• Keine Ergebnisse gefunden

Ein hervorragend geeigneter Text, der die ersten Eindrücke und Fragen nun auf ein theoretisches Gerüst stellt, ist Martin Bubers „Beilage“ zu seiner

Im Dokument „…hinaus in die Tiefe…“ (Seite 67-70)

„Religiöse Sprache“ 1

1 Ein Gebet als Unterrichtsgegenstand ?

2.3 Ein hervorragend geeigneter Text, der die ersten Eindrücke und Fragen nun auf ein theoretisches Gerüst stellt, ist Martin Bubers „Beilage“ zu seiner

„Verdeut-schung“ der Hebräischen Bibel. Zur Erarbeitung empfiehlt sich die folgende Zusam-menfassung:

Ein Doppeltes hebt die Schrift, das sogenannte Alte Testament, von den großen Büchern der Weltreligionen ab.

Das eine ist, dass Ereignis und Wort hier durchaus im Volk, in der Geschichte, in der Welt stehen. Was sich begibt, begibt sich nicht in einem ausgesparten Raum zwischen Gott und dem Einzelnen … Das Heilige dringt in die Geschichte ein, ohne sie zu entrechten.

5

Und das andere ist, dass hier ein Gesetz spricht, das dem natürlichen Leben des Menschen gilt, … der triebhafte, der leiden-schaftliche Mensch wird angenommen, wie er ist … Das Heilige dringt in die Natur ein, ohne sie zu vergewaltigen.

Fasst man [die Schrift] als „religiöses Schrift-tum“, … dann versagt es, und dann muss man sich ihm versagen. Fasst man es als Abdruck einer lebenumschließenden Wirklichkeit, dann fasst man es, und dann erfasst es einen.

Der spezifisch heutige Mensch aber vermag dies kaum noch. Wenn er an der Schrift über-haupt noch „Interesse“ nimmt, dann eben ein

„religiöses“ - zumeist nicht einmal das, son-dern ein „religionsgeschichtliches“ oder ein

„kulturgeschichtliches“ oder ein „ästhetisches“

und dergleichen mehr, jedenfalls ein Interesse des abgelösten, in autonome Bereiche „auf-geteilten“ Geistes. Er stellt sich dem biblischen Wort nicht mehr, wie die früheren Geschlech-ter, um auf es zu hören, er konfrontiert sein Leben nicht mehr mit dem Wort …

Dem „heutigen Menschen“ ist die Glaubens-sicherheit nicht zugänglich und kann ihm nicht zugänglich gemacht werden … Aber die Glaubensaufgeschlossenheit ist ihm nicht versagt. Auch er kann sich, eben wenn er mit der Sache wahrhaft Ernst macht, diesem Buch auftun und sich von dessen Strahlen treffen lassen … Dazu muss er freilich die Schrift vornehmen, als kennte er sie noch nicht; als hätte er sie nicht in der Schule und seither im Schein „religiöser“ und „wissenschaftlicher“

Sicherheiten vorgesetzt bekommen … Er glaubt nichts von vornherein, er glaubt nichts von vornherein nicht. Er liest laut, was dasteht, er hört das Wort, das da spricht, und es kommt zu ihm, nichts ist präjudiziert, der Strom der Zeiten strömt, und dieses Menschen Heutigkeit wird selber zum auffangenden Gefäß.

314 4-3 „…lasse deiner Ordnungen Weg mich verstehn!“

Die Hebräische Bibel ist wesentlich durch die Sprache der Botschaft geprägt und gefügt … Wir lesen Psalmen, die uns nichts andres zu sagen scheinen als den Hilferuf des gepeinig-ten Menschen nach oben, aber wir brauchen nur recht hinzuhören, um zu erkennen, dass da nicht ein beliebiger Mensch, sondern einer redet, der unter der Offenbarung steht und auch noch aufschreiend sie bezeugt … Es hieße, die Art der Bibel gründlich verkennen, wenn man annähme, dass sie die Botschaft jeweils anheftete, wie schlechten Parabeln eine

„Moral“ anhaftet; … alles in der Schrift ist echte Gesprochenheit, der gegenüber „Inhalt“

und „Form“ als die Ergebnisse einer Pseudo-analyse erscheinen; so kann denn auch die Botschaft, wo sie sich unmittelbar ausspricht, nicht zur Anmerkung oder zum Kommentar zusammenschrumpfen. Sie dringt ein in die Gestaltung, sie bestimmt die Gestalt mit …

55

Die hebräischen Laute haben für einen Leser, der kein Hörer mehr ist, ihre Unmittelbarkeit eingebüßt, sie sind von der stimmlosen

theo-logisch-literarischen Beredsamkeit durchsetzt und werden durch sie genötigt … Dies er-kennen, heißt freilich dem Übersetzer eine grundsätzlich unerfüllbare Aufgabe zuweisen;

denn das Besondere ist eben das Besondere und kann nicht „wiedergegeben“ werden, die Sinnlichkeiten der Sprachen sind verschieden, ihre Vorstellungen und ihre Weisen sie aus-zuspinnen, ihre Innervationen und ihre Bewe-gungen, ihre Leidenschaften und ihre Musik.

Grundsätzlich kann denn auch Botschaft, in ihrer schicksalhaften Verschweißung von Sinn und Laut, nicht übertragen werden; sie kann es nur praktisch: annährend…; denn nicht in den

„Quellen“, sondern hier ist in Wahrheit Bibel, das nämlich, was zu Zeugnissen und Urkunden hinzutritt: zeitenverschmelzender Glaube an Empfang und Übergabe, das Zusammensehen aller Wandlungen in der Ruhe des Wortes.

Von diesem Wissen um lebendige Einheit ist das Verhältnis unsrer Übertragung zum Text bestimmt.

Buber spricht auf diesen Seiten11 folgende Themen an:

(a) den eigentümliche Inhalt der Schrift,

(b) die mangelnde Aufgeschlossenheit des heutigen Menschen zum Verstehen der Schrift,

(c) der existentielle Anspruch der Schrift,

(d) die Sinnlichkeit der Sprache als Ausdruck für den Lebensbezug der Schrift, (e) die Schrift als unmittelbares Zeugnis, die nicht eine Moral hinter ihren Sätzen

transportieren will.

Alle Punkte sind für unseren Zusammenhang von entscheidender Bedeutung. Als heuristische Folie zur weiteren Erläuterung des Ps 119 lassen sich auf der Grundlage des Buber-Textes eine Reihe von Fragen formulieren, etwa:

Nach Buber steht das biblische Wort mitten im „natürlichen Leben des Menschen"; wo kommt dies im Ps 119 zum Ausdruck?

11 Aus: Martin Buber: Zu einer neuen Verdeutschung der Schrift. Beilage zum ersten Band von „Die Schrift“. Heidelberg: Lambert Schneider 1954, S. 3ff.

Was fühle, erlebe ich, was möchte ich unmittelbar aussprechen, wenn ich, wie Buber es empfiehlt, ohne Vorkenntnisse zum Text, laut lese und höre, was dasteht, und versuche mich davon treffen zu lassen?

Prüfen wir: Macht es einen Unterschied, eine bestimmte Textpassage laut zu lesen / zu rezitieren und einfach zu hören oder in nach Verständnis strebender Form sie zu lesen? Kann ich den Unterschied beschreiben?

Buber schreibt, die Bibel wolle wesentlich eine Botschaft bezeugen ohne damit eine Moral zu vermitteln. Welche Botschaft, sei es von der Lage eines Menschen, der dies verfasst hat, oder sei es für mich, weil ich mich angesprochen fühle, vermittelt mir das unmittelbare Hören einer Textpassage?

Entsprechende Aufgabenstellung können die Schülerinnen und Schüler durchaus selbst nach der Lektüre des Buber-Textes für sich oder die Klasse erstellen, etwa durch die Anweisung:

Was halten Sie nach Lektüre des Textes für wichtig, um es als Kriterium zur verständigen Lektüre eines Bibeltextes zu verwenden? Formulieren Sie entspre-chende Prüffragen zur Erschließung eines biblischen Textes!

2.4. Zur Verständigung des speziellen Hintergrunds für Ps 119 als Tora-Psalm ist es sinnvoll, den Aufbau der jüdischen Bibel zu wiederholen bzw. zu erarbeiten.

Wenigstens erforderlich ist es, die Bedeutung von „Tora“ (

hrAt

) zu verstehen. Dazu die wesentlichen Informationen:

Mit dem Begriff Tora werden zunächst äußerlich die fünf Bücher Mose, der sog. Pentateuch (griech.: 5 Bücher) bezeichnet. Sie bilden den ersten und wichtigsten Teil der hebräischen Bibel. Mit den prophetischen Schriften (Nebiim) und den sog. übrigen Schriften (Ketubim) wird die Tora unter dem Kunstwort TeNaCh (für die Anfangsbuchstaben der drei Schrift-Gruppen) zum Kanon der Heiligen Schrift im Judentum zusammengefasst.

Die Tora ist nicht nur die erste, sondern auch wichtigste Gruppe biblischer Schriften. Die Bedeutung der Tora für jüdisches Glaubensleben ist auch daran zu ermessen, dass die fünf Bücher im Rahmen des liturgischen Jahres im Gottesdienst der Synagoge vorgelesen werden. Der Grund: In ihnen sind nicht nur die zentralen Geschichten von der Genese des jüdischen Glaubens zusammengetragen, sondern auch die wichtigsten Anweisungen für jüdisches Glaubensleben, kulminierend in den Zehn Geboten. Im engeren Sinn bezeichnet die Tora daher auch die Zehn Gebote, in einem weiteren Sinn alle in der Bibel dokumentierte Gebote und Verbote Gottes.

316 4-3 „…lasse deiner Ordnungen Weg mich verstehn!“

Gleichwohl ist es nicht legitim, „Tora“ mit „Gesetz“ in der Konnotation unseres Sprachgebrauchs zu übersetzen. Vielmehr ist „Weisung“ oder „Belehrung“

gemeint. Das bedeutet, im Horizont einer um der Erwählung des Menschen willen rechtstranszendenten Weisung durch Gott sind hier in der Tora Leitlinien, Geländer, Hilfestellungen formuliert für konkrete Lebensführung.

Diese Informationen können durch Lehrervortrag gegeben, aber auch durch ent-sprechende Textvorlagen selbst erschlossen werden.12

2.5. Als nächsten Schritt können die Schülerinnen und Schüler auf Grundlage der

Im Dokument „…hinaus in die Tiefe…“ (Seite 67-70)