• Keine Ergebnisse gefunden

Kapitel 3 Naturverhältnisse zwischen Struktur und Kultur

3.2. Cultural Theory – Wer fürchtet wann was?

3.2.2. Ideologische Inhalte der sozialen Kontexte

Den oben beschriebenen Strukturtypen entspricht jeweils ein kultureller Bias.

„Die ideologischen Inhalte können sich auf alle denkbaren Sphären unseres Lebens beziehen, indem sie die Präferenzen determinieren, die wir in diesen Sphären ausbilden und durch die unser Handeln bestimmt wird.“ (Wegener/Liebig 1995: 673) Wegener und Liebig haben beispielsweise die grid‐group‐Analyse auf ideologische Voreinstellungen bezüglich Gerechtigkeitsvorstellungen angewandt. Von besonderem Interesse für diese Arbeit sind die Analysen von Thompson et al. (1990): Die Autoren

Seite | 107 haben anhand von Forschungen zum Management von Ökosystemen ‚Naturmythen’

gebildet und in die Kulturtheorie integriert. Sie beschreiben verschiedene Weltsichten im Umgang mit der Natur, die genau mit den oben beschriebenen sozialen Kontexten korrespondieren. Ergänzend werden in folgender Darstellung die Werte bzw. die Ethik beschrieben, die Karmasin und Karmasin (1997) den einzelnen Kulturtypen zugeordnet haben. Die beiden AutorInnen gehen davon aus, dass sich Kulturen eines bestimmten Repertoires an wissenschaftlichen Argumenten bedienen, um ihre Werte zu rechtfertigen und zu verteidigen, weshalb eine Zuordnung zu einer philosophischen Strömung gerechtfertigt scheint. Sie weisen allerdings darauf hin, dass Theorien und TheoretikerInnen dabei durchaus (bewusst) missverständlich gedeutet werden können.

„Entscheidend für unsere Zwecke ist, dass bestimmte Kulturen sich auf bestimmte Theorien berufen, nicht, ob die nun (im streng philosophischen Sinne) richtig und gerechtfertigt ist oder nicht (Karmasin/ Karmasin 1997: 51)

Abbildung 2: Grid‐group‐Schema mit Naturmythen

Nature capricious (Fatalism): “Life is, and remains, a lottery. The world does things to you while you do nothing to it. All you can do is try to cope, as best you can, with a situation over which you have no control.” (Schwarz/Thompson 1990: 10) Individuen, die diese Weltsicht vertreten, werden sich nicht um Regeln und Richtlinien gegen beispielsweise Umweltverschmutzung bemühen.

Religion und Glaube an das Schicksal und die Vorherbestimmung zeichnen das ethische System dieses Typus aus. Der Mythos des Jenseits bzw. der Glaube an ein besseres Leben nach dem Tod ermöglicht das Ertragen und Erdulden des Schicksals und das

Seite | 108

Unvermögen, etwas zu ändern. Die größte kulturelle Herausforderung für die fatalistische Kultur sind der aufgeklärte Rationalismus der Hierarchismus und der Hedonismus des Individualismus, also die Übernahme von Selbstverantwortung. (vgl.:

Karmasin/Karmasin 1997: 66‐67)

Nature benign (Individualism): Hier wird Natur als robust und unerschütterlich gesehen, die unbegrenzt ausgebeutet werden kann. Sowohl im Umgang mit der Natur als auch innerhalb der Gesellschaft folgen Individuen ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen, die nach den Gesetzen des Marktes und dem Recht der Stärkeren befriedigt werden.

Utilitarismus und individuelle Freiheit sind zentrale ethische Leitwerte des Individualismus. Der Müßiggang der fatalistischen Kultur hingegen bedroht die Ideale von Effizienz und Fleiß. Eine größere Bedrohung stellt aber die egalitaristische Kultur dar, was sich am deutlichsten im Gegensatz liberaler westlicher Marktwirtschaften und kommunistischen Gesellschaften zeigt. (vgl.: Karmasin/Karmasin 1997: 60‐61)

Nature tolerant (Hierarchism): „Natur erscheint wie die Gesellschaft selbst als ein ausgeklüngeltes System, in dem alle Prozesse und Funktionen aufeinander abgestimmt sind. Jeder noch so kleine Teil hat seine Funktion für die Erhaltung des Ganzen.“ (Plapp 2004: 52) Ein schlechter Umgang mit der Natur kann ihr Funktionieren bedrohen, weshalb eine „(…) auf gesichertem wissenschaftlich‐technischen Expertenwissen basierende, technisch‐administrative Kontrolle und Steuerung (…)“

(Keller/Poferl 1998: 125) notwendig ist.

Ordnung, Vernunft und Pflicht bilden die zentralen Leitwerte dieser Kultur. Diese Ideale werden am meisten durch den Fatalismus bedroht, der dem aufgeklärten Menschen im Sinne einer Ethik der Vernunft entgegensteht. Der Wettbewerb der IndividualistInnen, aber auch die soziale und ökologische Frage können in die Ordnung integriert werden und stellen somit keine Bedrohung mehr dar. (vgl.: Karmasin/Karmasin 1997: 57‐58)

Nature ephemeral (Egalitarianism): Für EgalitaristInnen ist die Natur prinzipiell nur begrenzt ausbeutbar und in ständiger Gefahr zerstört zu werden. „Für Egalitaristen ist das System der Schuldige an Problemen. Wirtschaftliches Wachstum und hoher materieller Besitz werden abgelehnt. Im Vordergrund steht die Frage der gerechten Reichtumsverteilung. Egalitaristen betonen die Risiken der technischen Entwicklung und des wirtschaftlichen Wachstums.“ (Keller/Poferl 1998: 124)

Seite | 109 Ethisches Leitbild ist die (ausgleichende) Gerechtigkeit. Egoismus und Wettbewerb der individualistischen Kultur gelten als Hauptbedrohung. Aber auch die Ordnung im Hierarchismus und die daraus resultierende Ungleichheit sind problematisch, während die kulturellen Prämissen des Fatalismus eher mit der egalitären Kultur kompatibel sind. (vgl.: Karmasin/Karmasin 1997: 64‐65)

Nach der Cultural Theory sind es egalitäre Strukturen, die mit umweltfreundlichen Einstellungen einhergehen und sich der von Eder beschriebenen

‚vegetarischen Kultur‘ zuordnen lassen. Doch auch hierarchische Strukturen fordern einen guten Umgang mit Natur, der allerdings anderes Handeln nach sich zieht als bei den EgalitaristInnen. Bei diesen fordert das Prinzip der Gleichheit einen selbstverantwortlichen Schutz der Natur, weil nur bei Erhaltung der natürlichen Umwelt diese allen in gleichem Maße zur Verfügung stehen kann.

HierarchikerInnen allerdings gehen vom Prinzip der Ungleichheit aus und sehen Natur erst dann bedroht, wenn sie auch den Mächtigen nicht mehr in unbegrenztem Maß zur Verfügung steht, weshalb der Umgang mit Natur dann so kontrolliert werden muss, dass ihr Funktionieren gesichert ist. Dabei greifen sie auch auf technische Lösungen zurück, weil neue Technologien für sie – im Gegensatz zu den EgalitaristInnen – keine Bedrohung und kein Risiko darstellen.

People on the egalitarian left, for example, consider the dangers stemming from technology (nuclear power or chemical carcinogens) as passive, while they perceive the dangers stemming from casual contact with those suffering from acquired immune deficiency syndrome (AIDS) as active. At the same time, people on the hierarchical right view the dangers of technology as actively chosen, a price worth paying for the benefits of progress, while they view the carriers of AIDS as bringing plague on people who are made their passive victims. (Wildavsky 1993: 50‐51)

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei Befragungen von Biolebensmittel‐

konsumentInnen umweltfreundliche Einstellungen eher zweitrangig sind, und dass vielmehr gesundheitliche und geschmackliche Aspekte im Vordergrund stehen.

Trotzdem lässt allein die Tatsache, dass das ‚Natürliche‘ als das bessere angesehen wird, den Rückschluss zu, dass sich die moralische Vorstellung von ‚Natur ist gut‘ durchgesetzt hat. Zusätzlich wendet sich der Biolebensmittelkonsum gegen den Einsatz von Gentechnik und Chemikalien, weshalb man schlussfolgern kann, dass mit dem Konsum eine gewisse Technikfeindlichkeit einhergeht. Dies spräche dafür, dass sich VerbraucherInnen von biologisch erzeugten Nahrungsmitteln der Gruppe der EgalitaristInnen zuordnen lassen. Bezeichnend für diese Gruppe ist, dass sie sich im

Seite | 110

Kampf um Ressourcen gegen Hierarchismus und Individualismus und gegen die Mainstream‐Gesellschaft wendet, was wiederum nicht damit vereinbar ist, dass Biolebensmittel von der breiten Masse akzeptiert werden.

Aus diesem Grund und unter Berücksichtigung der Ergebnisse aus der Studie von Lorenz (2006), dass der Biolebensmittelkonsum in die ‚normale Konsumdynamik‘

einzuordnen ist, wird hier die These vertreten, dass sich der gegenwärtige Biolebensmittelkonsum nicht eindeutig einer Kosmologie zuordnen lässt, sondern dabei versucht wird, Inhalte verschiedener Kosmologien zu vereinen – und zwar aus den Typen Hierarchismus, Egalitarsimus und Individualismus. Denn einzig die Lebensweise des Fatalismus kann eindeutig nicht als Erklärung für Biolebensmittelkonsum dienen, weil dieser ‚way of life‘ keine aktive Veränderung des Zustandes und die Übernahme von Selbstverantwortung fordert.

In folgender Grafik werden die wichtigsten Merkmale jeder Kosmologie nochmals dargestellt. Die Doppelpfeile deuten an, dass die vier Typen in einem Gegensatz zueinander stehen: je dicker der Pfeil umso größer ist der Gegensatz. Die einfachen Pfeile und die kleinen Kreise zeigen, welche Elemente aus anderen mit der jeweiligen Kosmologie kompatibel sind und gegebenenfalls integriert bzw. ohne große Widersprüche kombiniert werden können.

Seite | 111 Abbildung 3: Grafik der Kosmologien und ihrer Merkmale