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Entwicklung der Klageeingänge und Klagequoten in der Sozialgerichtsbarkeit

5. Klägerbefragung

6.2. Entwicklung der Klageeingänge und Klagequoten in der Sozialgerichtsbarkeit

6.2.1. Entwicklung der Klageeingänge

Einfach lässt sich feststellen, dass die Zahl der bei den Sozialgerichten eingereichten Klagen seit 1997 gestiegen ist.

Schaubild 6.1.: Klageeingänge und -erledigungen nach der Gerichtsstatistik der Sozialge-richtsbarkeit

Quelle: BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit (Tätigkeit der Sozialgerichte SG 10), 1997 – 2006125

In den Jahren 1997 bis 2002 bewegte sich die Anzahl der eingegangenen Klagen relativ stabil zwischen 251.000 (1998) und 270.000 (2001) pro Jahr. In den Jahren 2003 und 2004 gab es einen Anstieg von jeweils 17.000 Klagen im Verhältnis zum Vorjahr. Im Jahr 2005 stieg die Zahl der eingereichten Klagen dann um weitere 31.000, 2006 um 26.000. Vom Ausgangsjahr 1997 aus hat sich der Klageeingang bis 2006 um ein gutes Drittel (36%) erhöht (vgl. Schau-bild 6.1.). Zu berücksichtigen ist, dass mit der Reform der Grundsicherungsleistungen ab dem Jahr 2005 den Sozialgerichten neue Zuständigkeiten zugewiesen wurden, so dass der Klage-anstieg seitdem nur zum Teil auf einen tatsächlichen Zuwachs an Rechtsstreitigkeiten in den ursprünglichen Zuständigkeitsbereichen der Sozialgerichtsbarkeit zurückzuführen ist.

Eine detaillierte Betrachtung zeigt, dass nicht in allen Rechtsgebieten ein Anstieg der Klage-eingänge zu verzeichnen war. Es wird außerdem deutlich, dass einige Rechtsgebiete einen großen Anteil des Klageaufkommens vor den Sozialgerichten ausmachen (Krankenversiche-rungsrecht, Rentenversiche(Krankenversiche-rungsrecht, Feststellung des Grads der Behinderung, Unfallversi-cherungsrecht, Angelegenheiten der BA, SGB II, AsylbLG/SGB XII). Dagegen beschäftigen andere Rechtsgebiete die Sozialgerichtsbarkeit weniger (Pflegeversicherung, Kindergeld- und

125 Laut Auskunft von Herrn Dünwald vom BMAS sind die Daten für die Berichtsjahre 1993 und 1994 aus den Datenbanken des Ministeriums nicht mehr reproduzierbar.

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 0

50000 100000 150000 200000 250000 300000 350000 400000

eingegangene Klagen

erledigt e Klagen

Erziehungsgeldangelegenheiten, Altersversorgung der Landwirte, Sonstiges). Diese quantita-tiv weniger klageintensiven Rechtsgebiete machen nur 5-12% aller Klagen vor den Sozialge-richten aus.

Nach der Studie PEBB§Y machen die Bereiche Krankenversicherungsrecht, Rentenversiche-rungsrecht, Feststellung der Behinderung, Unfallversicherung, Angelegenheiten der BA und SGB II 84% der Arbeit der Richterinnen und Richter der Sozialgerichtsbarkeit aus.126 Eine Änderung im Klageverhalten von Eltern in Kinder- und Elterngeldangelegenheiten hätte da-her beispielsweise einen nur geringen Effekt auf die Arbeitsbelastung der Sozialgerichtsbar-keit, eine Änderung im Klageverhalten der Rentenantragsteller und Rentenantragstellerinnen oder der Empfängerinnen und Empfänger von Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende hätte dagegen einen großen Effekt.

Schaubild 6.2.: Klageeingänge in der Sozialgerichtsbarkeit, klageintensive Rechtsgebiete

Quelle: BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit (Tätigkeit der Sozialgerichte SG 10), 1997-2006

Sehr viele Klagen vor den Sozialgerichten betreffen die Bereiche Arbeitsförderung und Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie Sozialhilfe (vgl. Schaubild 6.2.). 2005 wurde durch die Gesetze für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt das System der Sicherung bei Ar-beitslosigkeit neu strukturiert. Damit einher ging ein Wechsel der Gerichtsbarkeit für einen Teil der Leistungsfälle bei Arbeitslosigkeit von der Verwaltungsgerichtsbarkeit (ehemals So-zialhilfe und Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz) hin zur Sozialgerichtsbar-keit (jetzt SGB II, SGB XII, AsylbLG). Ab 2005 sind die Klagezahlen in diesen Bereichen daher nicht mehr unmittelbar mit denen von vor 2005 vergleichbar (vgl. hierzu unten unter 6.3.3. und 6.3.4.).

Im Bereich der Rentenversicherung liegen die Klagezahlen allein zwischen 76.000 (2000) und 95.000 (1997) Klagen jährlich (vgl. Schaubild 6.2.).

126 Endgutachten Pebb§y, Stand 19.10.2005, S. 2. Mit der Studie wurde die Arbeitsbelastung der Ge-richte näher untersucht.

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 0

10000 20000 30000 40000 50000 60000 70000 80000 90000 100000

Krankenversicherung Unfallversicherung Rentenversicherung Angelegenheiten der BA Feststellung der

Be-hinderung nach

Angelegenheiten SGB XII/AsylbLG

Angelegenheiten SGB II Rest

Eine wachsende Bedeutung hat das Krankenversicherungsrecht. Die Zahl der Klagen hat sich hier von 1997 bis zum Jahr 2006 verdoppelt (von 23.128 auf 46.728). Auch das Unfallversi-cherungsrecht ist mit über 20.000 Klagen jährlich eher häufig vertreten (vgl. Schaubild 6.2.).

Schaubild 6.3.: Klageeingänge in der Sozialgerichtsbarkeit, wenig klageintensive Rechtsge-biete

Quelle: BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit, 1997 - 2006

Andere Bereiche spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Das Versorgungs- und Entschä-digungsrecht beschäftigte die Sozialgerichte mit unter 8.000 (1995) bzw. unter 4.000 (2006) Klagen (vgl. Schaubild 6.3.). Aus dem Bereich der Alterssicherung der Landwirte kamen bis 2002 ca. 2.000 Klagen jährlich, wobei es hier einen Aufwärtstrend in den Jahren 1996 bis 1998 gab. Seitdem ist die Zahl der Klagen unter 1000 Klagen jährlich gesunken. Aus dem Be-reich der Pflegeversicherung stammten ca. 8.000 Klagen im Jahr, mit fallender Tendenz. Kin-dergeldangelegenheiten spielen seit dem Jahressteuergesetz 1996 (Gesetz vom 11.10.1995, BGBl. I, 1250) nur noch eine untergeordnete Rolle, da seitdem Anspruchsgrundlage für das Kindergeld für alle dem Grunde nach Steuerpflichtigen § 62 EStG ist. Das Kindergeld wird von der Familienkasse durch Bescheid festgesetzt (§ 70 EStG). Die Familienkasse ist Finanz-behörde (§ 6 Abs. 2 Nr. 6 AO). Gegen Entscheidungen von FinanzFinanz-behörden ist der Einspruch (§ 347 AO) und sodann der Finanzrechtsweg gegeben (§ 33 Abs. 1 FGO).

Insgesamt wird deutlich, dass es in den Bereichen, die einen großen Teil der Klageeingänge bei den Sozialgerichten ausmachen, eher einen Anstieg der absoluten Klagezahlen gegeben hat. In den quantitativ weniger bedeutenden Bereichen sind die Klagezahlen dagegen noch weiter gesunken.

Dieser Befund unterschiedlicher Entwicklungen in verschiedenen Rechtsgebieten könnte sich mit der Aussage von Richterinnen und Richter aus dem Expertengespräch (vgl. Protokoll im Anhang zu Kapitel 4) decken, dass bestimmte äußere Anlässe (Gesetzesänderungen, geänder-te Verwaltungspraxis etc.) zu einem Anstieg der Klagen in dem jeweiligen Rechtsgebiet füh-ren.

1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 0

2000 4000 6000 8000 10000 12000

Pflegeversicherung Alterssicherung der Landwirte

Kindergeldangelegenhei-ten

Erziehungsgeldange-legenheiten

Versorgungs- und Entschädigungsrecht

Sonstige Angelegenhei-ten

6.2.2. Entwicklung der Klage- und Erfolgsquoten

Eine Auswertung der Widerspruchsstatistik der Sozialversicherung und der Kriegsopferfür-sorge zeigt, dass die Anzahl der erledigten Widersprüche insgesamt seit 1999 steigend ist. Die Klagequote, berechnet aufgrund dieser Widerspruchsstatistik, schwankt zwischen 19% (2005) und 24% (2000), wobei die Klagequote seit 2000 sinkt (siehe Schaubild 6.4.). Nach der Ge-richtsstatistik berechnet, liegt die Klagequote bei 25-30%, Tendenz von 2002 bis 2005 eben-falls sinkend. Seitdem steigt die Klagequote nach der Gerichtsstatistik leicht an.

Ebenfalls wird deutlich, dass die Erfolgsquote der Widersprüche über die Jahre konstant bei ca. 32-36% liegt, Tendenz leicht steigend. Die Misserfolgsquote der Widersprüche liegt bei ca. 60%, Tendenz leicht fallend (siehe Schaubild 6.4.).

Nach diesen Daten ist also die gestiegene Anzahl der Klageeingänge bei den Sozialgerichten auf die gestiegene Anzahl von Widersprüchen zurückzuführen, und nicht auf eine erhöhte Klagebereitschaft der im Widerspruchsverfahren unterlegenen Bürgerinnen und Bürger. Wäre letzteres der Fall, müssten die Klagequoten steigen, nicht sinken. Allerdings kann diese Dar-stellung insgesamt keinen Aufschluss über mögliche gegenläufige Entwicklungen in unter-schiedlichen Rechtsgebieten geben, so dass im Folgenden die Entwicklung des Widerspruchs- und Klagegeschehens für einzelne Rechtsgebiete exemplarisch genauer analysiert wird.

Schaubild 6.4.: Sozialgerichtsbarkeit gesamt – Widerspruchsverfahren mit Erfolgs- und Kla-gequote

Quelle: BMAS, Statistik: Tätigkeit der Widerspruchsstellen der Sozialversicherung und der Kriegsop-ferversorgung 1997 – 2006; BMAS, Ergebnisse der Statistik der Sozialgerichtsbarkeit 1997 – 2006;

Bundesagentur für Arbeit, SGB II Monitoring/Statistik Colei PC ALG II

6.3. Bescheide, Widersprüche, Klagen und Erfolgsquoten – einzelne Rechtsgebiete