genom vorkom-menden Sequenzen vergleichbar (Frank 1999).

Eines der am besten untersuchten DNA-Aptamere ist eine aus 15 Basen bestehende ssDNA-Sequenz, die strukturspezifisch mit Trombin wechselwirkt und dadurch die

Konver-IN VITRO SELEKTION FUNKTIONELLER PROTEIN- UND NUKLEINSÄUREMOLEKÜLE 15

sion von Fibrinogen in Fibrin verhindert. Diese Aptamere zeichnen sich durch eine kompak-te, hoch symmetrische ssDNA-Struktur aus, die aus zwei G-Tetraden und drei Loops be-steht (Klug & Famulok 1994; Kopylov & Spiridonova 2000; Tasset et al. 1997).

Zur Charakterisierung der Anti-DNA-Antikörper wurde ebenfalls DNA-Selektionsverfahren eingesetzt. Nach der Immunisierung mit pBR322 Plasmid-DNA produzierte Antikörper wur-den in die Immunopräzipitationsexperimente mit variablem ssDNA- und dsDNA-Pool einge-setzt. Erstaunlicherweise binden die gleichen Antikörper spezifisch an unterschiedliche DNA-Motive. Die ssDNA wird an CACC-, CCCC- und ACCC-Erkennungsmotive gebunden, im Gegensatz zu dsDNA, die an GCG- bzw. TGCG-Motiven erkannt wird (Wang et al.

2000).

Proteine bzw. Peptide haben eine große Strukturvariabilität während der Erkennung und Bindung an einer Nukleinsäure aufgezeigt. Ein 17-mer Peptid, das aus dem HIV-1 Rev-Protein abgeleitet ist, nimmt während der RNA-Bindung eine aptamerspezifische, α-helikale Struktur an, während es in Lösung unstrukturiert vorliegt (Hermann & Patel 2000; Hermann

& Westhof 1999). Auf diese Weise ist es denkbar, neue Pharmazeutika auf Basis der be-stimmten RNA- bzw. DNA-Moleküle herzustellen. Das SELEX-Verfahren wird nicht nur für die Charakterisierung von Erkennungsmotive eingesetzt, sondern auch zur Gewinnung von Oligonukleotiden, die als Inhibitoren der physiologischen Prozesse wirken (Wilson &

Szostak 1999).

16 EINLEITUNG