Alle reden vom Geld! Ohne die (bit
tere) Erkenntnis, zu wenig zu haben, hätte es vermutlich weder die »Ko
stendämpfungsgesetze« (von 1989 und 1992), als Gesundheitsreformen apostrophiert, noch das Gesund
heitsstrukturgesetz (GSG) gegeben.
Dabei war den für das Gesund
heitsmanagement Verantwortlichen schon in den reichen 60er Jahren klar, daß ein fehlendes Zahnradsy
stem zwischen der ambulanten und stationären medizinischen Versor
gung die größte strukturelle Schwachstelle unserer Gesundheits
wirtschaft ist.
Bereits 1963 wurde von der Deut
schen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereini
gung gemeinsam eine Absichtser
klärung zur Struktur der Gesund
heitsversorgung in der BRD erarbei
tet. Aufgrund der als kostenträchtig erkannten, mangelnden Verzah
nung zwischen ambulanter und sta
tionärer fachärztlicher Betreuung wurden damals Ansatzpunkte zur Verbesserung beschrieben:
Ambulante Erbringung medizi
nisch-technischer Leistungen, vor
stationäre Diagnostik, ambulantes Operieren, organisatorische und fi
nanzielle Differenzierung der Ver
sorgung nach Pflegeintensität und diverse weitere Ideen, die letztend
lich alle erst im GSG von 1993 fest
geschrieben worden sind, ln den da
zwischen liegenden 30 Jahren ist al
so praktisch nichts geschehen, ins
besondere hat zwar das erste Ge
sundheitsreformgesetz (1989) die Diskussion um Kooperation und Ko
ordination von niedergelassenen
Ärzten und Krankenhäusern wieder belebt, eine echte »Überwindung des Grabens zwischen ambulanter und stationärer Versorgung« hat jedoch nicht stattgefunden. Dies war Anlaß für den Gesetzgeber, die Verzahnung von ambulanter und stationärer Ver
sorgung zu einem Schwerpunkt des GSG 1993 zu machen.
I Standortbestimmung
Was aber nutzen alle Gesetzes
werke - 5. Buch des SGB, 1. und 2.
GKV-Neuordnungsgesetz (NOG) -, wenn die tragende Philosophie der 3.
Stufe der Gesundheitsreform (»weni
ger Staat, mehr Selbstverwaltung und mehr Eigenverantwortung«) ei
ne hohle Absichtserklärung bleibt.
Obwohl endlich die gesetzlichen Vor
aussetzungen geschaffen wurden, z.B. in den Kliniken ambulant zu operieren bzw. in der Praxis auch operativ tätig zu werden, muß an/in der Basis der Gesundheitsversorgung sowohl in der Praxis als auch in der Klinik, der Wille zur Partnerschaft bestehen.
Stellt doch das Kontingent der am
bulanten Operation mit ca. 10% aller operativen Eingriffe nur einen (we
nig gravierenden) Faktor dar, ist die Summe der übrigen Faktoren (s.o.) zur Verzahnung der klassischen ver
tikalen Versorgungsstrukturen we
sentlich relevanter.
Die seit langem geforderte »Ver
netzung« ambulanter und stationä
rer Strukturen, z.B. mit dem kin
derärztlichen Notfalldienst in Ham
burg oder mit der von der KV Berlin und dem Königin-Elisabeth-Kran- kenhaus Herzberge gemeinsam be
triebenen Notfallambulanz, gerade als zarte Pflänzchen mit »Single-Da
sein« zu sorgsam zu hegendem Leben erwacht, kann noch nicht zur grund
legenden Elimination des zwanghaf
ten Mißtrauens auf beiden Seiten führen.
Die »Kodex-Vereinbarung«
Die »Kodex-Vereinbarung« zwi
schen der Kassenärztlichen Vereini
gung und der AOK Berlin 1992/93 strebte unter dem Vorwand, von der Philosophie der Gesundheitsreform inspiriert zu sein, eine Vernetzung von Kassenärzten an, um Kranken
hauseinweisungen um jeden Preis zu vermeiden.
Diese »Kodex-Vereinbarung« gilt nur für einzelne Indikationen, ist seit 1993 nicht erweitert worden und kommt nicht zum Tragen, wenn der Patient wegen derselben Indikation im Laufe des folgenden Zeitjahres sta
tionär aufgenommen werden muß.
Das Krankenhaus (und seine Mit
arbeiter) wurden damit zum Gegner erklärt und die Kluft zwischen am
bulanter und stationärer Versorgung weiter vertieft. Die Folge kann nur ei
ne kostentreibende Konkurrenz zwi
schen Klinik und Praxis sein, wo doch einsparende Synergieeffekte vor
herrschen sollten. Da der (kranke) Mensch im Mittelpunkt unseres ärzt
lichen Handelns stehen sollte, ist es in erster Linie also der Patient, der da
durch Schaden nimmt bzw. im posi
tiven Fall davon profitiert!
Um von allen Konjunktiven in die Wirklichkeit zu gelangen, müssen wir den Standort bestimmen:
PRAXIS UND KLINIK
■ Mit welchen Strukturen und Me
dien wird Koordination und Ko
operation zwischen Praxis und Kli
nik bisher bewerkstelligt?
■ Braucht es neue Strukturen?
■ Oder müssen die vorhandenen nur mit Leben gefüllt werden?
■ Kann der Arztbrief besser genutzt werden!?
■ Woran liegt es denn wirklich, daß es jahrzehntelang nicht gelungen ist, die Koordinationsprobleme zu lösen und das Nebeneinander in ein Miteinander zu überführen?
Unsere Dokumentation. Wichtig
ste Mediatoren für den Informations
und Datentransfer über die Patien
ten waren, sind und bleiben voraus
sichtlich der Arztbrief, der schriftli
che Befund und das Telefon, wozu sich inzwischen auch das Faxgerät gesellt hat. Elektronik-Mail und ge
meinsam von Klinik und Praxis nutz
bare »Datenbanken« bleiben glei
chermaßen Zukunftsmusik, wie die ständig beim Patienten verbleibende Krankenakte, die vom Haus- und Kli
nikarzt gleichermaßen geführt und genutzt werden könnte.
Dies wird aber auch weiterhin Wunschtraum bleiben, wenn wir uns die Wirklichkeit unseres Dokumen
tationssystems vor Augen halten. Da hilft auch kein § 115 Abs. 2 Sozialge
setzbuch!
Trotzdem muß aus dem Praxisall
tag eines Gefaßchirurgen konstatiert werden, daß die meisten Patienten vorhandene und brauchbare Unter
lagen mitbringen und daß sich die
ses System in den letzten zehn Jah
ren deutlich gebessert hat. Für Qua
litätsmängel einzelner Untersu
chungen trägt schließlich der Arzt und nicht der Patient Verantwor
tung. Dies kommt sowohl in der Kli
nik als auch in der Praxis vor.
Berührungsängste? Diese Frage ist wesentlich schwieriger zu beant
worten, tangiert sie doch vielmehr die menschlichen Komponenten.
»Berührungsängste« bestehen si
cherlich zwischen den Partnern, ins
besondere von seiten der
niederge-O
Abb. 1: Haben die Hausärzte Berührungsängste vor den »übermächtig« erscheinen
den Ktinikärzten?
lassenen Ärzte gegenüber den über
mächtig erscheinenden Klinikern, was von diesen, gerade in Univer
sitätsposition, auch weidlich ausge
nutzt wurde. Dies fördert die große Gefahr der Polarisierung der gesam
ten Ärzteschaft in ambulant und kli
nisch tätige Mediziner. Dazu trägt auch der bisherige »Normalverlauf«
einer Medizinerkarriere bei; Nach Aus- und Weiterbildung an Univer
sität und Klinik erfolgt ein Ausstieg aus diesem »Hort« meist auf dem Kul
minationspunkt der Wissenskurve.
Von nun an ist jeder für seine Arbeit und Fortbildung selbst verantwort
lich und begibt sich, in Abhängigkeit von eigener Kritikfähigkeit, in die Kontrollfunktion kollegialen Mit
oder Gegeneinanders. Wieviel per
sönliche Eitelkeit dabei überwunden werden muß, mag jeder selbst ein
schätzen. Das bisherige Einbahn
straßensystem von der Klinik in die Praxis mit (automatischem?) Niveau
abfall, verhinderte m. E. bisher ein vernünftiges Miteinander gemeinsa
mer Patientenbetreuung sowie Fort- und Weiterbildung. Es machte aber auch den Rückweg von der Praxis in die Klinik praktisch unmöglich.
I Wunschvorstellungen
Würden die vorhandenen Mittel besser genutzt, könnten sicherlich
bereits jetzt viele Hürden genom
men werden.
Information durch die Kiinik
An erster Stelle rangiert die recht
zeitige gegenseitige Information vor stationärer Aufnahme oder Entlas
sung eines Patienten fernmündlich oder schriftlich. Auch Zwischenin
formationen aus der Klinik über die Verdachtsdiagnose, das geplante Pro
cedere, den Stand der Diagnostik oder ein Verlaufsbericht nach Thera
piebeginn wären ebenso sinnvoll, wie ein Verlaufsbericht aus der Pra
xis z.B. nach Carotis- oder Colon-Ope
ration. Dabei wird die Wunschvor
stellung des Hausarztes, immer mit demselben Arzt der Klinik sprechen zu können, bei der dortigen Perso
nalsituation unerfüllbar bleiben, was aber kein Hinderungsgrund der Kommunikation sein darf. Als Ideal könnte man sich einen »Kontakt
oder PR-Arzt« vorstellen, der - als Facharzt nicht nur optimal über die Patienten informiert - auch ein stän
diger Ansprechpartner für andere fachspezifische Fragen sein könnte.
Information durch den Hausarzt
Ein vergleichbares Ideal wäre der Hausarzt, der sich über Problempa
tienten (und nur um diese, nicht um
XFA 265
I... auch In materieller Hinsicht!
»Die Ärztekammern sollen aber auch dem ärztlichen Stande, der wahrlich zu den mühevollsten gehört, einen corporativen Halt geben, nicht nur in moralischer, sondern auch in materieller Be
ziehung; sie sollen die Ärzte auch vor ungebührlichen Anforderun- , gen des Publicums schützen«.
Th. Billroth am 25. 11. 1891
den problemlosen Leistenhernien- Patienten geht es) während einer ge
meinsamen Visite vor der Entlassung informiert und bei der gemeinsam das Procedere festgelegt wird: z.B.
tägliche Verbandswechsel durch den Hausarzt und einmal pro Woche in der Klinik.
Die Möglichkeit der prä- und post- stationären Therapie regelt diese Fra
gen und ihre Vergütung zwar für das Krankenhaus, die Möglichkeit einer klinischen Visite ist im EBM für den Hausarzt jedoch nicht vorgesehen.
Ebenso fehlt eine Pauschale zur Ab
geltung prästationärer Leistungen, die der Hausarzt erbringt (dazu gibt es die wesentlich teurere prästa
tionäre Pauschale - die aber nicht aus dem KV-Topf kommt).
Gemeinsame Geräte
Die ebenfalls im GSG (§ 115) vor
gesehenen Möglichkeiten der ge
meinsamen Nutzung von medizi
nisch-technischen Großgeräten, Aus
bau von belegärztlicher Tätigkeit und Ausweitung der Ermächtigun
gen von spezialisierten Klinikern, be dürfen noch weiterer Entbürokrati
sierung, bevor sie zu Selbstverständ
lichkeiten der Gesundheitsversor
gung werden.
Ambulante Operationen
Ebenso ist noch endgültig zu klären, ob das hochspezialisierte »Sy
stem: Krankenhaus« mit der Logistik des ambulanten Operierens belastet werden muß - wenn diese Leistung in einer »Praxis-Klinik« genauso gut mit weniger Verrenkungen erbracht
werden kann. Eine räumliche Ein
heit könnte die Lösung darstellen.
Ob diese neue Organisationsform oder das »Grevenbroicher Modell«
das Optimum darstellt, muß die Zu
kunft erweisen.
In Zukunft ein Consultant- System?
Ob die Zukunft des deutschen Me
diziners zu einer Verwandtschafts
form mit dem anglo-amerikanischen oder schweizer »Consultant« führen wird, der seinen Patienten sowohl ambulant betreut als auch in der Kli
nik die Richtlinien der Diagnostik und Therapie bestimmt, ist noch un
klar. Sicher ist jedoch, daß den Län
dern mit einem vergleichbaren Sy
stem unsere Probleme fremd sind.
Dr. med. Jürgen Marsch Matterhornstraße 5
14163 Berlin
Facharzt für Chirurgie; Viszeral- und Ge
fäßchirurg, Chefarzt der Chirurgischen Abt.
des St.-Josefs-Krankenhauses Potsdam