• Keine Ergebnisse gefunden

I Frühe Erkenntnisse

Im Dokument PRAXIS UND KLINIK (Seite 34-37)

Alle reden vom Geld! Ohne die (bit­

tere) Erkenntnis, zu wenig zu haben, hätte es vermutlich weder die »Ko­

stendämpfungsgesetze« (von 1989 und 1992), als Gesundheitsreformen apostrophiert, noch das Gesund­

heitsstrukturgesetz (GSG) gegeben.

Dabei war den für das Gesund­

heitsmanagement Verantwortlichen schon in den reichen 60er Jahren klar, daß ein fehlendes Zahnradsy­

stem zwischen der ambulanten und stationären medizinischen Versor­

gung die größte strukturelle Schwachstelle unserer Gesundheits­

wirtschaft ist.

Bereits 1963 wurde von der Deut­

schen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereini­

gung gemeinsam eine Absichtser­

klärung zur Struktur der Gesund­

heitsversorgung in der BRD erarbei­

tet. Aufgrund der als kostenträchtig erkannten, mangelnden Verzah­

nung zwischen ambulanter und sta­

tionärer fachärztlicher Betreuung wurden damals Ansatzpunkte zur Verbesserung beschrieben:

Ambulante Erbringung medizi­

nisch-technischer Leistungen, vor­

stationäre Diagnostik, ambulantes Operieren, organisatorische und fi­

nanzielle Differenzierung der Ver­

sorgung nach Pflegeintensität und diverse weitere Ideen, die letztend­

lich alle erst im GSG von 1993 fest­

geschrieben worden sind, ln den da­

zwischen liegenden 30 Jahren ist al­

so praktisch nichts geschehen, ins­

besondere hat zwar das erste Ge­

sundheitsreformgesetz (1989) die Diskussion um Kooperation und Ko­

ordination von niedergelassenen

Ärzten und Krankenhäusern wieder belebt, eine echte »Überwindung des Grabens zwischen ambulanter und stationärer Versorgung« hat jedoch nicht stattgefunden. Dies war Anlaß für den Gesetzgeber, die Verzahnung von ambulanter und stationärer Ver­

sorgung zu einem Schwerpunkt des GSG 1993 zu machen.

I Standortbestimmung

Was aber nutzen alle Gesetzes­

werke - 5. Buch des SGB, 1. und 2.

GKV-Neuordnungsgesetz (NOG) -, wenn die tragende Philosophie der 3.

Stufe der Gesundheitsreform (»weni­

ger Staat, mehr Selbstverwaltung und mehr Eigenverantwortung«) ei­

ne hohle Absichtserklärung bleibt.

Obwohl endlich die gesetzlichen Vor­

aussetzungen geschaffen wurden, z.B. in den Kliniken ambulant zu operieren bzw. in der Praxis auch operativ tätig zu werden, muß an/in der Basis der Gesundheitsversorgung sowohl in der Praxis als auch in der Klinik, der Wille zur Partnerschaft bestehen.

Stellt doch das Kontingent der am­

bulanten Operation mit ca. 10% aller operativen Eingriffe nur einen (we­

nig gravierenden) Faktor dar, ist die Summe der übrigen Faktoren (s.o.) zur Verzahnung der klassischen ver­

tikalen Versorgungsstrukturen we­

sentlich relevanter.

Die seit langem geforderte »Ver­

netzung« ambulanter und stationä­

rer Strukturen, z.B. mit dem kin­

derärztlichen Notfalldienst in Ham­

burg oder mit der von der KV Berlin und dem Königin-Elisabeth-Kran- kenhaus Herzberge gemeinsam be­

triebenen Notfallambulanz, gerade als zarte Pflänzchen mit »Single-Da­

sein« zu sorgsam zu hegendem Leben erwacht, kann noch nicht zur grund­

legenden Elimination des zwanghaf­

ten Mißtrauens auf beiden Seiten führen.

Die »Kodex-Vereinbarung«

Die »Kodex-Vereinbarung« zwi­

schen der Kassenärztlichen Vereini­

gung und der AOK Berlin 1992/93 strebte unter dem Vorwand, von der Philosophie der Gesundheitsreform inspiriert zu sein, eine Vernetzung von Kassenärzten an, um Kranken­

hauseinweisungen um jeden Preis zu vermeiden.

Diese »Kodex-Vereinbarung« gilt nur für einzelne Indikationen, ist seit 1993 nicht erweitert worden und kommt nicht zum Tragen, wenn der Patient wegen derselben Indikation im Laufe des folgenden Zeitjahres sta­

tionär aufgenommen werden muß.

Das Krankenhaus (und seine Mit­

arbeiter) wurden damit zum Gegner erklärt und die Kluft zwischen am­

bulanter und stationärer Versorgung weiter vertieft. Die Folge kann nur ei­

ne kostentreibende Konkurrenz zwi­

schen Klinik und Praxis sein, wo doch einsparende Synergieeffekte vor­

herrschen sollten. Da der (kranke) Mensch im Mittelpunkt unseres ärzt­

lichen Handelns stehen sollte, ist es in erster Linie also der Patient, der da­

durch Schaden nimmt bzw. im posi­

tiven Fall davon profitiert!

Um von allen Konjunktiven in die Wirklichkeit zu gelangen, müssen wir den Standort bestimmen:

PRAXIS UND KLINIK

■ Mit welchen Strukturen und Me­

dien wird Koordination und Ko­

operation zwischen Praxis und Kli­

nik bisher bewerkstelligt?

■ Braucht es neue Strukturen?

■ Oder müssen die vorhandenen nur mit Leben gefüllt werden?

■ Kann der Arztbrief besser genutzt werden!?

■ Woran liegt es denn wirklich, daß es jahrzehntelang nicht gelungen ist, die Koordinationsprobleme zu lösen und das Nebeneinander in ein Miteinander zu überführen?

Unsere Dokumentation. Wichtig­

ste Mediatoren für den Informations­

und Datentransfer über die Patien­

ten waren, sind und bleiben voraus­

sichtlich der Arztbrief, der schriftli­

che Befund und das Telefon, wozu sich inzwischen auch das Faxgerät gesellt hat. Elektronik-Mail und ge­

meinsam von Klinik und Praxis nutz­

bare »Datenbanken« bleiben glei­

chermaßen Zukunftsmusik, wie die ständig beim Patienten verbleibende Krankenakte, die vom Haus- und Kli­

nikarzt gleichermaßen geführt und genutzt werden könnte.

Dies wird aber auch weiterhin Wunschtraum bleiben, wenn wir uns die Wirklichkeit unseres Dokumen­

tationssystems vor Augen halten. Da hilft auch kein § 115 Abs. 2 Sozialge­

setzbuch!

Trotzdem muß aus dem Praxisall­

tag eines Gefaßchirurgen konstatiert werden, daß die meisten Patienten vorhandene und brauchbare Unter­

lagen mitbringen und daß sich die­

ses System in den letzten zehn Jah­

ren deutlich gebessert hat. Für Qua­

litätsmängel einzelner Untersu­

chungen trägt schließlich der Arzt und nicht der Patient Verantwor­

tung. Dies kommt sowohl in der Kli­

nik als auch in der Praxis vor.

Berührungsängste? Diese Frage ist wesentlich schwieriger zu beant­

worten, tangiert sie doch vielmehr die menschlichen Komponenten.

»Berührungsängste« bestehen si­

cherlich zwischen den Partnern, ins­

besondere von seiten der

niederge-O

Abb. 1: Haben die Hausärzte Berührungsängste vor den »übermächtig« erscheinen­

den Ktinikärzten?

lassenen Ärzte gegenüber den über­

mächtig erscheinenden Klinikern, was von diesen, gerade in Univer­

sitätsposition, auch weidlich ausge­

nutzt wurde. Dies fördert die große Gefahr der Polarisierung der gesam­

ten Ärzteschaft in ambulant und kli­

nisch tätige Mediziner. Dazu trägt auch der bisherige »Normalverlauf«

einer Medizinerkarriere bei; Nach Aus- und Weiterbildung an Univer­

sität und Klinik erfolgt ein Ausstieg aus diesem »Hort« meist auf dem Kul­

minationspunkt der Wissenskurve.

Von nun an ist jeder für seine Arbeit und Fortbildung selbst verantwort­

lich und begibt sich, in Abhängigkeit von eigener Kritikfähigkeit, in die Kontrollfunktion kollegialen Mit­

oder Gegeneinanders. Wieviel per­

sönliche Eitelkeit dabei überwunden werden muß, mag jeder selbst ein­

schätzen. Das bisherige Einbahn­

straßensystem von der Klinik in die Praxis mit (automatischem?) Niveau­

abfall, verhinderte m. E. bisher ein vernünftiges Miteinander gemeinsa­

mer Patientenbetreuung sowie Fort- und Weiterbildung. Es machte aber auch den Rückweg von der Praxis in die Klinik praktisch unmöglich.

I Wunschvorstellungen

Würden die vorhandenen Mittel besser genutzt, könnten sicherlich

bereits jetzt viele Hürden genom­

men werden.

Information durch die Kiinik

An erster Stelle rangiert die recht­

zeitige gegenseitige Information vor stationärer Aufnahme oder Entlas­

sung eines Patienten fernmündlich oder schriftlich. Auch Zwischenin­

formationen aus der Klinik über die Verdachtsdiagnose, das geplante Pro­

cedere, den Stand der Diagnostik oder ein Verlaufsbericht nach Thera­

piebeginn wären ebenso sinnvoll, wie ein Verlaufsbericht aus der Pra­

xis z.B. nach Carotis- oder Colon-Ope­

ration. Dabei wird die Wunschvor­

stellung des Hausarztes, immer mit demselben Arzt der Klinik sprechen zu können, bei der dortigen Perso­

nalsituation unerfüllbar bleiben, was aber kein Hinderungsgrund der Kommunikation sein darf. Als Ideal könnte man sich einen »Kontakt­

oder PR-Arzt« vorstellen, der - als Facharzt nicht nur optimal über die Patienten informiert - auch ein stän­

diger Ansprechpartner für andere fachspezifische Fragen sein könnte.

Information durch den Hausarzt

Ein vergleichbares Ideal wäre der Hausarzt, der sich über Problempa­

tienten (und nur um diese, nicht um

XFA 265

I... auch In materieller Hinsicht!

»Die Ärztekammern sollen aber auch dem ärztlichen Stande, der wahrlich zu den mühevollsten gehört, einen corporativen Halt geben, nicht nur in moralischer, sondern auch in materieller Be­

ziehung; sie sollen die Ärzte auch vor ungebührlichen Anforderun- , gen des Publicums schützen«.

Th. Billroth am 25. 11. 1891

den problemlosen Leistenhernien- Patienten geht es) während einer ge­

meinsamen Visite vor der Entlassung informiert und bei der gemeinsam das Procedere festgelegt wird: z.B.

tägliche Verbandswechsel durch den Hausarzt und einmal pro Woche in der Klinik.

Die Möglichkeit der prä- und post- stationären Therapie regelt diese Fra­

gen und ihre Vergütung zwar für das Krankenhaus, die Möglichkeit einer klinischen Visite ist im EBM für den Hausarzt jedoch nicht vorgesehen.

Ebenso fehlt eine Pauschale zur Ab­

geltung prästationärer Leistungen, die der Hausarzt erbringt (dazu gibt es die wesentlich teurere prästa­

tionäre Pauschale - die aber nicht aus dem KV-Topf kommt).

Gemeinsame Geräte

Die ebenfalls im GSG (§ 115) vor­

gesehenen Möglichkeiten der ge­

meinsamen Nutzung von medizi­

nisch-technischen Großgeräten, Aus­

bau von belegärztlicher Tätigkeit und Ausweitung der Ermächtigun­

gen von spezialisierten Klinikern, be dürfen noch weiterer Entbürokrati­

sierung, bevor sie zu Selbstverständ­

lichkeiten der Gesundheitsversor­

gung werden.

Ambulante Operationen

Ebenso ist noch endgültig zu klären, ob das hochspezialisierte »Sy­

stem: Krankenhaus« mit der Logistik des ambulanten Operierens belastet werden muß - wenn diese Leistung in einer »Praxis-Klinik« genauso gut mit weniger Verrenkungen erbracht

werden kann. Eine räumliche Ein­

heit könnte die Lösung darstellen.

Ob diese neue Organisationsform oder das »Grevenbroicher Modell«

das Optimum darstellt, muß die Zu­

kunft erweisen.

In Zukunft ein Consultant- System?

Ob die Zukunft des deutschen Me­

diziners zu einer Verwandtschafts­

form mit dem anglo-amerikanischen oder schweizer »Consultant« führen wird, der seinen Patienten sowohl ambulant betreut als auch in der Kli­

nik die Richtlinien der Diagnostik und Therapie bestimmt, ist noch un­

klar. Sicher ist jedoch, daß den Län­

dern mit einem vergleichbaren Sy­

stem unsere Probleme fremd sind.

Dr. med. Jürgen Marsch Matterhornstraße 5

14163 Berlin

Facharzt für Chirurgie; Viszeral- und Ge­

fäßchirurg, Chefarzt der Chirurgischen Abt.

des St.-Josefs-Krankenhauses Potsdam

Pusten

Im Dokument PRAXIS UND KLINIK (Seite 34-37)