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Kapitel 1 Lebensmittel und ihre Skandale – Organic food boom

1.5. Forschungsfragen und Aufbau der Arbeit

Die Hauptforschungsfrage der Arbeit beschäftigt sich mit dem Prozess, der in den vergangen elf Jahren für die Zunahme des Biolebensmittelkonsums und insbesondere für die breite Akzeptanz von Bioprodukten in Deutschland und Italien gesorgt hat, und dem Effekt, den dabei die Lebensmittelskandale hatten.

Die Einstellung gegenüber Biolebensmitteln beruht auf der basalen Naturvorstellung, die dem (Risiko‐)Bewertungsprozess vorgeschaltet ist: ‚bio‘ gilt als moralisch gut und somit vereinbar mit dem, was man sich unter einem ‚guten Leben‘

vorstellt. Der Cultural Theory folgend ist diese Vorstellung der Kosmologie der EgalitaristInnen zuzuordnen. Für eine Zunahme dieser Sichtweise innerhalb einer Gesellschaft gibt es demnach zwei Möglichkeiten: Entweder haben egalitäre Netzwerke innerhalb einer Gesellschaft zugenommen oder aber diese Vorstellung hat sich aus den egalitären Netzwerken heraus entwickelt und ist in modifizierter Form zum ideologischen Inhalt anderer Netzwerktypen geworden.

In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass der gegenwärtige Biolebensmittelkonsum nicht (mehr) der Kosmologie Egalitarismus zuzuordnen ist. Es wird die These vertreten, dass nicht eine Zunahme der egalitären Strukturen die breite Akzeptanz des Biolebensmittelkonsums bedingt hat, sondern dass bestimmte AkteurInnen innerhalb der Lebensmittelskandale auf einer Sinnebene Verbindungen zu verschiedenen Netzwerktypen herstellten, indem sie ihre verwendete Semantik nicht

Seite | 41 nur für einen Kosmologietyp anschlussfähig machten. Somit waren sie die treibende Kraft in der Dynamik der Zunahme des Biolebensmittelkonsums. Ein Wandel in der Konsumdynamik findet demnach deswegen statt, weil Bedeutungen und Sinnzusammenhänge von bestimmten politischen AkteurInnen neu geschaffen wurden.

Durch diese neuen Verbindungen der Kosmologie‐ und Netzwerktypen entsteht ein neuer ‚style‘, der zwischen den Kosmologien Hierarchism, Egalitarianism und auch dem Individualism einzuordnen ist und der versucht, diese drei ‚ways of life‘ zu kombinieren. Es ist anzunehmen, dass es sich dabei um einen zirkulären Prozess handelt, weil sich insbesondere die EgalitaristInnen aufs Neue von den anderen Kosmologien und Netzwerktypen abgrenzen werden, um ihre ursprüngliche geschlossene Form mit der entsprechenden Kosmologie zu erhalten.

Um die Forschungsfrage zu beantworten und die These zu testen, werden folgende Unterfragen gestellt:

Welche AkteurInnen tauchen in den Lebensmittelskandalen auf und auf welche der vier Kosmologien (Fatalism, Hierarchy, Individualsim und Egalitarianism) nehmen sie Bezug? Welches gesellschaftliche Naturverhältnis ist in der jeweiligen Nation dominant?

Verändert sich die Rangordnung der vier Kosmologien über die Zeit und wenn ja, wie sieht diese Veränderung aus?

Mit der Beantwortung dieser Fragen soll geklärt werden, ob sich das Naturverhältnis im öffentlichen Diskurs in den vergangen elf Jahren verändert hat und ob die Zunahme des Biolebensmittelkonsums auf die Zunahme einer egalitären Kosmologie zurückgeführt werden kann. Wenn dies nicht der Fall ist, wird zu prüfen sein, ob es bestimmte zentrale AkteurInnen gibt, die eine MittlerIn‐Position zwischen verschiedenen Kosmologien einnehmen.

Mit den Ergebnissen aus der Inhaltsanalyse können allerdings nur die dominanten Kosmologien auf gesamtgesellschaftlicher Ebene identifiziert werden. Von diesen sollten keine Rückschlüsse auf die Struktur der Individualnetzwerke gezogen werden, um eine Tautologie zu vermeiden (siehe dazu Kapitel 3.2.3). Deswegen war zunächst geplant, diese Ergebnisse in einem weiteren empirischen Projekt von der Mikroebene her zu überprüfen und mittels Interviews und einer Blockmodellanalyse die Struktur der Individualnetzwerke zu erfassen. Damit sollte überprüft werden, in welchen Netzwerken BiokonsumentInnen organisiert sind und wie ihr Naturverhältnis

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aussieht. Dieser Teil der Analyse würde allerdings den Rahmen einer Dissertation sprengen und wird gegebenenfalls in einem Folgeprojekt analysiert.

Theoretischer Rahmen

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Kapitel 2 Massenmedien

Die Zeitungen seien das größte Wunder auf der Welt, sie wüssten alles, und nur durch sie sei die Welt und sei das Universum für die Menschen tatsächlich lebendig, die Vorstellung von allem sei durch die Zeitung in Gang gehalten.

 

‐ Thomas Bernhard, Der Frost ‐ 

In modernen, differenzierten Gesellschaften sind Individuen von einer komplexen Welt umgeben, die nicht vollständig und größtenteils nicht direkt, sondern nur vermittelt, erfasst werden kann. Der technische Fortschritt bietet dabei immer mehr Möglichkeiten, über face‐to‐face‐Kontakte hinaus, mit anderen Gesellschaftsmitgliedern zu kommunizieren. Zudem machen solche Entwicklungen es aber auch notwendig, diese Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, wenn man Teil der Gesellschaft sein will. Eines der Hauptkommunikationsmittel stellen dabei Massenmedien dar:

Da Individuen nicht dazu in der Lage sind, aus erster Hand oder via interpersonaler Kommunikation Erfahrungen zu machen, die der Komplexität der gesellschaftlichen Systementwicklung nahe kommen, besteht in der Regel Abhängigkeit (Dependenz) von den Massenmedien. Sie ist besonders ausgeprägt, wenn überraschende Ereignisse, Konflikte oder Krisen Ambiguität auslösen, welche wiederum zu verstärkter Informationsaufnahme aus medialen oder auch interpersonalen Quellen führt. Überall dort allerdings, wo Individuen unmittelbare Erfahrungen mit der Realität machen können, wird die Dependenz von den Medien geringer und somit deren Beitrag für die Entwicklung von Vorstellungen über die Wirklichkeit schwächer sein. (Schenk 2007:

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Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den Massenmedien und ist dabei sowohl für die Theorie als auch für die Empirie wichtig. Denn – und dies ist eine der Hauptprämissen dieser Arbeit: Medien gestalten gesellschaftliche Realität und spiegeln diese wider.

Seite | 45 Es wird davon ausgegangen, dass es sich dabei um ein wechselseitiges Verhältnis zwischen Medien, Publikum und politischen AkteurInnen handelt, welche sich gegenseitig beeinflussen. In folgender Darstellung ist es aber meist sinnvoll, von einem Anfangspunkt auszugehen, der dann je nach Perspektive wechselt. Es wird versucht, die verschiedenen Sichtweisen gleichwertig darzustellen, wobei zu betonen ist, dass bei Einnahme der einen Sichtweise, die anderen deswegen nicht vernachlässigt werden und auch nicht ungültig sind.

In Kapitel 2.1 werden die Funktion und das Funktionieren von Massenmedien in demokratischen Gesellschaften beschrieben. Nach einem Überblick über die Kommunikations‐ und Medienwirkungsforschung werden Ergebnisse zum Informationsfluss und der Diffusionsforschung, die Entstehung des Umwelt‐ und Risikodiskurses sowie dessen Einfluss und Wirkung dargestellt. Anschließend werden in Kapitel 2.2 die soziale Funktion von Skandalen beschrieben und in diesem Zusammenhang die Zunahme der Berichterstattung über (Natur)Katastrophen erklärt.

Danach werden die in der Arbeit zur Analyse herangezogenen Lebensmittelskandale in diese Zusammenhänge eingeordnet. In Kapitel 2.3 werden diese Darstellungen nochmals zusammengefasst und Schlussfolgerungen für die Weiterentwicklung der Arbeit gezogen.