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Hoffen und Scheitern bei Thukydides und Dexippos

Im Dokument Empire in Crisis: (Seite 65-75)

„Ja, Hoffnung! ein Trost in der Gefahr! die sich ihrer aus der Überfülle bedienen, auch wenn sie ihnen schadet, zerstört sie nicht; denen aber, die alles, was sie haben, aufs Ganze setzen — denn Aufwand ist sie ihrer Natur nach —, gibt sie sich im Augenblick, in dem sie stürzen, zu erkennen, und in welchem Bereich auch immer einer etwas vor ihr sichern will: wenn sie erkannt wurde, lässt sie ihm gar nichts.“ (Thuk. 5,103,1)

Mit diesen Worten zerstören die Athenischen Gesandten, die mit einer Übermacht an Schiffen und Männern zu Scheinverhandlungen über die Unabhängigkeit der Melier vor der Insel aufgefahren sind, die Hoffnungen der Mitglieder des Rates, sie könnten neutral bleiben und im schlimmsten Fall sich auf ihre Verwandtschaft mit den Spar-tanern berufen, und sie zerstören die unmittelbar vorangehende Argumentation der Melier, dass Nachgeben ohne Alternative ist, Verhandeln aber die Hoffnung auf eine Lösung aufrechterhält.

Schroff und pointiert, schon durch die Formulierung, zeigt Thukydides, dass ein solches Verhalten bei Verhandlungen — auf Hoffnung zu bauen anstatt die Realität zur Kenntnis zu nehmen — nur in die Vernichtung führt. Es ist dies ein Grundge-danke des Thukydideischen Weltbildes, und schon zuvor, in einem ebenso pointiert wie allgemeingültig formulierten Abschnitt, in der sog. ,Pathologie des Krieges‘, hat er diesen Gedanken mit einer ähnlichen Vehemenz zum Ausdruck gebracht (3,84,3):

„Und es pflegen die Menschen in solchen Fällen (über solchen Ereignissen) die allgemeingültigen Gesetze, auf denen für alle die Hoffnung beruht, wenn sie schei-tern, sich vielleicht noch retten zu können, bei Taten der Vergeltung an anderen zuvor aufzuheben und nichts übrig zu lassen, wenn vielleicht doch einmal einer in einer Gefahrensituation etwas davon benötigen könnte.“

ἀξιοῦσί τε τοὺς κοινοὺς περὶ τῶν τοιούτων οἱ ἄνθρωποι νόμους, ἀφ᾽ ὧν ἅπασιν ἐλπὶς ὑπόκειται σφαλεῖσι κἂν αὐτοὺς διασῴζεσθαι, ἐν ἄλλων τιμωρίαις προκατα-λύειν καὶ μὴ ὑπολείπεσθαι, εἴ ποτε ἄρα τις κινδυνεύσας τινὸς δεήσεται αὐτῶν.

ἅπασιν ἐλπὶς ὑπόκειται σφαλεῖσι: mit dem markant gesetzten Partizipium verbindet Thukydides die unerbittlichen Aussagen der Pathologie des Krieges mit den über-heblich vorgebrachten, aber zweifellos wahren, die ἐλπίς betreffenden und eingangs zitierten Aussagen im Zentrum des Melierdialogs (5,103,1):

ἐλπὶς δέ, κινδύνῳ παραμύθιον οὖσα,

τοὺς μὲν ἀπὸ περιουσίας χρωμένους αὐτῇ, κἂν βλάψῃ, οὐ καθεῖλε,

τοῖς δὲ ἐς ἅπαν τὸ ὑπάρχον ἀναρριπτοῦσι (δάπανος γὰρ φύσει)

ἅμα τε γιγνώσκεται – – σφαλέντων

καὶ ἐν ὅτῳ ἔτι φυλάξεταί τις αὐτὴν γνωρισθεῖσαν οὐκ ἐλλείπει.

Thukydides setzt den verkürzten Genetivus absolutus σφαλέντων statt des Dativs σφαλεῖσι (zu τοῖς δὲ) und zeichnet durch dieses Abreißen des Satzes den ohne jede Hoffnung folgenden Sturz, in dem die Melier untergehen werden. Der Satz der Athe-ner steht in der konkreten Situation der Verhandlungen auf Melos, der Sprechende verrät die Absicht durch die Grausamkeit der Formulierung.1

Dexippos wurde von Photios hoch geschätzt und bekanntlich, mit einer vielzi-tierten Wendung, als „ein zweiter Thukydides“ bezeichnet (Photios, Bibl., cod. 82, p. 64a, 11–20, T 5 Martin = T 5 Mecella):

῎Εστι δὲ τὴν φράσιν ἀπέριττός τε καὶ ὄγκῳ καὶ ἀξιώματι χαίρων, καὶ (ὡς ἄν τις εἴποι) ἄλλος μετά τινος σαφηνείας Θουκυδίδης, μάλιστά γε ἐν ταῖς σκυθικαῖς ἱστορίαις.

„Er ist in seiner Darstellungsweise ohne überflüssige Zusätze und bevorzugt eine gewisse Fülle und eine Würde und, so könnte man sagen, mit seinem klaren Stil ist er ein zweiter Thukydides, und zwar ganz besonders in der Geschichte der Skythen.“

ὄγκῳ καὶ ἀξιώματι χαίρων — „er bevorzugt eine schmucke Fülle und eine wertende Würdigung“, wie man etwa interpretierend übersetzen kann, und das trifft auch zu, wenn man unter ,Thukydides-Nachahmung‘ nicht den Versuch versteht, Details und einzelne Gedankengänge bei den Autoren in Analogie zu sehen.2 Bei der Thukydides-Nachfolge des Dexippos handelt es sich vielmehr um eine Erscheinung, die auch sonst in der späteren Literatur häufig zu beobachten ist: ein literarisches Spiel. Den Autoren kommt es in erster Linie darauf an, die Rezeption nicht durch vordergrün-dige Verweise, sondern durch subtile Hinweise in der syntaktischen und klanglichen Ausgestaltung von Aussagen auf Vorbilder zu lenken und auf diese Weise Assozia-tionen zu wecken. Photios hat das so verstanden, und in diesem Sinne ist die Aus-sage auch gemeint.3

1 Die Stellen sind ausführlich behandelt bei Bannert 2004, 117–124; vgl. auch Bannert 2001, 69–74. — Alle Übersetzungen: H. B.

2 Zu Thukydides und Dexippos: als Materialsammlung wertvoll ist Stein 1957; eine ge-nauere Untersuchung hat Martin 2006, 210–256 vorgelegt; vgl. ferner Thompson 1945; Blockley 1972; s. auch den Beitrag von Amphilochios Papathomas in diesem Band, S. 135–144.

3 Dass es Thukydides-Nachahmung freilich auch im wörtlichen Sinn der Übernahme ganzer Sätze und Strukturen gegeben hat, zeigt an einem Beispiel aus der byzantinischen Li-teratur Hunger 1976.

Es finden sich in den uns vorliegenden Textpartien viele Anklänge und Anspie-lungen auf den Text des Thukydides, und in manchen vergleichbaren Situationen ver-weist Dexippos auf das klassische, auch von Thukydides verwendete Repertoire der literarischen Geschichtsschreibung (Reden, Verlesen eines Briefes, Beschreibung der Belagerung einer Stadt). Niemals aber verwendet Dexippos wörtliche Zitate in genau entsprechenden Zusammenhängen, sondern baut sie — mit Veränderungen und Varia-tionen — oft an weniger signifikanten Stellen ein, lässt Anklänge und Formulierungen wie durch seinen Text durchscheinen, und diese Fälle sind vermutlich auch nicht auf den ,einfachen‘ Leser ausgerichtet.4 In der geringen Textmenge, die wir von Dexippos auch unter Einrechnung der neuen Fragmente besitzen, befinden sich zwei dieses Verfahren eindrücklich beleuchtende Stellen, die darauf hinweisen, dass die Darstel-lung wohl mehr, als wir sehen können, von derartigen Mustern durchzogen war.

Ein einfaches Beispiel aus der Skythengeschichte für einen strukturierten Satz, dessen eigentliche Aussage durch den erkennbar zugrundeliegenden Hypotext an Bedeutung gewinnt, zeigt das Verfahren. In der Rede Aurelians an die Gesandtschaft der Iuthungen charakterisiert der Kaiser, wie es Feldherrn ja auch bei Thukydides tun, die allgemeine Kampfesweise der Römer im Gegensatz zu der der Gegner (F 28, 10 Martin = F 34, 10 Mecella):

τολμῶμέν τε γὰρ μετ᾿ ἀσφαλείας καὶ ἀναχωροῦμεν σὺν προμηθείαι, οἷα δὴ λο-γισμῶι ἡγεμόνι ἐς πάντα χρώμενοι, κτλ.

„Denn wir riskieren etwas nur mit Absicherung und wir ziehen uns zurück mit Vor-sicht, wie wir ja auch überlegte Berechnung als Anleitung bei Allem verwenden.“

Es ist leicht zu erkennen, dass am Beginn des Satzes eine Aussage des Perikles aus dem Epitaphios im Hintergrund steht: φιλοκαλοῦμέν τε γὰρ μετ᾿ εὐτελείας καὶ φιλο-σοφοῦμεν ἄνευ μαλακίας (Thuk. 2,40,1). Nicht die Aussage selbst, die in einem ganz anderen Zusammenhang gemacht wird, nicht der Wortlaut und die Formulierung, sondern Syntax und Satzrhythmus tragen das Zitat.5 Und im Satz des Dexippos folgt dann auch ein anderer Schlüsselbegriff, der bei Thukydides mit besonderer Bedeu-tung aufgeladen ist: λογισμός, und auch dieser Begriff wird von Dexippos fast signalhaft, aber eindimensional verwendet, nicht in der von Thukydides geprägten, nuancenreichen Bedeutung.6

In einem größeren Zusammenhang steht ein Fragment aus der Diadochenge-schichte, in dem offenbar der Autor selbst das Verhalten der Griechen gegenüber den Makedonen im Streit um die Aufteilung der Herrschaftsbereiche nach dem Tod

4 Einzelne Stellen behandelt Martin 2006, 211–215.

5 Vgl. Martin 2006, 215: „Bedeutend ist, daß es sich hier nicht einfach um die Nachah-mung eines besonderen Stils oder die Anwendung einer typischen Wortfigur handelt, sondern daß offenbar bewußt einzelne sinntragende Worte ausgetauscht wurden, während der Satzbau eins zu eins übernommen wurde.“

6 So auch an der unten Nr. 4 behandelten Stelle F 28, 13 Martin = F 34, 13 Mecella. — Vgl. Martin 2006, 246–248; weitere Begriffe (γνώμη, τύχη) bei Martin 2006, 242–246.

Alexanders beleuchtet (F 6 Martin Addenda7; vgl. F 6 Martin = F 7 Mecella). Die allgemeinen Aussagen sind aber so gestaltet, dass in der stilistischen Ausformung der Partie sich zwar manche Satzstrukturen erkennbar an der ,Pathologie des Krieges‘, der eben genannten, bitteren Abrechnung des Thukydides mit den Folgen eines ein-seitigen, auch die Sprache und die Bedeutung der Wörter umfassenden Meinungs-zwangs ohne jede Alternative orientieren, im Ganzen aber eine allgemeingültige Beschreibung des Verhaltens in einer Entscheidungssituation vor dem Beginn eines Kampfes beabsichtigt ist. Die Bedeutung der Partie bei Dexippos, die man eher als ,Ethologie des Krieges‘ bezeichnen könnte, vertieft sich also für den Leser zusätzlich, wenn er die berühmten und wirkungsmächtigen Sätze des Thukydides präsent hat.

Auch bei Dexippos hat der Abschnitt den Charakter einer Warnung, einer Warnung vor allzu großem Optimismus und der Hoffnung in einer wenig aussichtsreichen Gefahrensituation; die sprachliche Gestaltung der Sätze gewinnt in diesem Fall trotz ihrer weniger direkten pessimistischen Gesamtaussage indirekt durch den Hinter-grund des Hypotexts. Der Auszug beginnt mit dem thukydideisch strukturierten und verbalisierten8 und auch zweimal die ungewisse Hoffnung problematisierenden Satz (F 6 Martin Addenda; vgl. F 6 Martin = F 7 Mecella):

τὸ δὲ ἐπὶ πείραι φοβερὸν καὶ τὴν τοῦ ἀφανοῦς ἐλπίδα ἐξ ἴσου δεδιέναι παρα-σκευάζει· καὶ ὁ ἀναπείθειν ἐθέλων πλέον ἐπί̣στ̣ασθ̣αι̣ αὐ̣τὸς ἐδόκει, καὶ ὁ ἐπὶ μᾶλ-λον θαρσύνων εὔνους τ̣ε διαφερόντως καὶ ἐς κινδύνους εὔτολμος. ἐλπίδι γὰρ τοῦ μέλλοντος τὸ μὲν ἐν τῶι παρόντι προμηθὲς μαλακίαν ἡγοῦντο, τὸ δὲ ἀφανὲς πιστότερον τοῦ ἤδη ὄντος.

„Die Furcht bei einem Wagnis schafft zugleich eine Situation, in der man sich auch vor der Hoffnung auf etwas Ungewisses ängstigt, und wer umstimmen woll-te, schien selbst mehr zu wissen, und wer überschwänglich Mut zu machen ver-suchte, es besonders gut zu meinen und im Hinblick auf die Gefahren entschlossen.

Denn in der Hoffnung auf die Zukunft hielten sie Vorsicht in der Gegenwart für feige Weichheit, das Unsichtbare für verlässlicher als das schon Existierende.“

Auch wenn wir nur wenige Fragmente besitzen, zeigen sich also in der Darstel-lungsweise des Dexippos stilistische und inhaltliche Merkmale, die mit Thukydides ver-gleichbar sind — doch wie auch andere Autoren, die sich letztlich alle in bestimmter Weise an Thukydides orientieren,9 hat es auch Dexippos vermieden, den schroffen,

7 Es handelt sich um den verbesserten Text dieses Fragments aus den palimpsestierten Pergamentblättern des Codex Vat. gr. 73, das im Anhang IV dieses Bandes, S. 573–575, von Gunther Martin neu ediert und übersetzt wird (siehe auch die italienische Übersetzung von Luciano Canfora in seinem Beitrag in diesem Band, S. 67–69).

8 Der Beginn des zweiten Satzes ἐλπίδι γὰρ τοῦ μέλλοντος zitiert punktuell Thuk. 7,77,3:

ἀνθ’ ὧν ἡ μὲν ἐλπὶς ὅμως θρασεῖα τοῦ μέλλοντος, αἱ δὲ ξυμφοραὶ οὐ κατ’ ἀξίαν δὴ φοβοῦσιν.

9 ἅπασιν αὐτοῖς πρὸς … τὸν Θουκυδίδην ἅμιλλα („alle von ihnen richten ihren Wetteifer auf Thukydides“) bemerkte schon lange vor Dexippos Lukian, Quomodo historia conscribenda sit 26.

für das (laute) Lesen und allein durch die sperrigen Konstruktionen — als λαβυρίνθων σκολιώτερα, „verbogener als in einem Labyrinth“, hat Dionysios von Halikarnass in seinem stilkritischen Essay diese bezeichnet10 — nicht leicht nachvollziehbaren Stil zu imitieren. Es ist also nicht erstaunlich, dass sich ein so auffälliges Konzept wie das der nach Ansicht des Thukydides grundsätzlich immer trügerischen und vergeblichen Hoffnung in Situationen der Gefahr oder in der Enge einseitiger Verhandlungen, wie an den angegebenen Stellen aus dem Melierdialog und aus der ,Pathologie des Krieges‘

postuliert, schon in dem Ausschnitt aus der Diadochengeschichte findet und wir diesem Konzept auch sonst im Geschichtswerk des Dexippos begegnen.

Formen von ἐλπίς sind bei Dexippos 26mal belegt, jeweils viermal davon im Palimpsest aus dem Vatikan und in dem bisher gelesenen Text der neuen Fragmente aus dem Wiener Palimpsest-Codex. Von diesen sind vier Stellen aus den Skythika — deren thukydideischer Geist von Photios besonders hervorgehoben wird — von Inter-esse, und auch da ist zu sehen, dass der Satz des Thukydides aus dem Melierdialog und die Schwere seiner Aussage in der Ferne, gleichsam als Schemen, zu erkennen sind, nicht aber durch Zitat oder Nachahmung angezielt werden.

1. Aus dem Bericht über die Belagerung von Markianopolis, F 22, 4 Martin = F 28, 4 Mecella:

ὡς δὲ ἐπ᾿ οὐδενὶ ἔργωι λαμπρῶι ἥ τε τῶν λίθων ἐκενώθη τοῖς βαρβάροις πα-ρασκευὴ καὶ ὅσα ἐκ χειρὸς ἢ ἀπὸ τόξου ἀκόντια ἥ τε ἐλπὶς αὐτοῖς τοῦ σὺν οὐδενὶ πόνωι τὴν πόλιν αἱρήσειν ἀνάλωτο, ἀθυμίαι δὴ εἴχοντο, κτλ.

„Als aber der Vorrat an Steinen bei den Barbaren für keinerlei glänzende Tat ge-leert war und alles an Wurfgeschoßen, von Hand oder vom Bogen, war auch ihre Hoffnung erschöpft, die Stadt ohne Mühe einzunehmen, und sie verfielen in Mut-losigkeit.“

Es ist dies eine an sich unauffällige Aussage aus dem Zusammenhang der Beschrei-bung eines Kampfes, und es wird auf einfache Weise die Verbindung von Hoffen und Enttäuschung und folgender Mutlosigkeit erwähnt. Dexippos beschreibt eine mögliche Ausgangssituation für das, was bei Thukydides dann dramatische Formen annimmt.

2. Aus dem Bericht über die erfolglose Belagerung von Thessalonike, Scythica Vindobonensia, Fragment IIIb (Cod. Vind. hist. gr. 73, f. 192v), Zeilen 4–7:11

ὡς δὲ ο̣ἵ τε ἀπὸ τοῦ τείχου̣ς̣ ε̣ὐ̣ρ̣ώσ̣τ̣ως̣ ἠμ̣ύ̣νοντ̣ο̣ πολυ̣χε̣ιρίαι τὰς τάξεις ἀμύν̣οντε̣ς̣

καὶ προὐ̣χώρ̣ει οὐ̣δὲν ἐς ἐλπίδας, λύουσι τὴν πολι̣ο̣ρ̣κ̣ίαν.

10 Text und Übersetzung im Anhang, S. 60–62.

11 Vgl. die vorläufige Transkription der Scythica Vindobonensia im Anhang I dieses Bandes, S. 543–545, 547. Im Folgenden wird der Text in normalisierter Form, entsprechend modernen Textausgaben, gegeben.

„Als sie (die Griechen) sich aber von der Mauer herunter mit aller Kraft wehrten, mit einer Vielzahl von Händen die einzelnen Abteilungen abwehrten und nichts nach ihren Hoffnungen voranging, beend(et)en sie (die Skythen) die Belagerung.“

Die Formulierung καὶ προὐχώρει οὐδὲν ἐς ἐλπίδας verwendet Dexippos auch an einer anderen Stelle, F 27, 4 Martin = F 33, 4 Mecella:

γενομένης δὲ πείρας ἐπὶ τούτοις ἑκατέρωθεν καὶ μάχης κρατερᾶς, ὡς ἄπρακτος ἦν τοῖς Σκύθαις ἡ διατριβὴ καὶ οὐδὲν προὐχώρει εἰς ἐλπίδας, ἀνεχώρουν.

„Als unter diesen Umständen von beiden Seiten das Wagnis eingegangen worden und es zu einer heftigen Schlacht gekommen war, und weil ohne weitere Ereig-nisse den Skythen die Zeit verstrich und nichts nach ihren Hoffnungen voranging, zogen sie sich zurück.“

Wie schon seit langem bemerkt,12 geht die Formulierung auf Thuk. 6,103,2 zurück, wo es heißt: καὶ τἆλλα προυχώρει αὐτοῖς ἐς ἐλπίδας — und wieder ist es bezeich-nend für Dexippos, dass er in diesem Fall zwar eine Wortfolge übernimmt, sie aber im Gegensatz zu Thukydides an beiden Stellen ins Negative wendet.

Etwas anders formuliert findet sich dieselbe Aussage auch noch als Abschluss des Abschnitts über die Verhandlungen zwischen den Gesandten der Iuthungen und Kaiser Aurelian, F 28, 15 Martin = F 34, 15 Mecella (s. auch unten Nr. 4):

ἐπὶ τούτοις λεχθεῖσιν ἐκ τοῦ βασιλέως κατεπλάγησάν τε ᾿Ιουθοῦγγοι, καὶ ὡς οὐδὲν αὐτοῖς κατὰ τὰς ἐλπίδας ἐπράττετο, ..., παρὰ τοὺς σφετέρους ἀπεχώρησαν.

„Bei diesen Worten des Kaisers erschraken die Iuthungen, und weil ihnen nichts nach ihren Hoffnungen gelungen war ..., zogen sie sich zu ihren Leuten zurück.“

3. Aus dem Brief des Kaisers Decius, verlesen vor der Mannschaft in Philippo-polis, F 23, 7 Martin = F 29, 7 Mecella:

καὶ γὰρ ἡ ἐλπὶς τοῖς πρῶτον ἐς μάχην ἰοῦσιν ἰσχυρόν τι ἔδοξεν εἶναι καὶ προσαγωγό-τατον εἰς κατόρθωσιν· ἀλλ᾿ ἐν τοῖς περιφανεστάτοις ὤφθη, ὅταν τῶι ἀληθεῖ διαμά-χηται. εὔδηλον δὲ δήπου, οἶμαι, ὡς κἂν τοῖς ἐξ ἴσου ἀγῶσιν ἄνευ στρατηγοῦ κατὰ μόνας ἀποκινδυνεύειν σφαλερώτατον· τὸ δὲ ὑπὸ ἡγεμόνι τε ἄγεσθαι καὶ ἐς κοινω-νίαν ἥκειν ἑτέροις τοῦ κινδύνου ἔν τε ἐνθυμήσεσι κἀν τοῖς ἔργοις ἀσφαλέστατον, ῥαιδίαν ἔχον τὴν παρὰ τοῦ πέλας ἐπανόρθωσιν. κρεῖττόν τε σὺν ἑτέρωι κατορθοῦντας δόξης ἔλαττον ἔχειν, ἢ δίχα τοῦ προμηθοῦς κατὰ μόνας ἐπιχειρήσαντας σφαλῆναι.

„Denn Hoffnung scheint denen, die zum ersten Mal in eine Schlacht gehen, etwas Starkes zu sein und der geradeste Weg zum Erfolg; jedoch in hellster Klarheit wird sie erkannt, wenn sie mit der Wirklichkeit einer Situation im Widerspruch steht. Es ist doch ganz offensichtlich, denke ich, dass, auch in Kämpfen bei

12 Vgl. Stein 1957, 63; Mallan / Davenport 2015, 208–209 (mit Anm.).

cher Stärke, sich ohne Feldherrn ganz allein in Gefahr zu begeben mit Sicherheit zum Scheitern führt: aber sich von einem Führer leiten zu lassen und in eine Gemeinschaft zu gehen mit Anderen in der Gefahr, ist bei Beratungen und auch bei Taten am wenigsten vom Scheitern bedroht, weil man leicht vom Nebenmann Unterstützung erhalten kann. Und es ist besser, gemeinsam mit einem Anderen Erfolg und weniger an Ruhm zu haben, als ohne Vorsicht einzeln anzugreifen und zu scheitern.“

Und wieder umspielt Dexippos, in dieser zentralen Passage besonders auffällig, die Aussage des Thukydides, setzt einzelne Wörter in verschiedener Form in anderen Zu-sammenhang, verbindet sie mit anderen Begriffen (wie ,Wahrheit‘ oder ,Täuschung‘) und schafft damit eine doch sichtbare Präsenz der von Thukydides beschriebenen Wirkung und Folgen des Setzens auf Hoffnung.13 Besonders auffällig sind an dieser Stelle die von Dexippos verwendeten verschiedenen Formen von σφάλλειν, insbe-sondere der prägnant ans Ende gesetzte Aorist Infinitiv σφαλῆναι, mit dem direkt auf die wegen der schroffen Formulierung besonders einprägsame Wortfolge ἅμα τε γιγνώσκεται σφαλέντων im Satz des Thukydides aus dem Melierdialog verwiesen wird: Das Wesen der Hoffnung, der positive Glaube an den Erfolg, stürzt in das eklatante Gegenteil und lässt keinen Ausweg mehr. Etwas davon hat, wie es scheint, auch Dexippos im Brief des Kaisers zum Ausdruck gebracht.

4. Kaiser Aurelian in seiner Antwort an die Gesandtschaft der Iuthungen, F 28, 13 Martin = F 34, 13 Mecella:

ἡ μὲν γὰρ ἐπ᾿ εὐπραγίαι ἐλπὶς θάρσος φέρει, φόβον δὲ ἡ ἐπὶ τῶι ἐναντίωι. λογισμῶι τε ἡγεμόνι πρὸς τὰς πράξεις χρώμενοι, τάς τε δόξας τῶν συμβησομένων οὐκ ἀβασανίστως προσιέμεθα, κἀν τοῖς παροῦσιν, οἷα ἄνδρες ἀθληταὶ κινδύνων τῶν ἀρίστων, οὐκ ἐκπληττόμεθα ταῖς τοῦ πολέμου χαλεπότησιν, ἐξ ὧν τὸ ἐλπιζόμε-νον κέρδος οὐκ ἀσθενὲς καὶ περιττότερον τῆς ἀχθηδόνος.

„Denn Hoffnung aufgrund einer großen Tat bringt Mut, Furcht aber, wenn sie auf dem Gegenteil beruht. Und weil wir überlegte Berechnung als Anleitung zu den Taten verwenden, hören wir nicht ungeprüft auf Meinungen über zukünftige Ereig-nisse, und lassen uns bei gegenwärtigen — wie Athleten in den größten Gefahren-situationen — nicht in Schrecken versetzen von den Mühen des Krieges, aus denen der erhoffte Gewinn nicht schwach, sondern viel größer ist als die Belastung.“

Auch an dieser Stelle werden — in einer Feldherrnrede — Begriffe und Situatio-nen umspielt, die bei Thukydides in anderem Kontext erscheiSituatio-nen. Schon kurz zuvor hat Aurelian zu den Gesandten der Iuthungen, deren hinterhältige Scheinangebote entlarvend, gesagt:

13 Weitere Beispiele für diese Technik des Dexippos hat Martin 2006, 216–222 zusam-mengestellt; vgl. auch die zusammenfassenden Bemerkungen bei Martin 2006, 253–256.

πόλεμον γὰρ ἐπὶ σπονδαῖς ἀκήρυκτον ἐφ’ ἡμᾶς ἠγείρατε, ..., ἐπιθυμίαις δέ τισι καὶ ἐλπίσι κουφισθέντες, σὺν αἷς ὅμιλος ἀλόγιστος ἐπαίρεται, κτλ.

„Denn einen Krieg habt ihr unter geltenden Verträgen ohne Ankündigung gegen uns betrieben, …, von Wünschen und Hoffnungen beflügelt, von denen sich eine vernunftlose Masse hinreißen lässt …“

Es folgt eine Gnome, in deren Ausführung und Erklärung Dexippos wieder Begriffe unterbringt, die bei Thukydides durchgehend zur Beurteilung des Verhaltens der han-delnden Personen und zur Erläuterung seiner eigenen Methode verwendet werden (λογισμός, οὐκ ἀβασανίστως). Und wieder sind die Aussagen der Situation entspre-chend, doch durchwirkt von Anspielungen und Begriffen — hörbar und auffällig für den in den Texten der Geschichtsschreiber erfahrenen Leser.

Mögen auch manche der von Dexippos im Bemühen um klare Gedankenführung und ausgesuchte Sprache verwendeten, an Thukydides und seinem Werk orientierten Wörter, Wortverbindungen und Satzmuster nicht auf direkte Lektüre und besondere Wirkabsicht, sondern auf den Unterricht in der Rhetorenschule zurückgehen: Dexippos hat in jedem Fall versucht, in einem dem Attischen des Thukydides vergleichbaren Stil zu schreiben, und er hat, das zeigen auch die mit dem zentralen Satz des Thukydides zur Hoffnungslosigkeit von Hoffnungen verbundenen Formulierungen, nicht die Nach-ahmung gesucht, sondern auf wichtige und mit besonderer Bedeutung versehene Stellen hinzuweisen beabsichtigt und dem Leser, wie es auch andere Autoren der späteren An-tike getan haben, ein Gewebe geschaffen, das von Anspielungen und Zitaten durchzo-gen ist. Und so ist auch ein weiterer berühmter, oft zitierter und auch von Thukydides selbst auffallend in die Mitte des Melierdialogs (und wohl auch in die Mitte des Gesamtwerks) platzierter Satz in verschiedenen Variationen bei Dexippos präsent.14

Anhang

Sprache und Stil des Thukydides sind, den Intentionen des Autors entsprechend, der verhindern wollte, dass sein Text einfach als schöne Wortmelodie vorgetragen und gelesen wird, in den für den Autor wichtigen Partien schwierig und in einer für die griechische Sprache ungewöhnlichen Form, in den narrativen Partien betont ein-fach und geradlinig. Dass dies nicht immer von Lesern und Literaturkritikern gou-tiert wurde, zeigt unter anderem eine literaturkritische Abhandlung über den Stil des Thukydides, die Dionysios von Halikarnass (54–7 v. Chr.) — selbst Autor einer Ῥω-μαϊκὴ Ἀρχαιολογία — verfasst hat und in der er die besonders schwierigen Sätze des Thukydides gleichsam in verständliches Griechisch übersetzt. Der folgende Textaus-schnitt behandelt den zentralen Satz des Melierdialogs.

Dionysios von Halikarnass, Über Thukydides, c. 40 (Melierdialog, Thuk. 5,102–

105). Der ἐλπίς-Satz:

14 Vgl. Martin 2006, 222 Anm. 39. — Für umfangeiche Beratung und Hilfe danke ich Jana Grusková (Bratislava / Wien) und Gunther Martin (Zürich).

τούτοις ἕτερα προσθεὶς πάλιν ἀμοιβαῖα περίεργα καὶ πικρά, τοὺς Μηλίους ὑποτίθεται λέγοντας, ὅτι κοινὰς τὰς τύχας φέρουσιν οἱ πολέμιοι καὶ „τὸ μὲν εἶξαι εὐθὺς ἀνέλπιστον, μετὰ δὲ τοῦ δρωμένου ἔτι καὶ στῆναι ἐλπὶς ὀρθῶς.“ πρὸς ταῦτα ποιεῖ τὸν ᾿Αθηναῖον ἀποκρινόμενον λαβυρίνθων σκολιώτερα περὶ τῆς ἐλ-πίδος ἐπὶ κακῷ τοῖς ἀνθρώποις γινομένης, κατὰ λέξιν οὕτως γράφων·

„᾿Ελπὶς δὲ κινδύνου παραμύθιον οὖσα τοὺς μὲν ἀπὸ περιουσίας χρωμένους αὐτῇ κἂν βλάψῃ, οὐ καθεῖλεν· τοῖς δὲ ἐς πᾶν τὸ ὑπάρχον ἀναρριπτοῦσι (δάπανος γὰρ φύσει) ἅμα τε γιγνώσκεται σφαλέντων, καὶ ἐν ὅτῳ φυλάξεταί τις αὐτὴν γνω-ρισθεῖσαν, οὐκ ἐλλείπει. ὃ ὑμεῖς ἀσθενεῖς τε καὶ ἐπὶ σκοπῆς μιᾶς ὄντες μὴ βού-λεσθε παθεῖν μηδ᾿ ὁμοιωθῆναι τοῖς πολλοῖς, οἷς παρὸν ἀνθρωπείως ἔτι σῴζεσθαι, ἐπειδὰν πιεζομένους αὐτοὺς ἐπιλείπωσιν αἱ φανεραὶ ἐλπίδες, ἐπὶ τὰς ἀφανεῖς κα-θίστανται, μαντικήν τε καὶ χρησμοὺς καὶ ὅσα τοιαῦτα μετ᾿ ἐλπίδων λυμαίνεται.“

ταῦτ᾿ οὐκ οἶδα πῶς ἄν τις ἐπαινέσειεν ὡς προσήκοντα εἰρῆσθαι στρατηγοῖς

᾿Αθηναίων, ὅτι λυμαίνεται τοὺς ἀνθρώπους ἡ παρὰ τῶν θεῶν ἐλπὶς καὶ οὔτε χρησμῶν ὄφελος οὔτε μαντικῆς τοῖς εὐσεβῆ καὶ δίκαιον προῃρημένοις τὸν βίον.

εἰ γάρ τι καὶ ἄλλο, τῆς ᾿Αθηναίων πόλεως καὶ τοῦτ᾿ ἐν τοῖς πρώτοις ἐστὶν ἐγκώ-μιον, τὸ περὶ παντὸς πράγματος καὶ ἐν παντὶ καιρῷ τοῖς θεοῖς ἕπεσθαι καὶ μηδὲν ἄνευ μαντικῆς καὶ χρησμῶν ἐπιτελεῖν. λεγόντων τε τῶν Μηλίων, ὅτι σὺν τῇ παρὰ τῶν θεῶν βοηθείᾳ καὶ Λακεδαιμονίοις πεποίθασιν, οὓς εἰ καὶ διὰ μηδὲν ἄλλο, διὰ γοῦν τὴν αἰσχύνην αὐτοῖς βοηθήσειν καὶ οὐ περιόψεσθαι συγγενεῖς ἀπολλυμέ-νους, αὐθαδέστερον ἔτι τὸν ᾿Αθηναῖον ἀποκρινόμενον εἰσάγει· „τῆς μὲν τοίνυν πρὸς τὸ θεῖον εὐμενείας οὐδ᾿ ἡμεῖς οἰόμεθα λελείψεσθαι· οὐδὲν γὰρ ἔξω τῆς μὲν ἀνθρωπείας, τῆς δ᾿ εἰς τὸ θεῖον νεμέσεως τῶν τ᾿ εἰς σφᾶς αὐτοὺς βουλήσεων δι-καιοῦμεν ἢ πράσσομεν.“

„Diesen Aussagen fügt er noch weitere überzogene und bittere hinzu, und dann lässt er die Melier sagen, dass die Kriegführenden die gleichen Chancen tragen und [Thuk. 5,102]: ‚Das sofortige Weichen ist ohne Hoffnung, aber mit dem Handeln ist noch die Hoffnung gegeben aufrecht zu stehen.‘ Darauf lässt er den Athener antworten, verbogener als in einem Labyrinth, über die Hoffnung, die Menschen in einer schlimmen Lage haben, und im Wortlaut schreibt er fol-gendes [Thuk. 5,103]:

‚Ja, Hoffnung! ein Trost in der Gefahr! die sich ihrer aus der Überfülle be-dienen, auch wenn sie ihnen schadet, zerstört sie nicht; denen aber, die alles, was sie haben, aufs Ganze setzen (denn Aufwand ist sie ihrer Natur nach), gibt sie sich im Augenblick, in dem sie stürzen, zu erkennen, und in welchem Bereich auch immer einer etwas vor ihr sichern will: wenn sie erkannt wurde, lässt sie ihm gar nichts. Das sollt ihr in eurer schwachen Position und wo ihr am Umkippen seid nicht erleiden (erfahren) wollen und auch nicht auf einer Stufe stehen mit den vielen, denen es möglich wäre, nach menschlichem Ermessen noch sich zu retten, (und die,) in dem Augenblick, in dem offensichtliche Hoffnungen sie in ihrer bedrängten Situation im Stich lassen, zu dem Nichtsichtbaren überwechseln, zu Weissagung und Orakelsprüchen und was an derartigen Dingen mit Hoffnungen ins Unheil führt.‘

Ich weiß nicht, wie das einer gutheißen könnte als angemessen gesagt von den Athenischen Feldherrn, dass zerstört die Menschen die Hoffnung, die doch

von den Göttern kommt, und dass weder Orakelsprüche einen Nutzen haben noch Weissagung für Menschen, die ein frommes und gerechtes Leben gewählt haben.

Wenn vielleicht auch Anderes, dann ist doch auch gerade das in der Stadt der Athener unter den ersten als Positivum zu nennen, dass sie nämlich in jeder Ange-legenheit und zu jedem Zeitpunkt den Göttern folgen und nichts ohne Weissagung und Orakelsprüchen ausführen.

Und als die Melier sagen, dass sie mit Hilfe von den Göttern auf die

Und als die Melier sagen, dass sie mit Hilfe von den Göttern auf die

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