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Vergleichbar mit dem barocken Schlossbau lässt auch in zeitgenössischen Klosteran-lagen der künstlerische und technische Aufwand, der bei der Einrichtung und Deko-ration der verschiedenen sakralen und profanen Räume betrieben wurde, eine strikte Hierarchie erkennen. In den profanen Gebäudeteilen der Klostertrakte nahmen die Enfiladen der Kaiserzimmer und Prälaturen die Spitze ein, dann kamen Prunkstiegen, Bibliotheken und Sammlungsräume. Andere Zimmer waren ihnen untergeordnet.

Doch auch innerhalb der Sakralbezirke sind Abstufungen zu beobachten. Selbst-verständlich stand an oberster Stelle die Stiftskirche, deren übergeordnete Bedeutung schon durch die Lage im Zentrum neu geschaffener Klosterkomplexe deutlich zum Ausdruck gebracht wurde. In Melk liegt die Qualität der Ausstattungen von Kirche und Sommersakristei (Abb. 216) auf einem sehr hohen Niveau, was auf die Bedeutung der Sakristei für das Kloster schließen lässt. Tatsächlich wurden die Arbeiten an dem Raum beendet, bevor mit dem Neubau der Kirche begonnen wurde, um vorüberge-hend einen Ort für die Messfeier zu gewinnen. Normalerweise waren Sakristeien in der Hierarchie aber unter den Kirchenräumen angesiedelt, wie das weniger prachtvolle Mobiliar in vielen Sakristeien belegt. Nach den Untersuchungen von Julia Gierse, die sich mit Gemäldezyklen in Sakristeien beschäftigte, hatte diese Differenzierung je-doch keinerlei Einfluss auf die Wahl der Maler, denn häufig waren dieselben Künstler in Sakristei und Kirche tätig.343 Was die Schreinerarbeiten angeht, lässt sich eine ver-gleichbare Untersuchung nicht durchführen, da uns die Namen der Tischler, die für Weltkirchen und Klöster arbeiteten, oft unbekannt sind. In denjenigen Fällen, in de-nen Schriftquellen die Identität der Handwerker preisgeben, liegen aber unterschied-liche Befunde vor : So übernahm in Zwettl der aus Šluknov (Schluckenau) in Böhmen stammende Konverse Ladislaus Maleg († 1749) als Leiter der Stiftstischlerei sämtli-che Arbeiten in Kirsämtli-che und Sakristei. Dagegen bedachte Propst Hieronymus Übelba-cher (reg. 1710–1740) in Dürnstein den Tischler Hippolyt Nallenburg (1687–1733) aus St. Pölten mit allen wichtigen Aufträgen für die Stiftskirche, während ein weniger renommierter Handwerker, dessen Namen nicht überliefert ist, das Schrankwerk für die Sakristei lieferte. Der Qualitätsunterschied zwischen den Möbeln ist in Dürnstein auf den ersten Blick zu erkennen.

343 Gierse, Bildprogramme (2010), 107–110.

Interessanterweise lässt sich häufig aber auch das Denken in Hierarchieebenen in Dekoration und Ausstattung der Kirchenräume selbst nachweisen. Der erste Rang steht dem Hochaltar zu, dann kommen die Seitenaltäre. Legt man den finanziellen Aufwand als Gradmesser an, folgen danach Gemäldezyklen, anschließend, wenn nicht gleichauf, das große Orgelwerk, das man in der Regel dem Hauptaltar gegenüber auf der Westempore aufstellte. Allerdings konnte es wie beispielsweise in der ehemali-gen Abtei St.  Blasien auch die Stelle des Hochaltars einnehmen, den man in den 1770er-Jahren eigens dafür versetzte. Klaus Könner belegte die Bedeutung der Orgel innerhalb der kirchlichen Ausstattung überzeugend für den gesamten süddeutschen Kunstraum.344 Die majestätischen und reich geschmückten Orgelwerke in Melk, Wil-hering (Farbtaf. 32), Göttweig, Kremsmünster und andernorts lassen darauf schließen, dass mit solch einer Hierarchieabfolge ebenfalls in der Ausstattung österreichischer Kirchen zu rechnen ist. An letzter Stelle folgt dann das Mobiliar.

Doch auch innerhalb des Mobiliars sind in vielen Kirchen gewisse Rangabstufun-gen feststellbar. An der Spitze stehen Chorgestühle, den zweiten Platz nehmen häufig Beichtstühle ein, den letzten die Kirchenbänke. Künstlerische Qualität und die Wahl der verwendeten Werkmaterialien lassen Bedeutungsverluste innerhalb der Einrich-tungen oftmals sichtbar werden. Um ein augenfälliges Beispiel zu nennen, sei erneut auf das Interieur der Kirche zu Dürnstein verwiesen. Differenzen zwischen dem Chorgestühl und den Beichtstühlen auf der einen und der Bestuhlung (Farbtaf. 07 ; Abb. 112, 114–118) auf der andern Seite sind klar erkennbar, ein reduzierter künstleri-scher und handwerklicher Anspruch ist nicht zu übersehen. Chorgestühl und Beicht-stühle wurden mit verschiedenen Hölzern furniert sowie mit vergoldeten Reliefs und gefassten Statuen geschmückt, während die Kirchenbänke aus blankem Eichenholz bestehen und sich in jeder Hinsicht als relativ einfach erweisen. In der Dürnsteiner Stiftskirche sind folglich erhebliche Gegensätze im dekorativen Aufwand zu konsta-tieren, ein Umstand, der auch in anderen Sakralbauten beobachtet werden kann. Sinn-fällig macht das, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen, die schlichte Bestuhlung von St. Stephan (Abb. 77, 78), immerhin die Wiener Dom- und Metropolitankirche.

Die besondere Stellung des Wiener Erzbischofs innerhalb des österreichischen Klerus ließe eigentlich ein qualitätvolleres Laiengestühl erwarten.

Als Ursache für diese Diskrepanz dürfte zunächst eine eher pragmatische Über-legung anzunehmen sein : Sie betrifft die Gefährdung der Bänke durch unachtsame Kirchenbesucher. Die Schäden, die die Möbel heute vielfach aufweisen, belegen die Notwendigkeit entsprechender Vorsichtsmaßnahmen. Die hauchdünnen Vergol-dungen etwa, wie sie am Dürnsteiner Chorgestühl reichlich vorkommen, oder feine

344 Könner, Orgelprospekt (1992), 13–16.

Zur Hierarchie von Räumen und Möbeln | 129 Schnitzarbeiten wie am Ratsherrengestühl im Wiener Stephansdom (Abb.  75, 76) wären an Kirchenbänken wohl schon nach kurzer Zeit unansehnlich. Es versteht sich

daher von selbst, dass man in Verbindung mit der Laienbestuhlung auf solche Zier-mittel verzichtete.

Bedeutender waren im 17. und 18. Jahrhundert aber eventuell noch zwei andere Gründe. Zunächst kann es nicht überraschen, dass in vielen barocken Sakralräumen eine Steigerung der künstlerischen und materiellen Ausdrucksmittel von West nach Ost zu beobachten ist. Häufig heben die raumdekorierenden Künste die übergeord-nete Rangstufe des Presbyteriums als jenes Ortes hervor, an dem sich bei der Eucha-ristiefeier die Wandlung vollzieht. Ein Beispiel hierfür wäre die Domkirche in St. Pöl-ten, in deren Innenraum der Prunk in Richtung des Hauptaltars deutlich zunimmt.345 Ähnliches gilt für die Stiftskirche zu Lilienfeld. Hinzu kam die Gewissheit der Zeit-genossen, dass der hierarchische Gesellschaftsaufbau die vom Allerhöchsten geschaf-fene Ordnung verkörpert. Die Landesherren waren seine Stellvertreter auf Erden und erhoben sich damit rangmäßig weit über die Masse des Volkes.346 Das Denken in Hierarchien beherrschte selbstverständlich auch den Klerus in seinem Handeln und bestimmte die Planungen beim Bau von Klöstern und Kirchen. Vermutlich entstand das Interieur vieler Kirchenräume unter dieser Prämisse. Das Bewusstsein um die tat-sächlich vorhandene herausragende Bedeutung des Presbyteriums für den kirchlichen Ritus sowie die Überzeugung, dass die Aufteilung der Gesellschaft in verschiedene Stände gottgewollt sei und damit demonstrativ zur Schau gestellt werden müsse, spie-gelten sich in etlichen Sakralbauten auch in der Qualität des Mobiliars wider. Die für das Gros der Laien bestimmten Bänke hatten zur Hervorhebung bestehender Rang-unterschiede qualitativ jenen der Geistlichkeit unzweifelhaft nachgereiht zu sein.347

345 Profous, Barockisierung (2008), bes. 76–77 ; Huber, Domkirche (2012), 15.

346 Hierzu etwa Elias, Gesellschaft (1969) ; Ehalt, Ausdrucksformen (1980).

347 Wie das Ratsherrengestühl im Stephansdom zeigt, sind konsequenterweise auch in Verbindung mit dem Mobiliar für Laien gewisse Rangabfolgen zu beobachten.

Teil 3

Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen –