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1.1 NIR-Fluoreszenzfarbstoffe

1.1.1 Grundlagen und Anwendungen

Aus dem Spektrum elektromagnetischer Strahlung kann das menschliche Auge nur einen kleinen Ausschnitt zwischen ca. 380 und 750 nm (Vis; von engl. visible

”sichtbar“) wahr-nehmen. Chemische Verbindungen, welche Licht in diesem Wellenl¨angenbereich absorbie-ren oder emittieabsorbie-ren, wurden urspr¨unglich als Farbstoffe bezeichnet. Der Mensch verwendet Farbstoffe schon seit Urzeiten in H¨ohlenmalereien oder zur Einf¨arbung. So konnte bei-spielsweise Indigotin auf ¨agyptischen Textilien nachgewiesen werden, die ¨uber 3000 Jahre alt sind.[1] Den Begriff der

”Fluoreszenz“, den er vom fluoreszierenden Mineral

”Fluorit“

(Flußspat) ableitete, pr¨agte 1852 der irische Mathematiker und Physiker Sir G. G. Stokes.

Bis in die Neuzeit wurden nur nat¨urlich vorkommende Farbstoffe verwendet, bis ebenfalls Mitte des 19. Jahrhunderts der Grundstein f¨ur die synthetische Farbstoffindustrie durchF.

F. Runge gelegt wurde, welcher Anilin aus Steinkohlenteer isolierte. So entdeckte 1856 der junge ChemikerW. H. Perkin, bei dem Versuch Chinin aus Anilin herzustellen, zuf¨allig das Mauvein, welches heute als der erste synthetische Farbstoff gilt. Infolge der daraus entstan-denen Farbstoffindustrie, unter anderem der Gr¨undung der Badischen Anilin- und Soda-Fabrik (BASF) 1865, wurde bis heute eine Myriade k¨unstlicher Farbstoffe entwickelt.[2]

Die Begriffsdefinition von Farbstoffen wurde mit der Erforschung von deren photophysikalischen Eigenschaften im Laufe der Jahre auf den ultravioletten Bereich (UV) ausgedehnt -ein Beispiel f¨ur UV-Farbstoffe sind optische Aufheller in Waschmitteln.

Infrarotstrahlung ist elektromagnetische Strahlung, deren Wellenl¨ange gr¨oßer ist als die gr¨oßte Wellenl¨ange roter Strahlung im sichtbaren Bereich aber kleiner als die der Mikro-wellenstrahlung. Die Infrarotregion umfasst grob die Wellenl¨angen (Frequenzen) zwischen 750 nm (400 THz) und 1 mm (300 GHz) und wird in drei Abschnitte unterteilt: das na-he, mittlere und ferne Infrarot. Das Nahinfrarot (NIR) f¨allt typischerweise in den Bereich zwischen 750 nm (400 THz) und 2500 nm (120 THz).[3] Diese Bereiche sind aber oft fach-gebietsspezifisch definiert, so wird in der Chemie und Biologie meist vom nahen Infrarot bei Wellenl¨angen zwischen 720 und 1400 nm gesprochen. Erste organische Verbindungen,

welche Absorption im NIR aufweisen wurden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts beschrie-ben. So postulierte J. Picard, dass f¨ur gewisse Oxidationsprodukte des Phenylendiamins und Benzidins die Absorption im NIR liege,[4,5] was aber erst Jahre sp¨ater durch die Auf-nahme von Elektronenspektren best¨atigt werden konnte. Seit Mitte der 1980er Jahre stellt die technische Seite keine Einschr¨ankung mehr dar, da das Fortschreiten der Halbleitertech-nik effiziente Anregungsquellen (Diodenlaser) und Detektoren (Germaniumdioden, CCD-Kameras) f¨ur das nahe Infrarot lieferte.[6] Die Suche nach Farbstoffen, deren Absorptions-und Fluoreszenzmaximum im NIR liegt, hat sich heutzutage zu einem wichtigen Zweig der universit¨aren und industriellen Forschung entwickelt. Noch immer ist die Bandbreite an NIR-absorbierenden Farbstoffen im Vergleich zum UV/Vis-Bereich sehr klein und dar¨uber hinaus ist der Anteil an Verbindungen, welche zudem Fluoreszenz bei Raumtemperatur zeigen, gering.

Absorptionskoeffizient (cm-1)

Wellenlänge (nm)

optisches Fenster

H2O

HbO2

Hb

Abbildung 1.1: Absorptionsspektren wichtiger Gewebebestandsteile: Oxyh¨amoglobin HbO2 (rote Linie), Desoxyh¨amoglobin Hb (gr¨une Linie) und Wasser H2O (blaue Linie) (Abb.

modifiziert aus Lit.[7]).

Inzwischen existieren viele Anwendungsfelder, die die Entwicklung neuer NIR-Farbstoffe motivieren. So besteht in der Biologie und Medizin ein großer Bedarf an photostabilen, starken NIR-Fluorophoren, die bei der Markierung (Labeling) von (Bio-)Molek¨ulen, Zell-bestandteilen und Gewebe Verwendung finden.[8–14] Nach dem synthetischen Anbinden an Zielmolek¨ule oder dem Einf¨arben bestimmter Zellstrukturen k¨onnen die Farbstoffe ¨uber

Fluoreszenzmikroskopie detektiert und dadurch lokalisiert werden, was zudem das Beobach-ten von Transportprozessen erm¨oglicht.[15,16] Bei Verwendung verschiedener Fluorophore mit deutlich separierten Absorptions- und Fluoreszenzmaxima in Mehrfarbenexperimenten k¨onnen, wenn die Fluorophore organellspezifisch einf¨arben, Zellstrukturen kontrastiert[17–19]

oder, wenn die Fluorophore kolokalisieren, mechanistische Aspekte von Zellprozessen wie beispielsweise Endozytose aufgekl¨art werden.[20,21] Diagnostische Bildgebungsverfahren in der Humanmedizin, wie die Angiographie oder Mammographie, nutzen NIR-Fluorophore als Kontrastmittel.[22–27] So k¨onnen auf nicht-invasivem Weg dreidimensionale Bilder von Tumoren abgebildet werden, wenn diese durch mit NIR-Fluorophoren gelabelte Tumormar-ker eingef¨arbt wurden.[28]

F¨ur den in zuvor genannten Anwendungen bevorzugten Einsatz von NIR-Fluorophoren gegen¨uber solchen, die im sichtbaren Bereich fluoreszieren, gibt es vielf¨altige Gr¨unde. Licht mit einer Wellenl¨ange zwischen ca. 650 und 900 nm kann tiefer (>500µm bis cm) in Gewebe eindringen, da Zellbestandteile wie Oxy- bzw. Desoxyh¨amoglobin und Wasser in diesem Bereich nur schwach absorbieren[7] und Biomolek¨ule wie FAD, NADH oder Porphyrine nur eine geringf¨ugige Fluoreszenz aufweisen. Man spricht deshalb auch vom

”optischen Fenster“

(vgl. Abb. 1.1). Desweiteren ist dieRayleigh-Streuung wegen ihrerν4-Abh¨angigkeit f¨ur NIR-Licht deutlich geringer, und da es signifikant energie¨armer ist als k¨urzerwelliges, sichtbares Licht treten weit weniger Photosch¨aden auf.

Eine weitere Anwendung von NIR-Fluorophoren in der humanen Krebsmedizin, welche besonders hervorzuheben ist, ist die photodynamische Therapie (PDT). Hier werden dem Patienten NIR-Licht absorbierende Marker (Sensibilisatoren) in das Tumorgewebe einge-bracht und durch nahinfrarote Bestrahlung angeregt (A = Absorption; Schema 1.1). Aus dem ersten elektronisch angeregten Singulett Zustand (S1) kann der Farbstoff ¨uber spinver-botene Interkombination (ISC =intersystem crossing) in den ersten elektronisch angeregten Triplett Zustand (T1) ¨ubergehen, wobei die ¨Ubergangsrate kISC durch in der Struktur in-korporierte Schweratome beg¨unstigt wird.[29–31]Aus diesem Zustand kann der Sensibilisator dann Energie an den in der Zelle vorhandenen Triplettsauerstoff (3O2) abgeben und diesen dabei in den energetisch h¨oherliegenden Singulettzustand (1O2) anregen, wobei er selbst in den Grundzustand abgeregt wird. Der so erzeugte, kurzlebige Singulettsauerstoff ist hoch-reaktiv und kann die Tumorzellen oxidativ sch¨adigen, was zum spontanen (Nekrose) oder programmierten Zelltod (Apoptose) f¨uhrt. Die PDT wirkt hochselektiv, da f¨ur eine effizien-te Photosch¨adigung insgesamt drei Faktoren zusammenspielen m¨ussen: das Anregungslicht, die Sauerstoff- und die Sensibilisatorkonzentration. Die h¨ohere Eindringtiefe von NIR-Licht in Gewebe spricht auch hier f¨ur den Einsatz von Farbstoffen mit elektronischen ¨Uberg¨angen im Nahinfrarot. Nur so k¨onnen tieferliegende (mm bis cm) Tumore entsprechend adressiert

werden, was mit k¨urzerwelligem Licht kaum m¨oglich ist.

S

1

S

0

T

1

ISC

A F P

3

O

2

1

O

2 oxidativer Zellschaden

Sensibilisator Nekrose / Apoptose

Schema 1.1: Jablonski-Schema (vereinfacht) zur Darstellung der photophysikalischen Prozesse bei der photodynamischen Therapie (A = Absorption, F = Fluoreszenz, P = Phospho-reszenz, ISC =intersystem crossing).

In materialwissenschaftlichen und technischen Forschungsfeldern haben NIR-Farbstof-fe ebenfalls Bedeutung erlangt, wobei hier oft die NIR-absorbierenden Eigenschaften ge-gen¨uber der Fluoreszenz bedeutsamer sind. NIR-absorbierende Pigmente1finden Einsatz als ladungserzeugende Materialien in Laserdruckern und digitalen Kopierger¨aten,[32] oder als Informationsspeichermaterialien in optischen Speichermedien (z.B. CD-R).[33] Sie k¨onnen als W¨armeabsorber in Fensterfolien eingesetzt werden um Innenr¨aume gegen Erw¨armung zu sch¨utzen oder als optische Filter, um NIR-Strahlung aus elektronischen Ger¨aten ab-zuschirmen.[34] Nat¨urlich ist hier neben einer starken NIR-Absorption wichtig, dass die Absorption im sichtbaren Bereich vernachl¨assigbar ist, um transparente Materialien zu er-halten.[3] Auch der Einsatz als Farbstoffe f¨ur das Laserschweißen von Kunststoffbauteilen ist m¨oglich.[32] Nahezu 50% der Sonnenstrahlung, welche auf die Erdoberfl¨ache trifft, f¨allt in den nahinfraroten Spektralbereich, eine Tatsache, die neue NIR-absorbierende, photo-voltaische Materialien f¨ur die Solarindustrie fordert. Einer der am st¨arksten limitierenden Faktoren f¨ur farbstoffsensibilisierte (dye-sensitized solar cells, DSSC) oder organische So-larzellen (small molecule- oder Polymer-Solarzellen)[35,36] ist die Diskrepanz zwischen den Absorptionsspektren ihrer aktiven Schichten und dem Emissionspektrum der Sonne. Die Verwendung NIR-absorbierender organischer Materialien,[37–40]mit Wellenl¨angen auch ¨uber 1000 nm hinaus, kann die Energieeffizienz solcher Solarzellen theoretisch verdoppeln.[3]

NIR-emittierende organische Materialien finden technische Anwendung in der Telekom-munikation, in Displays, OLEDs (organic light emitting diodes), Nachtsichtger¨aten und Sensoren.[41–44] Die derzeitigen optischen Kommunikationsnetzwerke nutzen NIR-Licht bei 1310 und 1550 nm f¨ur die Signal¨ubertragung.[45,46] Es ist eine große Herausforderung auf organischen Materialien basierende Systeme zu entwickeln, welche bei diesen Wellenl¨angen

1Pigmente bilden zusammen mit Farbstoffen die Gruppe der Farbmittel und grenzen sich von Farbstoffen definitionsgem¨aß darin ab, dass sie in ihren Anwendungsmedien unl¨oslich bzw. schwerl¨oslich sind.

Polymethine

Polyene Aromaten

N N

+ +

6 p 6 p

6 p

Abbildung 1.2: Einteilung von Farbstoffen nach der Triadenlehre am Beispiel von Systemen mit 6 π-Elektronen.

emittieren.