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Die Berufungsgeschichten der neutestamentlichen Evangelien Ziel des folgenden Elements ist es, die neutestamentlichen Belege zur Jüngerberufung

Im Dokument „…hinaus in die Tiefe…“ (Seite 38-42)

Eine Skizze erfahrungsdimensionierter Bibelerkundung 1

2 Die Berufungsgeschichten der neutestamentlichen Evangelien Ziel des folgenden Elements ist es, die neutestamentlichen Belege zur Jüngerberufung

kennen zu lernen und darüber zugleich einiges zur Komposition der Evangelien in Erfahrung zu bringen. Indem diese Aufgabe durch das erste Element eine Basis hat, wird jedoch die Kenntnisnahme dieser Fakten eingebunden in die Frage nach Lebenssinn und -orientierung. - Zum Vorgehen schlage ich folgende Phasen vor:

2.1 Erkundung der neutestamentlichen Berufungsgeschichten

Durch eine entsprechende Unterrichtsplanung lässt sich das vorderhand langweilige Unternehmen, etwas in der Bibel nachzuschlagen, lebendiger, das eigene entdeckende Lernen einbeziehend, gestalten. Geeignet dafür erscheinen mir folgende Schritte bzw.

Arbeitsaufgaben, zu denen jeweils kurz die Zielsetzung angegeben ist:

Mit dem Ziel, als „Nebeneffekt“ auch den Aufbau der Evangelien strukturell zu erfassen, sollten die Schülerinnen und Schüler selbständig versuchen, die Geschichten von der Berufung der ersten Jünger zu suchen. Als Suchkriterien werden dabei folgende Fragen weiterhelfen: a) eher im AT oder NT zu suchen, b) wenn im NT, in welchen der Schriften, c) wo ungefähr sollte man in den Evangelien suchen? – Für Antworten sind jeweils Begründungen zu liefern.

Wenn die Suche zu vier Ergebnissen geführt hat (Mt 4,18ff; Mk 1,16ff;

Lk 5,1ff; Jo 2, 35ff), stellt sich unmittelbar die Frage, wie es zu solch unterschiedlichen Überlieferungen kommen kann. Dafür sind zunächst die offenkundigen Unterschiede zu markieren: Die deutlichsten Parallelen wird man zwischen Mk und Mt finden, den entferntesten Text bei Jo – hier tauchen auch ganz andere Namen auf, am Ende die Jünger Philippus und Natanael, anfangs der Täufer, mit dem die Geschichte eine ganz andere Wendung nimmt. – Mit einem solchen Ergebnis hätten die Schülerinnen und Schüler eigenständig einen ersten synoptischen Vergleich vorgenommen und zugleich in Erfahrung gebracht, dass die neutestamentlichen Schriftsteller mit ihren unterschiedlichen Texten eine je eigene Botschaft im Sinn haben, weniger die detailgetreue Abbildung eines Geschehens. – Eine kurze Information zur historischen Genese der Evangelien lässt sich an dieses Suchergebnis leicht anschließen.

In einer ersten Wiederaufnahme des Duccio-Bilds ist schließlich zu fragen, welchen dieser Texte Duccio mit seinem Bild wohl im Sinn hatte. Obwohl auf den ersten Blick alles dafür zu sprechen scheint, dass es um die Texte von Mk bzw. Mt geht, lässt die ausdrücklich hervorgehobene Haltung des Petrus nur den Schluss zu, dass Duccio die Überlieferungen des Mk/Mt mit der des Lk kompiliert hat. Offen bleibt die Frage, warum und mit welchem Recht?

Diese Frage kann als Provokation zu einer weiteren Auseinandersetzung mit den biblischen Texten genommen werden.

2.2 Detailliertere Auseinandersetzung mit den Geschichten von Markus

und Lukas

Als Ergebnis der Phase 2.1 (zumindest als naheliegender Schluss) kann festgehalten werden, dass es den neutestamentlichen Schriftstellern nicht auf exakte historische Genauigkeit ankommt, sondern dass sie etwas damit im Sinn haben, eine Geschichte gerade so überliefert zu haben. Um nun den Bezug genauer erschließen zu können, den das Bild von Duccio zu diesen Quellen aufbaut, ist es nützlich, an die beiden für Duccio einschlägigen Perikopen von Mk und Lk die genauere Frage ihres Sinns zu stellen.12 Auf detailliertere Tipps zur unterrichtlichen Erschließung verzichte ich hier und liefere nur einige Hinweise zur Sachananalyse.

Die Pointe der Markus-Geschichte erschließt sich am besten durch die eindrückliche, eng an der Diktion des Markus angelehnte Übersetzung von Fridolin Stier13:

16 Als er am See von Galiläa entlangging, sah er Simon und Andreas, den Bruder Simons, wie sie im See netzwarfen; sie waren ja Fischer. 17 Und Jesus sprach sie an:

Auf! mir nach, dass ich Menschenfischer aus euch mache! 18 Und gleich ließen sie die Netze und folgten ihm. 19 Und als er ein wenig weitergegangen, sah er Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und Johannes, dessen Bruder – auch sie im Boot – wie sie eben die Netzte zurecht machten. 20 Und gleich rief er sie; und sie ließen ihren Vater Zebedäus samt den Lohnknechten im Boot und gingen weg – ihm nach.

Die Frage nach Auffälligkeiten dieses Textes wird schnell zu dem Ergebnis führen, dass die Nachfolge hier ohne Begründung und Erklärungsversuch erzählt wird, ja

12 Im Zusammenhang des hier interessierenden Kontextes und auch um den Rahmen der Erläuterungen nicht zu sprengen, verzichte ich an dieser Stelle auf eine ansonsten bei der Arbeit mit Bibelstellen übliche, zuweilen auch ertragreiche Einbindung in die einschlägige exegetische Literatur und beschränke mich auf Markierungen einiger für den differenzierenden Blick offenkundiger Auffälligkeiten.

13 Stier (1989).

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dass das Überraschende des Ereignisses durch das zweimalige „und gleich“ sogar ausdrücklich hervorgehoben wird. Offensichtlich lag Mk daran, nicht die innere Erfahrung bei den Jüngern nachzuzeichnen, sondern das Plötzliche, Unmittelbare und vor allem das Einschneidende und Radikale dieser Wendung. Zu diesem Zwecke verdichtet er14 ein „in Wirklichkeit“ sicher anders und vor allem viel ausgedehnter verlaufenes Geschehen auf wenige Informationen und die elementare Sinnsetzung dieser Erfahrung: Jesus ist den Jüngern in einer das ganze Leben einschneidend und fundamental verändernden Weise begegnet. Dieser Akzent entfaltet programmatisch die Ankündigung Mk 1, 15 und bildet den Auftakt für weitere „Erläuterungen“ des Reiches Gottes in den folgenden Versen.

Lukas dagegen scheint es gerade auf die Auslotung der inneren Erfahrung der Berufung anzukommen. Darum wohl konzentriert er die Geschichte ganz auf einen der Jünger, nämlich Simon:

1 Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth 2 und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3 Da stieg er in eins der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. 4 Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon:

Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! 5 Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. 6 Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen. 7 Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, so dass sie fast sanken. 8 Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. 9 Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, 10 ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon:

Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. 11 Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach. 15

Lukas bindet in die ihm vorliegende „Geschichte“ offenkundig drei andere ein, einerseits die von der Predigt vom See aus, anderseits die vom großen Fischfang, den die Jünger tätigen, schließlich die Berufung des Simon, um so der Erfahrung, die die Jünger machen, das entsprechende Gewicht zu geben. Darüber hinaus „verlegt“ er die Geschichte zeitlich weg vom Anfang der Tätigkeit Jesu, an dem sie bei Mk gestanden hatte. Damit kommt ihr weniger exponierender Charakter zu als vielmehr ein auf einer ersten Stufe synthetisierender: Was zuvor durch einige Ereignisse vor Augen

14 Zum literarischen Mittel der Verdichtung vgl. die kurzen Erläuterungen im Kap. 4-3, Abschnitt 4.

15 Übersetzung nach der 1984 revidierten Lutherbibel.

geführt wurde, wird nun zu Beginn des Kap.5 auf den Punkt und zur Erfahrung gebracht. Dass es Lukas dabei ebenfalls nicht auf eine historisierende Abbildung eines Geschehens ankommt, wird belegt nicht nur durch den Akt dieser kompilieren-den Komposition, sondern auch äußerlich durch die offen beibehaltenen Brüche in der Grammatik (v. 4a-4b sowie v. 9-11): Noch deutlicher als bei Mk steht nicht irgendeine Geschichte im Vordergrund, sondern die Wirkung, zu der die Begegnung mit Jesus führt. Auch hier wird das „in Wirklichkeit“ ausführlichere Geschehen verdichtet, doch mit anderen Mitteln: Im Zentrum steht die Erfahrung des Simon, für die alle anderen Daten symbolischen Wert gewinnen:

Alle „drängen“ sich um Jesus, doch Simon soll „hinaus“ fahren, auf Abstand.

„Hinaus“ führt die Fahrt auch Simon selbst, hinaus nämlich aus seinem bisherigen Leben und Alltag.

Das Hinausfahren führt Simon dann in die „Tiefe“, nicht nur des Sees, sondern auch seiner selbst; er wird mit dem konfrontiert, was eigentlich Mitte seines Lebens ist.16

Entsprechend scheint auch der Fischfang eher Zeichen für Sinnsuche zu sein, jedenfalls nicht bloß Angabe einer alltäglichen Tätigkeit. Warum sonst sollten die Boote fast sinken?

Schließlich weist Simon Jesus zurück, so sehr hat ihn diese Erfahrung mit etwas ganz Elementarem konfrontiert. Er selbst jedenfalls kommt mit dem, was er erfahren hat, noch nicht zurecht.

Doch die Antwort Jesu verweist darauf, dass in dieser Erfahrung von Grenze und Abgründigkeit zugleich Vertrauen aufgebrochen ist, von dem er sich angenommen wissen darf.

Der abschließende Verweis auf die anderen Jünger scheint darauf hin zu deuten, dass die Erfahrung des Simon eine exemplarische ist, also nicht nur für ihn allein gilt, sondern an ihm als eine alle Jünger, ja alle Menschen angehende verdeutlicht wurde.

16 Zuweilen wird hier das griechische „evpana,gage eivj to. ba,qoj“ eher geografisch übersetzt, Simon solle auf „die Mitte“ des Sees hinaus fahren. In einem symbolischen Sinne kann auch dies durchaus den Sinn dieser Anweisung einholen, geht es doch um die Erfahrung einer zuvor offensichtlich nicht oder nicht voll ausgeloteten Lebens-Mitte.

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