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5. Klägerbefragung

6.3. Bescheide, Widersprüche, Klagen und Erfolgsquoten – einzelne Rechtsgebiete

6.3.4. Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)

Aufgrund der strukturellen Änderungen bei den sozialen Fürsorgesystemen kann keine Gleichsetzung alter und neuer Sozialrechtsregelungen erfolgen,131 so dass ein Vorher/Nach-her-Vergleich ausscheidet. Es kann daher kein unmittelbarer Vergleich angestellt werden zwi-schen den Bescheids-, Widerspruchs- und Klagezahlen beim Arbeitslosengeld auf der einen Seite und Arbeitslosenhilfe sowie Sozialhilfe und Grundsicherung für Arbeitsuchende auf der anderen Seite.

Im Folgenden wurden alle Klagen in Angelegenheiten der Bundesagentur für Arbeit vor dem Sozialgericht mit allen Sozialhilfeangelegenheiten132 vor den Verwaltungsgerichten zusam-mengerechnet und allen Klagen in den Bereichen Arbeitsförderung (SGB III), Grundsiche-rung für Arbeitsuchende (SGB II), Sozialhilfe (SGB XII) und Asylbewerberleistungsgesetz vor dem Sozialgericht ab dem Jahr 2005 gegenübergestellt. Hiermit werden Probleme in der Vergleichbarkeit einzelner Sozialleistungssysteme umgangen. Dargestellt wird das gesamte Klagegeschehen im Bereich der Fürsorge- und Arbeitslosenleistungen. Hierbei wird deutlich, dass das Klageaufkommen in diesem Bereich in beiden Gerichtsbarkeiten von 80.000 Klagen im Jahr 2004 auf 120.000 Klagen im Jahr 2006 gestiegen ist.

131 Vgl. BT-Drs. 16/4210 vom 1.2.2007, S. 30.

132 Da die Sozialhilfekammern der Verwaltungsgerichte auch für Leistungen nach dem Asylbewerber-leistungsgesetz zuständig waren, gehen wir davon aus, dass die Daten zu Sozialhilfestreitigkeiten auch die Streitigkeiten um Leistungen aufgrund des Asylbewerberleistungsgesetzes umfassen. Seit 2005, seitdem die Sozialgerichte für Leistungen aufgrund des Asylbewerberleistungsgesetzes zu-ständig sind, werden diese Streitigkeiten in der Statistik ausgewiesen.

Schaubild 6.11.: Durch die Gerichte erledigte Klagen im Bereich der Fürsorge- und Arbeits-losenleistungen im Vergleich 2003-2006

Quelle: BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit (Tätigkeit der Sozialgerichte SG 10), 2003-2006; destatis

Die Anzahl aller Klagen vor den Sozialgerichten ist im gleichen Zeitraum um 58.000 von 297.000 im Jahr 2004 auf 355.000 im Jahr 2006 gestiegen. Der Anstieg von 40.000 Klagen im Bereich der Fürsorge- und Arbeitslosenleistungen von 2004 bis 2006 macht also gut 2/3 des gesamten Klageanstiegs vor den Sozialgerichten aus. Berücksichtigt man weiter, dass die-ser Anstieg der Klagezahlen auch durch die Verschiebung in den Zuständigkeiten zwischen Verwaltungsgericht und Sozialgericht bedingt ist, kann davon ausgegangen werden, dass fast der gesamte Anstieg der Klagen vor den Sozialgerichten zwischen 2004 und 2006 auf den Be-reich der Fürsorge- und Arbeitslosenleistungen zurückzuführen ist.133

Allerdings gab es im Bereich der Sozialhilfe auch schon vor 2004 einen stetigen Anstieg der Verfahren vor den Verwaltungsgerichten. Die Zahl der Verfahren im Bereich der Sozialhilfe hatte sich von 7.903 im Jahr 1993 auf 17.186 im Jahr 2004 mehr als verdoppelt.134 Im Bereich der Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit gab es in den Jahren zuvor ebenfalls einen Klageanstieg, wenn auch nicht so erheblich. Hier stieg die Anzahl der eingegangenen Klagen bis zum Jahr 2002 nicht wesentlich. Sie lag bei ungefähr 50.000 Klagen im Jahr. Im Jahr 2003 wurden dann 65.667, im Jahr 2004 74.584 Klagen eingereicht.

Es ist daher unklar, ob der Anstieg der Klagen im Bereich der Fürsorgeleistungen zwischen 2004 und 2006 ausschließlich auf die Gesetzesänderungen in diesem Bereich zurückzuführen ist, oder ob sich der schon zuvor beobachtete Trend in den Bereichen Sozialhilfe (steigende

133 Bei den Verwaltungsgerichten gab es bis 2005 keinen Rückgang der Klagen im Bereich des Sozi-alhilferechts. Dies ist möglicherweise auf lange Verfahrensdauern im Widerspruchsverfahren zu-rückzuführen. Allerdings gab es von 2004 auf 2005 einen Rückgang im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes von 14.000 auf 2.000 Verfahren, vgl. Destatis Statistisches Bundesamt, Fachserie 10, Reihe 2.4, Rechtspflege, Verwaltungsgerichte, 2005.

134 Destatis, Justizgeschäftsstatistik, Verwaltungsgerichte 1993 – 2004.

2003 2004 2005 2006

0 20000 40000 60000 80000 100000 120000 140000

Verw G Sozialhilfe SozialG BA-Ange-legenheiten

SozG SGB II SozialG SGB XII / AsylbLG

Gesamt

Klageeingangszahlen zwischen 1993 und 2004) und Angelegenheiten der Bundesanstalt für Arbeit (steigende Klageeingangszahlen seit 2002) fortgesetzt hat. Hinsichtlich der Angele-genheiten der Bundesanstalt für Arbeit spricht die gleich bleibende Klagequote von 17% in den Jahren 2003 und 2004 (vgl. Abschnitt 6.3.3., Anhang Tabelle 6.3.d) gegen eine erhöhte Klagebereitschaft der Bürgerinnen und Bürger. Vielmehr hat sich in den erhöhten Eingangs-zahlen wahrscheinlich die steigende Arbeitslosenzahl bemerkbar gemacht. Jedenfalls ist die Anzahl der mindestens teilweise ablehnenden Widerspruchsbescheide zwischen 2002 und 2004 ebenfalls gestiegen, was zu der gleichbleibenden Klagequote führte. Da die Arbeitslo-senzahlen seit 2006 jedoch wieder sinken, ist davon auszugehen, dass die trotz dieses Um-stands steigenden Klagezahlen im Bereich der Fürsorgeleistungen auch im Jahr 2006 eher auf die Gesetzesänderungen oder den Gesetzesvollzug in diesem Bereich zurückzuführen sind als auf eine weiter steigende Anzahl von Betroffenen.

Von Richterinnen und Richtern wurde im Expertengespräch (vgl. Protokoll im Anhang zu Kapitel 4) berichtet, dass vor allem die Zahl der Verfahren im Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes bezüglich der Leistungen nach dem SGB II stark angestiegen ist. Für das Jahr 2005 kann die Zahl der einstweiligen Rechtsschutz-Verfahren von Seiten der BA jedoch nicht quantifiziert werden.135 Da auch hier aus den oben genannten Gründen kein Vergleich zwi-schen den alten Sozialleistungen Arbeitslosenhilfe/Sozialhilfe und der neuen Sozialleistung Grundsicherung für Arbeitsuchende stattfinden kann, wird auf eine Darstellung der Zahlen zum einstweiligen Rechtsschutz verzichtet.

Die Software A2LL ermöglicht im Prinzip detaillierte Auswertungen der Leistungsgewährung und -ablehnung im Rahmen des SGB II.136 Die Daten sind seit der Einführung der Leistungen am 1.1.2005 verfügbar,137 allerdings nicht zu allen Bereichen. Beispielsweise konnten erst seit November 2005 die Informationen zu verhängten Sanktionen in einer für die Statistik aus-wertbaren Form erfasst und der Aufbau einer entsprechenden Datenbasis begonnen werden.138 Tabelle 6.2.: Bescheide und Widersprüche nach dem SGB II

Jahr

2005 7.065.000 543.000 666.969 206.229 42710

2006 7.732.000 505.000 704.484 309.480 60013

Quelle: Statistik der BA (für das Jahr 2006 lagen von einigen bayerischen ARGEn keine Ergebnisse vor), erledigte Klagen und Anträge: BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit (Tätig-keit der Sozialgerichte SG 10)

135 Nach Auskunft von Herrn Krappmann (BA) liegen diese Daten nur für das. 4. Quartal 2005 vor.

136 Ausgenommen ist der Bereich der Leistungen für eine angemessene Unterkunft und Heizung, für den keine bundeseinheitlichen Daten vorliegen, weil dafür die kommunalen Träger zuständig sind,

§ 6 Abs. 1 Nr. 2 SGB II; vgl. BT-Drs. 16/4210 vom 01.02.2007, S. 20.

137 Vgl. http://www.pub.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/detail/l.html.

138 BT-Drs. 16/4210 vom 01.02.2007, S. 54.

* Die Auswertung zu Bewilligungen und Ablehnungen umfasst alle wesentlichen zentral und dezentral in A2LL gedruckten Bescheide auf Ebene der Bedarfsgemeinschaften, unabhängig davon, für welchen Zeitraum oder Zeitpunkt die Bewilligung oder Ablehnung ausgesprochen wird. Die Zahlen sind deshalb lediglich Anhaltspunk-te für das bearbeiAnhaltspunk-teAnhaltspunk-te Antragsvolumen und zeigen allenfalls einen Trend, sie geben jedoch nicht die absoluAnhaltspunk-te Zahl der bearbeiteten Anträge oder der Antragstellungen wieder. Nicht ausgewertet werden können manuelle Ablehnungsbescheide, deren Umfang derzeit nicht abgeschätzt werden kann.

In der Statistik werden nur die in A2LL gefertigten Bescheide gezählt. Der Umfang manueller Ablehnungsbescheide ist nicht bezifferbar. Die Statistik weist für das Jahr 2005 543.000, für das Jahr 2006 505.000 Ablehnungen aus. Die Anzahl der eingelegten Widersprüche übersteigt diese Zahl. Dies ergibt sich daraus, dass manuelle Bescheide nicht erfasst sind und Teilableh-nungen nicht ausgewiesen werden. Eine Widerspruchsquote kann daher nicht errechnet wer-den.

Schaubild 6.12.: SGB II - Widerspruchsverfahren und Klagequote

Quelle: BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit (Tätigkeit der Sozialgerichte SG 10), 2005, 2006; Bundesagentur für Arbeit, SGB II-Monitoring/Statistik Colei PC ALG II

Auch im Bereich des SGB II weist die Gerichtsstatistik mehr Klageeingänge auf als die Sta-tistik der Bundesagentur für Arbeit (BA). Dies erklärt sich möglicherweise aus den Untätig-keitsklagen, die in der Statistik der BA fehlen. Dazu kommen die Klagen aus dem Bereich der zugelassenen kommunalen Träger nach § 6b SGB II.

Die Frage des Anstiegs der Zahl der Untätigkeitsklagen kann nicht beantwortet werden, da hierzu keine bundeseinheitlichen Daten vorliegen. Im Rahmen des Expertengesprächs mit Richterinnen und Richtern der Sozialgerichtsbarkeit wurden jedoch Daten für einige Bezirke übergeben: Im Bereich der ARGE Leipziger Land lag der Anteil der Untätigkeitsklagen an al-len Klagen im Jahr 2006 beispielsweise bei 4%. Im Bereich der ARGE Delitzsch betrug der Anteil der Untätigkeitsklagen im Jahr 2005 5%, im Jahre 2006 dann bereits 13%. Der Betrieb für Grundsicherung und Arbeitsförderung Landratsamt Muldentalkreis zählte im Jahr 2005 6% Eilverfahren, im Jahr 2006 10%. Die Auswertungen der standardisierten Richterbefragung zeigen, dass im Bereich des SGB II weit überdurchschnittliche 15% der Richterinnen und Richter den Anteil der Untätigkeitsklagen auf über 10% schätzen.

2005 2006

Nach beiden Statistiken ist die Klagequote allerdings gestiegen, von 16% auf 22% (Gerichts-statistik) bzw. auf 19% (Statistik der Bundesagentur für Arbeit) (siehe Schaubild 6.12.). Un-schärfen ergeben sich auch dadurch, dass im Jahr 2005 nur knapp zwei Drittel der Widersprü-che erledigt wurden und rund 200.000 WidersprüWidersprü-che unerledigt blieben. Am Jahresende 2006 waren 286.071 Widersprüche unerledigt. Dieser erhebliche Überhang führte dazu, dass die entsprechenden Klagen auch erst in der Statistik des Folgejahres auftauchen.

Erwähnenswert ist, dass 41% (2006: 38%) der Widersprüche im Jahr 2005 ganz oder teilwei-se erfolgreich waren (vgl. Schaubild 6.12.). Die Erfolgsquote der Widersprüche lag damit über dem Durchschnitt der Sozialversicherungsträger insgesamt (2005: 36%, 2006: 35%, vgl.

Tabelle 6.1.d) im Anhang). 2005 wurden 30% und 2006 40% der Klagen ganz oder teilweise von den Betroffenen gewonnen (vgl. Schaubild 6.13.). Die Erfolgsquote der Klagen lag damit 2005 unter dem Durchschnitt und 2006 über dem Durchschnitt der gesamten Sozialgerichts-barkeit.

Schaubild 6.13.: Gerichtliche Verfahren im Bereich SGB II nach Art des Erfolges

Quelle: BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit (Tätigkeit der Sozialgerichte SG 10), 2005, 2006; Bundesagentur für Arbeit, SGB II-Monitoring/Statistik Colei PC ALG II

Während die Erfolgsquote im Widerspruchsverfahren in diesen zwei Jahren gesunken ist, ist diejenige der Verfahren vor Gericht gestiegen. Die Misserfolgsquote der Klagen ist im selben Zeitraum leicht gesunken, und zwar von 54% auf 52% (vgl. Schaubild 6.13.). In der gesamten Sozialgerichtsbarkeit ist die Misserfolgsquote in diesem Zeitraum gestiegen (von 52% auf 54%, vgl. Schaubild 6.31.). Entsprechend schätzen die Richterinnen und Richter den Anteil aussichtsloser Verfahren im Bereich des SGB II als durchschnittlich ein. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Gebührenfreiheit aussichtslose Verfahren begünstigt und ob Gebührenfrei-heit zu Klagen ermutigt, liegen die Antworten der Richterinnen und Richter, die im Bereich SGB II tätig sind, im Durchschnitt.

Die Bundesregierung führte zum Klagegeschehen auf dem Gebiet des SGB II Anfang 2007 aus:

2005 2006

0 5000 10000 15000 20000 25000 30000 35000 40000

0%

10%

20%

30%

40%

50%

60%

erledigte Verfahren voller/teilw eiser Erfolg ohne Erfolg sonstige Art Erfolgsquote Mißerfolgsquote

„Verglichen mit der ehemaligen Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III ist die Anzahl der Widersprüche und Klagen im Bereich der Grundsicherung für Arbeitssuchende in abso-luten Zahlen höher. Der Anstieg ist aber hauptsächlich auf die höhere Anzahl der Leis-tungsempfänger zurückzuführen. Dies zeigt sich daran, dass die Quoten, also die Zahl der Widersprüche und Klagen, im Verhältnis zu der Gesamtzahl der Leistungsempfän-gerinnen und -empfänger bei Arbeitslosenhilfe und Grundsicherung nur unmerklich voneinander abweichen (Widerspruchsverfahren: ca. 9,8 % beim Arbeitslosengeld II hochgerechnet für das Jahr 2006 und 9,6 % bei der Arbeitslosenhilfe im Jahr 2004; Kla-geverfahren: ca. 0,9 % beim Arbeitslosengeld II hochgerechnet für das Jahr 2006 und 1,1 % bei der Arbeitslosenhilfe 2004). Die Klagequote, ermittelt aus dem Verhältnis der Klagen zu den nicht stattgebenden Widersprüchen betrug im Jahr 2004 in der Arbeitslo-senhilfe 18,2 % und hochgerechnet für das Jahr 2006 beim Arbeitslosengeld II rund 22,4 %.“139

Der hier vorgenommene Vergleich der Empfängerzahlen und Klagezahlen ist jedoch ungenau.

Beklagt werden können jeweils Bescheide. Mit der Einführung des Arbeitslosengeldes II wurden alle Haushaltsmitglieder in einen Bescheid mit aufgenommen. Die frühere Arbeitslo-senhilfe wurde einer Person ausgezahlt. Nicht bekannt ist, wie viele Haushaltsangehörige von diesen Zahlungen mit unterstützt wurden. Die Empfängerzahlen der Arbeitslosenhilfe geben daher nicht wieder, wie viele Personen von dieser Zahlung gelebt haben – so wie es jetzt die Empfängerzahlen der Grundsicherung für Arbeitsuchende tun. Die Empfängerzahlen können daher nicht mit den Klagezahlen verglichen werden, ohne dass es zu einer Verzerrung kommt.

Könnte die Anzahl derjenigen ermittelt werden, die jeweils von einer Arbeitslosenhilfezah-lung ernährt wurden, würde die Klagequote hinsichtlich der Arbeitslosenhilfe sinken.

Vergleicht man die Klagequoten aus dem Bereich der Leistungen nach dem SGB III mit de-nen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, so zeigt sich, dass die Klagequote im Bereich der Grundsicherung etwas über der in den Angelegenheiten der Bundesagentur nach dem SGB III lag. Im Jahr 2006 lag die Klagequote im SGB III bei 17% (Statistik der Bundesagen-tur für Arbeit) bzw. 20% (Gerichtsstatistik), während sie im Bereich des SGB II bei 19% (Sta-tistik der Bundesagentur für Arbeit) bzw. 22% (Gerichtssta(Sta-tistik) lag.

Der große Anstieg der Klageeingangszahlen im Bereich der Fürsorgeleistungen kann sich je-doch daraus erklären, dass im Bereich der Grundsicherung häufiger Bescheide ergehen (in der Regel halbjährlich, während im Bereich der Arbeitslosenhilfe Bescheide in der Regel jährlich ergangen sind). So ist zwar die Klagebereitschaft der Betroffenen im Bereich des SGB II nicht wesentlich größer als im Bereich des Arbeitslosengeldes. Durch das erhöhte Bescheid-aufkommen ist allerdings die absolute Zahl der eingereichten Klagen höher.

Der Anstieg der Klagequote lässt sich auch dadurch erklären, dass es bei neuen Gesetzen re-gelmäßig ein verstärktes Bedürfnis nach gerichtlicher Klärung von Rechtsfragen gibt. Dies ist nicht nur ein legitimes Anliegen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger. Es dient auch dem Rechtsfrieden und der mittel- bis langfristigen Vermeidung von Prozessen. Je schneller Zwei-felsfragen (höchst-) richterlich geklärt sind, desto leichter fällt der Verwaltung die richtige

139 BT-Drs. 16/4210 vom 01.02.2007, S. 57.

Rechtsanwendung und desto schneller akzeptieren Betroffene die behördlichen Entscheidun-gen. Nicht ermittelt werden kann, wie viele Personen durch die Änderungen im Bereich Ar-beitslosenhilfe/SGB II finanzielle Einbußen erlitten.140 Solche Einschnitte führen, gerade wenn die gesellschaftliche Akzeptanz umstritten ist, auch zu einem erhöhten Klageaufkom-men. Dieses erhöhte Klageaufkommen nach Einführung eines neuen Gesetzes geht nach eini-gen Jahren vermutlich zurück. Selbst wenn die Klagezahlen im Bereich des SGB II nach einer Einführung von Gebühren zurückgehen sollten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich hierbei um den zu erwartenden Rückgang der Klagezahlen nach einer Anfangszeit neuer Gesetze handelt und nicht um einen Klagerückgang aufgrund der Einführung von Gebühren.

Die im Rechtsgebiet SGB II tätigen befragten Richterinnen und Richtern der Sozialgerichts-barkeit waren signifikant häufiger der Ansicht, dass Mängel im Verwaltungsverfahren eine re-levante Ursache für den Anstieg der Zahl der Klagen darstellen, als Richterinnen und Richter, die nicht im Bereich des SGB II arbeiten. Hieraus könnte geschlossen werden, dass entweder die neu geschaffene Behördenstruktur noch nicht hinreichend arbeitsfähig war oder dass sie sich insgesamt als dysfunktional erweisen könnte. Auch von den Klägerinnen und Klägern wurden die Bescheide der ARGEn überdurchschnittlich häufig als unverständlich und nicht gut begründet und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter als nicht kompetent bewertet. Den Betroffenen fehlten häufiger rechtliche Erläuterungen. Zwar gab es häufiger ausführliche Ge-spräche als im Durchschnitt, doch hatten die Klägerinnen und Kläger in diesem Bereich häu-figer das Gefühl, ihre Probleme würden nicht ernst genommen und nahmen die Mitarbeiter seltener als hilfsbereit wahr (vgl. Kapitel 5.3. und Anhang 5, Tabelle 3).

Aufgrund fehlender Daten und der Gesetzesänderungen im Bereich der Fürsorgeleistungen ist in diesem Bereich eine genaue Analyse nicht möglich. Sicher ist, dass die Klagezahlen im Be-reich der Fürsorgeleistungen in den letzten Jahren gestiegen sind. Sicher ist auch, dass der Zu-ständigkeitswechsel zwischen Verwaltungs- und Sozialgerichten in diesem Bereich einen Großteil des zwischen 2004 und 2006 vor den Sozialgerichten zu verzeichnenden Klagean-stiegs ausmachen. Da die Erfolgsquoten nicht gering waren, ist nicht davon auszugehen, dass ein großer Teil dieser Klagen aussichtslos war, zumal für einen großen Teil der Richterinnen und Richter im Bereich der Fürsorgeleistungen Mängel im Verwaltungsverfahren eine rele-vante Ursache für den Klageanstieg darstellten.