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Kapitel 3 Naturverhältnisse zwischen Struktur und Kultur

4.1. Analyse der Lebensmittelskandale

4.1.2. Auswahl und Analyseeinheit

Mit der Untersuchung soll die Frage geklärt werden, welchen Effekt die Lebensmittelskandale auf den Biolebensmittelkonsum in Deutschland und Italien haben und ob es Unterschiede in der Darstellung innerhalb der beiden Länder gibt. Dazu werden folgende drei Unterfragen für jedes Land gestellt:

I) Welche AkteurInnen sind im jeweiligen Jahr zentral?

II) Welches gesellschaftliche Naturverhältnis ist in der jeweiligen Nation dominant? Verändert sich die Rangordnung der vier Kosmologien über die Zeit und wenn ja, wie sieht diese Veränderung aus?

III) Welche AkteurInnen beziehen sich auf welche Kosmologie?

Bei der Analyse der Zeitungsartikel steht also nicht die Gesamtaussage des Textes im Vordergrund und auch nicht die einzelnen Argumentationsstränge der AkteurInnen, sondern es werden die für die Forschungsfrage relevanten Kernaussagen sowie die Struktur der Texte extrahiert und dargestellt. Die Struktur ergibt sich dabei in diesem Fall aus den Verbindungen der im Text auftauchenden AkteurInnen und Konzepte.

Die Textbasis zur Beantwortung der Forschungsfrage und ihrer Unterfragen sind vier überregionale Tageszeitungen (ohne die jeweiligen regionalen Ausgaben), aus denen ein Textsample zusammengestellt wurde. Für Deutschland wurden die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Faz) und die Süddeutsche Zeitung (Süd), für Italien La Repubblica (Rep) und Il Corriere della Sera (Cor) ausgewählt (Begründung siehe Kapitel 1.4.2). Untersucht wurden die Jahre 2000 bis 2010 (Montag bis Freitag), weil dieser Beobachtungszeitraum für ausreichend erscheint, einen Diskursverlauf zu erfassen. Bei der Auswahl der Artikel lag der Fokus auf der ersten Seite der jeweiligen Zeitung, was bedeutet, dass diese Berichte einen hohen Nachrichtenwert hatten und eine hohe Resonanz bei den LeserInnen erzielten. Artikel wurden ausgewählt, wenn sie einen der unten aufgelisteten Suchbegriffe enthielten.

Seite | 149 Suchbegriffe/keywords:

Deutschland:

Lebensmittel (AND Gentechnik, BSE, Gammelfleisch, Gesundheit, gesundheitsschädlich, vergiftet, Landwirtschaft, Lebensmittelsicherheit, Verbraucherschutz oder Agrarpolitik), BSE, Maul‐und Klauenseuche, Rinderwahn, Gammelfleisch, Vogelgrippe, Geflügelpest, Schweinepest

Italien:

alimentari, cibo AND scandalo, cibo AND rischio, scandalo alimentare, mozzarella diossina, agenzia alimentare, BSE, afta epizootica, mucca pazza, aviaria, peste suina31

Bisher wurden in der Arbeit eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Problemen im Lebensmittelbereich und eine Orientierung an Chroniken von Lebensmittelskandalen vermieden, um dem wechselseitigen Einfluss der Medien und der RezipientInnen Rechnung zu tragen und nicht von einer ‚faktischen Realität‘ auszugehen, die als solche in den Medien dargestellt wird. Für die Festlegung der Schlagwörter, nach denen Artikel ausgewählt wurden, war es allerdings notwendig, auf Aussagen und Angaben von politischen AkteurInnen (siehe weiter unten die Unterscheidungen von Schweinegrippe, Vogelgrippe und Schweinepest) sowie Darstellungen der ‚wahrgenommenen Realität‘

von RezipientInnen (beispielsweise in Form von Chroniken) zurückzugreifen. Zusätzlich wurden aber auch alle Artikel recherchiert und ausgewählt, die sich in irgendeiner Form mit dem Thema ‚Lebensmittel‘ beschäftigten und diese in das sample aufgenommen, wenn darin ein Missstand thematisiert wurde.

Im Gegensatz zur ‚Schweinegrippe‘ wurden die Vogelgrippe (Geflügelpest) und die Schweinepest in das Sample aufgenommen, weil es sich nach Auskünften der Internetseite des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (vgl.: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2011) bei letztgenannten um Tierseuchen handelt, die durch Kontakt mit den Tieren oder auch durch Verzehr von Fleisch oder Eiern Infektionen beim Menschen hervorrufen können. Bei der sogenannten ‚Schweinegrippe‘ hingegen

31 Lebensmittel, Speisen AND Skandal, Speisen AND Risiko, Lebensmittelskandal, Mozzarella Dioxin, Lebensmittelbehörde, BSE, Maul- und Klauenseuche, Rinderwahnsinn, Vogelgrippe, Schweinepest

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handelt es sich um eine reine Humaninfektion, die nur von Mensch zu Mensch übertragbar ist, weshalb demnach keine Infektion durch den Verzehr von Schweinefleisch besteht (vgl.: Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz 2009).

Bei den italienischen Zeitungen wurden für die Auswahl die frei zugänglichen Suchfunktionen im Archiv der jeweiligen online‐Ausgabe der Zeitung benutzt. Für die deutschen Zeitungen konnte auf die Suchsoftware der Bibliothek zurückgegriffen werden. Die einzelnen Artikel mussten dann manuell nach dem Kriterium ‚erste Seite‘

selektiert und in ein Word‐ bzw. Text‐Dokument kopiert werden.

Danach wurden die Artikel zunächst in Atlas.ti ‐ ein Programm das in erster Linie zur qualitativen Datenanalyse benutzt wird – eingespeist und einer ersten Durchsicht unterzogen. Artikel, die zwar den jeweiligen Suchbegriff enthielten, sich inhaltlich aber nicht mit einem Lebensmittelskandal beschäftigten, wurden dabei aussortiert. Ebenfalls wurden Artikel, die sich mit Milchpreis, Biodiesel oder der Gentechnik ohne Bezug zu einem Lebensmittelskandal beschäftigten, aus dem Sample ausgeschlossen. Da bei der späteren Analyse Überschriften nicht in die Auswertung aufgenommen wurden und manche Beiträge auf der ersten Seite nur aus einer Überschrift bestanden, entfielen diese aus dem Textsample. Insgesamt entstand ein Sample von 592 Artikeln mit folgender Verteilung:

Tabelle 1: Verteilung der verwendeten Artikel aus den vier Zeitungen

Jahr Faz Süd Cor Rep

Die Auflistung in Tabelle 1 zeigt, dass Lebensmittelskandale in den Zeitungen sehr unterschiedlich verteilt sind. Grundsätzlich sind in Deutschland mehr Berichte zu diesem Thema erschienen als in Italien, wobei in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

Seite | 151 etwas mehr Artikel (221) erschienen sind als in der Süddeutschen Zeitung (207). Im Corriere della sera hingegen sind nur etwa halb so viele Artikel erschienen (114) und in La Repubblica nur ein Viertel (50). Die Darstellungen in La Repubblica waren allerdings meist länger als in den anderen Zeitungen, weshalb die Datenmenge nicht wesentlich geringer war als im Corriere della sera. In allen Zeitungen sind die meisten Artikel im Jahr 2001 erschienen, in dem in erster Linie die BSE‐Krise thematisiert wurde. An zweiter Stelle nach der Anzahl der Artikel folgt das Jahr 2006 – allerdings waren es in diesem Jahr nur etwa die Hälfte der Artikel, verglichen mit dem Jahr 2001. In den Jahren 2007 bis 2010 erschienen in allen vier Zeitungen relativ wenige Artikel zu Missständen im Lebensmittelbereich auf den Titelseiten.32

In den deutschen Zeitungen sowie im Corriere della Sera waren der Großteil der Artikel Nachrichten oder Berichte und folgten ihrem typischen Aufbau: Ereignis (was?), Beteiligte (wer?), Zeitpunkt (wann?), Schauplatz (wo?), Art des Geschehens (wie?) und Grund/Zweck (warum?). Die Dominanz der Textsorte Nachricht ergibt sich in erster Linie dadurch, dass die Auswahl der Artikel auf die Titelseiten der Zeitungen beschränkt war.

Im Gegensatz zu diesen Zeitungen waren die Artikel in La Repubblica größtenteils Leitartikel, Kommentare oder Glossen, also wertende und meinungsbildende Artikel über Nachrichten und deren Zusammenhänge, was bei der Analyse mit einigen Schwierigkeiten verbunden war, wie später gezeigt wird. Allerdings hatte dieser Unterschied auch den Vorteil, dass La Repubblica als ‚Kontrollzeitung‘

benutzt werden konnte, um zu sehen, ob sich bei verschiedenen Textsorten die Ergebnisse erheblich unterscheiden. Der Bias durch die Auswahl der Titelseite konnte somit durch die Artikel der Repubblica bis zu einem gewissen Grad kontrolliert werden.

An dieser Stelle wird nochmals darauf hingewiesen, dass es sich bei der Untersuchung um Analysen massenmedialer Inhalte handelt, bei der die Netzwerke nicht auf den Sozialbeziehungen der AkteurInnen basieren, sondern auf medial vermittelten und konstruierten Kommunikationsbeziehungen (vgl.: Adam 2008: 185).

32 Da zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Arbeit Lebensmittelskandale durch Infektionen mit dem Ehec‐

Darmbakterium in den Medien sehr präsent waren, ist nicht davon auszugehen, dass die Problematik seit dem Jahr 2007 grundsätzlich zurückging, sondern nur vorübergehend von anderen Themen verdrängt wurde.

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